«USA haben Abkommen mit Iran rechtswidrig gebrochen»

US-Sanktionen gegen E3-Staaten angedroht

Interview mit dem Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko, Deutschland

Andrej Hunko, MdB, DIE LINKE (Bild thk)
Andrej Hunko, MdB, DIE LINKE (Bild thk)

Zeitgeschehen im Fokus Wie ist der Anschlag auf Kassem Soleimani einzuordnen?

Bundestagsabgeordneter Andrej Hunko Das Jahr hat mit einem Paukenschlag begonnen, und zwar mit der Ermordung von Soleimani. Und völlig unabhängig davon, wie man die Person beurteilt, gibt es in der Geschichte keinen Präzedenzfall, bei dem ein ranghoher Vertreter eines Staates – und man sagt, Soleimani sei der zweithöchste im Staate gewesen – offen auf internationaler Bühne ermordet wurde.

Gab es aber nicht schon immer die Tendenz, unliebsame Herrscher loszuwerden?

Ja, es gab zum Beispiel mehrere Versuche, Fidel Castro umzubringen, was alles dokumentiert ist. Aber selbst im Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg ist mir kein Fall bekannt, bei dem ein hochrangiger Vertreter, der in einer diplomatischen Mission unterwegs war, praktisch hingerichtet wurde. Und Trump hat lapidar gesagt, «den habe ich umgebracht.»

Was bedeutet das?

Hierbei kann es nicht nur um den Vorgang selbst gehen, sondern es stellt sich die Frage, was das für neue Massstäbe setzt. Dass dieser Vorgang klar völkerrechtswidrig ist, haben wir auch vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestags bestätigt bekommen. Das ist völlig unstrittig.

Was könnte sich daraus jetzt entwickeln?

Das spielt sich auf zwei Ebenen ab. Es führt zu Spannungen in der Region, die sich noch weiter verschärfen können, sowie zu einer Erosion des Völkerrechts.

Die direkte Folge war natürlich eine Eskalationsangst: Wie werden die Iraner darauf reagieren? Stehen wir tatsächlich vor einem heissen Krieg mit dem Iran? Doch wir müssen feststellen, so zynisch es vielleicht klingen mag, es war erst einmal eine deeskalierende Reaktion. Es gab den Beschuss der Luftwaffenbasis im Irak durch den Iran mit Vorankündigung, ohne dass es Tote gab. Auch wenn es natürlich eine militärische Reaktion war, blieb sie im Kontext eher eine gesichtswahrende. 

Die nachfolgende Rede von Trump …

auch eher eine Deeskalationsreaktion, auch wenn dadurch die grundsätzliche Auseinandersetzung noch nicht abgeschlossen ist.

Wie ist in diesem Zusammenhang der Abschuss des ukrainischen Flugzeuges zu verstehen?

Der Iran hat offiziell eingestanden, dass es ein irrtümlicher Beschuss durch ihn selbst war. Das ist eine furchtbare Sache, weil ganz viele Zivilisten ums Leben gekommen sind. Aber wir müssen das richtig einordnen, denn letztlich ist das die Folge einer militärisch eskalierten Situation. Es zeigt auch, wie schnell Fehler passieren können und welche verheerenden Auswirkungen diese haben. Mit Krieg darf man nicht spielen…

Wie ist die Position der Bundesregierung in bezug auf die Ereignisse?

Es gab keine klare Verurteilung der Ermordung von Soleimani. Auch wurde diese nicht als völkerrechtswidrig benannt und nicht in der Klarheit und Konsequenz thematisiert, wie es notwendig gewesen wäre. Aber das irakische Parlament hat den Beschluss gefällt, alle ausländischen Truppen ausser Landes zu schicken.

Welche Länder betrifft das?

Das sind vor allem US-Truppen, betrifft aber auch deutsche Truppen. Deutschland ist daran beteiligt. Wir hatten im Bundestag immer die Debatte, und unsere Partei hat diesen Einsatz jeweils abgelehnt, der mit dem Kampf gegen den IS begründet wurde. Das ist ein Kriegseinsatz, und man kann sehr schnell in dieser Kriegssituation gefangen sein. Unsere Partei fordert den vollständigen Rückzug der deutschen Soldaten. Die Bundesregierung hat das bis jetzt nicht gemacht, obwohl das irakische Parlament den Beschluss gefasst hat.

Mit welcher Begründung befolgt die Bundesregierung den Beschluss des irakischen Parlaments nicht?

Sie argumentiert, die irakische Regierung sei erst geschäftsführend im Amt gewesen und noch sei es nicht ganz klar, wie sie sich am Ende entscheide. Man führt Gespräche – auch die USA tun dies – mit der irakischen Regierung und möchte von ihr eine Zustimmung für die Präsenz ausländischer  Truppen dort.

Dazu kommt, dass wir sowohl im Iran als auch im Irak Zeugen grosser Protestbewegungen sind. Die sind von ihren Impulsen her nachvollziehbar. Die Schwierigkeit besteht darin, die Eskalation zurückzufahren, ohne die Bewegung zu delegitimieren. Man sollte die Proteste nicht nur der geopolitischen Lage unterordnen.

Häufig werden aber diese Bewegungen von aussen befeuert.

Das Problem dieser Bewegungen ist, dass sie für das geopolitische Spiel als Regime-Change-Akteure instrumentalisiert werden, so wie zum Beispiel in Syrien. Gefahr ist, dass man die Bewegung nicht richtig einschätzt, wenn man nur die Verhinderung einer Eskalation im Auge hat. Die Forderungen dieser Menschen sind durchaus legitim. Man sollte sie nicht einfach als 5. Kolonne der USA auffassen. Es gibt auch die Proteste im Libanon, und wir müssen aufpassen, dass wir diese Proteste nicht delegitimieren. Auf der anderen Seite muss ganz klar sein, dass die Politik der Konfrontation, der Zuspitzung, der Kriegsgelüste die Situation eigentlich nur noch verschlimmert.

Ich möchte nochmals auf die deutsche Bundesregierung zurückkommen, die doch unmissverständlich den Iran kritisiert, weil er sukzessive aus dem Atomabkommen aussteigen will, und nicht die USA, die dieses Abkommen aufgekündigt haben.

Es handelt sich um das Atomabkommen mit dem Iran, das auch von Deutschland, Frankreich und Grossbritannien (E3), China, Russ­land und den USA unterzeichnet wurde. Das war ein grosser Fortschritt mit permanenten Kontrollen im Iran durch die Atombehörde mit Sitz in Wien. Im Gegenzug sollte es zur schrittweisen Aufhebung der Sanktionen gegen den Iran kommen. Dieses Abkommen haben die USA rechtswidrig gekündigt. Die E3 sowie Russland und China sagten, sie wollten daran festhalten.

Wie haben die USA darauf reagiert?

Sie akzeptieren das nicht. Jeder, der mit dem Iran Geschäfte macht, wird sanktioniert. Das ist die neue Tendenz in der internationalen Politik, dass immer mehr extraterritoriale Sanktionen Einzug halten. Dazu gehört unter anderem Nord Stream 2. Das ist auch ein Projekt, das die USA mit Sanktionen belegen.

Das wird von den Ländern akzeptiert?

Die E3 haben – das hätten sie zusammen mit China und Russland machen sollen – eine Organisation gegründet mit dem Namen «Instex», um ein eigenes Zahlungssystem zu entwickeln, das Geschäfte mit Iran ermöglicht, und bei dem die USA den Hahn nicht zudrehen können.

Ist das erfolgreich?

Tatsächlich ist keine einzige Abwicklung über dieses System gelaufen. Es gab in dem halben Jahr, seit das System existiert, bereits drei Vorsitzende, die schnell ausgewechselt wurden. Einer der Vorsitzenden war ein deutscher Diplomat, der ein ausgezeichneter Kenner der Region war. Die Bildzeitung hat gegen ihn eine Kampagne gestartet, weil er einem alternativen Medium in Deutschland ein Interview gegeben hat. Das war der einzige Vorwurf, am nächsten Tag hat das Auswärtige Amt ihn entlassen. Das ist unfassbar, denn die Politik in Deutschland wird inzwischen von der Boulevardpresse bestimmt. «Instex» wäre eine sinnvolle Möglichkeit, aber anscheinend fehlt der politische Wille und die Bereitschaft, einen Konflikt mit den USA zu riskieren.

Wie geht der Iran damit um?

Das Abkommen existiert mit den E3-Staaten, China und Russ­land weiter. Der Iran sagt aber: «Wenn sich die Situation nicht ändert, werden wir beginnen, schrittweise die Anreicherung zu erhöhen. Dass wir bestimmte Punkte des Abkommens verletzen, das machen wir bewusst, denn wir wollen, dass sich alle Seiten daran halten, was das Beenden der Sanktionen angeht.» So will er Druck aufbauen.

Wie reagieren die übrigen Staaten darauf?

Die E3 haben nun begonnen, den Streitschlichtungsmechanismus zu aktivieren, der am Ende zur Kündigung des Abkommens führen kann und wahrscheinlich auch wird. Wir, die Abgeordneten des Auswärtigen Ausschusses, haben das in einer Sitzung Anfang Jahr erfahren, als Aussenminister Heiko Maas dort darüber berichtet hat.

Wie haben die Abgeordneten im Ausschuss darauf reagiert?

Es gab grösste Bedenken, dass damit alles gestorben sei und dass dies nichts bringen würde. Heiko Maas beruhigte uns, dass nichts dergleichen geschehen werde. Wenige Tage später erfahren wir, dass die USA massgeblich Sanktionen gegen die E3-Staaten in Form von Strafzöllen in der Höhe von 25 % auf Autoimporten angedroht haben. Zwar hat die Bundesregierung einen Zusammenhang ausgeschlossen, aber es ist ganz offensichtlich, dass die USA die E3-Staaten erpresst haben, diesen Mechanismus auszulösen, damit es zum Bruch des Abkommens kommt. Die Folge wird eine weitere Polarisierung mit dem Iran sein. Den USA kann es im gewissen Sinne egal sein, aber wir sind sozusagen in der Nachbarschaft des Iran. Alles, was dort passiert, wird sich auch auf uns auswirken, wie wir es zum Beispiel in Syrien bei der Flüchtlingskrise erlebt haben.

Sind sich die drei europäischen Staaten in bezug auf das Abkommen mit Iran einig und bieten den USA die Stirn?

Es ist schon unglaublich, wie willfährig hier die europäischen Nationen reagieren. Besonders auch die deutsche Bundesregierung. Bei den Briten erstaunt die Haltung nicht, die Franzosen sind hier noch etwas anders. In der
Iran-Frage wäre es wichtig gewesen, dass die drei europäischen Staaten mit China und Russland kooperieren. Die fünf Staaten wären stark genug gewesen, um ein Zahlungssystem zu entwickeln, das ermöglicht, die Verpflichtungen der anderen Seite, nämlich die Aufhebung der Sanktionen, durchzusetzen. Aber dazu fehlt wohl der politische Wille.

Herr Bundestagsabgeordneter Hunko, vielen Dank für das Gespräch.

Interview Thomas Kaiser, Strassburg

Verschachert Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga die Schweiz an die EU?

zif. Man glaubt es kaum, was am Morgen des 7. Februar in Radio SRF zu vernehmen war. Das Ganze wirkt wie ein Schmierentheater. 

Die Schweizer Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga macht am WEF einen Deal mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die Kommissionspräsidentin verspricht auf Sommarugas Bitten hin, vor der Abstimmung zur Begrenzungsinitiative keinen öffentlichen Druck auf die Schweiz in Bezug auf das Rahmenabkommen auszuüben. Damit will Sommaruga verhindern, dass die Schweizer Bürgerinnen und Bürger das wahre Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU durchschauen und möglicherweise der Initiative zur Annahme verhelfen. Der Plan von Frau Sommaruga wird nun durchkreuzt. Letztlich deckt Frau von der Leyen den schmutzigen Deal selbst auf. 

Ans Tageslicht kam dieser Vorgang, weil Frau von der Leyen die Unterredung mit Simonetta Sommaruga protokolliert und die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten via Protokoll über den Inhalt der Besprechung informiert hat. Das Protokoll liegt Radio SRF vor. Darin wird auch deutlich, dass es für die EU keine Nachverhandlungen über das Rahmenabkommen gibt. Das heisst, die Schweiz liefert sich in wesentlichen Punkten der EU-Rechtsprechung aus. Etwas, was der Bundesrat immer relativiert hat.

Ist eine Bundesrätin, die mit Hilfe des Auslands Abstimmungsergebnisse beeinflussen will, in unserer Landesregierung tragbar?

Quelle: https://www.srf.ch/news/schweiz/rahmenabkommen-mit-bruessel-eu-erhoeht-den-druck-auf-bundesbern

Kaum Lügen, aber die hohe Kunst der Verkürzung

von Dr. phil. Helmut Scheben*

Die Nachrichtensendung des ZDF demonstriert, wie man mit wirkungsvoller Montage von Bild und Text falsche Informationen verbreitet. Die ZDF-Sendung «heute» am 28. Dezember um 19 Uhr: Die Moderatorin kündigt schlechte Nachrichten aus Idlib an. In der syrischen Provinz seien allein in den letzten zwei Wochen nach Uno-Angaben 235 000 Menschen auf der Flucht. Der türkische Präsident Erdogan warne daher «vor einer neuen Migrationswelle Richtung Europa».

Damit ist schon mal im ersten Satz ein Akzent gesetzt, nämlich die stets wirksame Assoziation «Flüchtlings-Tsunami»: Sie sind auf dem Weg Richtung Europa. Der bewährte Aufreger erweist sich als perfektes Trampolin für das, was folgt, nämlich die unmittelbare Schuldzuweisung. Die Moderatorin belehrt uns, wem wir das alles zu verdanken haben:

«Die Provinz im Nordwesten Syriens gilt als letzte grosse Rebellenhochburg im Land. Hier sollten eigentlich seit Monaten die Waffen ruhen, aber die Vereinbarung ist längst gebrochen. Die syrischen Regierungstruppen fliegen (hier macht die Moderatorin eine winzige Kunstpause und hebt dann die Stimme) mit russischer Unterstützung Luftangriffe und zwingen die Menschen zur Flucht.»

Noch Fragen? Sicher keine, denn hier scheint alles klar, schon bevor die Bilder des Beitrags zu laufen beginnen. Was bei mir – und bei einem deutschsprachigen Millionenpublikum – hängen bleibt, ist die simple Information: Die syrische Armee und die russische Luftwaffe treiben die Menschen in die Flucht. Da schiessen russische Kampfbomber auf Frauen und Kinder. Und das ist der Krieg in Idlib.

Genau dies ist ganz offensichtlich der Aussagewunsch in diesem Beitrag, und mehr Erklärung halten die Autoren, wie sich in der Folge herausstellt, nicht für notwendig. Falls der Zuschauer erwartet hatte, er erfahre, wie es zu dieser Offensive der syrischen Regierung gekommen ist, oder welche Rolle diese Aufständischen spielen, die in der Moderation als «Rebellen» bezeichnet werden, so hat er zu viel erwartet. Die rund 20 000 Kombattanten der verschiedenen Extremistengruppen der Terrororganisation Hai’at Tahrir asch-Scham, gegen welche die syrische Armee mit russischer Hilfe vorgeht, tauchen im ZDF-Beitrag nicht auf. Sie haben sich in Luft aufgelöst. Dass sie nach übereinstimmenden Aussagen zahlreicher Beobachter die ausgehandelte Waffenruhe mit brutalen Angriffen gebrochen haben, wird nicht erwähnt. Stattdessen wird das Gegenteil angedeutet: «Die Waffenruhe wurde gebrochen. Die syrische Armee und die russische Luftwaffe fliegen Angriffe.»

Die unmittelbare Aufeinanderfolge dieser beiden Sätze in der Moderation legt einen Kausalzusammenhang nahe. Wer hat die Waffenruhe gebrochen? Die syrische Regierung und die Armee, so wird hier suggeriert, denn «sie fliegen Angriffe». Und diese Suggestion ist eine krasse Falschinformation.

So kann man durch Andeutungen und geschickte Auslassungen Fakes produzieren. Die Kunst besteht darin, die Sache so zu arrangieren, dass man hinterher stets sagen kann: Im Text steht das nicht. Das haben wir so nicht gesagt.

Es ist nichts so fein gesponnen…

Wenn ein Bankraub misslungen ist, kann es vorkommen, dass die Bankräuber sich gegenseitig beschuldigen und auspacken. Ähnliches gilt für die Politik. Im September und Oktober 2017 sagte Hamad bin Jassim Al Thani, der ehemalige Premierminister und Aussenminister von Katar, in mehreren TV-Interviews, Katar und Saudi-Arabien hätten zusammen mit den USA den Angriff auf Syrien geplant und durchgeführt: «Alles lief über die Türkei», sagte der Scheich im staatlichen Fernsehen des Emirats (nicht auf «Al Jazeera»), «in Koordination mit den USA, den Türken und unseren saudischen Brüdern, alle waren über ihr Militär daran beteiligt.»¹

Al Thani nahm kein Blatt vor den Mund. Er selbst sei im Frühling 2011 nach Damaskus gereist und habe Assad 15 Milliarden Dollar angeboten, wenn er sich vom Iran distanziere. Da Assad ablehnte, habe man zusammen mit den Saudis die geplante Intervention in Syrien eingeleitet. Syrien sei «die Beute» gewesen, auf die es mehr als 60 Länder unter Führung der USA abgesehen hatten: die sogenannte Gruppe der Freunde des syrischen Volkes. «Katar und Saudi-Arabien waren verantwortlich für die Finanzierung und Bewaffnung», erklärte Al Thani. Die arabische Liga habe sich mit Propaganda begnügt. Den syrischen Medien wurde z. B. der Zugang zu Arabsat und anderen Satelliten gesperrt. «Al Jazeera» lieferte die gewünschte Propaganda, um die syrische Regierung zu diskreditieren. Eine Reihe von Journalisten verliess daraufhin aus Protest den Sender.²

Allein die katarische Herrscherfamilie Al Thani habe mehrere Milliarden Dollar ausgegeben, um den Aufstand zu finanzieren, sagte der Scheich. Deserteure der syrischen Armee seien mit hohen Summen belohnt worden. Mancher Kommandant der Milizen sei steinreich geworden mit den Dollars aus den Golfmonarchien. In Syrien wurden Syrer dafür bezahlt, auf andere Syrer zu schiessen.

In einem Interview mit der BBC beschreibt Al Thani in Details, wie die militärischen Operationen, der Nachschub und die gesamte Logistik in Jordanien und auf dem türkischen Nato-Stützpunkt Incirlik koordiniert wurden. Er erklärt, wie die Geheimdienste der USA, Frankreichs, Grossbritanniens, der Türkei und Jordaniens zusammenarbeiteten, und vieles mehr.

Die Medien «unterschlagen, verdrehen und verfälschen»

Im kommenden Frühjahr wird der Krieg in Syrien ins neunte Jahr gehen. Selbst wenn die islamistischen Gotteskrieger aus Idlib vertrieben werden, steht zu erwarten, dass einige Konfliktherde weiter schwelen oder von interessierten Mächten am Brennen gehalten werden. Die USA haben schon angekündigt, sie wollten die syrischen Erdölfelder im Nordosten «mit zusätzlichen militärischen Mitteln schützen». Die Vorstellung, jeder könne sich ein Stück Syrien einpacken, scheint also nach acht Kriegsjahren immer noch virulent. Die USA und ihre Nato-Verbündeten haben es seit Kriegsbeginn auf meisterhafte Weise geschafft, viele Tatsachen auf den Kopf zu stellen. Sie haben in der öffentlichen Meinung im Westen weitgehend die Wahrnehmung durchsetzen können, dass Baschar al-Assad und Russland die Hauptschuld an diesem Krieg trügen und ihn angezettelt hätten. Die führenden westlichen Medien haben in dieser Commedia dell'Arte eine fatale Rolle gespielt. Zur Erinnerung: Russland griff erst Ende 2015 auf das Hilfsersuchen der syrischen Regierung ein. Da war der Krieg bereits fünf Jahre im Gange. Aber Logik und Fakten waren unseren Leitartiklern häufig fremd. Man verbreitete mit Fleiss die These, Putin habe in Syrien einen Krieg vom Zaun gebrochen, um sich als «Player auf der Weltbühne» Geltung zu verschaffen.

Ulrich Tilgner, langjähriger Korrespondent für das ZDF, sagte in einem Interview, in deutschen Medien werde «das Scheitern des Westens im Mittleren Osten schöngeredet». Unser Mediensystem sei ein geschlossener Kreislauf, in dem die Journalisten die Adressaten symbolischer Politik seien, wobei «die Wahrheit auf der Strecke bleibt». Das Ganze sei aber komplizierter als weithin angenommen: «Die Medien lügen nicht – sie verkürzen, unterschlagen, verdrehen und verfälschen. Auf das Wort Lügenpresse reagiere ich allergisch. Denn es unterstellt einen bewussten Akt. Genau dies gibt es in den Medien aber ausgesprochen selten. Vielmehr haben die dort Beschäftigten ihre eigene Wahrnehmung einer immer komplexer werdenden Wirklichkeit, von der sie Ausschnitte zeigen. Sie übernehmen die Positionen der offiziellen Politik oder ihrer Arbeitgeber. Um Widersprüche zu vermeiden, greifen sie zum Mittel der Verkürzung – nicht zuletzt, weil sie glauben, dass diese Verkürzung dem Publikum das Verständnis erleichtere.»³

Die Bildmontage als wirksamste Ideologie-Maschine

Dass in dem Syrien-Beitrag des ZDF vom 28. Dezember die Tatsachen «verkürzt, unterschlagen, verdreht und verfälscht» wurden, steht ausser Frage. Und im Ergebnis spielt es keine Rolle, ob die Verzerrung bewusst, halbbewusst, unbewusst oder intentional erfolgte. Dabei unterstützte eine perfekte Bildmontage die Darstellung weit wirkungsvoller als viele Worte. Schon während der Moderation wurde vom Bild einer schweren Detonation übergangslos auf einen Flüchtlingskonvoi geschnitten. Bei Beginn des Beitrags wird das Gleiche repetiert, um nicht zu sagen eingehämmert. Da ist ein syrischer Panzer zu sehen, der vorbeifährt, ein Mann auf dem Panzer hebt die Hand zum Victory-Zeichen und dann ein Schnitt: ein Flüchtlingscamp und Kinder, die davonlaufen. Dieser Bildlogik zufolge fährt der syrische Panzer direkt ins Flüchtlingslager. Er verfolgt die Flüchtlinge, er greift sie an, was auf der Tonspur untermauert wird: «Die syrische Armee soll schon Dutzende Orte erobert haben. Ihr Ziel: Idlib, die letzte Rebellenhochburg. Ihre Opfer: Zivilisten.»

Die humanitäre Not, die die Kämpfe zweifellos mit sich bringen, wird ausgiebig dargestellt. Zehntausende seien auf der Flucht Richtung türkische Grenze, diese sei jedoch geschlossen, die Lager überfüllt. Bei Temperaturen nahe null Grad und Dauerregen bieten die Zelte nur wenig Schutz. Eine Frau: «Das Wasser läuft ins Zelt, die Kinder sind krank, wir konnten die ganze Nacht nicht schlafen.» Hilfsorganisationen klagten über eine humanitäre Katastrophe, lautet der Kommentar. Und stellt die rhetorische Frage: «Internationale Hilfe? Fehlanzeige.» Um dies zu belegen, wird der Zuschauer in einem abrupten Transport nach Istanbul versetzt, wo ein gewisser Mohamed, der aus Syrien geflohen sei, die Frage stellt: «Wo ist Amerika? Wo ist Deutschland? Es geht nicht, dass nur die Türkei hilft.»

Die Regierung in Ankara unterstütze nämlich die Regime-Gegner, werden wir vom Kommentar aufgeklärt. Und bei dem Wort «Regime-Gegner» zeigt uns der Film – um es polemisch zu sagen – nicht etwa schwarzvermummte Kombattanten des Islamischen Staates oder öffentliche Kopfabtrennungen, sondern die Nahaufnahme von Mohameds Kaffeemaschine. Der Syrien-Beitrag endet also, wie zu erwarten war, mit dem kaum verhohlenen politischen Aufruf, die USA und Deutschland müssten «handeln». Man hat den Eindruck, der Autor könne sich nur mühsam des Statements enthalten, es gelte nun, Assad und die Russen endlich an die Kandare zu nehmen.

Da wiederholt sich das Aleppo-Syndrom. Jedes Mal, wenn die vom Westen und den Golfmonarchien finanzierten und bewaffneten «Rebellen» vor einer Niederlage stehen, erhebt sich ein grosses Lamento und die Warnung vor einer humanitären Katastrophe. Als dieselben «Rebellen» Syrien von Assad-Anhängern «säuberten» und Zehntausende Alawiten und Christen verfolgten, führte dies zu viel weniger Schlagzeilen und Schuldzuweisungen. Wie auch die mehr als 200 000 gefallenen und verstümmelten syrischen Soldaten, die ihr Land gegen die Aufständischen verteidigt haben, in unseren Medien keine Helfer-Empathie auslösten. Wenn sie und ihre Familien denn jemals einer Erwähnung wert waren. Die vom Westen finanzierten «Weisshelme» berichteten fast nur von Regime-Opfern.

Der Journalist Uwe Krüger erforscht seit langem den Einfluss von Elite-Netzwerken, Machthierarchien und PR-Agenturen auf unsere Medien. Er sagt: «Journalisten sind keine Puppenspieler, keine fremdgesteuerten Marionetten.» Aber sie folgen laut Krüger in der Themen-Agenda und bei der Rahmung dieser Themen oft den Vorgaben der Politikelite, und bei geopolitischen Konflikten heisst das Narrativ: Wir sind die Guten.

Wie ist das möglich?

Wie ist es möglich, dass in einem Land mit mehr als 80 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern manipulierte Fernsehbeiträge wie jener vom 28. Dezember 2019, in einem der grössten TV-Sender mit einer Selbstverständlichkeit ausgestrahlt werden? Uwe Krüger sagt: «Man kann diese selektive Wahrnehmung mit westlicher Sozialisation und kognitiven Prägungen aus dem Kalten Krieg erklären oder mit der Einbindung leitender Journalisten in transatlantische Netzwerke und die dort ablaufenden Diskurse. Oder damit, dass die Journalisten einfach der PR beziehungsweise Propaganda der eigenen Eliten auf den Leim gehen (…) Aber für mich steht fest: Es gibt diese Einseitigkeiten, blinden Flecken und doppelten Standards, woher auch immer sie nun rühren.»⁴

Uwe Krüger deckte in seiner Dissertation mit dem Titel «Meinungsmacht» auf, dass Politik, Wirtschaft und Leitmedien in gewissem Mass eine «geschlossene Gesellschaft» bilden. Er erstellte eine Namensliste von deutschen Journalisten in leitender Funktion, die Mitglieder in internationalen Institutionen waren, welche die Interessen der USA verfolgten. Die Publikation schlug ein wie eine Bombe. Da erübrigt es sich beinah zu erwähnen, dass dort Claus Kleber, Moderator und Ausland-Chef der ZDF-Nachrichtensendung «heute» als prominentes Mitglied in der Nato-nahen Stiftung Atlantik-Brücke und im US-Aspen-Institut auftauchte.

Quelle: www.infosperber.ch/Medien/Kaum-Lugen-aber-die-hohe-Kunst-der-Verkurzung

* Helmut Scheben studierte Romanistik. 1980 promovierte er zum Dr. phil. an der Universität Bonn. Von 1980 bis 1985 war er als Presseagentur-Reporter und Korrespondent für Printmedien in Mexiko und Zentralamerika tätig. Ab 1986 war er Redaktor der Wochenzeitung (WoZ) in Zürich, von 1993 bis 2012 Redaktor und Reporter beim Schweizer Fernsehen SRF, davon 16 Jahre bei der Tagesschau.

¹ vgl. Michel Raimbaud: Les Guerres de Syrie. Paris 2019, S.158 ff.

² vgl. z. B. Aktham Suliman: Krieg und Chaos in Nahost. Frankfurt/M. 2017

³ Jens Wernicke: Lügen die Medien? Frankfurt/M. 2017, S.70

⁴ ebd. S.129

Ein Plädoyer für die Einhaltung des Völkerrechts, für Dialog und Frieden

Zur Aktualität des neusten Buchs von Michail Gorbatschow

von Thomas Kaiser

Zu Beginn des 3. Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts stellt sich eine Frage dringender denn je: Wie können laufende Kriege beendet und neue verhindert werden? Wie kommt die Menschheit dazu, ihre eigenen Grundsätze – festgehalten in der Uno-Charta und in unzähligen internationalenVerträgen und Pakten – zu respektieren? Doch ist die Frage nach Krieg und Frieden aktuell von der Umweltdiskussion völlig zu Unrecht ins Abseits gedrängt worden.

Das Engagement für die Umwelt in Ehren, aber nirgends wird die Umwelt und die Natur stärker zerstört als im Krieg. Und das ist nicht erst der Fall, seit die USA zwei Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abwarfen oder das toxische Entlaubungsmittel Agent-Orange in Vietnam grossflächig versprühten, was bis heute enorme Schäden an Menschen und Umwelt verursacht. Auch nicht erst seit dem Einsatz moderner bunker- und panzerbrechender Waffen mit Sprengköpfen aus abgereichertem Uran (depleted uranium, DU), was im Irak, in Afghanistan oder Serbien zur Zerstörung weiter Flächen geführt hat. Nein, wer sich der Bilder aus dem ersten Weltkrieg erinnert und die zerschossenen Wälder und zerbombten Landschaften vor Augen hat, der weiss, dass der Krieg neben Bergen von Toten immer auch verheerende Auswirkungen auf die Umwelt hat. Damit muss das Engagement für unseren Planeten in erster Linie ein Engagement für den Frieden, für die friedliche Lösung von Konflikten sein.

Diese Auffassung vertritt kein geringerer als der ehemalige Generalsekretär der kommunistischen Partei und Ex-Staatschef der Sowjetunion, Michail Gorbatschow. In seinem 2019 erschienenen Buch «Was jetzt auf dem Spiel steht – Mein Aufruf für Frieden und Freiheit» gibt er einen Einblick in seine Denkweise, seine immense Erfahrung auf dem politischen Parkett und zeigt sein beharrliches Bestreben, dem Frieden zu dienen.

Dialog mit dem Westen

Kaum ein Mensch hat im Nachkriegseuropa so tiefe Spuren hinterlassen wie Michail Gorbatschow. Ihm ist letztlich das Ende des Kalten Krieges und somit das Ende der Ost-West-Konfrontation, des Wettrüstens und die Wiedervereinigung Deutschlands zu verdanken. Das Vertrauen des Westens – und er wurde schwer attackiert, ehe man seinen friedlichen Absichten Vertrauen schenkte – gewann er durch seine atomaren Abrüstungsinitiativen. Noch 1986 rückte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin «Newsweek» Michail Gorbatschow in die Nähe von Hitlers Propagandaminister, Joseph Goebbels. Trotz dieser ungeheuerlichen Rhetorik seitens des Westens blieb er seinem Ziel treu, den Ost-West-Konflikt friedlich zu beenden.

Seine Politik zeichnete sich durch einen beharrlichen Kampf für Abrüstung und die Intensivierung des Dialogs mit dem Westen aus. Bis heute bleibt er ein Mahner gegen den Krieg, und es ist ermutigend, dass es Menschen seines Formates gibt, die sich trotz stattlichem Alter weiterhin für den Frieden einsetzen und davon überzeugt sind, dass Frieden zwischen Menschen möglich ist, und zwar nicht erst morgen.

«USA wollen die Weltpolitik dominieren»

Als besonnener Beobachter der politischen Entwicklung rückt er einseitige Informationen, wie sie uns zuhauf von den Mainstreammedien serviert werden, ins rechte Licht. «Die Vereinigten Staaten wollen die Weltpolitik dominieren, indem sie sich auf ihre militärische Überlegenheit stützen – dies ist der Eindruck, wenn man die aktuellen Ereignisse betrachtet. Die USA wollen dabei die Vereinten Nationen und den Sicherheitsrat an den Rand drängen und durch eine militärische Allianz ersetzen, die nicht nur ihr eigenes Territorium erweitert, sondern auch danach strebt, ihren ‹Verantwortungsbereich› aufzunehmen – überall auf der Welt.» (S. 13)

Erhellend sind auch seine weiteren Ausführungen, in denen er die Ausdehnung der Nato nach Osten als eine «schwere Erschütterung für das gegenseitige Vertrauen» beschreibt, worauf Russland keine Antwort habe finden können. 

An vielen Stellen im Buch spürt man seine Sorge um die Zukunft der Menschheit. Bei den heutigen Waffenarsenalen, insbesondere den Atomwaffen, ist die weitere Existenz der Menschheit aufs stärkste bedroht.

Die Pariser Charta von 1990, die ein friedliches Zusammenleben in Europa zum Ziel hat, ist in den Augen Gorbatschows der richtige Ansatz für eine friedliche Kooperation der Völker gewesen. Am Ende der Charta steht das, was es zur friedlichen Lösung von Konflikten braucht, vor allem den politischen Willen: «Wir beschliessen, Mechanismen zur Verhütung und Lösung von Konflikten zwischen Teilnehmerstaaten zu schaffen. (…) Wir werden nicht nur nach wirksamen Wegen suchen, um mögliche Konflikte mit politischen Mitteln zu verhindern, sondern im Einklang mit dem Völkerrecht auch geeignete Mechanismen zur friedlichen Beilegung etwaiger Streitigkeiten festlegen.» (S. 20)

Sicherheit für alle

Doch die grosse Chance, nach dem Ende des Wettrüstens zu einer friedlicheren Welt zu kommen, wurde vertan und bis heute auch nicht wieder aufgegriffen. Zwar hat der amtierende Präsident Russ­lands, Wladimir Putin, immer wieder Versuche gestartet, um zu einem Dialog zu kommen, stiess jedoch auf geringes Interesse. An der Münchner Sicherheitskonferenz im Jahre 2007 machte er auf die Gefahren einer monopolaren Welt aufmerksam, die längerfristig Reaktionen der anderen Länder hervorrufen würden: «Die Dominanz des Faktors Gewalt löst in einer Reihe von Ländern den Drang nach dem Besitz von Massenvernichtungswaffen aus. Mehr noch, es erschienen ganz neue Bedrohungen, die zwar früher schon bekannt waren, aber heute globalen Charakter annehmen wie der Terrorismus.»¹ Putin, der mit seiner Initiative für eine globale Sicherheitsarchitektur beim Westen auf kein positives Echo gestossen war, thematisierte dieses Ziel 2015 erneut vor der Uno: «Verehrte Kollegen, eine Schlüsselaufgabe der internationalen Gemeinschaft mit der Uno an der Spitze bleibt die Gewährleistung des Friedens, der regionalen und der globalen Sicherheit. Wir glauben, dass von der Schaffung eines Sicherheitsraums gesprochen werden muss, der gleich und ungeteilt ist, der Sicherheit nicht nur für Auserwählte, sondern für alle bietet.»² Putins Bestrebungen, ein gemeinsames globales Sicherheitssystem zu errichten, wurden nicht aufgegriffen. Erst in den letzten Wochen scheint zumindest in Teilen Europas langsam ein Umdenken zu beginnen.

Abrüstung von Atomwaffen

Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts war das Bemühen um den globalen Frieden entschiedener, als wir es heute feststellen können. Jüngstes Ereignis einer beispiellosen Überheblichkeit und des Bruchs aller völkerrechtlicher Normen ist der von Präsident Trump angeordnete Drohnenanschlag auf den Kommandanten der iranischen Al Quds-Brigaden. Es bleibt zu hoffen, dass sich daraus kein Flächenbrand ergibt, der die ganze Region in ein noch grösseres Chaos stürzen würde und massive Auswirkungen auf den Weltfrieden hätte.

Begegnungen, die Michail Gorbatschow Ende der 80er Jahre mit dem damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan und Aussenminister George Schultz hatte, zeugten im Gegensatz zu heute von dem Konsens, der zwischen den Politikern trotz völlig unterschiedlicher politischer Systeme herrschte. So schreibt er: «Trotz aller Meinungsunterschiede und der Schärfe mancher Debatte mit Ronald Reagan oder Aussenminister Schultz waren wir uns einig, dass das Wettrüsten mit Atomwaffen nicht nur gestoppt, sondern vielmehr ins Gegenteil verkehrt werden musste.» (S. 20)

Zu dieser Kultur des Dialogs müssen die USA und Russland wieder zurückfinden. «Die einzig sinnvolle Lösung sind Verhandlungen. Es muss alles getan werden, damit die gegenseitigen Anschuldigungen, die kriegerische Rhetorik und das Wettrüsten aufhören und ein ernsthafter Dialog beginnt.» (S. 29)

Michail Gorbatschow bezeichnet Russland und die USA als die zentralen Staaten, die in den Friedensbemühungen vorangehen müssten, und sieht in Gesprächen die Chance einer weltweiten Verbesserung: «Wenn Russland und die Vereinigten Staaten sich erneut an den Verhandlungstisch setzen, wird sich auch die Stimmung insgesamt verbessern.» (S. 37)

Völkerrecht muss für alle Staaten verbindlich gelten

Einen wichtigen Beitrag zu mehr Frieden birgt laut Michail Gorbatschow die Beachtung der internationalen Regeln. «In der Weltpolitik müssen Moral, Ethik und bestimmte Verhaltensregeln fest verankert sein. […] Die internationalen Beziehungen dürfen nicht nach dem Prinzip des Faustrechts gestaltet werden, nach nur pragmatischen Erwägungen, ohne Berücksichtigung der historischen, kulturellen Faktoren und – ich wiederhole mich – ohne Moral. Das ist eine der wichtigsten Lektionen der vergangenen Jahrzehnte.» (S. 88f) Damit spricht er einen Aspekt an, der international von Bedeutung ist. Als der ehemalige Präsident George W. Bush den Krieg gegen den Terror begann, wurde bereits das Völkerrecht mit Füssen getreten. Es sei daran erinnert, dass der «demokratische» Präsident der USA, Bill Clinton, bereits unter Bruch aller völkerrechtlichen Bestimmungen 1999 den Krieg gegen Serbien begonnen und das Land «zurück in die Steinzeit» gebombt hatte. Damals warnten verschiedene Grössen aus Politik und Militär, selbst US-Hardliner wie Henry Kissinger3, dass dies zu einer Schwächung des internationalen Rechts führen wird, wenn das Recht des Stärkeren, also das Faustrecht gilt. Heute können wir in verschiedenen Regionen der Welt die faulen Früchte dieser Saat ernten. Aktuelle Entwicklungen in Lateinamerika und im Nahen Osten sind konkrete Beispiele.

Soll der Frieden unter den Menschen erhalten bleiben, braucht es eine verstärkte Hinwendung zum Völkerrecht und eine Abkehr von Kriegsrhetorik und -praktik. In vielen Konflikten sehen wir die Handschrift der USA, die für sich in Anspruch nehmen, ihre Interessen überall auf der Welt durchzusetzen, wenn nötig auch mit Waffengewalt. Was sich aus dieser Strategie ergeben hat, können wir in zahlreichen Dauerkonflikten erkennen, in denen die USA oder ihre Verbündeten, direkt eingegriffen haben wie in Afghanistan, ­Libyen, Syrien, im Jemen und nicht zuletzt im Irak.

Als Michail Gorbatschow durch seine Wahl zum Generalsekretär der KPdSU in der politischen Verantwortung stand, befand sich die UdSSR mitten im Krieg gegen den Widerstand in Afghanistan. Im August 1989 hat er den letzten Soldaten aus dem Kriegsgebiet abgezogen und damit das Töten beendet. Seine Schlussfolgerung aus diesem blutigen Ereignis könnte deutlicher nicht sein:

«Die Differenzen zwischen den Staaten dürfen einzig und allein mit friedlichen Mitteln beigelegt werden, mit Hilfe von Dialog und Verhandlungen. Wenn wir weiter die früheren Methoden zur Lösung internationaler Konflikte anwenden – Krieg, Eroberung, das Prinzip sich Vorteile auf Kosten anderer zu erschaffen –, so erwächst daraus eine tödliche Gefahr für alle.» (S. 90)

«Jeder US-Präsident hatte seinen eigenen Krieg»

Neben der expansiven Politik der USA, die Michail Gorbatschow mit feinem politischem Gespür immer wieder thematisiert, hat für ihn die amerikanische Aussenpolitik, unabhängig, aus welchem politischen Lager der jeweilige Präsident kommt, eine offensichtliche Kontinuität. «Aber ich würde sagen, dass bei allen US-Regierungen die Tendenz besteht, die Interessen der USA expansiv und global zu interpretieren und sie entsprechend durchzusetzen, gegen die Interessen anderer Länder und in letzter Zeit häufig zum Unmut ihrer eigenen Verbündeten, vor allem in Europa.» (S. 98) 

Diese Politik der USA hat sich nach dem Ende des Kalten Kriegs in verstärktem Masse gezeigt. Was bis zum Zerfall der Sowjetunion durch deren Existenz eingeschränkt war, entfaltete eine beängstigende Dynamik sowohl in der Aussen- als auch in der Wirtschaftspolitik, deren bittere Früchte in der Finanz- und Wirtschaftskrise geerntet wurden.

Der enthemmte Neoliberalismus ging Hand in Hand mit einer expansiven Strategie im Kampf um Rohstoffe und Absatzmärkte sowie Börsenund Aktiengewinne. Wenn wir uns die heutigen grossen Krisenherde anschauen, dann ist die Beteiligung des Westens, insbesondere der USA, zur Regel geworden. Für Gorbatschow eine Konstante amerikanischer Politik: «Nach dem Zusammenbruch der UdSSR verfolgten die USA eine Dominanzstrategie, wobei das unipolare Momentum nur ihren eigenen Interessen diente. Und diese verfolgen sie bis heute in verschiedenen Teilen der Welt – im Irak, auf dem Balkan, in Afghanistan, Libyen, Syrien und neuerdings auch Venezuela. Jeder US-Präsident hatte seinen eigenen Krieg.» (S. 99)

Von der monopolaren zu einer multipolaren Welt

Eine Lösung der angespannten Situation sieht Michail Gorbatschow nur im Dialog der einzelnen Akteure. Die Welt ist seiner Einschätzung nach im Wandel. Die US-dominierte monopolare Welt ist in den letzten zwei Jahrzehnten zu einer multipolaren Welt geworden. Die USA haben in allen Bereichen Konkurrenz bekommen und glauben noch immer, mit militärischer Stärke und Einschüchterung ihre Position behaupten zu können. Die aktuellen Entwicklungen zeigen das sehr deutlich.

Dass Konflikte friedlich gelöst werden können, sieht er im Ende des Kalten Kriegs als bewiesen. Gesunder Menschenverstand und gegenseitiges Vertrauen hätten diese Entwicklung damals möglich gemacht. Ein besonderes Augenmerk legt er dabei auf die Beziehung zwischen Russland und Deutschland. Dass es gelungen sei, die Teilung der beiden deutschen Staaten zu überwinden, nach all den leidvollen Erfahrungen, die gerade die UdSSR im Zweiten Weltkrieg erleben musste, sieht er als eine Hoffnung auch zur Lösung aktueller Konflikte.

Eine friedliche Welt wäre möglich

Michail Gorbatschow bleibt bei allen Bemühungen um einen Frieden Realist. Den aktuellen Umgang des Westens mit Russland kritisiert er. Er prangert die ungerechtfertigten Sanktionen an und ordnet sie klar ein: «Das erklärte Ziel ist es, Russ­land zu bestrafen.» (S. 184) Ursache für die teilweise vergiftete Stimmung sieht er auch bei den Medien: «Die Situation ist keineswegs so, wie wir es vor drei Jahrzehnten erwartet haben. Politiker und Medien erzeugen eine Atmosphäre der Feindseligkeit und Feindschaft.» (S. 183)

Das vorliegende Buch ist eine Bereicherung im heutigen medialen Einheitsbrei. Er spricht viele Probleme des aktuellen Weltgeschehens an. Gegenüber der Politik Putins ist er durchaus auch kritisch und hält den Finger auf ungünstige Entwicklungen. Ebenso findet die Frage der Umwelt Eingang in seine Überlegungen.

Menschlich berührend sind seine Erlebnisse im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg, und was dieser Krieg, der von Hitler angezettelt und geführt wurde, für die Menschen bedeutete. Doch er bleibt nicht bei den vergangenen Erlebnissen stehen, sondern richtet trotz aller Probleme und negativen Entwicklungen seinen Blick nach vorne in der Überzeugung, dass sich alle Unstimmigkeiten im nationalen und internationalen Kontext im Dialog lösen lassen.

«Vor dreissig Jahren war alles viel schwieriger. Und viel gefährlicher. Fast eine halbe Million unserer Soldaten standen auf dem Territorium der DDR. Die Hindernisse schienen unüberwindbar, aber wir haben sie gemeinsam überwunden. Die Aufgabe schien unlösbar, aber wir haben sie gelöst.» (S. 184)

Michail Gorbatschows Buch hat eine positive Wirkung auf den Leser. Seine innere Überzeugung, genährt von persönlichen Erfahrungen, überzeugen und lassen Hoffnung aufkommen. So endet sein Buch mit der klaren Botschaft, dass eine friedlichere Welt möglich wäre:

«Wir können unsere Beziehungen wirklich zum besseren wenden. Wir müssen uns nur anstrengen, um das zu erreichen. Wir müssen erkennen, dass dies in unserer Verantwortung liegt. Sagen wir uns: Wir können! Wir müssen!» (S. 186) 

¹ Thomas Röper: Vladimir Putin: Seht ihr, was ihr angerichtet habt?, 2018, S. 30

² ebd. S. 47

³ Die erschreckende Revolution in der Nato, Welt am Sonntag, 15.09.1999

Inländische Lebensmittelproduktion, Zuwanderung, Ernährungssicherheit

Gezielte mediale Irreführung der Öffentlichkeit mit falschen Informationen zur Umgehung des Verfassungsauftrages

von Hans Bieri, Geschäftsführer der Schweizerische Vereinigung Industrie und Landwirtschaft (SVIL)

Dieses Jahr werden wichtige Entscheide zur Ernährungssicherheit gefällt. Es geht um die Erhaltung einer ausreichenden Kulturlandfläche, dass die Schweiz nicht durch übermässige Zuwanderung, wie sie in den letzten Jahrzehnten trotz Raumplanung aus dem Ruder gelaufen ist, zugebaut wird. Dabei spielt neben der geordneten Besiedelung unseres Landes der Verfassungsauftrag der Ernährungssicherheit und damit die Erhaltung der eigenen produktiven Landwirtschaft die zentrale Rolle.

Neu lancierte Initiativen gegen den Abstimmungserfolg der Ernährungssicherheitsinitiative von 2018

Während die Bevölkerung die eigene Landwirtschaft erhalten will und die Bauern hohe Zustimmung und Unterstützung geniessen, was die hohe Zustimmung der Bevölkerung zur Initiative des Bauernverbandes zum Ausdruck gebracht hat, läuft seit dieser Zeit eine immer aktivere Gegenkampagne. Dabei sind die Selbstbestimmung und die Bemühungen um eine Begrenzung der Zuwanderung im Visier. Denn Selbstbestimmung und Ernährungssicherheit setzen ein gesundes Verhältnis der Bevölkerung zur eigenen hoheitlichen Bodengrundlage voraus. Auch das Rahmenabkommen mit der EU tangiert diese Fragen. Darum geht es.

Alle, die von der Umwandlung der Schweiz zum City-State ihren Erwerb haben, vor allem der Immobilien- und Kreditsektor und das daran angehängte Gewerbe, sehen hier eine Begrenzung ihrer gewohnten expansiven inländischen Geschäftstätigkeit. Anstatt diese komplizierten Interessenlagen zu klären und mitzuhelfen, Lösungen zu suchen, wird mit kapitalen medialen Falschinformationen bewusst Verwirrung gestiftet.

Die Landwirtschaft wird besonders ins Schussfeld genommen, weil sie als Ernährungsgrundlage an den Tag bringt, dass der Boden begrenzt ist.

Die gleichen Kreise, die bisher diese Frage der zu dicht besiedelten Schweiz heruntergespielt haben mit dem Hinweis, die Ernährungssicherheit sei kein Problem, da die Schweizer Landwirtschaft noch nie so viel Kalorien produziert habe wie heute, greifen nun die Landwirtschaft gerade bei der Produktionsintensität an und wollen mit der Trinkwasserinitiative und der Pflanzenschutzmittelinitiative eine rigorose Extensivierung der Landwirtschaft und ein Zurückdrängen in die Nische erzwingen.

Das ganz grobe Geschütz der Tatsachenverdrehung wurde nun von der sog. Agrarallianz aufgefahren, welche die Tatsache, dass der Tierbestand in der Schweiz seit fast 20 Jahren auch aus Qualitätsgründen und zuletzt auch wegen der fragwürdigen Streichung der Tierbeiträge abgenommen hat, völlig verdreht und von einem Tierüberbestand von 16 Millionen Tieren spricht. Solche Vergleiche ohne ein zugrundeliegendes Mass sind sinnlos und dienen nur der Polemik mit Schreckenszahlen wie «Tiere mehr als Einwohner» etc. So wird nun ausgerechnet die bisher sinnvolle Diversifizierung bzw. Umstellung der Landwirtschaft dazu missbraucht, einen wachsenden Tierbestand zu behaupten, dadurch dass man das Mastschwein mit einer Wachtel gleichsetzt. Dass die Agrarallianz entscheidend dazu beigetragen hat, durch die Streichung der bisher ausschliesslich an Rauhfutterverzehrer ausgerichteten Tierbeiträge die Tierproduktion in die getreidebasierte Mast zu verschieben, sei nur am Rande erwähnt. Ein aussagekräftiger Vergleich des Tierbestandes setzt voraus, dass man auch Wachteln und alles Geflügel etc. in Gross­vieheinheiten (GVE) umrechnet, worin die Fleischmasse, das notwendige Futter und der Mist vergleichbar werden:

Im Agrarbericht 2019 des Bundes heisst es zur Entwicklung des gesamten Tierbestandes in der Schweiz, in Grossvieheinheiten umgerechnet, klipp und klar: «Die Anzahl Grossvieheinheiten hat in den letzten 18 Jahren um rund 40 000 Einheiten (-3 %) von 1349 Mio. auf 1309 Mio. abgenommen.»

In die gleiche Kerbe der Desinformation haut die PR Gruppe Avenir Suisse mit der Behauptung, die Schweizer Landwirtschaft koste das Land nicht wie offiziell gut 3 sondern 21 Mrd. Franken jährlich. Dabei addiert die Avenir Suisse die gesamte Differenz der Preisinsel Schweiz zum Niveau umliegender Länder zusammen und lastet diese Gesamtsumme aus höheren Importpreisen, Bodenpreisen, Mieten, höheren Versicherungsprämien, höheren Löhnen etc. ganz dem landwirtschaftlichen Grenzschutz an. Damit nicht genug, auch die Bodenpreisbeschränkung in der Landwirtschaftszone, um die Landkosten den unterbezahlten Produktepreisen anzupassen, wird im «Sündenregister» von der Avenir Suisse als Kosten verbucht, obwohl die Bodenpreisbeschränkung die landwirtschaftliche Bevölkerung selber trägt und damit die Subventionen senken hilft. Avenir Suisse bejammert den Biodiversitätsverlust, den sie ebenfalls der Landwirtschaft anlastet und nicht der zu hohen Bevölkerungsdichte mit den zugehörigen Verkehrsinfrastrukturen etc., und propagiert andererseits das weitere Wachstum des City-State, ohne die Grossstadtlasten auf Kosten der Natur in Betracht zu ziehen.

Dabei liegen die Ursachen des hohen Lohn- und Preisniveaus in der Schweiz in der starken wirtschaftlichen Wertschöpfungsdichte in der Schweiz selbst: Setzt man die im Export erzielte Wertschöpfung ins Verhältnis zur landeseigenen besiedelbaren und nutzbaren Landesfläche, so sind die Exporteinnahmen der Schweiz 20 mal höher als jene von Frankreich, 14 mal höher als jene von Italien und Grossbritannien, 6 mal höher als jene von Deutschland und sogar fast 3 mal höher als jene von Holland, das in bezug auf die Grossstadtlasten auf die Umwelt mit ähnlichen Dichteproblemen kämpft. Die Schweiz belegt auch hier einen Spitzenplatz. Ein Teil des repatriierten Geldes kann nicht anders als in Boden und Immobilien fliessen, was die Hochlohn- und Hochpreisinsel Schweiz antreibt durch die starke Aussenorientierung der Schweiz und nicht durch die angebliche «Abschottung», wie in Unkenntnis dieser Zusammenhänge von den Kritikern der schweizerischen Souveränitätspolitik immer wieder behauptet wird.

Fazit

Unter solchen Bedingungen Landwirtschaft in der Schweiz ohne Grenzschutz zu betreiben ist nicht möglich. Deshalb ist es ein politischer Entscheid, der in der Verfassung festgeschrieben ist, die Landwirtschaft vor dem billigeren Import zu schützen. Es macht deshalb keinen Sinn, gegen diesen politischen Volksentscheid ständig mit «ökonomischen» Argumenten anzurennen, als ob die Agrarpolitik der Ernährungssicherheit in völliger Unkenntnis der ökonomischen Zusammenhänge beschlossen worden sei. Dazu kommt, dass bei all dieser Kritik völlig übersehen wird, warum anfangs des 20. Jahrhunderts unter vollständigen Freihandelsbedingungen, einer florierenden Exportwirtschaft und einer inländischen Getreideproduktion von gerade noch 14 % die Bodenpreise in der Schweiz bereits viermal höher waren als im umliegenden Ausland? Wem würde Avenir Suisse wohl diese Kosten anlasten?

Nicht die Landwirtschaft verdrängt die Industrie, sondern die Industrie verdrängt die Landwirtschaft. Am Ende des Ersten Weltkrieges hat die Schweiz trotz wirtschaftlich hoher Kaufkraft aus geopolitischen Gründen keine Lebensmittel mehr importieren können, weshalb Hunger und Mangel herrschten. Dabei hätte man sich rein ökonomisch eine eigene Landwirtschaft spielend leisten können.

Eben deshalb haben die industriellen Gründungsmitglieder der SVIL vor 100 Jahren den politischen Schluss gezogen, die Landwirtschaft in der Schweiz wieder aufzubauen im Wissen, dass dies mehr kostet als der Import aus dem unsicheren Weltmarkt. Zu diesem innenkolonisatorischen Werk gehörten nun – so die Lehre aus der Geschichte – Importschutz und Einkommensstützungen. Diese Politik hat sich im Zweiten Weltkrieg bewährt.

Diese verfassungsrechtlich gesicherten Errungenschaften heute derart heftig mit unsachlichen Schreckenszahlen zu bekämpfen und mit unsachlichen Vergleichen und Zahlenspielereien völlig zu entstellen, dient einer fremden Agenda – nicht unserem politischen Willen.

An dieser Frage, welche Interessen hier vertreten werden, werden sich jene, welche die schweizerische Landwirtschaft um jeden Preis dezimieren wollen, messen lassen müssen.

 

Stop Palmöl – Referendum gegen das Freihandelsabkommen mit Indonesien

Am 1. November 2018 wurden die Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Freihandelsassoziation EFTA (Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein) und Indonesien beendet. Das Schweizer Parlament hat dem Wirtschaftsabkommen am 20. Dezember 2019 zugestimmt. Bereits beim Abschluss des Abkommens hat die Palmöl-Koalition, ein Zusammenschluss von verschiedenen NGOs, die fehlende Verbindlichkeit und Transparenz kritisiert. Sie hat vergeblich gefordert, das Palmöl aus dem Abkommen auszuschliessen.

Warum wir das Referendum ergreifen

Palmöl wird in Monokulturen und unter Einsatz von giftigen Pestiziden, Kinder- und Zwangsarbeit sowie miserablen Arbeitsbedingungen angebaut. Riesige Flächen des artenreichen Regenwaldes werden dafür unwiederbringlich zerstört. Kleinbäuerinnen, Kleinbauern und Indigene werden von ihrem Land vertrieben. Es gibt kein nachhaltiges Palmöl.

In jedem zweiten Produkt findet sich Palmöl. Extrem billig produziert führt der Import zu unlauterem Wettbewerb zu unseren einheimischen Pflanzenölen. Die weltweite Nachfrage heizt den Verbrauch weiter an.

Während wir in der Schweiz hinsichtlich Umweltschutz, Tierwohl und Biodiversität hohe Anforderungen stellen, widersprechen die Verhältnisse in Indonesien völlig unseren Ansprüchen.

Der Welthandel hat die Umweltzerstörung angetrieben. Angesichts der Klimakrise müssen Gütertransporte eingeschränkt werden. Der Freihandel hat in den meisten Ländern weder den Wohlstand noch die Lebensqualität erhöht und dient alleinig den wirtschaftlichen Interessen multinationaler Konzerne.

Wie in allen Freihandelsabkommen fehlen wirksame Kontrollmechanismen, Sanktionsmöglichkeiten und die Verbindlichkeit. Regelverstösse gegen Menschen- und Arbeitsrechte, Klima- und Umweltschutz sind keine Ausnahme, sondern die Regel. Damit verkommt die ins Feld geführte Nachhaltigkeit zur Makulatur.

Sehr bald werden wir uns ebenfalls über die Freihandelsabkommen mit dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur, sowie Malaysia auseinandersetzen müssen. Es ist richtig und strategisch wichtig, jetzt das Referendum zu unterstützen. Damit setzen wir ein Zeichen für einen fairen und gerechten Welthandel!

Quellen: https://nein-zum-freihandel.ch und www.uniterre.ch

 

Kritik am Freihandel mit Agrargütern

Interview mit Professor Dr. Mathias Binswanger*

uniterre Wieso kommt es zu immer mehr bilateralen Abkommen?

Prof. Dr. Mathias Binswanger «Nichts führt an einer verstärkten Orientierung am Markt vorbei», denn «die Landwirtschaft darf nicht länger den Abschluss weiterer Freihandelsverträge verhindern.» So, oder ähnlich lauten häufig die Vorwürfe an die Bauern und Bäuerinnen der Schweiz. Weil multilaterale Abkommen im Rahmen der WTO kaum noch Fortschritte bringen, hat ein umso grösseres Bemühen eingesetzt, bilaterale Freihandelsabkommen mit möglichst vielen Länder abzuschliessen. Und da erweisen sich die Bauern und Bäuerinnen als mühsamer Bremsklotz.

Wieso wehren sich die Bauern und Bäuerinnen zu Recht gegen diese Abkommen?

Kritiker der Schweizer Landwirtschaft verkennen völlig, was verstärkte Marktorientierung für die Bauern und Bäuerinnen in der Schweiz tatsächlich heisst: ihren Beruf sofort an den Nagel hängen und sich nach einer neuen Tätigkeit umsehen! Das wird klar, wenn wir uns die Wertschöpfung pro Vollzeitbeschäftigten in der Landwirtschaft anschauen und mit anderen Branchen vergleichen. In der Landwirtschaft beträgt diese Wertschöpfung rund 30 000 Schweizer Franken. In Branchen wie der Pharmaindustrie oder bei Finanzdienstleistungen liegt diese Zahl bei mehr als dem Zehnfachen, also bei über 300 000 Schweizer Franken. Die Landwirtschaft hat von allen Branchen die weitaus geringste Wertschöpfung!

Wie argumentieren die ÖkonomInnen?

Rein ökonomisch gedacht, sollten wir uns in der Schweiz deshalb auf die Produktion von Gütern und Dienstleistungen spezialisieren, wo wir eine hohe Wertschöpfung erzielen. Mit den Exporterlösen aus diesen Produkten importieren wir dann zu niedrigen Preisen Lebensmittel aus Ländern, welche diese billig produzieren können. Und der Rest der Export­erlöse steht uns dann für weiteren Konsum zur Verfügung. Genau das ist die ökonomische Argumentation zugunsten von Freihandel. Man spezialisiert sich auf die Produktion von Gütern, wo man einen komparativen Vorteil hat (z. B. Pharmaprodukte) und verzichtet auf die Produktion von Gütern, wo man einen komparativen Nachteil hat (Agrarprodukte).

Was steht in der Bundesverfassung zum Thema Landwirtschaft?

Der in Artikel 104 der Bundesverfassung formulierte Auftrag zur Erhaltung der Landwirtschaft war somit von Anfang an ein politischer Entscheid gegen den Markt. Bei Freihandel ist die schweizerische Landwirtschaft aufgrund der hohen Kosten in der Schweiz und der topographischen Lage nicht konkurrenzfähig. Da können die Schweizer Bauern und Bäuerinnen sich noch so anstrengen, um immer produktiver zu werden. In dieser Hinsicht gleicht die Landwirtschaft der Textilindustrie. Selbst wenn die Schweizer Textilindustrie noch viel produktiver geworden wäre, könnte sie heute niemals mit den Anbietern aus Asien konkurrieren. Marktorientierung bedeutete in diesem Fall die weitgehende Aufgabe der Textilproduktion in der Schweiz und in der Landwirtschaft ist es genauso.

Wie steht es mit der Versorgungssicherheit?

Wir haben gute Gründe die Landwirtschaft in der Schweiz zu erhalten, welche im Landwirtschaftsartikel der Bundesverfassung stehen. Bauern und Bäuerinnen garantieren die Versorgung mit wichtigen Nahrungsmitteln, deren Produktionsbedingungen wir über unsere Politik selbst bestimmen können. Und sie sorgen für die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und die Pflege der Kulturlandschaft. Doch diese Aufgaben lassen sich nur mit einem gewissen Grenzschutz verwirklichen, sofern man die Direktzahlungen in Form von Versorgungssicherheitsbeiträgen nicht nochmals massiv erhöhen will. Andernfalls werden die wenigen verbleibenden Bauern und Bäuerinnen schnell zu staatlich angestellten LandschaftsgärtnerInnen und WiesenpflegerInnen, die aber kaum noch Lebensmittel produzieren. Von Versorgungssicherheit kann unter solchen Umständen keine Rede mehr sein!

Wie sähe eine Lösung ohne Bauernopfer aus? 

Der ganze Zwang, den Grenzschutz für landwirtschaftliche Produkte aufzuheben, ist letztlich hausgemacht und wird der Schweiz im Moment von keinem Land aufgezwungen. Freihandelsabkommen brauchen nicht zwingend Bauernopfer: Stattdessen ginge es darum, Abkommen so zu verhandeln, dass auch weiterhin ein funktionierender Grenzschutz für Agrarprodukte möglich ist. Doch leider fehlt dem Bundesrat der politische Wille dazu.

Das Interview wurde im Rahmen des Referendums «Stop Palmöl –Referendum gegen das Freihandelsabkommen mit Indonesien» geführt.

*Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten, und Privatdozent an der Universität St. Gallen und Publizist.

 

Quelle: https://uniterre.ch/de/themen/kritik-am-freihandel-mit-agrargutern

Referendumsbögen können hier heruntergeladen werden:

https://uniterre.ch/de/themen/stop-palmol-das-referendum-gegen-das-freihandelsabkommen-mit

Ein Plädoyer für die Einhaltung des Völkerrechts, für Dialog und Frieden

Zur Aktualität des neusten Buchs von Michail Gorbatschow

von Thomas Kaiser

Pisa Studie 2019 – was alles nicht gesagt wurde

von Dr. phil. Alfred Burger

Anfangs Dezember 2019 wurden die Ergebnisse der Pisa Studie 2019 veröffentlicht. Obwohl die Resultate im Lesen für die Schweiz schlecht waren, berichteten die Medien nur kurz darüber. Auch Silvia Steiner, Präsidentin der Erziehungsdirektorenkonferenz, ging über das schlechte Abschneiden der Schweizer Kinder nonchalant hinweg und meinte, die verringerten Leseleistungen seien auf den hohen Anteil von Migrantenkindern zurückzuführen und statistisch nicht relevant. Damit hatte es sich mehr oder weniger mit den Beiträgen in den Medien zur Pisa Studie. 

Auch wenn die ganze Studie mit Vorsicht zu geniessen ist – beispielsweise mussten alle Kinder die Aufgabe am Computer lösen, was für viele in der Schweiz Neuland war – sollte man sich meiner Meinung nach Gedanken machen, weshalb die Schweiz seit etwa sieben Jahren auf allen Gebieten, die geprüft wurden (Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften), immer weiter abrutscht. Die Schweiz liegt zwar im Ganzen gesehen immer noch über dem OECD-Durchschnitt, beim Lesen aber ist sie auf den 27. Rang abgerutscht, weit hinter asiatische Länder wie China und auch hinter europäische Länder. Im Bericht steht, es sei eine Zunahme des Anteils an Schweizer Kindern festzustellen, die im Lesen nicht kompetent genug seien, um den Anforderungen im Berufsleben und im Alltag genügen zu können. Auch in Deutschland nimmt die Lesekompetenz ab. Etwa ein Fünftel der Kinder kann einen einfachen Text nicht mehr verstehen.

Angesichts dieser Resultate sollte man sich vielleicht doch fragen, ob auch noch andere Momente für die immer schlechter werdenden Ergebnisse ausschlaggebend sind als die Migration. Da lässt eine Erkenntnis aus der Studie aufhorchen: Immer mehr Kinder und Jugendliche lesen nicht mehr freiwillig, eine Tendenz, die in ganz Europa zu beobachten ist. Sie haben keine Freude mehr am Lesen. Lesen ist Arbeit, man muss sich in einen Text vertiefen, man muss die handelnden Personen kennenlernen, man liest sich in ein Geschehen ein und beginnt sich zu interessieren, wie wohl die Geschichte weitergeht. Das alles braucht Zeit und Lesetätigkeit über viele Seiten hinweg. Lesen ist auch Einfühlungsarbeit, man versetzt sich in die Rolle der handelnden Personen, man identifiziert sich mit ihnen. All das macht ja das Schöne am Lesen aus, man lebt mit und kommt so auch in einen gedanklichen Dialog mit dem Autor und den Menschen, die im Text vorkommen. Da fragt es sich, ob unsere Kinder sich noch so geduldig eindenken und einfühlen können, wie es Bücher erfordern. Alles muss doch heute schnell gehen für die Kinder. Sehen sie nicht gleich ein Ergebnis, eine Aktion oder eine Belohnung, lässt das Interesse schnell nach. Nur schon der Vergleich zwischen modernen Filmen und früheren Produktionen zeigt diesen Unterschied eindrücklich auf. In rascher Abfolge der Einstellungen und in einem atemberaubenden Tempo folgen sich die Aktionen. Da ist kaum mehr Zeit für eine langsame Entwicklung in der Entstehung der Erzählung, es bleibt dem Betrachter auch keine Zeit, das Gesehene zu reflektieren. Alles, was nicht schnell geschieht, ist für viele Kinder und Jugendliche bald einmal langweilig. Auch in den Computerspielen braucht es schnell zählbare Ergebnisse, sonst lässt es das Kind bleiben. Langwieriges, geduldiges Erarbeiten von Lösungen ist vielen zu mühsam. 

Lehrmittel vermitteln kaum Zusammenhänge

Diese Tendenz zeigt sich auch in modernen Schulbüchern: Man springt von einem Thema zum andern, und es findet wenig Vertiefung statt. Der Menschheitsgeschichte entnimmt man wie aus einem Steinbruch einzelne Sachgebiete und entwickelt keine Zusammenhänge mehr. Man arbeitet Kompetenzen ab, man hakt einzelne, isolierte Bruchstücke ab und macht dann weiter, ohne sich intensiv mit den Themen zu beschäftigen. Kein Wunder also, dass Kinder heute Mühe mit dem Lesen haben. 

Mindestens 4 Stunden pro Tag am Bildschirm

Es viel einfacher, sich am Smartphone zu beschäftigen, als sich in ein Buch zu vertiefen. Dazu bleibt den Kindern und Jugendlichen heutzutage auch gar keine Zeit. Unser Nachwuchs ist nachweislich jeden Tag mindestens vier Stunden am Bildschirm beschäftigt, viele noch länger. Wo haben sie da neben Schule, Sport und Hobby noch Musse für ein ruhiges Stündchen zum Lesen?

Nun wollen auch die Schulen schon von der Unterstufe an auf digitalisierten Unterricht setzen. Dabei sagen Wissenschaftler eindringlich, dass der Computer auf der Unter- und Mittelstufe nichts zu suchen habe. Sogar Andreas Schleicher, Bildungsforscher bei der OECD, warnt vor dem zu frühen und vor einem intensiven Einsatz von Computern im Unterricht, weil sie mehr schaden würden als nützen. Wenn nun auch die Kinder schon in der Primarschule hauptsächlich vor dem Computer sitzen, wird die Fähigkeit zu lesen sicher weiter abnehmen. Der Bildungsbegriff von einer umfassenden intellektuellen und gemütsbildenden Erziehung in der Schule wird wohl bald der Vergangenheit angehören. Was gelten soll, ist nur noch messbares, isoliertes Können, sogenannte «skills», wie es in der Schweiz mit dem neuen Lehrplan 21 vorgesehen ist. 

Es ist anzunehmen, dass Frau Steiner sich nicht vertieft zu möglichen Ursachen der ständigen Verschlechterung der Resultate in Pisa Studien äussern wollte, weil damit die Schulreformen und die damit einhergehende Digitalisierung unserer Schulen grundsätzlich in Frage gestellt werden müssten.  Auch hätte sie sicher einen ganzen Industriezweig gegen sich aufgebracht, der in der Aufrüstung der Schulen einen riesigen Markt sieht. 

Selbst wenn in den Medien zu all diesen Fragen kein Wort geschrieben wurde, müssen sich Eltern doch die Frage stellen, ob sie eine solche «Bildung» für ihre Kinder wollen. 

Zurück