Der Kampf um Palästina

von Karin Leukefeld, freie Journalistin und Nahost-Expertin

Seit Jahrzehnten stand Palästina nicht mehr so im internationalen Rampenlicht wie seit Beginn des aktuellen Krieges am 7. Oktober 2023. Während Israel den palästinensischen Gaza-Streifen in Schutt und Asche bombt und für 2,3 Millionen Palästinenser unbewohnbar macht, versuchen die palästinensischen Qassam-Brigaden und ihre Verbündeten, die Existenz Palästinas zu behaupten. Regionale und internationale Akteure nutzen den ungleichen Kampf, um eigene Interessen durchzusetzen. Die Palästinenser bezahlen mit ihrem Leben dafür, dass sie ihre Heimat nicht verlassen und hergeben wollen.

Der geschichtliche Kontext

Vor knapp 1000 Jahren begannen die Kreuzzüge, die eine 100-jährige Fremdherrschaft in Palästina erzwangen, im 15. Jahrhundert fiel das Land ans Osmanische Reich. Im Ersten Weltkrieg (1914 – 1918) teilten die beiden europäischen Kolonialmächte Frankreich und Grossbritannien den gesamten «Fruchtbaren Halbmond» untereinander entsprechend ihrer Interessen auf, von dem Palästina – in Einheit mit Libanon, Syrien – den westlichen Endpunkt bildete. Beide teilten ihr jeweiliges Mandatsgebiet weiter auf, und Grossbritannien zerlegte sein Mandatsgebiet Palästina noch einmal. Es entstand Transjordanien. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg (1939 – 1945) entschied dann die neu gegründete Uno, das britische Mandatsgebiet Palästina wiede­rum in einen jüdischen und in einen arabischen Staat aufzuteilen (Uno-Teilungsplan 1947). Weder die Araber noch die Zionisten, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in Palästina einen «Judenstaat» gründen wollten, waren mit diesem Uno-Teilungsplan einverstanden. Die Zionisten wollten das ganze Land für sich und begannen mit der Vertreibung und Ermordung der arabischen Bevölkerung. Es war die «Nakba» für die Palästinenser, die «Katastrophe». Und doch hofften sie noch immer, in ihre Heimat zurückkehren zu können.

Im Mai 1948 riefen die Zionisten den Staat Israel ins Leben. Syrien, Jordanien und Ägypten reagierten mit Krieg. Ende 1949 konnte Israel den Krieg für sich entscheiden und hatte 78 Prozent des Gebietes, das 1947 im Uno-Teilungsplan in zwei Staaten aufgeteilt werden sollte, besetzt. Die arabische Bevölkerung, die seit 1947 vertrieben worden war, lebte fortan in Lagern in Jordanien, Syrien oder im Libanon. Oder sie lebte als Inlandsvertriebene in Zeltlagern in Ostjerusalem, im Westjordanland und im Gaza-Streifen.

Sich diese Entwicklung in Erinnerung zu rufen ist wichtig, um den aktuellen Krieg und die Tiefe des Konflikts zu verstehen. Die Zionisten – heute geführt von der national-liberalen Likud-Partei und Benjamin Netanyahu – wollen das ganze Palästina für sich, das zeigen aktuelle Umfragen, das zeigt die fortgesetzte Besiedlung im besetzten Westjordanland. 

Israel gegen die Hamas

Das heutige Israel, seine Regierung und die Mehrheit seiner Bevölkerung wollen keinen palästinensischen Staat, wie der Uno-Teilungsplan (1947) es vorsah oder das Oslo-Abkommen, das eine Zwei-Staaten-Lösung vorsah (1993). Das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat und auf Rückkehr (oder Entschädigung), wie zahlreiche Uno-Resolutionen sowohl vom Uno-Sicherheitsrat als auch von der Uno-Generalversammlung wieder und wieder forderten, hat für Israel keine Bedeutung. Offen werden Pläne diskutiert, die Menschen aus dem Gaza-Streifen in die Sinai-Wüste, die Menschen aus dem Westjordanland nach Jordanien zu verjagen. Gaza soll wieder von jüdischen Siedlern übernommen werden. Israel will das ganze Land.

Die Hamas, die aktuell Israel im Krieg gegenübersteht, besteht aus dem politischen Flügel um den Vorsitzenden Ismail Haniyeh (im Exil in Doha [Katar]). Der militärische Flügel, die Qassam-Brigaden (Gaza), bestimmt das Geschehen. Sie kooperieren mit dem Islamischen Jihad und anderen, ­personell kleineren militanten Widerstandsgruppen. Mit der militärischen Operation am 7. Oktober sollte die Absperrung des Gaza-Streifens durchbrochen werden, israelische militärische Überwachungsanlagen sollten zerstört, die Soldaten getötet oder als Geiseln genommen werden, um dann in den Gaza-Streifen zurückzukehren. Ziel war es, viele, militärische und möglichst hochrangige Geiseln zu nehmen, um alle palästinensischen Gefangenen freizupressen. Verhandlungen darüber waren gescheitert.

Bei den aktuellen indirekten Verhandlungen halten die Qassam-Brigaden (Hamas) an ihrem Ziel fest und haben Anfang Februar einen Drei-Stufen-Plan vorgelegt, der über einen Zeitraum von 135 Tagen umgesetzt werden soll. Grundlage ist zunächst eine gegenseitige befristete Waffenruhe, die am Ende des Drei-Stufen-Plans in einen Waffenstillstand übergehen soll. Die israelische Armee muss sich aus dem gesamten Gazastreifen zurückziehen.

In den ersten 45 Tagen sollen alle noch verbliebenen weiblichen israelischen Gefangenen (vom 7. Oktober 2023) freigelassen werden. Ebenso junge Männer unter 19 Jahren, die nicht der israelischen Armee angehören, Alte und Kranke. Im Gegenzug soll Israel 1500 palästinensische Gefangene freilassen: alle Frauen, alle Kinder und alle älteren Gefangenen. 500 dieser Gefangenen müssen diejenigen sein, die zu einer lebenslänglichen Strafe oder mehr verurteilt wurden. Darüber hinaus fordern die Qassam-Brigaden, dass mindestens 500 Lastwagen mit humanitären Hilfsgütern und mit Benzin täglich in den Gaza-Streifen gefahren werden müssen, um die Menschen zu versorgen. 60 000 Übergangsunterkünfte und 200 000 Zelte sollen errichtet werden. Die Inlandsvertriebenen müssen in ihre Wohnungen im Gaza-Streifen ungehindert zurückkehren können 

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu und sein Kriegskabinett haben den Plan abgelehnt. Die Hamas im Gaza-Streifen soll zerschlagen werden, ein Angriff auf die südliche Grenzstadt Rafah, wo sich mehr als 1 Million Inlandsvertriebene auf engstem Raum aufhalten, wird vorbereitet.

USA und die EU an der Seite von Israel

Die USA unterstützen Israel politisch, medial, mit Waffen und militärischer Expertise. Im Uno-Sicherheitsrat blockieren und verzögern die USA Resolutionen, die einen sofortigen Waffenstillstand fordern und verschaffen Israel damit Zeit, ihren Krieg in Gaza fortzusetzen. Zuletzt legten die USA einen Resolutionsentwurf vor, in dem ein «Waffenstillstand so bald wie möglich» gefordert wird. Voraussetzung: die Freilassung aller israelischen Geiseln durch die Hamas.

Washington verschaffe Israel eine «Lizenz zur Tötung palästinensischer Zivilisten» kritisierte der russische Uno-Botschafter Vasily Nebenzya den Resolutionsentwurf. Washington wolle den Uno-Sicherheitsrat weiter zu einem «Schutzschirm über die israelische (Militär-)Operation» in dem Küstenstreifen machen, so Nebenzya. Er forderte die anderen Uno-Sicherheitsratsmitglieder auf, dieses «destruktive Vorgehen» nicht zu unterstützen.

Das übergeordnete Ziel der USA ist es, ihre geopolitische Kontrolle über die gesamte Region zu stabilisieren. Kern dieses «Kontrollschirms» ist Israel und seine Armee, die voll in die US-amerikanische und Nato-Sicherheitsstruktur eingebunden ist. Unter Netanyahu und seiner rechtsextremen siedlerkolonialen Regierung haben sich Konflikte innerhalb Israels und in den besetzten palästinensischen Gebieten verschärft, die Israel und den Einfluss der USA schwächen. Der 7. Oktober hat diese Lage für die USA weiter verschärft.

Mit der Unterstützung des Gaza-Krieges will Washington Israel als regionalen Akteur stabilisieren und für die begonnene Politik der «Normalisierung der Beziehungen» mit den arabischen Golfstaaten wieder interessant machen. Da diese – zumindest vordergründig – dafür die Umsetzung der Zwei-Staaten-Lösung in den Grenzen von 1967 mit Ostjerusalem als Hauptstadt des Staates Palästina fordern – haben die USA die Zwei-Staaten-Lösung wieder aus dem Regal geholt, in dem sie fast zwei Jahrzehnte Staub angesetzt hatte, während der völkerrechtswidrige Siedlungsbau ungehindert voranging.

In Ermangelung von Interesse an einer wirklichen palästinensischen Lösung in Palästina – was eine inner-palästinensische Versöhnung, eine Einbeziehung der Hamas, Kooperation aller mit der PLO und Neuwahlen bedeuten würde – bleibt der US-Plan für eine mögliche Zwei-Staaten-Lösung vage. Auch die USA wollen die Hamas ausschalten. Also muss die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) von Mahmud Abbas (Fatah) «wiederbelebt» werden, wie es US-Aussenminister Antony ­Blinken formulierte. Ein Regierungswechsel der PA soll einen «technokratischen Neuanfang» signalisieren. Wie diese am «Tag nach dem Krieg» in Gaza die Kontrolle übernehmen soll – in enger Kooperation mit Israel versteht sich – ist völlig unklar. Grösstes Hindernis bleibt sicherlich die grosse Ablehnung der Palästinenser gegen die Autonomiebehörde, nicht zuletzt wegen deren enger Kooperation mit Israel und israelischen Sicherheitskräften.

Um die arabischen Golfstaaten an dem Plan interessiert zu halten, bietet Washington Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und den Golfkooperations-Staaten umfangreiche militärische Zusammenarbeit an, wenn sie ihre Beziehungen mit Israel vertiefen und militärisch koordinieren. In Zukunft soll ein Dreigestirn aus Nato, EU und Israel den «Kontrollschirm» vom östlichen Mittelmeer bis zum Persischen Golf und darüber hinaus spannen und so den USA ermöglichen, eine neue Front – und Krieg – gegen China in Asien vorzubereiten.

Der US-Plan für den Mittleren Osten dient nicht dem Schutz und der Entwicklung der Völker und ihrer Staaten in der Region, er dient der Konfrontation mit Russland, Iran und China und soll die Interessen von USA und Partnern (bspw. in der EU) für die Ausbeutung der Rohstoffe und die Kontrolle der Ost-West-Transportwege und -korridore (Strasse von Hormus, Arabisches Meer, Golf von Aden, Bab al-Mandab, Rotes Meer und Suez-Kanal) sichern.

China, Russland und BRICS

China und Russland haben in den letzten zehn Jahren erheblich an Einfluss in der Region gewonnen. Durch ihre Kooperation mit dem Iran, haben sie diesen – entgegen allen martialischen Warnungen aus Israel – als Akteur in der Region gestärkt. Auch China ist an der Region aus Gründen der Geopolitik interessiert und will die vielen Konflikte durch Kooperation und Entwicklung stabilisieren. Ein Instrument dafür ist das Projekt der neuen Seidenstrasse, aber auch BRICS, der erstarkte politische Zusammenschluss des globalen Südens spielt zunehmend eine wichtige Rolle. Seit Beginn des Jahres 2024 gehören Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien, Ägypten und Äthiopien dem Bündnis an und schaffen damit eine Brücke zwischen Asien, Westasien und Afrika rund um die Strasse von Hormus, das Rote Meer und den Suez-Kanal, die zu den wichtigsten Meerengen der Welt zählen.

Die arabischen Golfstaaten

Die arabischen Golfstaaten nutzen ihre Position, von den USA und von China umworben zu werden. Katar versucht sich, als Vermittler zu so genannten «Terror-Organisationen» einen Namen zu machen, und hat im Hintergrund seine grossen Gasvorkommen sowie die guten nachbarschaftlichen Beziehungen zum Iran. Saudi-Arabien will ein militärisches Schutzabkommen der USA und Unterstützung für ein eigenes Nuklearprogramm von den USA erzwingen. Die Vereinigten Arabischen Emirate spezialisieren sich – mit teilweise israelischem Know-How – auf Aus- und Aufbau so genannter «Sicherheitstechnik» im Bereich von Überwachung und künstlicher Intelligenz. Seit vielen Jahren gibt es zwischen Nato-Staaten und den Emiraten eine Kooperation in der Rüstungsproduktion.

Jordanien, dessen Bevölkerung zu mehr als 60 Prozent aus vertriebenen Palästinensern und deren Nachfahren (1948, 1967, 1973) besteht, fristet ein abhängiges Dasein als Militärbasis von USA und Grossbritannien, die das Land zur Kooperation mit Israel verpflichtet haben (Friedensvertrag 1994). Ägypten ist finanziell und militärisch ebenfalls von den USA abhängig (Friedensvertrag mit Israel 1979). Syrien und Libanon werden von der EU und den USA durch fortgesetzte Sanktionen, politische und juristische Interventionen in der Schwebe gehalten. Israel drangsaliert beide Staaten seit Jahrzehnten mit Besatzung, Krieg und Schattenkrieg. Beide Staaten werden an politischer Souveränität und Entwicklung gehindert.

Dialog in Moskau

Das russische Aussenministerium hat derweil die palästinensischen Fraktionen zu einem mehrtägigen Dialog nach Moskau eingeladen. Seit Donnerstag (29. 2. 2024) sitzen Vertreter von zwölf palästinensischen Organisationen zusammen, um einen Weg für eine nationale Einheit zu finden. Das sei die einzige Möglichkeit, die israelische Besatzung zu beenden, hiess es in einer Erklärung der Hamas.

«Alle, die sich hier versammelt haben, stimmen in dem Wunsch überein, das palästinensische Volk zu schützen», so die Erklärung. «Wir unterstreichen die Notwendigkeit zur nationalen Einheit, um die Besatzung zu beenden und den externen Kräften, die sie unterstützen, insbesondere den Vereinigten Staaten, entgegenzutreten und das legitime Recht des palästinensischen Volkes auf die Errichtung eines eigenen unabhängigen Staates auszuüben.» 

veröffentlicht 6.März 2024

Nur Friedensverhandlungen können die Ukraine noch retten

Der Ukrainekrieg darf nicht in ein drittes Jahr gehen

von Michael von der Schulenburg*

Am 24. Februar jährt sich die Invasion russischer Truppen in die Ukraine zum zweiten Mal und damit der Ausbruch des grössten, brutalsten und gefährlichsten Krieges auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg. Dieser Krieg hat bisher auf beiden Seiten mehrere hunderttausende Tote sowie schwerstverwundete und seelisch verkrüppelte meist sehr junge Menschen gefordert. Dieser enorme Blutzoll hat uns einer Lösung des Konfliktes keinen Schritt nähergebracht – im Gegenteil, eine friedliche Lösung wird täglich schwieriger. Wie lange soll das Töten weitergehen, bis wir endlich Empathie mit dem Leiden des ukrainischen Volkes fühlen und die Vernunft dem Leiden ein Ende setzt? 

Der russische Angriff ist illegal, und niemand darf das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung in Zweifel ziehen. Aber dieses Recht darf nicht in die Zerstörung des ganzen Landes ausarten. Und es sind nicht nur russische Waffen, sondern auch die von Nato-Ländern gelieferten Waffen, die auf ukrainischem Territorium eingesetzt werden. Sie sind also gleichermassen für das Leiden und die sukzessiven Zerstörungen des Landes verantwortlich. Das kann und darf nicht Ziel unserer Politik sein, es würde uns eine schwere Schuld aufbürden. 

Für die Ukraine hat sich die militärische Lage zunehmend besorgniserregend entwickelt und es besteht kaum noch eine realistische Chance, dass die Ukraine den Krieg gewinnen könnte. Erschwerend für die Ukraine findet eine Entvölkerung des Landes mit gleichzeitiger Veralterung und Verarmung der dort verbleibenden Menschen statt. Zusätzlich wird das Land durch Korruption, zunehmende interkommunale Differenzen und innenpolitische Konflikte geschwächt, während die militärischen und finanziellen Unterstützungen der Nato-Länder drastisch abnehmen.

Kriege fordern in den Abnutzungs- und Endphasen die meisten Opfer. Dass es dazu kommt, dürfen wir nicht zulassen. Die Fortsetzung des Krieges wäre unverantwortlich, denn sie würde die Ukraine zerstören und ihren Bürgern eine lebenswerte Zukunft nehmen. 

Auch für die Menschen in der Europäischen Union und insbesondere in Deutschland würde eine Weiterführung des Krieges zu immer grösseren negativen Konsequenzen führen. Der Niedergang des europäischen Wirtschaftsstandortes mit der Folge einer hohen Schuldenlast für die folgenden Generationen, der zunehmenden Unfähigkeit der Regierungen, ihrer sozialen Verantwortung gerecht zu werden und das Notwendige in eine lebenswerte Zukunft der Menschen zu investieren wird soziale Ungerechtigkeiten sowie innerstaatliche Gegensätze und politische Spannungen verschärfen. Wir würden die Risiken für unsere offene, pluralistische Gesellschaft ebenso wie für die demokratische Ordnung erhöhen. Mit einer Fortsetzung oder gar einer Ausweitung und Eskalation des Krieges setzen wir die Menschen in Europa zunehmend der Gefahr eines unkontrollierbaren, vielleicht sogar nuklearen Krieges aus.

Die Ukraine braucht Frieden – Europa braucht Frieden, und dieser Frieden kann nur durch einen Waffenstillstand mit darauffolgenden Friedensverhandlungen erreicht werden. Diesen Krieg auf europäischem Boden zu beenden, ist unsere europäische Verantwortung. Er darf nicht in ein weiteres Jahr gehen und zu noch mehr sinnlosen Opfern führen. Deshalb erinnere ich die Bundesregierung an die ihr von der Verfassung auferlegte Verpflichtung, dem Frieden der Welt zu dienen und fordere sie daher mit allem Nachdruck auf, gemeinsam mit unseren europäischen Verbündeten und Partnern und der ukrainischen Regierung alles zu unternehmen, um einen sofortigen Waffenstillstand und die Aufnahme von Friedensverhandlungen zu erreichen. 

* Michael von der Schulenburg floh 1969 aus der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), studierte in Berlin, London und Paris und arbeitete für die Vereinten Nationen unter anderem als stellvertretender Generalsekretär und kurz darauf für die OSZE in vielen Krisenherden der Welt wie in Haiti, Afghanistan, Pakistan, im Iran, im Irak, in Syrien, auf dem Balkan, in Somalia, Sierra Leone und in der Sahelzone.

Quelle: michael-von-der-schulenburg.com/nur-friedensverhandlungen-konnen-die-ukraine-noch-retten/

veröffentlicht 6. Märt 2024

«Die Auslieferung Julian Assanges würde einen Präzedenzfall schaffen»

«Die Zukunft der Pressefreiheit ist in höchstem Masse gefährdet»

Interview mit dem Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko

Bundestagsabgeordneter Andrej Hunko, BSW (Bild thk)
Bundestagsabgeordneter Andrej Hunko, BSW (Bild thk)

Zeitgeschehen im Fokus Im Fall Assange hat es in der letzten Zeit einen Schritt in Richtung Auslieferung gegeben. Sie waren in London. Welchen Eindruck haben Sie gewonnen?

Bundestagsabgeordneter Andrej Hunko Ich war am 20./21. Februar beim Hearing im High-Court in London, da die Anwälte von Julian Assange Einspruch gegen die schon genehmigte Auslieferung eingelegt hatten. Es ging um alle Punkte, in denen die allererste Richterin im Januar 2021 den USA bereits Recht gegeben hatte, aber dann die Auslieferung verweigerte, weil Assange selbstmordgefährdet sei. Das war ein zwiespältiges Urteil, wurde aber zunächst bejubelt, weil er nicht unmittelbar ausgeliefert wurde. Politisch war es eine Niederlage.

Alle Punkte wie Pressefreiheit, auch die drohende Todesstrafe  und so weiter, waren damit nicht vom Tisch. In all diesen Punkten des Auslieferungsbegehren hatte die Richterin den USA damals Recht gegeben, aber aus humanitären Gründen die Auslieferung abgelehnt. Später wurde dann auf Grundlage einer unverbindlichen diplomatischen Note der USA, ihm drohe dort keine unmenschliche Behandlung, die Auslieferung freigegeben. Amnesty International sagte dazu, diese Note sei «das Papier nicht Wert, auf dem sie geschrieben steht».

Thematisiert wurde vor Gericht etwa, dass es einen Mordversuch gegen Assange gab, geplant von der CIA und Mike Pompeo, und dass mit einer Veränderung der Anklage in den USA auch die Todesstrafe im Raume steht. Thematisiert wurde auch, dass der Kronzeuge des Spionagevorwurfs, der verurteilte Pädophile Sigurdur Ingi Thordarson, 2021 zugab, dass er im Auftrag des FBI gelogen und dafür Straffreiheit zugesichert bekommen hatte. Diese Punkte wurden an den zwei Tagen besprochen, und das Gericht legte keinen Termin fest, wann es darüber befinden wolle. Es setzte aber den 4. März als Datum fest, bis zu dem weitere Papiere von den Anwälten eingereicht werden können. Das heisst, frühstens Ende März ist mit einer Entscheidung zu rechnen, vielleicht auch viel später. Das ist verheerend, weil Assange bereits seit fünf Jahren in einer Minizelle im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh eingesperrt und seine Gesundheit äusserst angeschlagen ist. Er stirbt dort einen langsamen Tod.

Ist das nicht Folter, was hier mit Assange getrieben wird?

Ja, der ehemalige Uno-Sonderberichterstatter über Folter, Nils Melzer, hat das so festgestellt und hat das als psychische Folter definiert.

Es ist schon ein paar Jahre her, als Nils Melzer bei Assange war. Sein Allgemeinzustand wird sich sicher noch verschlechtert haben.

Ja, er war so angeschlagen, dass er dem Prozess fernblieb und auch nicht die Kraft hatte, ihn per Video zu verfolgen. Es ist ein einziger Skandal, dass jemand in einem sogenannten Rechtsstaat in einem Gefängnis ohne Anklage verrottet. Seit fünf Jahren sitzt er im Gefängnis ohne Anklage, ohne irgendeine Verurteilung. Es gibt kein Verbrechen oder irgendetwas, was ihm zur Last gelegt wird. Es gibt nur das Auslieferungsgesuch der USA, das auf einem Spionagegesetz aus dem Ersten Weltkrieg basiert, das bisher noch niemals gegen Journalisten angewendet wurde. Das Gesetz ist über 100 Jahre alt und wird jetzt hervorgekramt. Wenn es damit gelingt, die Auslieferung eines unliebsamen Journalisten zu ermöglichen, wird das weitreichende Folgen für die zukünftige kritische Berichterstattung haben.

Es ist wohl offensichtlich, dass es nicht nur um Assange geht, sondern auch darum, andere Journalisten zu warnen.

Julian Assange ist der wichtigste politische Gefangene der Gegenwart. Seine Auslieferung würde einen Präzedenzfall schaffen, der die Zukunft der Pressefreiheit in höchstem Masse gefährdet. Schon jetzt wirkt sich das Ganze auf die journalistische Tätigkeit aus. Die Strafe und der Prozess, seine Inhaftierung im Hochsicherheitsgefängnis, die schon seit fünf Jahren andauert, in einem Gefängnis, in das Schwerverbrecher kommen, die zum Teil wieder auf freiem Fuss sind, ist eigentlich unfassbar. Andere kritische Journalisten nehmen das genau wahr. Wenn man in einer ähnlichen Situation ist und interessantes Material von einem Whistleblower zugesteckt bekommt, wie Julian Assange vor allem von Chelsea Manning über die Kriegsverbrechen im Irak und Afghanistan, überlegt man sich dreimal, ob man das veröffentlicht.

Wenn man die Berichterstattung der Mainstream-Medien anschaut, dann bekommt der inhaftierte und inzwischen verstorbene Nawalny viel mehr Aufmerksamkeit als der Prozess gegen Assange. Nawalny wird der Nimbus zuteil, dass er der einzige gewesen wäre, der Putin hätte stürzen können.

Auch Nawalny hätte nicht im Gefängnis sein und dort sterben dürfen. Er spielte aber in Russland nicht die Rolle, wie in westlichen Medien dargestellt.

Interessant ist doch, mit welcher Intensität in unseren Medien darüber berichtet wird.

Das ist genau das, was wir auch in anderen Bereichen finden, diese Doppelmoral, diese doppelten Standards. Der Tod von Nawalny, dessen Ursache bisher nicht bekannt ist, findet gerade in Europa einen unglaublichen Widerhall, während in Grossbritannien jemand langsam stirbt, ohne dass es einen Aufschrei gibt. Es gibt viele, die sich für Assange einsetzen, aber von den Regierungen hört man nichts. Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock sagte vor der Bundestagswahl, dass Julian Assange sofort freigelassen werden sollte, weil er kein rechtsstaatliches Verfahren zu erwarten habe. Kaum ist sie im Amt, sagt sie lapidar, sie habe volles Vertrauen in den britischen Rechtsstaat. Es fehlt auch in anderen Regierungen eine öffentliche Unterstützung für Assange.

Am Mittwochabend hat das EU-Parlament getagt, und der Fall Assange stand auf der Tagesordnung. Was kam dabei heraus?

Nichts. Viele Abgeordnete haben sich für seine Freilassung ausgesprochen. Es gab aber eine erschütternd hohle Stellungnahme der EU-Kommission: Man kommentiere den laufenden Prozess nicht. Auf Parlamentsebene wächst international die Kritik, aber auf Exekutiv­ebene herrscht dröhnendes Schweigen vor.

Was sind die Gründe für den ausbleibenden Widerhall?

Generell haben wir das Problem des aggressiv verengten Meinungsdiskurses. Bei Julian Assange hat sich der Diskurs in letzter Zeit gedreht. Es hat sich ein bemerkenswerter Wandel vollzogen. Die wichtigste Person für diesen Wandel ist in der Tat Nils Melzer gewesen. Über Jahre hinweg war der Fall besetzt von einer angeblichen Vergewaltigung in Schweden. Nils Melzer kann schwedisch und hat sich die gesamten Unterlagen angeschaut und festgestellt, dass es den Vorwurf der Vergewaltigung niemals gab.

Im Interview in dieser Zeitung sagte Nils Melzer, dass man die Frauen genötigt habe, das zu behaupten.

Das wurde in der Tat konstruiert, was ein unglaublicher Vorgang ist und der innerhalb des schwedischen Staates noch aufgearbeitet werden muss. Es gab ein Auslieferungsgesuch nach Schweden. Assange war immer bereit auszusagen. Er hoffte, dass man die Einvernahme in Grossbritannien durchführen könne, denn er hatte Bedenken, dass Schweden ihn an die USA ausliefern würde. Als er in Grossbritannien verhaftet wurde, liess Schweden den Antrag auf Auslieferung fallen. Die ist nun vom Tisch, aber über Jahre wurde das Bild des Vergewaltigers weltweit kolportiert. Heute steht das nicht mehr im Raum. Bei der Anhörung gab es ja auch etliche Medien, die anwesend waren und nachher auch darüber berichtet hatten. Der Diskurs hat sich erheblich zu seinen Gunsten verändert.

Woran liegt das?

Viele Medienschaffende haben verstanden, dass es um Journalismus geht, nämlich ob man weiterhin Material von Whistleblowern öffentlich machen kann, wenn Personen dabei gefährdet werden. Die grossen Medien hängen ja damit drin. The Guardian, El Pais, Le Monde, New York Times und Der Spiegel haben 2010 mit Julian Assange kooperiert, um die Kriegsverbrechen im Irak und Afghanistan publik zu machen. Danach liessen sie ihn weitgehend fallen. Es gab im November 2022 aber eine gemeinsame Stellungnahme dieser fünf grossen Medienhäuser, in der die US-Regierung aufgefordert wird, die Verfolgung von Assange einzustellen. Inzwischen ist im internationalen Diskurs klar, dass es letztlich um Pressefreiheit geht. Jeder Journalist, der Machenschaften im internationalen Bereich aufdeckt, wird sich hüten, etwas zu publizieren, wenn er weiss, was ihm blühen kann.

Ausser Seymour Hersh …

Man muss sich wirklich fragen, ob die grossartigen Enthüllungen der 70er Jahre durch Seymour Hersh und Daniel Ellsberg, die ja auch auf der Veröffentlichung geheimer Leaks basierten, heute überhaupt noch möglich wären.

Gibt es nicht auch den Plan, Gesetze zu schaffen, die eine öffentliche Diskussion einschränken sollen?

Es gibt verschiedene Gesetze auf EU-Ebene und in verschiedenen nationalen Parlamenten, die hochproblematisch sind und auf die Meinungsfreiheit abzielen. Auf EU-Ebene ist das der «Digital Service Act». Dabei geht es darum, dass online Anbieter wie Face-Book, Google, Twitter und so weiter nach bestimmten Kriterien Sachen löschen müssen. Es gibt erhebliche Strafen, wenn sie es nicht tun – bis zu sechs Prozent des Umsatzes. Wenn es rechtswidrige Dinge sind, kann man das verstehen, aber dafür gibt es bereits Gesetze, zum Beispiel bei Kinderpornographie und ähnlichem. Es geht also darum, wie man mit den neuen Medien umgeht. Das Problem besteht darin, dass es nicht nur um rechtswidrige Inhalte geht, sondern hier werden Kriterien eingeführt, wie zum Beispiel «schädliche Informationen» oder «Desinformation». Das sind völlig unbestimmte Rechtsbegriffe, womit der Willkür Tür und Tor geöffnet wird. Das ist ein wesentliches Element autoritärer Regime, weil sie mit unbestimmten Rechtsbegriffen arbeiten, wodurch eine Unsicherheit entsteht. Ein Gesetz, das verletzt wird und wofür man bestraft wird, muss klar definiert sein. Dann weiss man, was rechtswidrig und was zulässig ist. Bei unbestimmten Rechtsbegriffen lebt der Mensch in einer permanenten Unsicherheit. Das ist bei dem Digital Service Act und bei den nationalen Gesetzen, die jetzt durch die Parlamente gehen, methodisch so angelegt, dass immer wieder unbestimmte Rechtsbegriffe eingebaut werden, die dann ermöglichen, bestimmte abweichende Meinungen zu sanktionieren. Die Löschung von nicht rechtswidrigen Informationen hat den Geruch von Zensur.

Herr Bundestagsabgeordneter
Hunko, vielen Dank für das Gespräch.

Interview Thomas Kaiser

veröffentlicht 6. März 2024

Der sicherste Schutz vor einem Angriff ist eine verteidigungsfähige Armee, Diplomatie und Neutralität

von Thomas Kaiser

Das Eingreifen der russischen Truppen im Februar 2022 in den schon seit 2014 bestehenden Bürgerkrieg zwischen der ukrainischen Armee und den russischsprachigen Ostprovinzen Donezk und Luhansk löste in der EU und den USA einen regelrechten «Kriegsrausch» aus – leider auch in der Schweiz. Dabei kam die Neutralität unter die Räder. Die unzutreffende Darstellung, Putin habe völlig unerwartet und aus imperialen Gelüsten, um die alte Sowjetunion wieder herzustellen, den Krieg begonnen, aktivierte den antirussischen Reflex und als eine Antwort darauf begann der Westen aufzurüsten, so auch die Schweiz.

Das Bedrohungsszenario führte zu völlig übertriebenen Reaktionen und Einschätzungen. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz inszenierte die «Zeitenwende» und sprach 100 Milliarden Euro Sonderschulden für die Rüstung. Im Moment scheint bei ihm etwas Vernunft eingekehrt zu sein. Er hat die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern ausgeschlossen. Leider erfasste auch den kleinen neutralen Staat im Herzen Europas die Kriegsstimmung. Anstatt nur auf das Militär zu setzen, hätte man zunächst die besten «Waffen» einsetzen können: Neutralität und Diplomatie. Aber dem Verteidigungsdepartement (VBS) und einigen Sicherheitspolitikern fiel vor allem eins ein: Die Armee muss massiv aufrüsten,¹ denn Putin steht vor den Toren Europas. Die Armee braucht also mehr Geld. 30 Milliarden Franken ist die Forderung, sogar von 100 Milliarden war die Rede. 

Zunächst sprach der Chef der Armee Thomas Süssli davon, dass es keine direkte Bedrohung durch Russland gebe.² Doch diese Einschätzung drehte sich mit dem Scheitern der ukrainischen Offensive und dem langsamen Vorrücken der Russen um 180 Grad. Die NZZ titelte am 14. 2. 2024: «Der Bundesrat rechnet mit andauernden Spannungen zwischen Russland und dem Westen und will für die Armee über 30 Milliarden Franken bereitstellen», geplant über einen Zeitraum von 4 Jahren. Das wären nahezu 8 Milliarden pro Jahr.³

Ist also nicht der Verfassungsauftrag, sondern ein Konflikt die Begründung für die Aufrüstung? Wird hier nicht ein Bedrohungsszenario an die Wand gemalt, das alles rechtfertigen soll?

Wieder der Feind aus dem Osten

Warum muss die Schweizer Armee jetzt so massiv aufrüsten? Hat man die Armee unter dem Bruch der Verfassung so weit geschwächt, dass sie das Land nicht mehr verteidigen kann? Es ist schon bezeichnend, dass der Angriff Russlands den Zustand unserer Armee dermassen in den Fokus gerückt hat. Man ist geneigt zu sagen, endlich haben wir wieder einen Feind, den es abzuwehren gilt. Und wie Jahrzehnte zuvor kommt der Feind aus dem Osten. Das beschleunigt die Aufrüstung – aber in welche Richtung? 

Tatsächlich hätte die Schweiz mit oder ohne Russlands Angriff einen Verteidigungsauftrag zu erfüllen, unabhängig davon, aus welcher Himmelsrichtung der Feind kommt. Die Bundesverfassung der Schweiz verlangt nämlich: 

«Art. 58 Armee

1 Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem Milizprinzip organisiert.

2 Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung. Sie unterstützt die zivilen Behörden bei der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen. Das Gesetz kann weitere Aufgaben vorsehen.

3 Der Einsatz der Armee ist Sache des Bundes.» 

Was sind die Ursachen für den Zustand unserer Armee? Im Jahr 2003 stimmte das Volk über die Reform der Schweizer Armee (Armee XXI) in einem Referendum ab und nahm dieses an. Danach begann der Kahlschlag. Mehrere Truppengattungen wurden als «veraltet» und «nicht mehr zeitgemäss» aufgelöst. Die Zahl der Soldaten wurde massiv reduziert. «Interoperabilität» und «Sicherheit durch Kooperation» sollten trotz Truppenreduktion den Schutz des Landes sicherstellen. Das Liebäugeln mit der Nato schien Triebfeder dieser Reform zu sein. Inzwischen hat sich die Schweiz tatsächlich immer mehr der Nato angenähert.⁴

 Vor allem ehemalige hohe Offiziere warnten damals vor einem Kahlschlag in diesem Ausmass. Natürlich wurden sie als «ewig Gestrige» und «Betonköpfe» abgestempelt. Das Argument, das die skeptische Bevölkerung von der Reform überzeugen sollte, war: Ein Krieg in Europa liegt in weiter Ferne. Die Schweiz ist «umzingelt» von Freunden. Wenn sich die Lage ändern würde, dann merke man das fünf bis zehn Jahre vorher und könne den Aufwuchs der Armee einleiten. Was schon damals mehr als utopisch klang, hat sich heute als völlige Fehleinschätzung erwiesen. Zusätzlich haben weitere Reformen die Kampfkraft der Armee geschwächt: «Aktuell ist die Schweizer Armee stark auf internationale Einsätze und auf die Unterstützung ziviler Behörden ausgerichtet.»⁵

Europa im «Kriegsrausch»

Nichts von dem, was man einst versprochen hatte, funktionierte. Die Verantwortlichen von damals geniessen ihre komfortable Rente und tragen keine Verantwortung mehr für ihr Tun während ihrer Amtszeit. 

Angeheizt durch die Mainstream-Medien, wurden Land und Leute nach dem Einmarsch Russlands, wie es alt Bundesrat Alain Berset formulierte, in einen «Kriegsrausch» getrieben. Bemerkenswert ist seine Aussage: «Gerade die Schweiz müsse in der Logik des Friedens und der Diplomatie denken.»⁶

Damit spricht er etwas an, was seit dem Beginn des Ukrainekriegs kaum noch diskutiert wird, auch wenn Bundesrat Cassis sich als Friedensvermittler mit einer grossen internationalen Friedenskonferenz in Szene setzen möchte. Allerdings ist der wichtigste Akteur, nämlich Russland, nicht eingeladen. Damit wird diese Friedenskonferenz zur Farce (Selenskij hatte per Dekret verboten, Verhandlungen mit Russland zu führen). Die Schweiz hat sich klar auf die Seite der Ukraine, einer Kriegspartei, gestellt und damit die Verhandlungsmöglichkeit auf diplomatischer Ebene mit beiden Parteien ausgeschlossen.

Neutrale Position zurückholen

Neben einer sinnvollen Stärkung der Armee müsste die Politik die neutrale Position zurückholen und die internationale Gemeinschaft davon überzeugen, dass Bidens «even Switzerland» keine Gültigkeit mehr hat. 

Was wäre passiert, wenn die Schweiz aufgrund ihrer Neutralität sich den Sanktionen nicht angeschlossen und sich nicht auf die Kriegshysterie eingelassen, sondern beiden Seiten Verhandlungen angeboten hätte? Wahrscheinlich wäre der Schweiz mit Sanktionen von EU und USA gedroht worden. Auf einmal hätte der nette Onkel Sam und das europäische «Friedensprojekt» ihre wahren Gesichter gezeigt. Auf so tönernen Füssen steht die Beziehung zu EU und Nato. Und von dort sollen wir, wenn es hart auf hart geht, Solidarität erwarten?

Was macht der Bundesrat? Er erfüllt den Verfassungsauftrag nicht, sondern er strebt nach engerer Zusammenarbeit mit EU und Nato. «Geprüft werden soll beispielsweise die Entsendung von Armeeangehörigen für Ausbildungseinsätze zugunsten Dritter oder der Transit von ausländischem Militärpersonal durch die Schweiz für Übungszwecke. [ … ] Unter Wahrung der neutralitätsrechtlichen Grenzen soll hier eine rechtliche Grundlage geschaffen werden», so steht es in einem Bericht des Bundesrats.⁷ Neutralität wird also neu definiert.

Was auch immer dabei herauskommt, Neutralität bedeutet, sich keiner Kriegspartei anzuschliessen und keinem Militärbündnis anzugehören. Schon die Übernahme der EU-Sanktionen ist ein kriegerischer Akt und gegen einen Staat gerichtet.

Anpassung an die Nato

Bei den geforderten Milliarden für die Armee kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es vor allem um eine Anpassung an die Nato geht und die Schweiz ihre Verteidigung an den Vorgaben der Nato orientiert. Cassis hatte wohl mit seinem Vorschlag der «kooperativen Neutralität» etwas ausgeplaudert, was zu diesem Zeitpunkt ungünstig war. Inzwischen können wir genau diese Entwicklung feststellen. Mit Neutralität hat das alles nichts mehr zu tun. Das wissen auch unsere verantwortlichen Politiker, aber es ist ihnen auch klar, dass das Volk den Schwenk nicht so einfach mitmacht. 

Nur wenige Monate nach Beginn des Ukrainekriegs trifft VBS-Vorsteherin und amtierende Bundespräsidentin Viola Amherd den Nato-Generalsekretär Stoltenberg und beschliesst eine engere Zusammenarbeit mit der Nato. Damit ist die Marschrichtung im wahrsten Sinne des Wortes vorgegeben.⁸

In einer Stellungnahme erklärt Frau Amherd, dass die Schweiz, sollte sie angegriffen werden, nicht mehr neutral sein könne.⁹ Was ist das für ein Argument? Wenn die Schweiz angegriffen wird, wird sie sich verteidigen wie jeder andere Staat auch, und damit kann sie natürlich nicht mehr neutral sein. Aber die grösste Versicherung der Schweiz, nicht in einen Konflikt hineingezogen zu werden, wäre ihre Neutralität. Aber so wollte Viola Amherd wohl nicht verstanden werden, sondern dass die Möglichkeit eines Angriffs auf die Schweiz eine Annäherung an die Nato rechtfertigt, denn dann könne man ja nicht mehr neutral sein. Glaubt Viola Amherd wirklich, dass die Nato keine Gegenleistung verlangt? Schweizer Soldaten in einem bewaffneten Konflikt der Nato wäre die naheliegendste Leistung, die die Schweiz erbringen müsste. Särge mit toten Schweizerinnen und Schweizern wären die Folge.

FDP-Präsident und Ständerat, Thierry Burkhard, ebenfalls ein Befürworter einer engeren Kooperation mit der Nato, argumentiert bereits im April 2022 in einer Video-Botschaft, die Schweiz könne sich nicht mehr alleine verteidigen, weil es Interkontinentalraketen gebe.10

Angst vor Referendum

Interkontinentalraketen gab es schon während des Kalten Kriegs, und zu dieser Zeit war die Neutralität konsequenter eingehalten als heute. Niemand wäre auf die Idee gekommen, sich deshalb der Nato anzuschliessen. Abgesehen davon führte man damals Gespräche über Abrüstung, die heute vom Westen verweigert werden.

Schärfste Befürworterin eines Nato-Anschlusses, ohne jedoch der Nato offiziell beizutreten, ist offensichtlich Viola Amherd. Was sie der Nato verspricht und die Nato der Schweiz, ist nicht bekannt. Aber den Schutz der Nato kann man, wie man an der Ukraine sieht, auch ohne Mitgliedschaft. erhalten. Für einen Vollbeitritt gäbe es ein obligatorisches Referendum, und das zu gewinnen ist heute aussichtslos. Die Mehrheit der Bevölkerung und der Kantone würde das nicht akzeptieren, denn dann wäre die Neutralität nicht mehr zu retten. Sucht Viola Amherd einen Weg am Volk vorbei?

Chaos im VBS

Es ist schon erstaunlich, wieviel Kredit die Schweizer Medien der Bundespräsidentin geben. In ihrem Departement scheint manches aus dem Ruder zu laufen. Das von ihr neu geschaffenen Staatssekretariat für Sicherheitspolitik kann erst im dritten Anlauf besetzt werden. In Markus Mäder, einem Freund der Nato, hat sie eine Person, die das richtige Profil besitzt. Aufgrund seiner früheren Position als stellvertretender Militärischer Repräsentant auf der Schweizer Mission bei der Nato in Brüssel hat er beste Kontakte zur Nato. Er will wie seine Chefin die Zusammenarbeit mit der Nato verstärken.11

Es scheint auch der Konsens der Mainstream-Medien in der Schweiz zu sein, denn niemand stört sich an Amherds schleichendem Weg in die Nato. Man gewinnt den Eindruck, sie könne sich alles leisten. Auch die völlig konträren Aussagen über die finanzielle Lage der Armee führten zu keinem Medienhype. Der Chef der Armee, Thomas Süssli, sprach davon, dass die Armee, um die bereits vollzogenen Anschaffungen zu bezahlen, eine Milliarde Franken zu wenig in der Kasse habe.12 Kurze Zeit später weist Viola Amherd die Aussagen von Thomas Süssli zurück und wehrt sich gegen den Vorwurf des Finanzlochs.13

Was stimmt jetzt? Beide sind weiterhin im Amt, obwohl einer von beiden nicht die Wahrheit gesagt hat. Viola Amherd bleibt auf ihrem Sessel, Thomas Süssli auch. Beide decken sich gegenseitig.

Auch die Ungereimtheiten um den Panzerdeal zwischen dem Schweizer Rüstungskonzern Ruag, der unter der Aufsicht des VBS steht, und der deutschen Rüstungsschmiede Rheinmetall hat bis heute kein politisches Nachspiel, obwohl die Verwaltungspräsidentin Brigitte Beck und ihr Nachfolger im Amt, Nicolas Perrin, innert kurzer Zeit den Hut genommen haben. Verworren sind die Abläufe bezüglich des Panzerdeals, der scheiterte, und einer sonderbaren Finanzierung. 

Der Nachrichtendienst des Bundes, der ebenfalls dem VBS unterstellt ist, kann seine Aufgabe nicht mehr wahrnehmen, da nach einem «Totalumbau», wie die NZZ schreibt, «kaum ein Mitarbeiter auf seiner angestammten Position» geblieben ist. Eine unhaltbare Situation in Zeiten wie heute. Die Kantone, die auf Informationen angewiesen sind, schlagen Alarm.14

Sich auf die Stärken als Kleinstaat besinnen

Die Schweiz hat in Bezug auf die Armee und die Sicherheit des Landes Nachholbedarf. Der Auftrag gemäss Bundesverfassung könnte mit den bestehenden Mitteln nicht erfüllt werden. Diese Lücken zu füllen, ist sicher sinnvoll. Aber das stramme Vorwärtsschreiten in Richtung Nato kann nicht die Lösung sein, wenn die Schweiz ihre Neutralität nicht endgültig verspielen will. Sie muss sich auf ihre Stärken als Kleinstaat besinnen. Die Vorsteherin des VBS, die ihren Laden offensichtlich nicht im Griff hat und gleichzeitig die Schweiz weiter an die Nato heranführen will, ist wenig vertrauenserweckend, auch wenn sie in den Medien als lächelnde Bundespräsidentin präsentiert wird, als ob alles an ihr abpralle. Ob das der Schweiz mehr Sicherheit bietet, ist fraglich. Der sicherste Schutz vor einem Angriff – das hat die Geschichte vielfach bewiesen – ist eine verteidigungsfähige Armee, Neutralität und Diplomatie. Zum Glück ist die Mehrheit der Bevölkerung auch dieser Meinung.

1 www.srf.ch/radio-srf-1/krieg-in-der-ukraine-soll-die-schweiz-jetzt-militaerisch-aufruesten
2 www.google.com/search?client=firefox-b-d&q=S%C3%BCssli+Keine+dirkte+Bedrohung+durch+Russland
³ www.nzz.ch/schweiz/bundesrat-will-bis-2028-ueber-30-milliarden-franken-in-die-armee-investieren-ld.1814045
www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-97814.html
www.tagesanzeiger.ch/armee-chef-praesentiert-neuausrichtung-13-milliarden-franken-fuer-die-aufruestung-die-einkaufsliste-der-armee-im-detail-444588228877
www.srf.ch/news/schweiz/bundespraesident-in-der-kritik-berset-zu-kriegsrausch-aussage-war-nicht-richtige-wortwahl
www.tagesanzeiger.ch/zusammenarbeit-mit-der-nato-bundesrat-will-kooperation-mit-nato-ausbauen-712195838668
www.watson.ch/schweiz/international/583336634-amherd-und-stoltenberg-beschliessen-engere-zusammenarbeit
www.blick.ch/politik/zum-schutz-der-schweiz-nato-zusammenarbeit-ist-kein-tabu-mehr-id17391056.html
10 www.blick.ch/politik/zum-schutz-der-schweiz-nato-zusammenarbeit-ist-kein-tabu-mehr-id17391056.html
11https://www.blick.ch/politik/nach-zwei-fehlgriffen-ein-nato-freund-wird-staatssekretaer-id19272882.html
12 www.srf.ch/news/schweiz/finanzen-in-schieflage-milliardenloch-bei-der-armee
13https://www.watson.ch/schweiz/armee/869939489-schweiz-viola-amherd-wehrt-sich-gegen-berichte-ueber-finanzloch
14 www.nzz.ch/schweiz/der-nachrichtendienst-ist-inzwischen-mehr-mit-sich-selbst-beschaeftigt-als-mit-der-sicherheit-des-landes-ld.1814978

veröffentlicht 6. März 2024

Stoppt den Atomwaffen-Irrsinn

Leserzuschrift

von Heinrich Frei

Einige Deutsche trauen dem militärischen Schutz durch die USA nicht mehr. Deshalb glauben sie, es bleibe nichts anderes übrig, als selbst Atommacht zu werden, oder die Europäische Union müsse sich einen Atomschutzschirm zulegen, unabhängig von den USA. Sie denken, Atomwaffen könnten zur Friedenssicherung, zur Verteidigung unserer Freiheit beitragen.

Deutsche Soldaten üben den Abwurf von Atombomben

Bis heute hat sich Deutschland nur für die «nukleare Teilhabe» mit den USA und der Nato entschieden, nicht für eigene Atombomben.

Mit 36 Tornado-Kampfflugzeugen stellt das taktische Luftwaffengeschwader 33 seit 1984 das Trägersystem für die Atombomben des Typs B61 bereit. Deutsche Piloten trainieren regelmässig den Abwurf. Sie sind im Ernstfall verpflichtet, die Atombomben auf Befehl der Nato von deutschem Boden aus im Zielgebiet abzuwerfen. Das ist nur möglich, weil die Bundesregierung sich freiwillig an der sogenannten «nuklearen Teilhabe» der Nato beteiligt.

Auf dem «Fliegerhorst Büchel» in der Eifel stehen 20 B61-Bomben für die Verwendung durch Bundeswehr-Soldaten bereit. Diese Nuklearwaffen lagern unter US-amerikanischer Kontrolle. Jede dieser Bomben hat eine maximale Sprengkraft, die mit der von 13 Hiroshima-Bomben vergleichbar ist. 

In Hiroshima sind am 6. August 1945 durch den Abwurf einer Atombombe binnen vier Monaten 140 000 Menschen getötet und Unzählige zu langjährigem Leiden verurteilt worden.

Folgen eines begrenzten Atomkrieges: nuklearer Winter

Im Kriegsfall können die Staaten, die an der nuklearen Teilhabe beteiligt sind, solche furchtbaren Bomben einsetzen. Die Yankees müssten dafür grünes Licht geben. In Belgien, Deutschland, Italien, den Niederlanden und der Türkei stehen heute 150 US-Atombomben für den Einsatz bereit. Schon die Zündung von 100 Atombomben würde jedoch einen nuklearen Winter auslösen, gefolgt von weltweiten Hungersnöten. 

Um die Effektivität der Atombomben zu steigern, arbeiten die USA momentan an der «Modernisierung» der B61. Sie planen bis 2024 den Austausch der in Europa stationierten Atomwaffen gegen eine neue Version, die B61-12. Die behauptete Verbesserung der Sicherheit der Bombe ist jedoch zweitrangig. Die neue Bombe soll von einer «dummen» freifallenden Waffe zu einer «smarten» Lenkwaffe umgebaut werden. Die Gefahr eines möglichen Einsatzes wird durch die deutlich grössere Zielgenauigkeit erhöht, da der Glaube besteht, dass die neue Bombe weniger «Kollateralschäden» verursacht. Damit wird die Hemmschwelle für den Einsatz gesenkt.¹

Deutschland unterschreibt Atomwaffenverbotsvertrag nicht

An dem Irrsinn der «nuklearen Teilhabe» will die deutsche Regierung festhalten und sie weigerte sich auch, den Atomwaffenverbotsvertrag zu unterschreiben. In der Schweiz hat sich das Parlament für die Ratifizierung des Atomwaffenverbotsvertrages ausgesprochen, aber der Bundesrat unterschreibt diesen Vertrag nicht, vermutlich aus Rücksicht auf die weitere Zusammenarbeit mit der Nato.

Auf der Uno-Generalversammlung unterzeichneten im September 2017 zunächst 53 Staaten den Atomwaffenverbotsvertrag. Bis heute haben 93 Staaten den Vertrag unterzeichnet und 70 Staaten haben den Vertrag ratifiziert. Auch Österreich hat den Vertrag ratifiziert

Mehrere Male an einem Atomkrieg vorbeigeschlittert

Die Abschaffung aller Atomwaffen wäre sehr wichtig. In den letzten sechzig Jahren sind wir mehrmals haarscharf an einem atomaren Holocaust vorbeigeschlittert. Wir Techniker erlebten es immer wieder, wie idiotensichere Systeme versagten, das wird auch bei ­Sicherungssystemen der Atommächte der Fall sein. Gar nicht zu reden von Verrückten, die auch in der politischen Arena anzutreffen sind.

Verantwortungslose Investitionen in Atomwaffen

ICAN, die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen, hat gerade den Bericht «Untenable Investments» (unhaltbare Investitionen) veröffentlicht.³

ICAN dokumentiert in diesem Report, dass zwischen Januar 2021 und August 2023 287 Institutionen der Finanzbranche astronomische Summen in 24 Firmen investiert haben, die Atomwaffen produzieren. 477 Milliarden US-Dollar wurden in der Nuklearwaffenbranche angelegt. Dem Welternährungsprogramm standen 2022 34-mal weniger Geld zur Verfügung, 14,1 Milliarden US-Dollar.

Banken und Institutionen Deutschlands platzierten zwischen Januar 2021 und August 2023 15 953 Milliarden US-Dollar in diesen Irrsinn, von der Schweiz wurden 4 023 Milliarden US-Dollar in diesen Schwachsinn angelegt, um den Frieden mit Atombomben zu sichern.⁴

Schweiz: direkte und indirekte Investitionen in Atomwaffen verboten

In der Schweiz sind direkte und indirekte Investitionen in verbotene Waffen nicht erlaubt. Seit dem 1. Februar 2013 ist das revidierte Kriegsmaterialgesetz (KMG) in Kraft. Die neuen Artikel 8b und 8c verbieten die direkte und die indirekte Finanzierung der Entwicklung, der Herstellung oder des Erwerbs von verbotenem Kriegsmaterial, das heisst von Streumunition und von ABC-Waffen oder von Antipersonenminen. Atomwaffen gehören in der Schweiz wie chemische und biologische Waffen, Streubomben und Antipersonenminen zu den verbotenen Waffen.⁶ 

Das Papier des Kriegsmaterialgesetzes wird nicht rot, wenn seine Bestimmungen von den Behörden nicht eingehalten werden. Trotz den klaren Verbotsbestimmungen floriert die Finanzierung von verbotenen Waffen, von Atomwaffen. Wie oben erwähnt, investierten zwischen Januar 2021 und August 2023 Schweizer Finanzinstitute 4 023 Milliarden US-Dollar in Firmen, die Atombomben produzieren.

Beim Kriegsmaterialexport zeigt sich das gleiche: Auf dem Papier der Kriegsmaterialverordnung sind Waffenexporte an kriegsführende Staaten und an Regime, die Menschenrechte mit den Füssen treten, verboten. Aber in der Praxis wurden in den letzten Jahrzehnten von der Schweiz für Milliarden Franken Rüstungsgüter an Staaten verkauft, die Kriege führen und die krass die Menschenrechte verletzten. Herausgeredet hat man sich damit – und es auch in Paragrafen der Verordnung verankert –, bei der Bewilligung von Kriegsmaterialexporten müsse auch die Aufrechterhaltung der Kapazität der einheimischen Rüstungsindustrie berücksichtigt werden. Deshalb wurden an die immer wieder Kriege führenden USA und an andere Nato-Staaten, an Saudi-Arabien usw. von der Schweiz laufend Waffen verkauft. 

Heinrich Frei

¹ Atomwaffen A-Z Infoflyer, Fliegerhorst Büchel: Atomwaffen in Ihrer Nähe
² www.icanw.org/
³ www.icanw.org/untenable_investments_nuclear_weapon_producers_and_their_financiers
www.icanw.org/fewer_financial_institutions_back_the_nuclear_weapons_industry_since_tpnw_entered_into_force
s. auch: www.icanswitzerland.ch/de/
www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1998/794_794_794/de

 

Kriegsmaterialgesetz

Art. 8b14 Verbot der direkten Finanzierung

1 Die direkte Finanzierung der Entwicklung, der Herstellung oder des Erwerbs von verbotenem Kriegsmaterial ist verboten.

2 Als direkte Finanzierung im Sinne dieses Gesetzes gilt die unmittelbare Gewährung von Krediten, Darlehen und Schenkungen oder vergleichbaren finanziellen Vorteilen zur Bezahlung oder Bevorschussung von Kosten und Aufwendungen, die mit der Entwicklung, der Herstellung oder dem Erwerb von verbotenem Kriegsmaterial verbunden sind.

Art. 8c15 Verbot der indirekten Finanzierung

1 Die indirekte Finanzierung der Entwicklung, der Herstellung oder des Erwerbs von verbotenem Kriegsmaterial ist verboten, wenn damit das Verbot der direkten Finanzierung umgangen werden soll.

2 Als indirekte Finanzierung im Sinne dieses Gesetzes gilt:

a.

die Beteiligung an Gesellschaften, die verbotenes Kriegsmaterial entwickeln, herstellen oder erwerben;

b.

der Erwerb von Obligationen oder anderen Anlageprodukten, die durch solche Gesellschaften ausgegeben werden.

Quelle: www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1998/794_794_794/de

 

 

veröffentlicht 6. März 2024

«Great Reset» – der Verlust der individuellen Freiheit

von Reinhard Koradi

Es sind ein paar illustre Exponenten, die uns den «grossen Neuanfang» versprechen. Aber wissen wir, wer hinter diesem Neustart steht und welche Pläne die Initianten verfolgen?

Das Weltwirtschaftsforum (WEF)

Der Gründer des WEF, Klaus Schwab, hat wohl eine Mission zu erfüllen, indem er das Buch «Great Reset» veröffentlicht. In seinem Buch verspricht er uns eine bessere Welt und verkündet gleichzeitig, dass wir die anstehenden Probleme gemeinsam lösen müssten. Der Begriff «gemeinsam» kommt sehr harmlos daher, ist aber ein gezielter Angriff auf die Souveränität der Nationalstaaten. Der grosse Umbruch beinhaltet nichts anderes als einen gezielten Angriff auf die Nationalstaaten. Das WEF dient seit seiner Gründung als Instrument, um amerikanische Ideologien in Wirtschaft und Gesellschaft der übrigen Welt einzuimpfen. Zu Beginn ging es darum, das erfolgreiche Wirtschaftsmodell Europas, die soziale Marktwirtschaft, durch die amerikanische Wirtschaftsdoktrin der Gewinnmaximierung und des «hire and fire» zu ersetzen. In den vergangenen Jahren mischte sich das WEF auch immer mehr in die politischen und gesellschaftlichen Belange ein und versteht sich heute wohl als Plattform einer neuen Weltordnung, sprich Globalisierung und Deregulierung zum Vorteil der Eliten. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die WEF-Kaderschmiede der Jungen Global Leaders. Dieses Projekt verfolgt das Ziel, zukünftige Global Leaders heranzuziehen, die den Marsch durch die Institutionen antreten und dafür sorgen, dass die geplante neue Weltordnung auch umgesetzt wird. In der westlichen Welt gibt es wohl kein Land mehr, in dem sich nicht ein Abkömmling der WEF-Kaderschule in höheren politischen Ämtern und nationalen Verwaltungen eingenistet hat.

Eine unheilige Allianz

Sollten sich die Nationalstaaten wirklich auflösen und eine global ausgerichtete Kommandozentrale etabliert werden, dann braucht es neue rigorose Kontroll- oder auch Überwachungssysteme. Es kommt dann auch nicht von ungefähr, dass das «Silicon Valley» ein bedeutender Mitstreiter der neuen Weltordnung ist. Die IT-Branche, angeführt von Bill Gates, Jeff Bezos und Mark Zuckerberg sind längst nicht mehr nur Unternehmer, sondern agieren als ideologische Aktivisten. Sie sehen sich als auserkorene Leader auf der Weltbühne und versprechen, mit ihren Milliarden und digitalen Technologien eine bessere Welt zu schaffen. Eine Welt, die wohl weitgehend durch Verhaltensvorschriften und entsprechende Kontrollen geprägt ist. Dabei verfügen sie über die technischen Möglichkeiten, das Leben jedes einzelnen Menschen zu kontrollieren. Die Parameter für eine bessere Welt geben uns die Klimaaktivisten vor. Die Klimahysterie ist ein Produkt der Kreise, die darauf abzielen, die Menschen einer rigorosen Kontrolle zu unterziehen. Bereits heute funktionieren einige harmlos erscheinende Kontrollsysteme perfekt. Das Verhalten vieler Menschen wird durch Gesundheits-Apps, bargeldlose Zahlungen und sogenannte soziale Medien bereits unter Kontrolle gebracht. Die neue Weltordnung soll einen besseren Menschen hervorbringen. Er wird einen klimaneutralen Fussabdruck hinterlassen und sich wohl weitgehend an esoterischen Mythen orientieren.

Zentralismus anstelle nationaler Unabhängigkeit

Wie bereits angedeutet, wird durch den Anspruch, die Probleme auf unserem Planeten gemeinsam zu lösen, der Zentralismus gefördert. Die Corona-Pandemie hat in dieser Hinsicht schon einige Fussstapfen hinterlassen. Mit grösster Wahrscheinlichkeit werden das Gesundheitswesen und die Klimafrage das Eintrittstor in eine umfassende zentrale Diktatur über die Staaten hinweg sein. Die WHO hat bereits mit dem internationalen Abkommen zur Pandemieprävention und -vorsorge entsprechende Weichen gestellt. Sollte ein solches Abkommen von den einzelnen Staaten ratifiziert werden, dann wird die nationale, unabhängige Gesundheitspolitik an die WHO übertragen. Es dürfte sich hier um einen Versuch handeln, die Bereitschaft der souveränen Staaten zu prüfen, ihre Hoheitsrechte an eine internationale Organisation abzutreten. Es bleibt zu hoffen, dass sich gegen dieses Ansinnen breiter Widerstand aufbaut.

Der Vorstoss der WHO ist kein Einzelfall. Entsprechende Abkommen wie WTO (Freihandel), Nato (Verteidigung), EU (Politik und Wirtschaft), OECD (Bildung/Steuerpolitik) usw. sind bereits aktivierte Vorboten einer zentralistisch gelenkten Welt. Es ist auffallend, dass alle diese Abkommen den Lebensnerv eines souveränen Staates treffen.

Freie Meinungsäusserung und -bildung unterdrückt

Ich höre schon den Aufschrei: Verschwörungstheorie! Aber bitte, warum darf man heute die veröffentlichte Meinung nicht in Frage stellen? Wer hat das Recht, eine eigenständige Analyse der Vorgänge zu verbieten? Zur Diktatur gehören die Überwachung und Unterdrückung. Der Zentralismus kann nur bestehen, solange die Kontrolle funktioniert und bei Fehlverhalten, Strafsanktionen durchgesetzt werden können. Mit der Totschlagkeule «Verschwörungstheorie», haben die Hintermänner des «Great Reset» ein Instrument in der Hand, um die Menschen zum Verstummen zu bringen, andere Meinungen und auch Lösungsvorschläge abzuwürgen und gleichzeitig durch Ausgrenzung und Diffamierung Andersdenkende zu bestrafen.

«Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch»1

Ich versuche mit meinem Artikel, die Aufmerksamkeit der Menschen zu wecken. In unserer Zeit werden wir laufend mit Hiobsbotschaften eingedeckt, so dass wir Gefahr laufen, unsere Zuversicht und den Glauben, etwas bewirken zu können, zu verlieren. Vielerorts sind bereits Entwicklungen im Gange, die geeignet sind, den Vormarsch der Digitalisierung einzudämmen. Eine französische Gemeinde hat beispielsweise ihr Gebiet zur Smartphone-freien Zone erklärt (siehe Artikel S. 14). Frankreich hat ein Gesetz erlassen, das künftig den 3 bis 15 Jahre alten Schülerinnen und Schülern den Gebrauch eines Handys in der Schule verbietet und auch Schweden bremst die Digitalisierung an Schulen.

Gelingt es uns, die Gefahren einer aufstrebenden Weltdiktatur zu erkennen, wird es auch möglich sein, entsprechenden Widerstand aufzubauen. Es geht um unsere individuelle Freiheit, Demokratie, Selbstbestimmung und die Souveränität der Nationalstaaten. Diese über Generationen hinweg geschaffene Ordnung, darf unter keinen Umständen durch eine elitär gelenkte neue Weltordnung zerstört werden. Es ist an der Zeit, unser Immunsystem gegen die schleichende Knechtschaft, Kontrolle und Bevormundung zu stärken und Widerstand aufzubauen.

1 Friedrich Hölderlin in seiner 1803 veröffentlichten Hymne «Patmos»

veröffentlicht 6. März 2024

Unsere Landwirtschaft nicht schutzlos dem Freihandel ausliefern

von Willy Cretegny*

Die Landwirtschaft ist das erste Opfer des Freihandels. Günstig importierte Produkte machen uns Konkurrenz. Landwirte und Landwirtinnen sollten sich deshalb lautstark für eine staatlich regulierte und geschützte Wirtschaft aussprechen.

 

Willy Cretegny (Bild zvg)

 

Der Befund ist alarmierend: Unsere Gesellschaft konsumiert zu viel, produziert immer mehr Abfälle und Konsumgüter reisen dank umweltschädlichen und billigen Transportmitteln um die Welt. Die Verschmutzung hat das Klima aus dem Ruder laufen lassen. Überall kommt es zu Naturkatastrophen. Immer mehr Menschen sind deshalb in Gefahr.

 

Die für diese Situation grösstenteils verantwortliche Politik hat einen Namen: freier Markt oder Freihandel. Und sie hat nur ein Ziel: dank einem deregulierten Markt möglichst hohe Profite zu erzielen. Doch worauf basiert der Freihandel eigentlich? Seine Befürworter erachten alle wirtschaftlichen oder normativen Regulierungsmassnahmen zwischen Staaten als Hindernis für den Verkehr von Gütern und Reichtum. Die Freihandelsabkommen zielen deshalb ausschliesslich auf die Senkung bzw. die Aufhebung von Einfuhrabgaben. Hinzu kommt die Aufhebung von technischen Hemmnissen (z. B. Herstellungsnormen) oder Massnahmen zum Schutz lokaler Produktion wie Einfuhrkontingente.

Der grösste Erfolg der Befürworter des Freihandels besteht darin, dass es ihnen gelungen ist, den Diskurs von links bis rechts so zu prägen, dass nun alle glauben, die regulierende Rolle des Staates auf ein striktes Minimum begrenzen zu müssen. Sie haben es geschafft, den Protektionismus mit seinen Steuer- und Anti-Dumping-Massnahmen, seinen Massnahmen zum Schutz der Normen sowie der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion zu dämonisieren.

Die Landwirtschaft ist das erste Opfer dieses Freihandels. Für sie ist es unmöglich, mit der Konkurrenz durch importierte Billigprodukte mitzuhalten. Zusätzlich zu den tieferen Produktionskosten «profitieren» ausländische Produzent oftmals von Umwelt- und Sozialstandards, die weniger anspruchsvoll oder gar inexistent sind. Diese Wettbewerbsverzerrung muss bekämpft werden, damit die lokale Produktion eine gesicherte Zukunft hat.

Das soziale und wirtschaftliche Gefüge bewahren

Lokale Produkte zu schützen heisst primär, das soziale und wirtschaftliche Gefüge zu bewahren, das dem Gemeinschaftsleben Sinn verleiht. Lokal einkaufen und produzieren darf nicht nur das Ziel verfolgen, die globale Erwärmung zu bekämpfen, sondern muss gesellschaftliche Verbindungen fördern. Der grösste Schaden, den die Globalisierung anrichtet, ist die Zerstörung dieses lokalen, sozialen und wirtschaftlichen Gefüges, das uns voneinander abhängig macht. Eines der Ziele des Staates muss es deshalb sein, eine Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik zu betreiben, die dieses Gefüge fördert.

In diesem Kontext ergibt Protektionismus durchaus Sinn und hilft, eine nachhaltige Entwicklung zu garantieren. Ein Staat, der die Wichtigkeit erkennt, das zu schützen, was seine Bevölkerung zusammenhält, ihre Produktion, ihre Art und Weise zu handeln – kurz, ihr Wirtschaftsgefüge – ist ein Rechtsstaat, der sich auch gegenüber anderen Ländern fair verhält.

Souveränität der Völker und Nationen respektieren

Viele fordern heute Ernährungssouveränität, doch eigentlich benötigen wir auf allen Ebenen Souveränität, gewissermassen als Grundlage unseres Lebens. Um die Umwelt, das soziale und wirtschaftliche Gefüge zu schützen, benötigen wir einen souveränen Staat, der eine Politik der Offenheit, gepaart mit der Idee der Blockfreiheit, gegenüber anderen Ländern und deren Politik wagt. Die von der Welthandelsorganisation (WTO) auf globaler Ebene diktierte Politik der Angleichung ist in Tat und Wahrheit eine Kriegspolitik, deren Waffen Wettbewerbsverzerrung, unlauterer Wettbewerb und Dumping heissen.

Doch nur wenn die Souveränität der Völker und Nationen respektiert wird, kann sich eine Gesellschaft dank der Vielfalt der Wahlmöglichkeiten weiterentwickeln und so Fortschritte erzielen. Die Demokratie darf auf keinen Fall durch die internationale Wirtschaftspolitik eingeschränkt werden. Insbesondere dann nicht, wenn diese uns Entscheide diktiert, die mit den unsrigen im sozialen und ökologischen Bereich nicht vereinbar sind.

Vorrang des Freihandels bedroht unsere Demokratie und Souveränität

Ein neues institutionelles Abkommen mit der EU, das uns die automatische Übernahme seiner Entscheide in Wirtschaftsfragen aufzwingen will, ist ein anschauliches Beispiel für die Freihandelspolitik und darf auf keinen Fall unterzeichnet werden. Gewähren wir dem Grundsatz des Freihandels Vorrang, wird unsere Demokratie und Souveränität direkt bedroht.

Weinbau und Landwirtschaft müssen laut und deutlich sagen, dass sie eine regulierte und protektionistische Wirtschaftspolitik wollen. Zwei Beispiele aus dem Weinbau:

Die Branche muss die Wiedereinführung von Mengenkontingenten fordern. Seit den Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT, heute WTO) von 1994 wurden diese Mengenkontingente verboten und ausschliesslich durch Zollkontingente ersetzt. Im Gegensatz zu Mengenkontingenten, welche die Einfuhr beschränken, stellt das Zollkontingent keine Begrenzung der Einfuhrmenge dar, sondern gewährt einen präferenziellen Zolltarif, sprich Mindestpreise. Unsere Produkte sind also überhaupt nicht mehr geschützt, im Gegenteil, diese Art von Kontingent ist ein Anreiz, zu sehr niedrigen Preisen zu importieren.

- Die Branche muss die Anwendung von Artikel 22 Absatz 2 Buchstabe b des Landwirtschaftsgesetzes fordern. Dieser Artikel regelt, wie Zollkontingente zugeteilt werden. Buchstabe b besagt, dass Zollkontingente proportional nach Massgabe der Inlandsleistung zugeteilt werden müssen. Die aktuelle Anwendung des Artikels beruft sich auf den Buchstaben d und teilt die Kontingente entsprechend der Reihenfolge des Eingangs der Bewilligungsgesuche zu. Vielmehr sollte aber Buchstabe b angewendet und die Anteile an Importkontingenten denjenigen zugeteilt werden, die Schweizer Weine vermarkten. Dies würde deren Bemühungen belohnen und den Winzerinnen und Winzern einen stabileren Markt mit besseren Preisen gewährleisten.

Diese beiden von der Weinbranche geforderten Massnahmen sind protektionistisch. Sie entsprechen dem Grundsatz des gesunden Menschenverstands und der Kohärenz: «Bevor wir etwas importieren, müssen wir essen, was in unserem Garten wächst.» Die gesamte Landwirtschaft muss Massnahmen zum Schutz für die lokale Produktion fordern.

Die Absenz von Protektionismus hat heute schädliche Folgen für die gesamte Gesellschaft:

- Import vom anderen Ende der Welt auf umweltschädlichen Schiffen

- Verschwendung, indem billig importierte Güter auf den Markt gebracht werden

- Import von Gütern schlechter Qualität, die nicht reparier- und/oder wiederverwertbar sind

- Verknappung der Ressourcen durch übermässigen Konsum, der durch niedrige Preise gefördert wird

- Explosion der Abfallmengen

- Verschwinden der lokalen industriellen Produktion (z. B. Solarpanels)

- Dumping- und Billigpreise treiben die industrielle Landwirtschaft voran, während kleine Familienbetriebe einer nach dem anderen verschwinden etc.

Die Debatte über ein neues Handelsabkommen mit der EU oder auch das geplante Abkommen mit den MERCOSUR-Staaten müssen für alle Bäuerinnen und Bauern Anlass sein, NEIN zum Freihandel zu sagen – und zwar ganz deutlich!

Fordern wir Gesetze, die unsere Landwirtschaft, unsere Lebensmittel und unser soziales und wirtschaftliches Gefüge schützen! 

Erstveröffentlichung in:
Uniterre Zeitung vom März 2024, www.uniterre.ch/de

Übersetzung aus dem Französischen: Pascoum’s InTerreTexte

 

* Willy Cretegny, Pionier des Genfer Bio-Weinbaus, ist Präsident der Vereinigung der Selbsteinkellernden Weinbauern (SVSW) und des Komitees «La Vrille» (Die Weinranke), einem Kollektiv von Genfer Weinbauern, das 2009 das Referendum gegen das Cassis-de-Dijon-Prinzip und 2011 die Volksinitiative «Pour une économie utile à tous» – «Eine Wirtschaft zum Nutzen aller» lancierte.

 

veröffentlicht 6. März 2024

Eine französische Gemeinde erklärt sich zur Smartphone-freien Zone

von Susanne Lienhard

Am 3. Februar 2024 hat die französische Gemeinde Seine-Port südlich von Paris per Referendum beschlossen, im öffentlichen Raum die Nutzung von Smartphones zum Schutz von Kindern und Jugendlichen einzudämmen. Wie kam es dazu?

Der Bürgermeister von Seine-Port, Vincent Paul-Petit, selbst Vater von fünf Kindern und achtfacher Gross­vater, stellte in seiner Gemeinde schon seit längerem mit Sorge fest, dass die Kinder mehr an ihren Smartphones hingen, als miteinander zu sprechen. Die 11 bis 14-Jährigen verbringen im Schnitt acht Stunden täglich am Bildschirm, also mehr Zeit, als sie schlafen! Lehrerinnen und Lehrer stellen die negativen Auswirkungen dieser exzessiven digitalen Aktivität täglich fest. Die Kinder können sich schlechter konzentrieren und weisen zunehmend Aufmerksamkeitsdefizite auf. 

(Bild www.seine-port.fr)

Bei der Zusammenarbeit mit dem Departement und der für Eltern- und Kinderschutz spezialisierten Ärztin, Anne-Lise Ducanda, fielen ihm die zunehmenden Fälle von Mobbing via «Soziale» Medien auf, was ihm grosse Sorgen bereitet. Er sieht sich als Bürgermeister in der Pflicht, die Warnungen der Fachleute vor dem digitalen Suchtpotenzial ernst zu nehmen, auf die «stille Epidemie» aufmerksam zu machen und zum Schutz von Kindern und Jugendlichen den Familien zu helfen, sich von den Bildschirmen zu lösen.¹ Er beruft sich auch auf den 34-jährigen Premierminister Gabriel Attal, der bezüglich der exzessiven Nutzung von Bildschirmen vor einer gesundheitlichen und  erzieherischen Katastrophe für Kinder und Jugendliche warnt. 

Dem Bürgermeister von Saine-Port geht es nicht darum, neue Technologien zu verteufeln – er nutzt sie selbst auch –, sondern um den Schutz der Kinder und Jugendlichen. In einem Gespräch mit der Thurgauer Zeitung sagt er: «Die Programmierer der Internetkonzerne wie Meta tüfteln ständig an neuen Wegen, um Jugendliche in ihre Applikationen zu ziehen. Ihren eigenen Kindern untersagen sie allerdings den Bildschirmzugang, weil sie wissen, dass sie dabei verdummen».²  

Alternativen zum Smartphone: Bewegung, Lesen, Nichts-tun 

Beim grossen Schulfest Ende letzten Schuljahres munterte der Bürgermeister die Anwesenden dazu auf, in den Ferien weniger Zeit am Handy zu verbringen, dafür mehr herumzurennen, zu lesen oder nichts zu tun – Langeweile mache bekanntlich kreativ. Er selbst werde in dieser Zeit über den Umgang mit Smartphones nachdenken. 

Kommunale «Charta zur guten Nutzung von Bildschirmen»

Am 7. Oktober 2023 verkündete er dann anlässlich eines gut besuchten Vortrages der Ärztin und Buchautorin Anne-Lise Ducanda³ zum Thema «Risiken des Smartphones», seine Absicht, die Nutzung von Handys im öffentlichen Raum zum Schutz der Kinder einzuschränken. Anstatt ein Handyverbot im öffentlichen Raum zu verordnen, setzte er auf den demokratischen Prozess. Er betraute eine Arbeitsgruppe aus Eltern und Fachleuten mit der Erarbeitung einer «Charta zur guten Nutzung von Bildschirmen».⁴ Alle Bürgerinnen und Bürger waren aufgefordert, ihre Vorschläge einzureichen, wie dieser «stillen Epidemie» im öffentlichen und im privaten Raum entgegengewirkt werden kann und wie die Gemeinde die Familien dabei unterstützen könnte.  

Am 25. November letzten Jahres wurde die Charta der Bevölkerung präsentiert und zur Diskussion gestellt. Am 3. Februar hat sich nun die Bevölkerung von Seine-Port in einem Referendum mehrheitlich für die Charta ausgesprochen. Viele Eltern sind froh, von politischer Seite Unterstützung zu bekommen. 

Regeln für den öffentlichen Raum – Hilfestellungen für die Familien

Erklärtes Ziel der Charta ist es, die Kinder in ihrer psychosozialen Entwicklung zu schützen, das Sozialleben in der Gemeinde zu stärken und Eltern, Grosseltern, Erzieher, Lehrer und Fachkräfte im Gesundheitsbereich und in der Kleinkindererziehung bei ihrer anspruchsvollen Aufgabe zu unterstützen. 

Um diese Ziele zu erreichen, gelten im öffentlichen Raum der Gemeinde nun vier Regeln: kein Smartphone vor Schulen, kein Smartphone in den Läden, kein Smartphone in Gruppen, die sich im öffentlichen Raum treffen, kein Smartphone beim Überqueren der Strasse, um die Sicherheit aller zu garantieren.

Für Familien finden sich in der Charta Hilfestellungen und Vorschläge, wie sie im privaten Raum die Bildschirmzeit begrenzen und alternative Aktivitäten finden können. Neben hilfreichen Adressen wird auch auf die «Regel der 4 Schritte» der Kinderpsychiaterin  Sabine Duflo verwiesen: kein Bildschirm am Morgen, kein Bildschirm bei den Mahlzeiten, kein Bildschirm im Kinderzimmer und kein Bildschirm vor dem Schlafengehen.

Die Gemeinde ihrerseits offeriert Eltern zukünftiger Oberstufenschüler (falls sie es wünschen) ein einfaches 9-Tasten-Telefon für ihre Kinder, wenn die Eltern sich ihrerseits verpflichten, ihnen bis zum Eintritt ins Gymnasium kein Smartphone zu kaufen. Die Gemeinde will sich auch beim Ausbau von alternativen Aktivitäten für Kinder und Jugendliche engagieren: z. B. eine Bücherkiste bereitmachen, einen Sportplatz zur Verfügung stellen, eine Vorlesestunde für Vorschulkinder, Spielnachmittage oder spielerische Koch- oder Kunstworkshops organisieren. Die Einwohner der Gemeinde können auf communication@seine-port.fr weitere Aktivitäten vorschlagen. 

Vorbildwirkung der Erwachsenen

Die Vorbildwirkung der Erwachsenen ist tatsächlich nicht zu unterschätzen. Wenn es gelingt, im öffentlichen Raum die Omnipräsenz des Smartphones zurückzudrängen und den analogen menschlichen Begegnungen wieder mehr Raum zu geben, wird sich das unweigerlich auf das Sozialleben in der Gemeinde und damit auch auf die Kinder und Jugendlichen positiv auswirken. Sie erleben, dass das reale soziale Netz viel tragfähiger ist als tausend sogenannte «Freunde» auf Instagram und Facebook. 

Es ist zu hoffen, dass das Beispiel von Seine-Port nicht nur in Frankreich, sondern auch in der Schweiz und anderswo Nachahmung ­findet. 

¹ William Lacaille: En Seine-et-Marne, ce maire veut interdire les smartphones dans la rue», in: La République de Seine-et-Marne du 11/10/23
² Stefan Brändle: «Ein Gallierdorf kämpft gegen Handy-Plage», Thurgauer Zeitung vom 29.02.2024. 
³ Anne-Lise Ducanda: «Les tous petits face aux écrans - comment les protéger. L'épidémie silencieuse.» Editions du Rocher 2021.  
www.seine-port.fr/faut-il-interdire-les-ecrans-dans-lespace-public/

 

veröffentlicht 6. März 2024

Wieder konzentriert unterrichten und lernen können

Weltweite Diskussion über Smartphoneverbote in Schulen

Regierungen weltweit verbannen Smartphones aus den Schulen und reduzieren den Einsatz von Tablets und Laptops in Kitas und in den Schulen im Unterricht.

In Frankreich gilt bereits seit 2010 ein Handyverbot im Unterricht, 2018 erweitert zum Komplettverbot internetfähiger Geräte wie Handys, Tablets und Smartwatches in allen Räumlichkeiten und bei schulischen Aktivitäten auch ausserhalb des Schulgebäudes. Die Niederlande führen 2024 ein Smartphone-Verbot ein. In Schweden wurden nach dem Bericht des Karolinska-Instituts von 2023 die Tablets aus Vor- und Grundschulen wieder entfernt und stattdessen Schulbücher gedruckt und an die Schulen geliefert.

Jedes vierte Land weltweit verbietet laut UNESCO-Bericht «2023 Global Education Monitor» aktuell private Geräte in der Schule, damit Kinder und Jugendliche sich wieder auf den Unterricht konzentrieren (können), sich in den Pausen bewegen und miteinander kommunizieren. Immer mehr Länder formulieren darüber hinaus konkrete Empfehlungen für den IT-Einsatz in Schulen.

Einige Beispiele¹ …

Dänemark: Empfehlungen zur Bildschirmnutzung für Grundschulen und ausserschulische Programme

Die dänische Agentur für Bildung und Qualität gibt jetzt Empfehlungen zum Einsatz von Bildschirmen in Grundschulen und ausserschulischen Programmen heraus, nachdem der sozialdemokratische Minister für Kinder und Bildung, Mattias Tesfaye, sich im Dezember 2023 dafür entschuldigt hatte, dass die dänische Regierung Jugendliche zu «Versuchskaninchen in einem digitalen Experiment» gemacht habe. 

Italien: Ohne Ausnahmen: Italien will Smartphones und Tablets an Schulen ganz verbieten

Italiens Regierung will Smartphones und Tablets komplett aus Kindergärten und Schulen für Kinder und Jugendliche bis zum Alter von 14 Jahren verbannen. Ein seit 2007 geltendes Verbot von Mobilgeräten für die nicht schulische Nutzung in Kindergärten und Grundschulen [soll] auf die Sekundarstufe I ausgeweitet werden. Auch die Nutzung für Unterrichtszwecke soll untersagt werden.

Kanada: «Handyverbot an Schulen? – Bildungsexperten sind dafür»

«In Kanada etwa sind Handys mittlerweile im Unterricht der Grundschule bis zur sechsten Klasse häufig verboten». […] In den Schulen gibt es in dem Land, das 15 Jahre Erfahrung in der Digitalisierung hat, oft Handyschränke in den Klassen: Die Kinder legen hier ihre Geräte hinein, wenn sie in die Schule kommen. Nur nach ausdrücklicher Aufforderung dürfen sie sie herausnehmen. «Viele skandinavische Länder, aber auch Kanada oder Neuseeland, die ihre Schulen schon vor Jahren und lange vor uns digitalisiert haben, rudern zurück: Sie haben festgestellt, dass das Ablenkungspotenzial von Handys im Unterricht zu hoch ist.» 

Quelle: «Die pädagogische Wende»,  24. Februar 2024
https://die-pädagogische-wende.de/wieder-konzentriert-unterrichten-und-lernen-koennen/

¹ Weitere Beispiele unter: https://die-pädagogische-wende.de/wieder-konzentriert-unterrichten-und-lernen-koennen/

veröffentlicht 6. März 2024

Aufruf an alle Bürgerinnen und Bürger der Schweiz: Unterzeichnen Sie die Neutralitätsinitiative!

Aus fünf Gründen ist die Neutralität der Schweiz nötiger denn je

Man kann alles von der Weltgeschichte sagen, alles,
was der perversesten Phantasie in den Sinn kommen mag, nur eines nicht: dass sie vernünftig sei.

F. M. Dostojewski

 

1. «Friede ist nur durch Freiheit, Freiheit nur durch Wahrheit möglich. Daher ist die Unwahrheit das eigentliche Böse, jeden Frieden Vernichtende», das sagte einst Karl Barth. Das erste Opfer des Kriegs ist stets die Wahrheit. Auch in Europa wird über die derzeitigen Kriege ständig gelogen. Immerhin hat der Generalsekretär der Nato inzwischen zugegeben: Der Krieg in der Ukraine hat 2014 begonnen! Am Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten mischte die heutige Unterstaatssekretärin der USA kräftig mit. Darauf brachte das faschistische ASOW-Bataillon, später vereint mit der ukrainischen Armee, in den Donbas-Republiken ca. 14 000 russische Ukrainer um. Das entschuldigt den Überfall Russlands keineswegs, ist aber ein Hinweis auf die vielfältigen und extrem verworrenen Kriegsursachen. Über sie hat unparteilich und gründlich nachzudenken, wer Frieden stiften will. Nur eine neutrale Schweiz ist dazu in der Lage.

2. «Die Schweiz ist neutral, ihre Neutralität ist immerwährend und bewaffnet», so heisst es in der Initiative. Selbstverteidigung ist nötig und legitim: das gilt für die Schweiz und für die Ukraine. Und so soll es auch bleiben! Eine Konkretisierung der Neutralität auf Verfassungsebene ist jedoch dringend. Denn seit zwei Jahren wird das tradierte Neutralitätsverständnis ständig verletzt: Man will Waffen liefern und trägt die Sanktionen der EU bzw. der Nato mit. Bundesrat Cassis will die UNWRA abstrafen – entgegen der Bitte der Uno. Frau Amherd kauft unter Missachtung demokratischer Gepflogenheiten US-Kampfflugzeuge ein. Dabei dient der F-35 nicht primär der Verteidigung, sondern macht nur Sinn im Verbund mit der Nato. – Der Traum von Viola? Wo immer aber Politgrössen den Unterschied zwischen ihrem Amt und einer personenzentrierten Rolle nicht mehr kennen, wird Verantwortungsethik zum Fremdwort.

3. «Die Schweiz tritt keinem Militärbündnis bei», gibt die Initiative vor. Lord Lionel Ismay, erster Generalsekretär der Nato, sah deren Aufgabe so: «Keep the Soviet Union out, the Americans in, and the Germans down.» Seither nutzen sowohl republikanische als auch demokratische Machthaber der USA die Nato, um ihren monopolaren Weltmachtanspruch durchzusetzen. Die USA haben im Verein mit Nato-Staaten viele völkerrechtswidrige Kriege geführt. Mit Blick auf Russland ignoriert die Nato beharrlich, dass laut Art. 2 der Uno-Charta beides verboten ist: andere Länder zu bedrohen und andere Länder zu überfallen: Die Nato hat mit ihrer Osterweiterung ersteres, Russland mit dem Überfall auf die Ukraine letzteres getan. Warum Europa da mitmacht? Liz Truss, die einstige britische Aussenministerin, hat das auf den Punkt gebracht: «Wir brauchen eine Wirtschafts-Nato, die unseren Lebensstandard verteidigt.»

4. «Die Schweiz beteiligt sich nicht an militärischen Auseinandersetzungen zwischen Drittstaaten, gegen kriegführende Staaten.» Vorbehalten sind Verpflichtungen gegenüber der Uno sowie Massnahmen, die verhindern, dass militärische Zwangsmassnahmen anderer Staaten umgangen werden. Das tönt kompliziert und ist es auch! Entscheidend ist der Verzicht auf Sanktionen, denn sie treffen stets und überall die Schwächsten. Und gut, dass die Schweiz sich nicht mehr wie im Zweiten Weltkrieg als (un)heimliche Kriegsgewinnlerin betätigen kann. Der wichtigste Punkt: Die Schweiz orientiert sich am globalen Staatenverbund und trägt die Beschlüsse der Uno mit. Denn der Westen wird in der globalisierten Welt zu einer Minorität. Seine selbstherrlichen Machtansprüche und struktur- blinden Wertungen sind eines der gewichtigsten Hindernisse für den Weltfrieden.

5. «Die Schweiz nützt ihre immerwährende Neutralität für die Verhinderung und Lösung von Konflikten.» Heureka! Das ist der archimedische Punkt der Neutralitätsinitiative. Für eine gelingende Zukunft braucht es möglichst viele neutrale Staaten. Noch wichtiger aber ist die Friedensarbeit, zu der die Initiative verpflichtet. In unserer ungleichen Welt werden Kriege zwischen und innerhalb von Staaten genauso zunehmen wie die grosse Wanderung aus dem Süden in die westlichen Konsumparadiese – beide sind weder sozial noch ökologisch nachhaltig. Friedensarbeit bedeutet beides: sowohl in den kriegsbetroffenen Ländern als auch in der Schweiz an jenem Ausgleich zu arbeiten, der es den Menschen auf unserem Planeten künftig allerorts gestattet, ein würdiges Leben zu führen.

Zugegeben: eine Herkules-Aufgabe. Die Neutralitätsinitiative weist uns mit ihrem archimedischen Punkt den Weg.

Hoffentlich zu mehr Vernunft.

Henriette Hanke Güttinger
Verena Tobler Linder
Helmut Scheben
Hans-Peter Müller

Webseite der Initiative: https://neutralitaet-ja.ch

veröffentlicht 6. März 2024

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