Zwei Initiativen mit negativen Folgen für unsere Ernährungssicherheit

Interview mit Nationalrat Markus Ritter

Nationalrat Markus Ritter, CVP (Bild thk)
Nationalrat Markus Ritter, CVP (Bild thk)

Zwei Initiativen werden diese Woche im Nationalrat behandelt. Dabei geht es um die «Trinkwasserinitiative» und die «Pestizidverbotsinitiative». Beide Initiativen haben einen wohlklingenden Namen und ohne sich eingehender damit zu befassen, ist man geneigt, diesen beiden Initiativen etwas Positives abzugewinnen. Doch, wenn man sich genauer mit den Auswirkungen dieser Initiativen befasst, bekommt man ein ganz anderes Bild. In den beiden nachfolgenden Interviews erklären der Präsident des Bauernverbandes, Nationalrat Markus Ritter, sowie Nationalrat Marcel Dettling, was an den Initiativen für unsere Landwirtschaft nachteilig ist und warum man sie ablehnen sollte.

Zeitgeschehen im Fokus Zwei Volksinitiativen, für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung sowie für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide, verlangen landwirtschaftlichen Betrieben einiges ab. Was für Auswirkungen haben die beiden Initiativen für unsere landwirtschaftlichen Betriebe? 

Nationalrat Markus Ritter Die beiden Initiativen sind extrem formuliert und wirtschaftsfeindlich. Tausende Arbeitsplätze würden in der Schweiz bei einer Annahme der Initiativen gefährdet. Die Preise für Lebensmittel würden um 20 bis 40 Prozent ansteigen.

Das sind wenig erfreuliche Aussichten. Ist denn eine Initiative, die den Bauern eine Kürzung der Direktzahlungen androht, überhaupt verhältnismässig?

Die Initiative würde die gesamte Landwirtschaft massiv betreffen. Der Initiativtext geht weiter als Richtlinien von Bio Suisse für die Erlangung des Knospe Labels. 

Ist die Qualität des Trinkwassers in der Schweiz beeinträchtigt, dass es diese Initiative braucht?

Wir haben in der Schweiz hervorragendes Trinkwasser, auf das wir stolz sein dürfen. Es genügt, wenn wir die bestehenden Gesetze umsetzen und deren Vollzug sicherstellen. Ich bedaure, dass nur 58 Prozent der Quell- und Grundwasserschutzzonen bundesrechtskonform geschützt sind. Hier sind die Trinkwasserversorger und die Gemeinden gefordert, die Hausaufgaben auf Basis der bestehenden rechtlichen Grundlagen zu machen.

Was für Auswirkungen haben die einzelnen Aspekte der Trinkwasserinitiative?

Die Initiative zielt auf den ökologischen Leistungsnachweis, der die Grundlage für den Bezug der Direktzahlungen bildet. Künftig bekämen nur noch Betriebe ­Direktzahlungen, die keine Pestizide weder die im biologischen Landbau zulässigen noch synthetische Pflanzenschutzmittel einsetzen. Weiter würden nur noch Betriebe den ökologischen Leistungsnachweis erfüllen, die ihre Tiere mit ausschliesslich betriebseigenen Futtermitteln versorgen können. Ich kaufe jedes Jahr von einem Nachbarn, der ebenfalls Bio Bauer ist, Heu und Grassilage zu. Auch dies wäre nicht mehr möglich.

Was bedeutet das für die Bergbauern?

Im Bereich der Futtermittel, wären nicht nur jene Betriebe betroffen, die Hühner und Schweine halten, sondern sehr viele Betriebe im Berggebiet, die noch etwas Futter für das Rindvieh zukaufen müssen.

Wie versuchen die Bauern heute, die Umweltbelastungen gering zu halten?

Wir haben die letzten zehn Jahre den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln um 27 Prozent reduziert. Bei den Herbiziden waren es gar 45 Prozent. Diesen Weg wollen wir weiter gehen. Wir setzen den Aktionsplan Pflanzenschutz des Bundesrates um. Von 51 Massnahmen in diesem Aktionsplan wurden 14 bereits erfolgreich umgesetzt, 24 sind in Arbeit und die weiteren Massnahmen werden gemäss Zeitplan ebenfalls angepackt.

Welche Massnahmen sind hier effizient?

Es sind drei Bereiche. Wir wollen die Menge an eingesetzten Pflanzenschutzmitteln reduzieren. Weiter wollen wir jene Wirkstoffe vom Markt nehmen, die besonders schädlich sind. Hier nimmt der Aktionsplan 56 Wirkstoffe ins Visier. 2019 wurden bereits 25 Wirkstoffe vom Markt genommen. Im dritten Bereich geht es um eine präzise Applikationstechnik, Reinigungssysteme, Waschplätze etc. Damit sollen unerwünschte Einträge reduziert werden.

In welchen Bereichen werden heute Pflanzenschutzmittel eingesetzt?

Herbizide werden im Bereich der Unkrautbekämpfung eingesetzt. Hier versuchen wir, mit mechanischer Unkrautbekämpfung den Herbizideinsatz weiter zu reduzieren. Fungizide werden gegen Pilzerkrankungen eingesetzt. In diesem Bereich wollen wir mit resistenteren Sorten die Mengen reduzieren. Insektizide werden gegen Schädlinge eingesetzt. Mit Nützlingen wollen wird den Einsatz von Insektiziden reduzieren. Damit wir die Ziele bei Fungiziden und Insektiziden erreichen können, sind wir auf die Unterstützung durch Forschung und Beratung angewiesen.

Schauen wir uns noch die Pestizidinitiative an. Warum unterstützt der Bauernverband diese Initiative nicht?

Im Bereich des Pflanzenbaus wäre praktisch nur noch eine biologische Produktion möglich. Wir wollen aber, dass die Impulse für die biologische Produktion vom Markt her kommen und sich auf Grund der Konsumentennachfrage ergeben. Mit politischen Vorgaben in diesem Bereich werden funktionierende Märkte massiv gestört und die Preise für die Bio-Produzenten zum Erodieren gebracht. 

Funktioniert eine Landwirtschaft ohne Pestizide?

Es gibt verschiedene Bereiche, wie den Rebbau, den Obstbau oder das Gemüse, bei denen es im biologischen und im konventionellen Landbau sehr schwierig ist, ohne Pflanzenschutzmittel die Ernten zu sichern und die von den Konsumenten gewünschte Qualität bei den Lebensmitteln zu erreichen. Im Ackerbau sind Raps, Kartoffeln und Zuckerrüben sehr anspruchsvolle Kulturen, bei denen ein erfolgreicher Anbau ohne Pflanzenschutzmittel kaum möglich ist.

Inwieweit ist die verarbeitende Lebensmittelindustrie von der Initiative betroffen?

Da bei dieser Initiative auch der gewerbliche Import von Lebensmitteln, die mit Hilfe von synthetischen Pflanzenschutzmitteln produziert worden sind, verboten würde, wäre die Verarbeitungsindustrie und der Handel massiv betroffen. Wir sind weltweit der grösste Kaffeeexporteur. Dies wäre vorbei. Unsere Schokoladenindustrie wäre wegen des importierten Kakaos und des Zuckers massiv betroffen. Auch die Getränkeindustrie würde wegen des Zuckers massiv unter Druck geraten. Ich erinnere hier als Beispiel an die grosse Produktionsstätte von Red Bull bei uns im Rheintal. 

Was bedeutet das für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes?

Da sowohl die einheimische Landwirtschaft als auch die gewerblichen Importe massiv betroffen wären, würden die Lebensmittelpreise für die Konsumentinnen und Konsumenten um 20 bis 40 Prozent steigen. Damit würde nur der Einkaufstourismus gefördert und tausende von Arbeitsplätzen in der Schweiz vernichtet.

Inwieweit haben Bürgerinnen und Bürger einen Einfluss auf eine ressourcenschonende Lebensmittelproduktion?

Mit einem bewussten Einkauf von regionalen und saisonalen Produkten haben die Konsumentinnen und Konsumenten sehr viel Einfluss auf eine ressourcenschonende Produktion. Es gilt die Maxime: Man muss es einfach tun.

Wie sind diese beiden Initiativen politisch einzuordnen?

Da die Initiativen einen sehr extremen Ansatz verfolgen, sind sie gefährlich und wir müssen sie ernst nehmen. Es gilt der Bevölkerung zu erklären, um was es geht und was die Konsequenzen bei einer Annahme wären. 

Was hätte es für Konsequenzen, wenn diese Initiative angenommen würde?

In der Landwirtschaft der Schweiz sind 150 000 Personen tätig. In den nachgelagerten Bereichen von Verarbeitung und Handel sind im Bereich der Lebensmittel 200 000 Menschen beschäftigt. In den vorgelagerten Bereichen der Landwirtschaft sind in direktem Zusammenhang mit der Landwirtschaft 50 000 Arbeitskräfte tätig. Im Detailhandel der Schweiz werden Lebensmittel im Wert von 51 Milliarden Franken pro Jahr verkauft. Zusätzlich werden für 12 Milliarden Franken Lebensmittel an unsere Gastrobetriebe abgegeben. Beide Initiativen würden diese Wirtschaftsbereiche massiv tangieren und in Frage stellen. Beide Initiativen sind deshalb klar abzulehnen.

Herr Nationalrat Ritter, vielen Dank für das Interview.

Interview Thomas Kaiser, Bern

«Wenn wir viel importieren müssen, sind wir erpressbar» 

Interview mit Nationalrat Marcel Dettling

Nationalrat Marcel Dettling, SVP (Bild thk)
Nationalrat Marcel Dettling, SVP (Bild thk)

Zeitgeschehen im Fokus Ein Freihandelsabkommen mit den USA ist wieder aktuell Thema. Die USA wollen, dass die Landwirtschaft miteinbezogen wird. Was würde das für unsere Landwirtschaft bedeuten, wenn die Schweiz darauf eingehen würde?

Nationalrat Marcel Dettling Wir könnten nie mit den amerikanischen Verhältnissen mithalten. Bei uns hat der Durchschnittsbetrieb 16 Hektaren. In den USA hat er mehrere 100 Hektaren. Wir haben höhere Löhne. Wenn wir einen Stall bauen wollen, gibt es grosse Investitionskosten, das gibt es dort in dem Masse nicht. Nebst dem mangelnden Tierwohl gibt es ganz andere Produktionsbedingungen. 

Inwiefern?

In den USA können sie einen Mexikaner für einen Dollar zum Melken anstellen, das geht bei uns zum Glück nicht. Mit unseren Auflagen beim Tierschutz, beim Gewässerschutz usw. können wir nicht zu amerikanischen Preisen produzieren. Kompletter Freihandel würde unsere Fleischproduktion erheblich konkurrenzieren, und wir hätten keine Chance. Das würde unseren Schweizer Fleischmarkt völlig kaputt machen.

Gibt es noch weitere Gründe, die gegen den Freihandel in der Landwirtschaft mit den USA sprechen?

Es gibt auch noch gesundheitliche Bedenken. Man kann in den USA immer noch Hormone spritzen, auch der Umgang mit Antibiotika und Leistungsförderern ist in den USA noch immer weit verbreitet. In der Schweiz haben wir strikte Vorgaben, und es wäre für die Bürgerinnen und Bürger nicht sehr vorteilhaft, wenn wir solches Fleisch anbieten würden. Dass die Verhandlungen vor 10 Jahren gescheitert sind, ist nicht wegen der Landwirtschaft gewesen, sondern wegen der Banken. 

Hätte der Freihandel nur Auswirkungen auf die Fleischproduktion? 

Ja, das ist der Hauptfaktor. Wir sind ein Grünland, und mit unseren klimatischen Bedingungen sind wir prädestiniert, zu veredeln und das Produkt Fleisch herzustellen. Amerika hat natürlich noch viel Ackerbau im mittleren Westen mit Soja- und Getreidefeldern. Aber dafür wäre die Schweiz zu wenig interessant, sowohl mengenmässig als auch aufgrund des Verbots von genmanipulierten Sorten. 

Die Bauern kommen auch unter Druck wegen der Trinkwasserinitiative und der Pestizidverbotsinitiative. Wie ordnen Sie diese beiden ein?

Es wird wieder einmal mehr die Schweizer Landwirtschaft direkt angegriffen. Es ist eine sehr wichtige Abstimmung für die Landwirtschaft in der Schweiz. Denn würden die Initiativen angenommen, gäbe es radikale Veränderungen. Unsere Landwirtschaft wäre nicht mehr das, was sie einmal war.

Was würde sich ändern? 

Wir müssten die Kalbfleischproduktion in den Berggebieten einstellen, aber auch sonst. Es wäre nicht mehr erlaubt, fremde Futtermittel auf dem eigenen Hof zuzuführen. Wenn wir an den Kälbermäster denken, dann muss er seinen Kälbern Milchpulver zukommen lassen. Das ist nicht mehr erlaubt. Auch Milchnebenprodukte von Käsereien, die man an Schweine verfüttert, sind nicht mehr zugelassen, da es betriebsfremde Futtermittel sind. Das alles, weil man das Trinkwasser und die Gewässer schützen will. Das wollen wir Bauern doch so oder so. Wir leben von und mit der Natur. Unser Trinkwasser hat weltweit die beste Qualität, und wir haben doch alle ein Interesse daran, diese langfristig zu schützen. 

Konnten die Bauern den Einsatz von Pestiziden senken?

Wir haben 27 Prozent weniger Pestizideinsatz in den letzten 10 Jahren und den Antibiotikaeinsatz in den letzten 10 Jahren halbiert, von 64 Tonnen auf 32 Tonnen. In der Humanmedizin ist nichts passiert, die Ausgaben von Antibiotika steigen. 

Ein Vorwurf der Initianten lautet, die Schweiz hätte zu hohe Tierbestände, die die Gewässer belasten würden.

Seit 1985 gibt es in der Schweiz 300 000 Rinder und 500 000 Schweine weniger. Im gleichen Zeitraum haben wir 2  Millionen Menschen mehr in der Schweiz, die wir ernähren müssen. Die Landwirtschaft hat einen Verfassungsauftrag, der besagt, dass wir die Menschen im Land ernähren müssen. Wir setzen die Pflanzenschutzmittel ein, die wir brauchen. Das sind auch Kosten für die Landwirtschaft. Deshalb haben wir auch ein Interesse, wenn weniger Mittel eingesetzt werden. Es heisst bekanntlich Pflanzenschutzmittel, und es geht darum, unsere Pflanzen zu schützen und nicht unsere Gewässer zu verschmutzen. 

Was hätte es für Auswirkungen, wenn man die Mittel nicht mehr einsetzen würde?

Wir hätten bis zu 50 Prozent weniger Lebensmittel, die im Land produziert würden. Das heisst, wir importieren die Probleme. 

Was würde es bedeuten, wenn wir mehr importieren müssten? 

Wir wären wieder abhängiger von anderen Ländern. Wenn wir viel importieren müssen, sind wir erpressbar. Wenn die Landwirtschaft im Ausland nicht gut läuft, kann es zu Engpässen kommen. Deshalb bin ich dafür, dass möglichst viel im eigenen Land produziert wird, damit wir unsere Bevölkerung selbst versorgen können. Für die Unabhängigkeit und die Neutralität dieses Landes ist ein hoher Selbstversorgungsgrad unabdingbar. Mit jedem Kilo, das wir zusätzlich importieren müssen, sind wir abhängig von einem anderen Land. Natürlich kann man argumentieren, die Schweiz ist ein reiches Land, sie kann es sich leisten, Nahrungsmittel einzukaufen. Aber ob das richtig ist, den armen Ländern das Essen abzukaufen, nur weil wir uns das leisten können und die ökologischen Anforderungen so hoch sind, dass wir uns die Nahrungsmittel aus dem eigenen Land nicht mehr leisten können und mehr importieren müssen, ist für mich menschlich ausserordentlich fragwürdig.

Warum wurden diese beiden Initiativen lanciert?

Das ist politisch motiviert. Am liebsten hätten sie nur noch Brachen in der Schweiz. Dazu kommt die Bewegung, die nur noch vegane Nahrungsmittel haben will. Fleisch wird schlecht geredet. Man will die Menschen umerziehen, nur noch vegan zu essen, und greift tief in die Freiheit des einzelnen Menschen ein. Das hängt sicher alles zusammen. Es ist ein Frontalangriff gegen die Landwirtschaft, wie wir sie heute pflegen. Wir dürfen die Initiativen auf keinen Fall unterschätzen und müssen den Bürgerinnen und Bürgern genau erklären, was sie für Auswirkungen auf unsere Landwirtschaft haben. Denn am Schluss sind die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes die Leidtragenden.

Herr Nationalrat Dettling, vielen Dank für das Gespräch.

Interview Thomas Kaiser, Bern

Russland-China: Das von den Medien ignorierte Gipfeltreffen

von Manlio Dinucci, Global Research

Am 5. Juni fokussierten die Medienvertreter ihre Projektoren auf Präsident Trump und die europäischen Führer der Nato, die zum Jahrestag des D-Days in Portsmouth «Frieden, Freiheit und Demokratie in Europa» feierten und schworen, «diese jederzeit und überall zu verteidigen, wo sie bedroht sind». Der Hinweis auf Russland ist eindeutig.

Die grossen Medien haben das Treffen, das am selben Tag in Moskau zwischen den Präsidenten Russlands und Chinas stattfand, entweder ignoriert oder etwas sarkastisch in die zweite Reihe verbannt. Vladimir Putin und Xi Jinping haben bei ihrem dreissigsten Treffen in sechs Jahren auf rhetorische Konzepte verzichtet, aber eine Reihe von Fakten festgehalten.

Der Austausch zwischen den beiden Ländern, der im vergangenen Jahr über 100 Milliarden Dollar betrug, wird nun durch rund 30 neue chinesische Projekte für Investitionen in Russland, insbesondere im Energiesektor, in Höhe von insgesamt 22 Milliarden Dollar erweitert.

Russland ist zum grössten Ölexporteur nach China geworden und bereitet sich darauf vor, dies auch für Erdgas zu tun: Die grösste östliche Gaspipeline wird im Dezember eröffnet, gefolgt von einer weiteren aus Sibirien sowie zwei riesigen Standorten für den Export von Flüssiggas.

Der Plan der USA, Russland durch Sanktionen, die auch von der EU verhängt werden, zu isolieren, verbunden mit der Einstellung der russischen Energieexporte nach Europa, wird daher unbrauchbar gemacht.

Die russisch-chinesische Zusammenarbeit wird sich nicht auf den Energiesektor beschränken. In den Bereichen Luft- und Raumfahrt und anderen Hochtechnologiebereichen wurden gemeinsame Projekte gestartet. Die Kommunikationswege zwischen den beiden Ländern (Eisenbahn, Strasse, Fluss und See) werden stark ausgebaut. Auch der kulturelle Austausch und die Touristenströme nehmen rasant zu.

Es handelt sich um eine breit angelegte Zusammenarbeit, deren strategische Vision durch zwei am Ende der Sitzung angekündigte Beschlüsse zum Ausdruck kommt:

Die Unterzeichnung eines Regierungsabkommens zur Ausdehnung der Verwendung der nationalen Währungen (Rubel und Yuan) auf Handelsbörsen und Finanztransaktionen als Alternative zum noch dominanten Dollar;

die Intensivierung der Bemühungen um die Integration der von China geförderten Neuen Seidenstrasse und der von Russland geförderten Eurasischen Wirtschaftsunion (EAEU) mit dem Ziel, «in Zukunft eine grössere eurasische Partnerschaft aufzubauen.»

Dass dieses Ziel nicht nur wirtschaftlich ist, wird durch die am Ende des Treffens unterzeichnete «Gemeinsame Erklärung zur Stärkung der strategischen Stabilität der Welt» bestätigt. Russland und China teilen «identische oder einander sehr ähnliche Positionen», die de facto im Gegensatz zu denen der USA/Nato stehen, was Syrien, Iran, Venezuela und Nordkorea betrifft.

Sie sprechen eine Warnung aus: Der Rückzug der USA aus dem INF-Vertrag (mit dem Ziel, Mittelstreckenraketen in Russland und China einzusetzen) könnte das Wettrüsten beschleunigen und die Möglichkeit eines nuklearen Konflikts erhöhen. Sie verurteilen die Weigerung der USA, das vollständige Verbot von Atomtests zu unterstützen.

Sie halten es auch für «unverantwortlich», dass einige Staaten, obwohl sie den Nichtverbreitungsvertrag unterzeichnet haben, «gemeinsame atomare Missionen durchführen» und fordern, dass «alle ausserhalb ihrer Grenzen eingesetzten Kernwaffen in ihr jeweiliges Staatsgebiet zurückgeführt werden».

Dieser Antrag betrifft direkt Italien und andere europäische Länder, in denen die Vereinigten Staaten unter Verletzung des Nichtverbreitungsvertrags Kernwaffen stationiert haben, die von den Gastländern unter dem Kommando der USA eingesetzt werden können: Atombomben B-61, die ab 2020 durch die noch gefährlicheren B61-12 ersetzt werden.

Die grossen Medien haben darüber nichts verlauten lassen, waren aber am 5. Juni damit beschäftigt, die prächtige Garderobe zu beschreiben, die die First Lady Melania Trump für die Feierlichkeiten zum D-Day trug.

 

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Zeitschrift Il Manifesto. Pete Kimberley hat ihn aus dem Italienischen übersetzt. Der preisgekrönte Autor Manlio Dinucci ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Centre for Research on Globalization (CRG).

Iran am Pranger oder das Einmaleins der Propaganda

von Thomas Kaiser

Im August 1964 meldeten die amerikanischen Medien, dass es im Golf von Tonkin einen Angriff Nordvietnams auf ein amerikanisches Kriegsschiff gegeben habe. Als Reaktion darauf verabschiedete der amerikanische Kongress die sogenannte Tonkin-Resolution, die den US-Präsidenten Johnson autorisierte, offiziell in den Vietnamkrieg einzutreten. Die Folge war ein fast zehnjähriger Kriegseinsatz der USA in Vietnam, der mehreren Millionen Menschen das Leben kostete und das Land völlig zerstörte. Heute zweifelt niemand mehr daran, dass der Kriegsgrund ein Propagandatrick der USA war, um Krieg gegen das kommunistische Nordvietnam führen zu können. 

Im Februar 2003 präsentierte der US-Aussenminister Colin Powell «seine Beweise» dafür, dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen besitze und die Welt mit Atomwaffen bedrohen könnte. Der englische Premier Toni Blair blies ins gleiche Horn. Auch wenn sich die Beweislage auf sehr dünnem Eis bewegte, lief die US-amerikanische Kriegspropaganda auf Hochtouren, und es gab kaum Stimmen, die zur Vernunft mahnten. Frankreich und Deutschland sprachen sich damals gegen eine Kriegsbeteiligung aus, was zu einer Krise zwischen den USA und dem «alten» Europa führte. Im März 2003 begannen die USA mit der Allianz der Willigen einen Feldzug gegen den Irak und destabilisierten damit das Land und die gesamte Region bis heute, ganz abgesehen von den zahllosen Toten, die dieser Krieg gefordert hat. Diesem Angriff vorausgegangen war eine jahrlange Dämonisierung Saddam Husseins, ganz nach dem Einmaleins der Kriegspropaganda. Als dann die US-Geheimdienste von Beweisen über angebliche Massenvernichtungswaffen im Irak sprachen, war der Krieg besiegelt. Heute ist es unbestritten, dass das ganze Bedrohungsszenario auf einer Lüge basierte.

Man glaubt es kaum, aber die USA haben wohl erneut das Lehrbuch der Propaganda konsultiert, wenn es um den Iran geht. Seit Monaten ist das Land im Visier der US-Propaganda. Seit Donald Trump Präsident der USA ist, wird der Iran und seine politische Führung nach dem gleichen Strickmuster wie gegenüber dem Irak und Saddam Hussein dämonisiert und für alles Schlechte in der Welt verantwortlich gemacht. Die Kündigung des Atomabkommens und die verschärften Sanktionen gegen das Land gehören zu diesem Vorgehen. 

Trumps Berater, insbesondere der Neo-Konservative John Bolton, drängen schon länger auf ein militärisches Vorgehen, um die iranische Regierung zu stürzen. Doch ähnlich wie 2003 sind die Europäer mit dem Vorgehen der USA nicht einverstanden und verlangen eine Aufrechterhaltung des Abkommens und ein Ende der Sanktionen. 

Nachdem es im Golf von Oman in den letzten Wochen Attacken auf Frachtschiffe und Öltanker gegeben hat, gewinnt die Propagandawalze der USA an Fahrt. Der US-Aussenminister Mike Pompeo, beschuldigt den Iran, für diese Attacken verantwortlich zu sein. Dabei stütze er sich auf die Erkenntnisse der Geheimdienste. Dazu wird ein Video präsentiert, das alles und nichts aussagt. Beweise gibt es keine, das müssen sogar die Medien konstatieren, sondern nur wilde Spekulationen. Der Iran hat die Anschuldigungen in aller Deutlichkeit zurückgewiesen. 

Das Ganze dient natürlich dazu, die Stimmung weiter anzuheizen und die europäischen Zweifler von einem militärischen Vorgehen gegen den Iran zu überzeugen. So plump geht man vor. Jetzt ist es an der viel beschworenen internationalen Staatengemeinschaft, sich nicht von der Propaganda irreführen zu lassen und einen konstruktiven Weg aus der Krise zu beschreiten. Krieg darf nie das Mittel der Wahl sein.

«Gesellschaftliche Ächtung der Gewalt und des Krieges wäre ein entscheidender Schritt zur Weiterentwicklung der Menschheit»

von Andreas Kaiser

ISBN 978-3-549-10003-5
ISBN 978-3-549-10003-5

Vor vier Jahren machte Syriens Präsident Assad einen bemerkenswerten Vorstoss für eine Friedenslösung in Syrien und in der gesamten Region. Er schrieb unter anderem: «Wir sind bereit, Frieden mit all unseren Nachbarn zu schliessen. Von den Golfstaaten bis Israel. Und bereit, mitzuhelfen, dass es eine Aussöhnung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran gibt. Syrien könnte Freund beider Länder sein.» 

Es folgten einige konkrete Vorschläge für einen Friedensprozess, u. a. ein Angebot, mit allen oppositionellen Gruppen in und ausserhalb Syriens zu verhandeln. Das Schreiben endete mit dem folgenden Satz: «Ich bin willens und bereit, an jedem konstruktiven Gespräch, das unserem Land und unserer Region echten Frieden bringt, teilzunehmen.»

Das berichtet der engagierte Publizist Jürgen Todenhöfer in seinem neuesten Werk «Die grosse Heuchelei».1

Assad habe ihm dieses non-paper (inoffizielles diplomatisches Arbeitsinstrument) anvertraut, um es der deutschen Bundeskanzlerin Merkel, die er sich als Vermittlerin wünschte, zu überbringen. Merkel jedoch zeigte kein Interesse, und so wurde diese Chance auf einen beginnenden Friedensprozess in Syrien leichtfertig verspielt. 

Das ist nur eines der unzähligen Beispiele für die unglaubliche Heuchelei, die zum Markenzeichen der aggressiven Politik des Westens geworden ist und deren Folgen Millionen von Menschen das Leben kosten.

Jürgen Todenhöfer, seit Jahrzehnten im unermüdlichen Einsatz für den Frieden in der Welt, hat es zu seiner Aufgabe gemacht, furchtlos in Krisengebiete zu reisen und dabei auch das eigene Leben in Gefahr zu bringen, um der Welt die grausamen Folgen von Kriegen vor Augen zu führen. Meistens in Begleitung seines Sohnes Frederic versucht er, jeweils mit allen Konfliktparteien zu sprechen und sich ein genaues Bild der Situation zu machen. Sein Ziel ist dabei letzlich immer, den Kriegsverharmlosern, Kriegstreibern und Heuchlern «das Geschäft mit dem Tod zu erschweren» und «dem Krieg die Maske der Ehrbarkeit vom Gesicht [zu] reissen.» (S. 268) 

In seinem neuen Buch breitet der Autor in beeindruckender Vielfalt das Szenario aktueller Konflikte aus und legt dabei schonungslos das klägliche Versagen der westlichen Politik im Nahen und Mittleren Osten offen. Angefangen im Irak, über Gaza, Afghanistan, Jemen, Syrien und Myanmar wird der eklatante Widerspruch zwischen hehren Worten und der grausamen Realität offensichtlich.

Die grosse Heuchelei

Der Westen überzieht den Osten mit Krieg und rechtfertigt ihn mit dem Einsatz für Freiheit, Menschenrechte, Demokratie usw., kurz gesagt «für unsere Werte». Todenhöfer führt dem Leser diesen Widerspruch vor Augen und legt dar, dass es um etwas ganz anderes geht: «Hunderttausende Unschuldige wurden im Irak im Namen unserer ‹Werte› getötet. Zehntausende in Afghanistan. Es ging nie um Werte. Immer nur um Interessen.» (S. 31) Als Grund für diese Verschleierungstaktik macht er den öffentlichen Rechtfertigungsdruck in unseren demokratischen Republiken aus. Politiker wollen wiedergewählt werden und brauchen das Volk dafür: «Kriege konnte man gegenüber dem Volk viel leichter durchsetzen, wenn man ihm erzählte, es gehe um die Verteidigung seiner Freiheit oder um die Befreiung leidender Menschen. […] Es ist schwer, die Menschen in Deutschland von der Notwendigkeit eines Krieges gegen Afghanistan zu überzeugen, wenn man als Argument nur geostrategische Gründe vorlegen kann. Oder Bündnispflichten. Die Behauptung, man wolle afghanischen Mädchen helfen, endlich wieder eine Schule zu besuchen, ist da schon hilfreicher.» (S. 36f.)

Das systematische Benutzen von Euphemismen gehört auch zum Standardprogramm angewandter Propagandatechniken: «Politiker verwenden gerne schöne Worte für unschöne Dinge. Zivile Opfer höllischer Bombardements bezeichnen sie als ‹Kollateralschäden›, Massaker als ‹Befriedung›, Vertreibung als ‹Umsiedlung›. Manchmal verkleiden sie Gräueltaten auch in eine bewusst schwer verständliche Bürokratensprache: Die Verschleppung von Terrorverdächtigen in ausländische Foltergefängnisse nennen sie ‹ausserordentliche Auslieferung›. Heuchlerische Weltklasse ist auch die Umschreibung eines mörderischen Militäreinsatzes als ‹humanitäre Intervention›.» (S. 67)

Das alles ist ja nicht wirklich unbekannt, aber in dieser umfassenden Zusammenstellung beeindruckend und erschütternd. Und man möchte die klimabewegte Jugend fragen: Wo ist euer Protest dagegen? Wisst ihr, wieviel Umweltschäden eine einzige abgeworfene Bombe zur Folge hat?

Blick in die Geschichte

Auch die geschichtlichen Hintergründe behandelt Todenhöfer und zeigt detailliert auf, welch grossartige Leistungen wir dem arabisch-islamischen Osten zu verdanken haben, als Europa im tiefen Mittelalter steckte. Mit den Kreuzzügen versuchte das christliche Europa die östliche Konkurrenz auszuschalten, was nur mässigen Erfolg zeitigte. Erst mit dem Niedergang des Osmanischen Reiches und dem Einmarsch Napoleons in Ägypten war der Sieg des christlichen Westens manifest geworden. Dann wurde «die arabische Welt zum Spielball der Weltmächte. Sie wurde kolonisiert und versklavt. […] Für die Muslime begann eine Zeit der tiefen Demütigung und des Leidens. Sie dauert bis heute an.» (S. 104) Für das Verständnis der heutigen Lage im Nahen und Mittleren Osten ist dieses Wissen unerlässlich.

«Was tun?»

Das 20. Kapitel trägt diese Überschrift. Hier zeigt Todenhöfer, dass es sehr viele Möglichkeiten gibt, ein friedliches Zusammenleben aller Völker zu ermöglichen. Und es wäre gar nicht so schwierig. Die Grundlagen sind gelegt. Wir haben z. B. die Uno-Charta, die eindeutig formuliert: «Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so bei, dass der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden.

Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.» (Art. 2, Abs. 3 und 4) Wie wäre es, diese Bestimmungen tatsächlich umzusetzen? 

Eine weitere friedensfördernde Massnahme wäre, Waffenexporte in Krisen- und Kriegsgebiete unter Strafe zu stellen. (S.272) In Bezug auf den Mittleren Osten schlägt Todenhöfer dem Westen vor, auf alle militärischen Interventionen zu verzichten, mittelfristig alle Militärstützpunkte abzubauen und die Einrichtung einer «auf Dauer angelegten Friedens- und Sicherheitskonferenz» voranzutreiben. Und schliesslich: «Der Westen muss die muslimische Welt genauso fair behandeln, wie er Israel behandelt. Er muss die Diskriminierung der Muslime auch in den Ländern des Westens stoppen. […]» (S. 273) Hier gibt es also viel zu tun unter der attraktiven Perspektive, die der Menschheit hilft, endlich ihre Probleme ohne Kriege zu lösen. Die westlichen Länder sollten «darauf verzichten, anderen Kulturkreisen ihre Vorstellungen von einer gerechten Welt mit Bomben und Raketen einzubläuen». (S. 276)

In jeder Zeile, in jedem Satz spürt der Leser die Empörung über das unnötige grenzenlose Leid, das Kriege verursachen, und das sich Wehren gegen deren Verharmlosung. Dieses Buch gibt den Kriegsopfern, vor allem den Kindern und Jugendlichen, ein Gesicht; es ist eine Stimme der Vernunft und der Mitmenschlichkeit – dringend nötig in Zeiten anschwellenden Kriegsgeheuls und heftig geschlagener Kriegstrommeln – auf beiden Seiten, wie Jürgen Todenhöfer vermutlich sagen würde. 

¹ Jürgen Todenhöfer: Die grosse Heuchelei. Wie Politik und Medien unsere Werte verraten. Berlin 2019. ISBN 978-3-549-10003-5

 

«Wenn die Menschen des Westens die volle Wahrheit über die Kriege ihrer Regierungen erfahren würden, wären Kriege nicht mehr möglich. Genau deshalb sagt ihnen kein Politiker die Wahrheit. Genau deshalb schreibe ich meine Bücher.»

 

Wenn der Rahmen nicht passt

von Reinhard Koradi

Was machen vernünftige Menschen, wenn der Rahmen nicht passt? Werfen sie das einmalige und grossartige Kunstwerk ohne Rücksicht auf einschneidende Verluste einfach weg oder kaufen sie einen neuen Rahmen? Die Antwort dürfte wohl einheitlich ausfallen. Was im normalen Leben geradezu selbstverständlich ist, scheint jedoch im politischen Machtkampf um individuelle Vorteile für elitäre Minderheiten nicht zu gelten. Eine logische und der Vernunft folgende Lösung der für die Schweiz existenziellen Fragen rund um das Rahmenabkommen mit der Europäischen Union versinkt auf jeden Fall in einer unergründlichen Rätselhaftigkeit eines wohl beabsichtigten Versuchs, den Widerstand der breiten Bevölkerung gegen ein von der EU diktierten Unterwerfungsvertrag zu brechen. Das Spiel auf Zeit soll die Gegner des Rahmenabkommens ermüden und in die Leere laufen lassen. 

Den Gegnern die Teilnahme an der Meinungsbildung verweigern

Mit einer unglaublichen Arroganz wird den Gegnern des Rahmenabkommens der Zugang zu öffentlicher Meinungsbildung verwehrt. Veranstaltungen oder Veröffentlichungen, die sich gegenüber der Europäischen Union kritisch äussern, finden kaum Platz in den Mainstreammedien. Dagegen werden die Stimmen von Economiesuisse und Operation Libero unisono in die Öffentlichkeit hinausgetragen. So konnte man in den letzten Tagen überall lesen, dass die Wirtschaft ein Ja zum Rahmenabkommen will. Der Volkswille scheint dem Willen der Wirtschaft untergeordnet zu sein. Nicht weniger prominent sind die Drohungen und Warnungen seitens der EU an die Adresse der Schweiz in den Medien plaziert. Der Kampf um den «Share of voice» (Anteil an der Wahrnehmung der Argumentation zum Rahmenabkommen in der gesamten Bevölkerung) ist durch die geschlossenen Reihen der Medien für das Abkommen in einer Schieflage, die man getrost als Monopolisierung der Meinungsbildung verurteilen kann. In einer direkten Demokratie ist die Meinungsbildung auf Grundlage einer umfassenden, objektiven und ehrlichen Information dringend erforderlich. Kann dies der «freie Markt» nicht leisten, dann muss die Regierung, sprich Bundesrat, eingreifen und für ein entsprechendes Gleichgewicht sorgen. In der aktuellen Situation muss sowohl das Versagen des Bundesrates wie auch die verlorengegangene Meinungsvielfalt und Objektivität in den Massenmedien beklagt werden.

Der Rahmen steht über dem Kunstwerk

Bei dieser Konstellation gehen die zentralen und existenziellen Eigenschaften des staatspolitischen Kunstwerkes Schweiz unter. Wir müssten über die Schweiz und deren Bedeutung für Europa und die Weltgemeinschaft diskutieren. Die Einzigartigkeit unseres Staatsaufbaus (Föderalismus, Dezentralisierung mit der Gemeindeautonomie, dem Milizsystem und der Subsidiarität) sollte hervorgehoben werden. Unsere Werthaltungen, direkte Demokratie, die ­bewaffnete Neutralität, die uneingeschränkte Verteidigung unserer Unabhängigkeit und die Selbstbestimmung sowie die humanitäre Tradition müssten zwingend in die Auseinandersetzung rund um das Verhältnis der Schweiz zur EU einfliessen. 

Stellen wir das unverwechselbare Profil der Schweiz, das uns den unbezahlbaren immateriellen Reichtum garantiert und Grundlage für einen nicht zu überbietenden strategischen Wettbewerbsvorteil sowohl in staatspolitischer als auch in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht ist, ins Zentrum der Diskussionen um den Rahmen (-vertrag), dann fällt der Rahmen in sich selbst zusammen. 

Kein Rahmen, der die Schweiz in ihrer Einzigartigkeit einschränkt

In der Gestaltung der Beziehungen zur EU und anderen Drittländern hat die Schweiz ihre Prioritäten grundsätzlich in der Art zu verfolgen, dass unserem Staatsgefüge und den Werten, die das politische Leben innerhalb der Schweiz und gegenüber dem Ausland prägen – und damit unserer Einzigartigkeit –, kein Schaden zugefügt wird.

Mit Bezug auf das Rahmenabkommen fällt die Bilanz äusserst negativ aus. Der sogenannte Marktzugang durch einen Rahmen, in dem wir gefangen sein werden, wiegt den Verlust an Souveränität und Einzigartigkeit bei weitem nicht auf. Verzichten wir daher auf einen Rahmen oder wechseln wir ihn aus. Abstriche am Kunstwerk Schweiz lassen wir auf jeden Fall nicht zu. 

Wohin steuert die Schweiz, wenn sie das Rahmenabkommen mit der EU unterzeichnet?

von Judith Schlenker, Donaueschingen (D)

Dreihundert Jahre vor Christus warnte der Philosoph Platon, dass sich die Demokratie selbst auflöse durch eine gewisse Unersättlichkeit in der Freiheit, was letztlich in die Tyrannei führe. Heute warnen Politiker wie der frühere deutsche Aussenminister Sigmar Gabriel vor der Tyrannei ungehemmter Waren-, Dienstleistungs-, Finanz- und auch Migrationsströme, die nur einem Motto folgen: Öffnet die Grenzen. Heute müssten wir über die Grenzen der Öffnung sprechen: «Inzwischen zahlen wir die gewachsene äussere Liberalität der Globalisierung mit dem Verlust der inneren. […] Eigentlich aber geht es um die Rückgewinnung von Kontrolle: der Kontrolle des eigenen Staatsgebiets ebenso wie der Kontrolle eines aus den Fugen geratenen Finanzkapitalismus.» 

Und in Bezug auf die Schule warnt der Kölner Psychiater Dr. Michael Winterhoff vor der Tyrannei der Ideologie des «selbstbestimmten» Lernens und des Zurückdrängens der Lehrer zu Lernbegleitern. Unsere Kinder verdummen, denn «sie lernen in der Schule nicht nur weniger als früher – die Art des Lernens, die das Bildungssystem ihnen vorschreibt, hindert sie ausserdem an der Entwicklung ihrer emotionalen und sozialen Psyche.» Und später versagen sie auf dem Arbeitsmarkt. 

Der Durchschnittsbürger beobachtet dies alles – und noch viele andere Dinge mehr – mit grosser Sorge und sieht, dass die Politik oft nicht in der Lage ist, adäquat mit den ernsten Bedrohungen unseres demokratischen Gemeinwesens umzugehen. Nicht wenige wenden sich daher den populistischen Parteien zu, manchmal aus purem Protest gegen «die da oben», die einfach machen, was sie wollen oder was man ihnen von anderer Seite vorschreibt. Viele Menschen stört diese Entwicklung weg von der Souveränität des Nationalstaats hin zur «Tyrannei» durch eine übergeordnete Grösse, sei dies im Bereich der Wirtschaft die Finanzoligarchie, im Bereich der Gesetzgebung die EU oder im Bereich der Bildung die OECD. 

Direkte Demokratie

Neidvoll schielen dabei viele Deutsche auf die südlichen Nachbarn, die Schweiz, in der das Volk sich als der Souverän versteht und durch das System der direkten Demokratie direkten Einfluss auf politische Entscheidungen hat. Nicht zuletzt aufgrund dieser Mitbestimmungsmöglichkeiten gehören die Schweizer zu den zufriedensten Menschen. 

Mit Schrecken muss ich als Deutsche, die gerne das Schweizer System der direkten Demokratie bei uns einführen würde, feststellen, dass die Schweiz auf dem besten Wege ist, sich mittels des Rahmenabkommens ihrer Souveränität zu entledigen und dem Diktat der EU zu beugen. Der Impuls für das Rahmenabkommen kam unverständlicherweise auch vo n der Schweiz aus. Die EU übt seitdem – insbesondere im Bereich der Umsetzung von Binnenmarktrecht der EU – Druck auf die Schweiz aus: Das Binnenmarktrecht würde in der Schweiz zu schleppend und bisweilen gar nicht umgesetzt, lautet die Klage. Inzwischen stellt der Ministerrat, das Gremium der EU-Mitgliedsstaaten, sogar die Aktualisierung bestehender Verträge in Frage, solange es kein Rahmenabkommen gibt. 

Drohender Souveränitätsverlust

Nun liegt das Rahmenabkommen auf dem Tisch. Fatalerweise enthält der Entwurf einige kritische Punkte, die die Souveränität der Schweiz wesentlich einschränken. Die Schweiz wäre gezwungen, EU-Recht zu übernehmen und im Streitfall hätte der Europäische Gerichtshof (EuGH) das Sagen. Hier würden also fremde Richter über Schweizer Recht entscheiden. Um den Marktzugang zu sichern, müssen die Abkommen immer an neues EU-Recht angepasst werden. Falls die Stimmbürger eine solche Regelung ablehnen, würde ein paritätisch besetztes Schiedsgericht über den Streitfall entscheiden, gestützt auf die Auslegung des EuGH. Die EU als der grössere Partner könnte mit reiner Machtpolitik der Schweiz alles aufoktroyieren – falls die Schweiz das EU-Recht nicht umsetzt, kann die EU Ausgleichsmassnahmen ergreifen, die bis zur Suspendierung der Abkommen gehen können (Guillotineklausel). Das bedeutet nichts anderes als die Aufgabe der Schweizer Souveränität, so wie die EU-Staaten in vielerlei Hinsicht nicht mehr souverän sind. Es gibt beispielsweise in Deutschland keinen Politikbereich mehr, der nicht von EU-Recht beeinflusst ist. Und das ist bei weitem nicht der einzige strittige Punkt beim Rahmenabkommen. Sowohl der Lohnschutz, der in der Schweiz sehr viel besser ist als in vielen EU-Ländern, als auch die Unionsbürgerrichtlinie und ihre Übernahme gehören dazu. Staatliche Beihilfen in Form von Subventionen, Steuervergünstigungen oder Staatsgarantien sind laut Rahmenvertrag im Grundsatz verboten. Hat dabei einer an die kleinräumige Schweizer Landwirtschaft gedacht, die mit den riesigen Agrarkonzernen in der EU überhaupt nicht konkurrieren können? 

Schweizer Unabhängigkeit und Souveränität bewahren

Angesichts der strittigen Punkte sei es fast sicher, dass das Rahmenabkommen eine Volksabstimmung nach sich ziehe, wies Bundesrat Ignazio Cassis den (noch) Präsidenten der EU, Jean-Claude Juncker, in einem Brief hin. Das ist auch gut so, und man kann nur hoffen, dass die Schweiz sich ihre Unabhängigkeit und das Volk sich seine Souveränität bewahrt. 

Natürlich ist die Schweiz durch ihre Exporte eng mit der EU verbunden. Dafür sind Handelsverträge wichtig und richtig. Aber dafür Alleinstellungsmerkmale wie die direkte Demokratie, die Volkssouveränität und die Unabhängigkeit sowie die hohen Standards freiwillig aufzugeben, hiesse, das, was die Schweiz ausmacht, zu verlieren. Diejenigen, denen das Schweizer Modell ein Vorbild ist, könnten das nicht nachvollziehen. 

Rahmenvertrag – zentrale Frage bleibt die Erhaltung der staatlichen Souveränität

von Thomas Kaiser

Es ist schon erstaunlich, dass nach der Entscheidung des Bundesrates, den Rahmenvertrag grundsätzlich zu akzeptieren, wenn in drei Punkten «Klärungen» erreicht würden, bei fast allen Parteien eine mehrheitlich positive Stimmung gegenüber diesem Vertragswerk herrscht. Bei den drei Punkten handelt es sich um den Lohnschutz, die Unionsbürgerrichtlinie und staatliche Beihilfen. Ausgeklammert bleibt der ganze Aspekt der sogenannten dynamischen Rechtsübernahme und die damit verbundene Frage der staatlichen Souveränität. 

Auch wenn die Einrichtung eines Schiedsgerichts den Anschein erweckt, es gebe in der Übernahme von EU-Recht für unser Land einen Spielraum, entspricht das nicht den tatsächlichen Verhältnissen, denn es ist offenkundig und wurde auch so kommuniziert: Die Urteile des Europäische Gerichtshofs (EuGH) sind keine Empfehlungen, sondern besitzen Rechtsgültigkeit. Damit ist der EuGH die letzte Instanz, die entscheidet. 

Was das bedeutet, wurde in einem Beitrag von Radio SRF im Sendegefäss «International» vom 4. Mai aufgerollt. Zur Sprache kamen die Kompetenzen des EuGH. Es wurde berichtet, welche Macht dieser Gerichtshof besitzt und dass seine Rechtsprechung jeweils über der nationalen Rechtsprechung steht. Damit greift der EuGH mit seinen Urteilen direkt in die Souveränität der einzelnen Nationalstaaten ein ohne demokratische Legitimation und bricht nationales Recht. Genau das hat auch die Schweiz zu erwarten, wenn sie den Vertrag unterschreibt.

Der EuGH hebelt bei seiner Rechtsprechung nationales Recht aus

Interessant ist, dass in der aktuellen Diskussion dieser Aspekt völlig ausgeklammert wird. Einzig die SVP sträubt sich gegen diesen Mechanismus der dynamischen Rechtsübernahme, was nichts anderes bedeutet als «unwidersprochene» Übernahme, und lehnt daher den Rahmenvertrag grundsätzlich ab. 

Tatsächlich stellt sich die Frage, inwieweit der EuGH die Rechtsprechung der Schweiz aushebelt. Damit sind grundlegende Aspekte der staatlichen Souveränität angesprochen, die unter diesen Umständen massiv eingeschränkt werden könnte, und zwar in allen Bereichen, die dem Rahmenabkommen unterliegen – und diese sind letztlich nicht eindeutig definiert. So ist zum Beispiel völlig offen, was mit dem Freihandelsverträgen geschieht, die die Schweiz 1972 mit der Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) abgeschlossen hat, und die heute noch in Kraft sind. 

Für die EU ist die Macht des EuGH inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden. Was in der Anfangsphase der sogenannten europäischen Integration noch auf Widerstand stiess, bereitet erst seit kurzer Zeit bei einigen Staaten (vor allem osteuropäischen), die in der jüngeren Vergangenheit Mitglieder der EU geworden sind, Unmut. Wie diese Staaten und ihre Regierungen unter Druck gesetzt werden, ist sattsam bekannt. Die Beispiele für die Macht des EuGH, die in erwähnter Radiosendung beschrieben wurden, sind krass. Sie lassen keinen Zweifel daran, dass der EuGH bei seiner Rechtsprechung nationales Recht aushebelt, wenn es im Widerspruch zum EU-Recht steht. 

Ohne Einschränkungen europaweit Gewinne generieren

Die Frage der staatlichen Souveränität und die Kompetenzen, die man supranationalen Institutionen zugesteht, beschäftigen die Staaten seit dem Beginn der europäischen Integration nach dem Zweiten Weltkrieg. Am Anfang war es für die Vertragspartner unvorstellbar, staatliche Kompetenzen an eine überstaatliche Behörde zu delegieren. Aber der von der USA forcierte Plan, hatte die Schaffung der «Vereinigten Staaten von Europa» als Ziel. Das sollte den Konzernen ermöglichen, ohne Einschränkungen europaweit Gewinne zu generieren. Die staatliche Souveränität, besonders ausgedrückt durch die nationale Rechtsprechung, würde bei diesem Plan sukzessive verschwinden. 

Anfänglich war Frankreich, besonders unter der Regierung Charles de Gaulle, nicht damit einverstanden, immer mehr Kompetenzen an supranationale Institutionen abzutreten und damit auf die eigene Souveränität zu verzichten. Das führte sogar dazu, dass Frankreich Anfang der 60er Jahre den Sitzungen der EWG fernblieb. De Gaulle sprach denn auch von einem Europa der Vaterländer, was sich insbesondere auf den Erhalt der Souveränität bezog. 

Die Bedeutung der staatlichen Souveränität

Die Bedeutung der staatlichen Souveränität wird im aktuellen Kontext völlig marginalisiert, dabei ist sie die zentrale Frage. Insbesondere die Schweiz, und damit ihre Bevölkerung mit ihren einmaligen Volksrechten wird von der Einschränkung der Souveränität besonders tangiert.

Die Bedeutung der staatlichen Souveränität geht auf den Westfälischen Frieden 1648 zurück, der das Ende des fürchterlichen 30jährigen Krieges besiegelte, in dem die Bevölkerung Mitteleuropas um rund ein Drittel reduziert wurde. In der Folge des Friedens bildeten sich in den nächsten zweihundert Jahren die Nationalstaaten in Europa. 

In einer Welt, in der man die Menschen nur noch als günstige Arbeitskräfte betrachtet, die man auf dem gesamten Globus herumjagen kann, in der der freie Kapitalverkehr existiert und in der die übernationalen Konzerne nicht mehr durch Grenzen am grossen Geschäft behindert werden wollen, ist der Nationalstaat zum Störfaktor geworden. Deshalb soll er möglichst schnell und leise verschwinden. Das sind die Kräfte, die nach dem Zweiten Weltkrieg die europäische Integration vorangetrieben haben. Schon 1958, mit der Ratifizierung der Römischen Verträge, wird dieses Ziel formuliert. Ob das gelingen wird, hängt von den Menschen in der EU ab. Die Schweizer Bevölkerung hat zum Glück die Möglichkeit, einen Riegel zu schieben, und wenn es so weit sein sollte, den Rahmenvertrag in einem Referendum abzulehnen, damit sie weiterhin das Leben und die Gesetze frei, also souverän im eigenen Land gestalten kann. 

Wertschöpfung mit Kleinwiederkäuern auf den Bündner Alpen

Die Ziege – oft auch die Kuh des armen Mannes genannt – ist enorm wichtig für unsere Alpen im Kanton Graubünden. Doch woher kommt dieser Ausdruck?

von Stefan Geissmann, Berater Kleinwiederkäuer, Plantahof*

Die Ziegenhaltung ist nichts Neues, und doch bleibt dieses Sprichwort hartnäckig im Umlauf. Wenn wir 100 Jahre zurückschauen, waren viele Leute noch Selbstbewirtschafter, verfügten über wenig Boden, und nur wenige Familien konnten sich eine Kuh leisten. Etwas Platz und Futter für eine Ziege waren bei den meisten Familien vorhanden. Die Milch und das Fleisch der Ziege waren überlebenswichtig und waren in den Familien sehr willkommen. Nach den Kriegsjahren veränderte sich die Landwirtschaft, und die Ziege verlor an Bedeutung, da unterdessen Kuhmilch im Laden eingekauft werden konnte. Die Ziegenbestände gingen bis in die 90er Jahre zurück, worauf eingefleischte Ziegenzüchter die Situation erkannten und Gegenmassnahmen einleiteten.

Ziegenalpen sind eher eine neuzeitliche Erscheinung. Es gibt heute drei verschiedene Systeme. Das System der Dorfwanderherde bzw. das System von «Heidi und Geissenpeter» wird nur noch in wenigen Dörfern in Graubünden umgesetzt. Am Morgen werden die Ziegen jeweils vom Ziegenhirten im Dorf gesammelt, und dieser führt die Ziegen Richtung Alpweiden, wo sie den Tag verbringen. Am Abend bringt er die Ziegen pünktlich ins Dorf zurück, wo sie dem Besitzer zurückgegeben und im Heimstall gemolken werden. Die Milch wird privat oder in einer Gemeinschaftssennerei verarbeitet und vermarktet.

Ziegen auf der Alp (Bild roho)

Ziegen auf der Alp (Bild roho)

Ein weiteres System sind Ziegenalpen, bei welchen die Ziegen auf die Alp gebracht werden und dort durch Fremdpersonal betreut und gemolken werden. Die Ziegen bleiben mindestens 100 Tage auf der Alp. Die Milch wird täglich ins Dorf gebracht und in der Dorfsennerei verarbeitet. Die Vermarktung der Produkte erfolgt ebenfalls über die Sennerei.

Das «neuste» System kommt den Kuhalpen am nächsten. Die Ziegen werden auf die Alp getrieben, bleiben dort ebenfalls mindestens 100 Tage, werden durch Fremdpersonal betreut, und die Milch wird direkt auf der Alp verarbeitet. Diese Alpen sind in der Regel durch Genossenschaften organisiert. Das Abrechnungssystem ist sehr unterschiedlich, und so wird auf gewissen Alpen der Käse durch die Alpgenossenschaft verkauft oder geht an den Bestösser zurück, welcher diesen direkt vermarktet. Leider sind Ziegenalpen oft schwer zugänglich und die Gebäude oft einfach eingerichtet. In den vergangenen Jahren wurde aber einiges unternommen um die Situation zu verändern. Die teilweise schwierige finanzielle Situation der Genossenschaften erschwert die Projekte, und die Investitionen sind genau zu prüfen.

Doch der Ziegenkäse, ob von der Alp oder aus einer Dorfkäserei, wird immer beliebter. Die Qualität von der Milch bis hin zur Verarbeitung ist in den vergangenen Jahren in vielen Punkten verbessert worden. Der Ziegenkäse gehört einer Nische an und wird es auch bleiben. Doch dies macht es interessant. Aus Ziegenmilch können ganz verschiedene Produkte hergestellt werden, wie Frischkäse mit unterschiedlichen Geschmacksrichtungen, Ziger und Halbhartkäse mit unterschiedlichen Reifegraden.

Neben den hervorragenden Produkten von Ziegenkäse pflegt die Ziege auch die Landschaft. Nicht nur das Gras wird beweidet, es wird auch die Verbuschung zurückgedrängt. Hier macht die Ziege einen besonders wertvollen Job.

Schafe sind wiederum auf das Abweiden von schwierig zugänglichen Flächen wie spezialisiert. Sie weiden sauberer, und die Schnitthöhe des Grases ist tiefer als bei der Ziege. Mit dem Abweiden dieser Flächen kann vor Lawinenniedergängen geschützt werden.

Eine Alpung ohne Schafe ist nicht vorstellbar. An den steilen Hängen funktionieren sie wie Rasenmäher und können das Gras optimal vewerten. Mit dem Alplammprojekt kann ein besonders gutes Fleisch dem Konsumenten angeboten werden. Diese Tiere verbringen den Sommer auf der Alp und werden anschliessend der Schlachtbank zugeführt. Somit ist gewährleistet, dass die Alpen gepflegt werden und daraus ein besonders gutes Stück Fleisch produziert wird: Naturnah, regional und schmackhaft. Im Kanton Graubünden gibt es nur wenige Milchschafalpen. Die Bewirtschaftung erfolgt durch Private.

Bei allen Tieren braucht es zur Milchproduktion eine Geburt. Die Gitzi und Lämmer sollen auf keinen Fall ein schlecht verwendbares «Nebenprodukt» sein. Damit der Kreislauf geschlossen wird, müssen neben den Milchprodukten auch die Fleischprodukte konsumiert werden. Dies liegt in der Kraft der Natur. Der Absatz von Ziegenfleisch steckt noch in den Kinderschuhen. Neben dem bekannten Ostergitzi, werden schon seit einigen Jahren auch Herbstgitzi angeboten. Diese Gitzi werden im Frühling geboren und im Sommer gealpt. Im Herbst werden sie wie das Lamm dem Konsumenten angeboten. Das Fleisch ist sehr fettarm und geschmacksneutral.

Quelle: montagna 6/2019

* Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion montagna. Der Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift montagna 6/2019.

Toni Rüttimann, El Suizo, der Schweizer Brückenbauer

von Kaspar Widmer

Es ist ganz still im Schulzimmer: 60 Schülerinnen und Schüler mit ihren Lehrerinnen und Lehrern lauschen gebannt den Ausführungen von Toni Rüttimann. Einmal im Jahr kommt er in die Schweiz, und bei dieser Gelegenheit hält er Vorträge und besucht Schulen, um von seiner Arbeit zu erzählen. Er berichtet in seiner bescheidenen Art von seiner Tätigkeit in Ländern Südamerikas und Asiens. Er baut Brücken für die Armen, damit sie keine gefährlichen Flüsse mehr durchqueren müssen, um zu Schulen, zu Märkten und in Spitäler zu gelangen. 

Toni Rüttimann (Bild wikimedia.org)

Toni Rüttimann (Bild wikimedia.org)

 

 

Für die Armen Brücken bauen

Über 700 Brücken hat er in diesen Ländern schon gebaut – und das ohne eine Firma, ohne grosse Geldgeber – nur in gemeinsamer Arbeit mit Dorfbewohnern und Freunden, die er in den vergangenen 32 Jahren auf der ganzen Welt gewonnen hat. Er besitzt kein Zuhause, sein Eigentum besteht aus zwei Taschen; in der einen sind seine wenigen Kleider, in der anderen sein Laptop. Die Kinder sind fasziniert. Schüler, die nicht aufpassen, gibt es an diesem Morgen keine. Nach seinem Vortrag stellen die Schülerinnen und Schüler spontan eine Unzahl von Fragen, viele geben zum Ausdruck, wie beeindruckt und wie berührt sie sind und dass sie auch einmal eine so sinnvolle Tätigkeit machen wollen. Toni Rüttimann hat ihnen in seiner mitmenschlichen Art verständlich gemacht, dass es nichts Schöneres im Leben gibt, als anderen zu helfen. Dafür lebt er: Reichtum, Besitz, Ruhm und Publizität sagen ihm nichts. 

Toni Rüttimann wuchs in Pontresina im Engadin auf, und er wollte Ingenieur werden. Als er mit 19 Jahren nach seiner Matura von einem schweren Erdbeben in Ecuador erfuhr, sammelte er spontan alle seine Ersparnisse zusammen und flog gegen den Willen seiner Eltern in dieses südamerikanische Land, um zu helfen. Als er am hochgehenden Rio Aguarico stand und sah, dass die Menschen nicht wussten, wie sie den Fluss überqueren konnten, fasste er den Entschluss, in Zukunft für die Armen Brücken zu bauen. Mit einem holländischen Ingenieur vor Ort baute er mit seinem Geld die erste Brücke. Nach seinem Einsatz kehrte er in die Schweiz zurück und begann sein Ingenieurstudium. Er brach es aber nach wenigen Wochen ab. Er wollte nicht in einem reichen Land einmal als Ingenieur tätig sein, sondern sein Leben in den Dienst der Armen auf dieser Welt stellen. Er kehrte nach Südamerika zurück, um weitere Brücken zu bauen. Auf einem Lagerplatz entdeckte er ausrangiertes Bohrgestänge einer Erdölfirma, das nicht mehr gebraucht wurde. Mit zähem Verhandeln konnte er die Firma überzeugen, ihm diese Stahlrohre für den Bau seiner zukünftigen Hängebrücken zu überlassen. Ebenso die Drahtseile, an denen die Seile mit den Planken für die Brücken befestigt wurden. Er bekam sie von Schweizer Seilbahnen, die ihm ihre ausgedienten Stahlseile für seine Seilbrücken kostenlos übergaben. Auf diese Weise bekommt er heute alles Material, das er für den Bau braucht. 

Alle Dorfbewohner helfen bei der Errichtung der Brücke

Nicht nur in Südamerika, wo man ihn El Suizo, den Schweizer, nennt, sondern mehr und mehr auch in Asien baut er seine Brücken. Dabei geht er in abgelegene Gebiete und spricht mit den Dorfverantwortlichen, wenn er sieht, dass die Bewohner und vor allem die Kinder gefährliche Umwege oder Flussüberquerungen machen müssen, um in Kontakt mit der Umgebung zu bleiben. Alles, was er von den Dorfbewohnern verlangt, sind ein Sack Zement und ihre Mithilfe beim Schleppen von Seilen, Bodenplatten und Pylonen. Die hohen Träger der Seile werden meist in einem Meereshafen von einer Truppe zusammengeschweisst und dann mit den Seilen zusammen in mühsamer Transportarbeit in die entlegensten Winkel der entsprechenden Länder gebracht. Das Errichten der Brücke ist eine gemeinsame Arbeit aller Dorfbewohner. Toni Rüttimann koordiniert den Einsatz und packt selber beim Bau der Brücke an. Für das Fundament der Pfeiler braucht er den Zement, für das Aufrichten und das Heranschleppen der Seile die Hilfe aller. 

Brücke Tamansari, Jember, Jawa Timu (Indonesische Provinz auf der Insel Java) (Bild wikimedia.org)

Brücke Tamansari, Jember, Jawa Timu (Indonesische Provinz auf der Insel Java) (Bild wikimedia.org)

 

Zäher Durchhaltewillen

Den Grundbauplan seiner Brücken hat Toni Rüttimann bis ins letzte Detail selber entworfen und alles in seinem Computer gespeichert. Diese systematische Arbeit machte er während einer langen Krankheitsphase in Thailand. Er hatte sich infiziert und war danach vollkommen gelähmt. Er gab nicht auf. Zwei Jahre lang arbeitete er Schritt für Schritt an der Wiedererlangung seiner Bewegungsfähigkeit. Jedes Fingerglied, seine Hände, seine Unterarme, seine Oberarme und seine Zehen, Füsse und Beine mussten in harter Kleinarbeit wieder bewegungsfähig gemacht werden. In dieser Zeit entwickelte er sein Brückenprogramm im Computer, zuerst nur mit einem Stift im Mund, mit dem er die Tasten bediente, später mit einem Finger, dann mit zweien,  bis er nach zwei Jahren schliesslich wieder gehen konnte. Wie nebenbei hatte er dabei auch noch die thailändische Sprache gelernt und sein Programm entwickelt, das ihm bis heute als Grundlage für den Bau seiner Brücken dient. 

In letzter Zeit hat Toni Rüttimann vor allem in Myanmar Brücken gebaut. Wie schon erwähnt sind es bereits über 700 Brücken. Wenn die Dorfbewohner jeweils das Aufrichtefest feiern, ist Toni Rüttimann bereits unterwegs zu seinem nächsten Projekt. Mittlerweile kann er gar nicht mehr überall sein, wo seine Brücken gebaut werden, so begehrt ist seine Arbeit in diesen armen Ländern. Unterdessen hat Toni Rüttimann eine thailändische Lehrerin geheiratet. An seinem Hochzeitstag, am 31. März 2018, wurde seine 777. Brücke in einer Provinz Myanmars eingeweiht.

Brücke – Hoffnung und
Fortschritt

«Nicht ich baue die Brücken, sondern die Menschen gemeinsam mit mir. Es ist schwere Arbeit. Doch in diesen Momenten ist eine Brücke mehr als nur ein Bau: Sie ist Hoffnung und Fortschritt… Glücklich sehe ich, dass die Sprache der Brücken auch keine Grenzen kennt.»

In der Gemeinschaft helfen und für andere dasein

In einer Welt, in der scheinbar nur Geld, Ansehen, Kleider, Wohlstandssymbole wie Autos und Schmuck, wirtschaftlicher Erfolg und eine unersättliche Gier nach mehr Profit zählen, ist es für uns Erwachsene und die Kinder eine Wohltat, auf einen Menschen zu treffen, der etwas ganz anderes verkörpert. Er verkörpert Bescheidenheit und zeigt seinen Zuhörern, dass wahres Glück darin besteht, in der Gemeinschaft zu helfen und für andere da zu sein. Für seine Hilfe bekommt Toni Rüttimann tausendfachen Dank und Echo aus der ganzen Welt. Er will den Dank aber gar nicht; die Hilfe, die er gibt und die Genugtuung, anderen Menschen das Leben erleichtert zu haben, ist ihm Dank genug. 

Dorfbewohnerinnen in Laos beim Schleppen von Stahlplatten (Bild wikimedia.org)

Dorfbewohnerinnen in Laos beim Schleppen von Stahlplatten (Bild wikimedia.org)

 

Die Reaktion der Kinder auf seinen Vortrag spricht Bände: Spontan verbanden sie sich mit ihm und wollten auch so wirken. Toni Rüttimann hat sie gefühlsmässig angesprochen und ihr natürliches, mitmenschliches Gefühl geweckt, das jedem Menschen innewohnt. Das zeigt, dass die Jugend immer ansprechbar für solche Themen ist, und das Erlebte sollte uns im Mut bestärken, in den Schulen solche Themen anzusprechen und wertemässige Grundlagen zu legen. 

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