Quo vadis, Helvetia?

von Thomas Kaiser

Der Besuch des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und die mediale Begleitung zeigen, dass die Landesregierung der Schweiz bis heute keinen klaren Standpunkt einnimmt, wie sie sich in Zukunft zur EU stellen will. Zwar ist bei der Bevölkerung die Zahl der EU-Befürworter in den letzten Jahren ständig gesunken, was Umfragen unisono bestätigen, dennoch scheint die Politik mehr ihren eigenen Interessen zu folgen, als den Willen des Souveräns umzusetzen. Der Status quo, bestehend aus den bilateralen Verträgen I und II, gibt bis heute zu reden, denn einen echten Status quo gibt es nur in den wenigsten Verträgen. 

Mit dem Abschluss der bilateralen Verträge hat die Schweiz sich verpflichtet, sämtliche rechtlichen Weiterentwicklungen des Schengen-Dossiers automatisch nachzuvollziehen, andernfalls droht die EU mit der Kündigung der übrigen bilateralen Verträge (Guillotine-Klausel). Das ist das Schreckgespenst, das ständig hinter dem Ofen hervorgeholt wird, wenn es um das Verhältnis zur EU geht. So auch, als die getreue Umsetzung der vom Volk angenommenen Beschränkung der Personenfreizügigkeit Thema war. Hier schielten die politisch Verantwortlichen mehr nach Brüssel, als sich mit der Umsetzung des Volkswillens zu befassen. Unsere Landesregierung und die Mehrheit des Parlaments zeigte sich erleichtert, als die EU zum «Inländervorrang light» eine freundliche Miene aufzog. Man hat zwar den Volkswillen nicht umgesetzt, dafür die Zufriedenheit der EU erheischt. Wem haben unsere Volksvertreter zu dienen? 

Souveränität – ein Störfaktor?

Die meist bemühten Argumente, wenn es um das Verhältnis Schweiz-EU geht, sind rein wirtschaftlicher Natur, die EU sei der wichtigste Handelspartner, die meisten Exporte der Schweiz gingen in die EU, der Wirtschaft würde es ohne bilaterale Verträge mit der EU schlecht gehen usw. Fragen der Souveränität werden, wenn überhaupt, nur am Rande diskutiert, weil sie bei der EU-Politik unserer Landesregierung ein eigentlicher Störfaktor sind. Am liebsten wird die wirtschaftliche Bedeutung ins Zentrum gerückt und den Menschen weisgemacht, dass die Schweiz ohne die EU verarmen würde. Das ist reine Propaganda, die schon öfters bemüht wurde. Wenn dem tatsächlich so wäre, dann wäre es höchste Zeit, sich nach anderen Wirtschafts- und Handelspartnern umzusehen. Es kann ja wohl nicht sein, dass die Schweiz bei einer Auswahl von 193 Staaten auf dieser Erde sich von ein paar EU-Staaten abhängig macht. Nur schon Europa hat einige Staaten, die nicht zur EU gehören, auch wenn Herr Juncker immer von der EU spricht, wenn er Europa meint, und es schön findet, dass die Schweiz und Europa ihre Beziehungen wieder normalisierten. Ziemlich arrogant. 

Der Bürger in der Schweiz gestaltet mit

Worum geht es? Die höchste Errungenschaft des Nationalstaats ist seine Souveränität, und bei der direkten Demokratie der Schweiz hat diese Souveränität eine einmalige Bedeutung, denn in keinem anderen Staat der Erde besitzen die Bürgerinnen und Bürger so viel politische Verantwortung und Mitsprache. Somit ist das Schweizer System nicht kompatibel mit dem Zentralismus à la EU. In der Schweiz ist das Volk der Souverän, und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern ganz konkret, ausgestattet mit Volksrechten wie Referendums- und Initiativrecht. Nur schon bei unserem nördlichen Nachbarland ist das politische System so grundlegend anders als in der Schweiz. Dass man nach Bundestagswahlen von einer Staatskrise spricht, nur weil sich keine Partei durchsetzen konnte, spricht Bände. In der Schweiz undenkbar. Aber man darf das alles nicht unterschätzen, denn das politische System bestimmt auch die politische Kultur, und hier trennen die Schweiz und Deutschland Welten. Die Auseinandersetzung um unser auf Vertrauen aufgebautes Steuersystem und der Steuervogterei in Deutschland führen uns das grundlegend vor Augen. In der Schweiz wird der Bürger nicht verwaltet, sondern er ist ein gleichwertiger Staatsbürger. In Deutschland wird in jedem Bürger ein Steuerbetrüger vermutet, so wird er von den Behörden verdächtigt und wie ein Untertan behandelt. In unserem Land ist das unvorstellbar.

Mangelhafte Gewaltenteilung in der EU

Wenn schon in Deutschland mit seinem schwachen demokratischen System immer wieder der Verlust an Souveränität und Demokratie gegenüber der EU bemängelt wird – man muss hier klar sagen, dass die deutsche Demokratie kein von unten gewachsenes Staatssystem ist wie in der Schweiz, sondern nach dem Krieg von Amerikas und Grossbritanniens Gnaden aufoktroyiert wurde – wie gross müssen dann die Demokratiedefizite der EU sein, die nur eine mangelhafte Gewaltenteilung kennt? Mit dieser EU soll nun die Schweiz, wenn es nach dem Willen einzelner Bundesräte geht, eine engere Zusammenarbeit anstreben, die über die bestehenden bilateralen Verträge hinausgeht und zwangsläufig zu einem weiteren Verlust an Souveränität führen wird. Wir sollen also unsere Möglichkeiten der demokratischen Mitbestimmung einschränken, weil es gut für unsere Wirtschaft und unseren Wohlstand sei, wobei Wirtschaftswachstum und Wohlstand nicht unbedingt korrelieren. Der Wohlstand in der Schweiz ist vor allem ein Resultat der direkten Demokratie und unserer Freiheit, die politischen Herausforderungen selbstbestimmt zu lösen. Ein wie auch immer geartetes Rahmenabkommen mit der EU wird das nicht mehr zulassen trotz aller Schalmeienklänge, die in den letzten Tagen vor allem von Bundespräsidentin Leuthard zu hören waren. 

Freiheit statt Zentralismus

Die Schweiz stand vor mehr als 200 Jahren vor der Frage, soll sie sich von Napoleon unterjochen lassen oder am eigenen System festhalten, auch wenn sie gewisse Errungenschaften der Revolution übernommen hat. Die Schweizer liessen sich aber nicht verkaufen und verteidigten ihre politische Freiheit. So musste Napoleon sein Unterfangen, in der Schweiz einen Zentralstaat nach französischem Vorbild zu etablieren, fallenlassen. Das hat letztlich ermöglicht, dass die Schweiz zu dem geworden ist, was sie heute auszeichnet: eine direktdemokratische, föderalistische, freiheitliche, neutrale und unabhängige Willensnation. Die gilt es zu erhalten.

Parteifreunde unter sich

Interview mit Nationalrat Jakob BüchlerGedanken zum Besuch des Präsidenten der EU-Kommission

von Reinhard Koradi

Bundespräsidentin Doris Leuthard und der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, verbreiten Aufbruchstimmung. Man sei sich nähergekommen und es gebe «Flexibilität». «Die Unterhändler müssten jetzt die Köpfe zusammenstecken und dabei für frische Luft sorgen, um die eine oder andere Idee zu testen», meint Doris Leuthard. Beide Exponenten sind in der Partei der Christdemokraten, da kann eine gewisse Nähe bestimmt nicht geleugnet werden. Vermutlich besteht sogar eine gewisse Gefahr, dass Parteiinteressen über den Landesinteressen stehen könnten. Wir kennen die Internationale bei den Sozialisten – warum soll etwas Ähnliches nicht auch bei andern Parteien vorhanden sein?

Keine substantiellen Veränderungen

Was hat sich denn vor dem Besuch in Bern verändert? Die einzige prägnante Veränderung ist die Deblockierung des Kohäsionsbeitrages in der Grössenordnung von 1,3 Milliarden Franken durch den Schweizer Bundesrat. Seitens Brüssel kommt gar nichts. Höchstens eine etwas vage Aussage, dass nun wieder etwas «positive Dynamik» die blockierten Beziehungen zwischen Brüssel und Bern auflockern würden. Was heisst denn «positive Dynamik» aus Brüsseler Sicht? Ist es die Feststellung, dass die Schweiz nach wie vor einen willfährigen Verhandlungsstil an den Tag legt, wie das Beispiel bei der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative belegt oder die Freigabe der Gelder zu Gunsten der EU? 

Vom Knebelvertrag zum Freundschaftsvertrag

Worte machen Stimmung. Jean-Claude Juncker bezeichnet den Begriff «Rahmenabkommen» als Unwort. Er möchte lieber von einem Freundschaftsvertrag sprechen. Wir dürfen uns von diesem neuen Mantel für das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU nicht blenden lassen. Es ist tatsächlich verführerisch, durch Worthülsen den Wolf im Schafspelz dem Schweizer Volk schmackhaft zu machen. Tatsache bleibt, dass Brüssel «bei aller Liebe zur Schweiz» dieselben Ziele und Absichten wie seit Verhandlungsbeginn verfolgt. Die Abkommen der EU mit der Schweiz sollen den Zentralismus und damit die Macht der EU stärken, ohne Rücksicht auf allfällige Verluste seitens der Schweiz.

Würden Freunde am Verhandlungstisch sitzen, dann gäbe es keinen Verhandlungsabbruch bei aufkommenden Unstimmigkeiten. Vor allem würde man sich mit Res-pekt und auf gleicher Augenhöhe begegnen. Zu keinem Zeitpunkt würden die Souveränität und Selbstbestimmung der Schweiz in irgendeiner Form in Frage gestellt. Die innerstaatlichen Prinzipien, wie direkte Demokratie oder die Rechtshoheit eines souveränen Staates würden im Rahmen von zwischenstaatlichen Verträgen gar nie auf die Tagesordnung gesetzt. Und vor allem gäbe es keine Machtdemonstrationen, um den Verhandlungspartner willfährig zu machen.

Zwei «befreundete Verhandlungspartner» müssen zudem die Grösse haben, klar zwischen privaten und Staatsinteressen zu unterscheiden. Diesen Grundsatz hat sich vor allem der Bundesrat und die Bundespräsidentin Doris Leuthard hinter die Ohren zu schreiben und eine entsprechende Order an die Verhandlungsdelegation der Schweiz zu geben. Vergessen wir nicht, oft schon führte persönliche Effekthascherei bei Vertragsverhandlungen zu einem desolaten Verhandlungsergebnis für die  Partei, deren Eitelkeit den Blick für die Sache trübte. 

Warum helfen wir Saudi-Arabien, den Jemen zu zerstören?

von Ron Paul*, USA 

Ron Paul  (Bild wikimedia)
Ron Paul (Bild wikimedia)

Es ist bemerkenswert, dass immer dann, wenn man in den Mainstream-Medien einen Artikel über den Jemen liest, die zentrale Rolle Saudi-Arabiens und der Vereinigten Staaten in der Tragödie beschönigt oder völlig ignoriert wird. Ein kürzlich erschienener Artikel in der Washington Post, der uns angeblich mitteilen soll, «wie die Dinge so schlimm werden konnten», erklärt uns, dass «es sich um eine komplizierte Geschichte handelt», die «kriegführende regionale Supermächte, Terrorismus, Öl und eine drohende Klimakatastrophe» beinhaltet.

Nein, liebe Washington Post, es ist viel einfacher. Die Tragödie im Jemen ist das Ergebnis einer ausländischen militärischen Intervention in die inneren Angelegenheiten dieses Landes. Sie begann mit dem «arabischen Frühling», der sämtliche Spuren der Einmischung des Aussenministeriums zeigte, und eskalierte mit dem grundlosen saudischen Angriff auf das Land im Jahre 2015, um Riads bevorzugten politischen Führer wieder an die Macht zu bringen. Tausende von unschuldigen Zivilisten wurden getötet, und Millionen von Menschen sind von der dort wütenden Hungersnot und einer Cholera-Epidemie bedroht.

«Unterstützt Washington einen tyrannischen Staat?»

Uns wird gesagt, dass die amerikanische Aussenpolitik amerikanische Werte widerspiegeln sollte. Warum unterstützt Washington Saudi-Arabien – einen tyrannischen Staat mit einer der schlimmsten Menschenrechtssituationen auf der Erde – der durch jede erdenkliche Massnahme einen Genozid am jemenitischen Volk begeht? Der UN-Staatssekretär für humanitäre Angelegenheiten warnte letzte Woche, dass der Jemen vor «der grössten Hungersnot» stehe, «die die Welt seit vielen Jahrzehnten erlebt hat, mit Millionen von Opfern». Das Rote Kreuz hat gerade geschätzt, dass eine Million Menschen durch die im Jemen wütende Cholera-Epidemie bedroht sind.

Und warum gibt es eine Cholera-Epidemie? Weil die saudische Regierung – mit Unterstützung der USA – jeden Einlaufhafen blockiert hat, um zu verhindern, dass lebensnotwendige Medikamente die leidenden Jemeniten erreichen. Das ist kein Krieg. Es ist grausamer Mord.

Die Vereinigten Staaten unterstützen die saudische Aggression gegen den Jemen, indem sie in jeder Hinsicht mit dem saudischen Militär zusammenarbeiten – Zielauswahl, Geheimdienste, Waffenverkauf und mehr. Die USA sind Partner bei den saudi-arabischen Verbrechen im Jemen.

Ist das «Händchenhalten» mit Saudi-Arabien, wenn es jemenitische Kinder abschlachtet, wirklich ein Spiegelbild amerikanischer Werte? Nimmt das überhaupt jemand zur Kenntnis?

«Wir kämpfen im Jemen auf der gleichen Seite wie Al-Kaida»

Die Behauptung, dass wir Al-Kaida im Jemen bekämpfen und unsere Mitwirkung damit unter die nach dem 11. September erfolgte Ermächtigung zum Einsatz von ­Gewalt fällt, entbehrt jeder Grundlage. In der Tat wurde in den Main­stream-Medien mehrfach berichtet, dass die US-Intervention zugunsten der Saudis im Jemen Al-Kaida tatsächlich eher einen Aufschwung gibt. Al-Kaida befindet sich im Krieg mit den Huthi, die die Kontrolle über einen Grossteil des Landes übernommen haben. Weil sie eine Form des schiitischen Islam praktizieren, wird behauptet, sie seien mit dem Iran verbündet. Wir kämpfen im Jemen auf der gleichen Seite wie Al-Kaida.

Während der US-Kongress den Verletzungen noch Schäden hinzufügt, macht er sich nicht die Mühe, zu fragen, wie wir in einen Krieg verwickelt wurden, der nichts mit uns zu tun hat. Einige gewissenhafte Mitglieder des Kongresses kamen vor kurzem zusammen, um einen Sonderantrag gemäss dem «War Powers Act» von 1973 zu stellen, der eine Abstimmung über unsere fortgesetzte militärische Beteiligung am Völkermord im Jemen verlangt hätte. Die Führungen beider Parteien schlossen sich zusammen, um diesen Versuch, wenigstens eine Abstimmung über die US-Aggression gegen den Jemen zu bekommen, abzuwenden. Wie sich herausstellt, waren die einzigen Kongressmitglieder, die sich gegen diese schändlich ausgehöhlte Resolution aussprachen, diejenigen, die den Antrag ursprünglich eingebracht hatten. Das ist eine von den beiden Parteien getragene Aussenpolitik der schlimmsten Sorte.

«Eine nationale Schande»

Die Beteiligung der USA an den Verbrechen Saudi-Arabiens gegen den Jemen ist eine nationale Schande. Dass die Mainstream-Medien diesen Völkermord nicht zutreffend darstellen, ist beschämend. Lasst uns mit einer Stimme fordern, dass unsere US-Repräsentanten sofort das Engagement der USA im Jemen beenden!

Übersetzung: Zeitgeschehen im Fokus

* Ronald Ernest Paul ist Mitglied der Republikanischen Partei in den USA und war zwischen 1976 und 2013 Abgeordneter im Repräsentantenhaus. 2008 und 2012 bewarb er sich intern um eine Kandidatur zu den US-Präsidentschaftswahlen. 2013 gründete er das Ron Paul Institut for Peace and Prosperity.

Quelle: http://ronpaulinstitute.org/archives/featured-articles/2017/november/20/why-are-we-helping-saudi-arabia-destroy-yemen/

© 2017 Ron Paul Institute

Der Angriff von Change-Agenten auf unsere demokratische Kultur

Mit Change-Management undeklariert eine neoliberale Gesellschaft etablieren

von Reinhard Koradi

Immer wieder wird uns eingehämmert: «Die Welt muss erneuert werden». In der Regel wird der Handlungsbedarf zur Erneuerung mit Krisen oder Veränderungen im gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und technologischen Umfeld provoziert. Der Klimawandel legitimiert eine neue Energiestrategie, die Finanzkrise und die Überschuldung der Staaten eine neue, vermögensvernichtende Geldpolitik und die «Globalisierung» die Auflösung von Grenzen und Nationalstaaten. Dahinter steht die Strategie des «Change-Managements», deren Anwendung im folgenden näher beleuchtet wird.

Nicht immer sind die Auslöser der Veränderungsprozesse offensichtlich. So tappt man mehrheitlich im dunkeln, wenn man nach den wirklichen Urhebern der Reformen sucht. Tatsache ist jedoch, dass vor dem Ruf nach Veränderungen und bei den Veränderungen selbst immer Menschen oder Organisationen im Spiel sind. Der Zwang zum Wandel wird geschaffen und entspringt keineswegs einem Naturereignis. Etwas provozierend ausgedrückt könnte man behaupten, dem Zwang zum Wandel geht die Kreation von Krisen voran. Auffallend ist, dass die Erneuerungen immer nach dem selben Muster ablaufen. Zuerst muss die Bereitschaft für die Veränderung geschaffen werden. In einem ersten Schritt wird an den bestehenden Stützen gerüttelt und Bewegung in das zu bearbeitende Gebilde hineingetragen. Beginnt sich das Ganze zu bewegen, wird Druck aufgebaut und die Dringlichkeit der Veränderung eingefordert. Dabei finden sich Gleichgesinnte oder Gleichgesteuerte in der Koalition der Erneuerer und Mitläufer. Nun sollen Visionen, Leitbilder und Strategien entwickelt und institutionalisiert werden. Noch vorhandene Hindernisse (veränderungsresistente Elemente) werden beseitigt. Zur Verstärkung des Erneuerungsprozesses kreiert und feiert man kurzfristige Erfolge. Gestützt auf diese Erfolge wird der gesamte Prozess zusätzlich beschleunigt und letztlich endgültig verankert.

Ich denke, jeder der genau hinschaut, konnte diesen Ablauf in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft schon mehrmals beobachten.

Werteveränderungen sind kein Naturereignis

Die Veränderungen in der Natur vollziehen sich organisch und über lange Zeiträume hinweg. Der natürliche Kreislauf umfasst Wachstum, Reife und Niedergang. Ein Baum wächst, blüht, trägt Früchte und Blätter, im Herbst fallen Früchte und Blätter zu Boden. Der Baum wird älter, und irgendwann wird das Holz morsch. Er fällt in sich zusammen. Über all die Jahrzehnte hinweg bleibt der Baum immer der gleiche, vielleicht ist das Laub einmal etwas üppiger, oder die Früchte sind grösser, doch der Baum wandelt sich nicht. Ein Apfelbaum bleibt ein Apfelbaum. Verändert wird der Baum, wenn der Mensch eingreift. Der Eingriff in die Natur durch den Menschen kann sinnvoll, aber auch zerstörerisch sein. Dasselbe gilt für Veränderungen im gesellschaftlichen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umfeld.

Es ist daher irreführend, wenn uns der Wandel als «Naturereignis» propagiert wird. Wäre der gesellschaftliche Wandel ein naturbedingter Prozess, dann bräuchte es die Manager der Veränderung, die sogenannten Erneuerer, gar nicht. Nutzen oder Schaden, den ein «Change-Management» verursachen kann, ist immer eine Frage der Zielsetzung. Dient der Wandel dem Fortschritt, der Allgemeinheit oder stehen individuelle Maximierungsansprüche oder gar die Zerstörung der natürlichen Ordnung im Vordergrund? Veränderungen können technischer (Industrialisierung, Computerisierung) oder psychischer (Religion, Werte) Art sein. Dabei werden sämtliche Lebensbereiche, Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Familie in die Erneuerung hineingezogen.

Immunsystem gegen das Auflösen von Werten stärken

Antreiber zu diesen Erneuerungsprozessen sind die Kreise, die von der neu geschaffenen Ordnung in einem beispiellosen Ausmass zu Lasten der Massen und direkt Betroffenen profitieren. Im Interesse des inneren Zusammenhalts, des Gemeinwohls und der Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Staatswesens ist es daher für uns von existenzieller Bedeutung, diese Abläufe zu durchschauen und ein gesundes Immunsystem gegen den geführten Wandel zu entwickeln. Ausgerüstet mit einer klaren Wertehaltung, deren Fundament in der Tradition der Schweiz verankert ist, stoppen wir den Gang in die Abhängigkeit von veröffentlichten Meinungen und verhindern Opfer der Manipulation zu werden. Ein Schutzwall aus bewährten Werten, gepaart mit Standfestigkeit und einem gesunden Selbstbewusstsein, legt den Sumpf der destruktiven Reformen trocken. Mit einer inneren Überzeugung, die auf den kulturellen und politischen Leistungen der vor uns lebenden Generationen aufbaut, haben wir die Kraft, der Irreführung in die Orientierungslosigkeit erfolgreich entgegenzutreten. Die über Generationen hinweg errungene Freiheit, Selbstbestimmung und politische Kultur stützt sich auf einen für unser Land spezifischen Wertekonsens, der nicht leichtfertig der Modernität und einem vermeintlichen Fortschrittsglauben geopfert werden darf. Auf den Erfahrungen und grundlegenden Verhaltensnormen zu bestehen, ist Bürgerpflicht und eine erstrebenswerte Tugend, die Verlässlichkeit, Verbundenheit, und Sicherheit schafft.

Der Bruch mit der Vergangenheit als Wegbereiter der Reformen

Der Wandel im Sinne der Erneuerung bricht mit der Vergangenheit. Was gestern galt, soll ausgemerzt werden. Erfahrungen, Einsichten, politische und wissenschaftliche Errungenschaften aus vergangenen Zeiten werden bewusst ausgeblendet, obwohl bei einer genaueren Analyse zugestanden werden müsste, dass sie in ihrer Gesamtheit entscheidend zur positiven Entwicklung unserer Gesellschaft beigetragen haben.

Dass durch den Verlust der bis anhin gelebten Werte entstandene Vakuum, schafft den Raum für die Neuausrichtung. Mit Worthülsen, leeren Begriffen und Behauptungen, deren Wahrheitsgehalt mit gutem Recht bezweifelt werden kann, werden neue Denk- und Verhaltensmuster in den Herzen und Köpfen der Menschen implementiert.

Der Prozess des Wertewandels ist ein perfider, meist schleichender Vorgang mit dem Ziel, verinnerlichte Einstellungen, Empfindungen und Verhaltensmuster auszulöschen. Bis anhin normale Reaktionen auf Situationen und Ereignisse verblassen und damit auch die Sicherheit und das Vertrauen in die eigenen Überzeugungen und Fähigkeiten.

Einmal auf dieser Stufe angekommen, übernehmen die Erneuerer die Führung, denn Veränderungen in dem hier beschriebenen Ausmass müssen geführt werden. Diese Aufgaben übernehmen Change-Manager, die bereits seit den 70er Jahren den Prozess des Wandels in namhaften Unternehmen erprobt, ausgefeilt und umgesetzt haben. Was einst im Trainingscamp von Unternehmen eingeübt wurde, erlaubt nun den Übergriff auf sämtliche gesellschaftlichen, politischen und institutionellen Organisationen, und zwar mit dem uneingeschränkten Anspruch, das Leben in allen Bereichen zu ökonomisieren (Primat der Wirtschaft). Die Wirtschaftlichkeit oder der materielle Nutzen wird zum Massstab aller Dinge. Was keinen wirtschaftlichen Nutzen bringt, wird ausgemustert.

Oft bleibt das wahre Ziel der Erneuerung sehr vage. In der Regel sind es irreführende Versprechungen, die durch die wiederholte veröffentliche Meinung der gleichgeschalteten Medien plötzlich zu erstrebenswerten Perspektiven für die Zukunft mutieren. Die Manager des Wandels sind die Taktgeber für die Veränderung. Sie geben das Tempo und das Ausmass der Veränderung vor. Mal einen Schritt vorwärts, mal wieder etwas zurück, und sobald der Widerstand gebrochen ist, werden Fakten geschaffen. Die zentrale Aufgabe des Change-Managements ist das Auflösen von Widerständen. Dies geschieht meist durch Entwertung, durch Lancieren von chaotischen Zuständen oder durch Zerstörung. Sind die Fixpunkte ausgelöscht, die den Menschen eine Orientierung geben, kann der Aufbau einer neuen (Welt-) Ordnung in Angriff genommen werden.

Widerstand gegen die Neuprogrammierung der Bürger

In den Kriegsjahren pflegte man in der Schweiz die geistige Landesverteidigung. Heute brauchen wir die geistige Werteverteidigung. Es gilt den Widerstand gegen die Neuprogrammierung des Denkens und Handelns der Menschen durch Infiltration aufzubauen. Viele Erwachsene, vor allem die ältere Generation, lebt und kennt die Werte noch, die dem Menschen Orientierung und Sicherheit geben. Genügsamkeit, Solidarität, Treue und Zuverlässigkeit oder Eigenleistung und Eigenverantwortung sind nur einige Werte, die im völligen Widerspruch zum heutigen Lebensstil stehen, wie Eigenliebe, Streben nach Selbstverwirklichung, Egoismus und Materialismus.

Die Zeit ist reif, dass sich die jungen Generationen wieder vermehrt an der älteren Generation orientieren und die älteren Menschen wieder den Mut fassen, ihre Ansichten und Meinungen zu äussern. Ein gegenseitiges Miteinander wäre wohl der erste Schritt zum Aufbau der geistigen Werteverteidigung. Diese ist auch sehr dringend. Die politischen Rechte und Pflichten der Schweizer Bürger im Rahmen der direkten Demokratie und das höchsteffiziente Milizsystem setzen mündige Bürger voraus.

Dank der direkten Demokratie haben wir in der Schweiz nämlich ein äusserst wirksames politisches Instrument, die Verankerungen der Reformen abzuwehren. Dies allerdings nur, solange die Bürger ihre eigenen Werte und Überzeugungen verteidigen und hochhalten und nicht durch die Neuprogrammierung ihrer Wertehaltungen aufgeben und zu gefügigen Mitläufern werden.

Die Bereitschaft zur Veränderung kreieren

Selbstverständlich verändern sich gewisse Einstellungen in der Gesellschaft. Wieweit dies jedoch durch Infiltration von sich wiederholenden Behauptungen oder durch Marktforschungsberichte in das Bewusstsein der Bevölkerung eingetrichtert wird, ist eine offene Frage. Die über die Medien veröffentlichte Meinung, Public Relation, Werbung, Markt- und Gesinnungsforschung und Kulturschaffende sind sehr wirksame Mittel, um die Bevölkerung veränderungswillig zu machen. Was wird wohl mit den andauernden Klagen über die Kostensteigerung im Gesundheitswesen bezweckt? Der Boden für eine Zweiklassenmedizin und die Bereitschaft in der Bevölkerung, im Gesundheitswesen Rationierungsmassnahmen stillschweigend zu schlucken, wird mit dieser Programmierung durch Wiederholen derselben Aussagen vorbereitet. Oder warum wird der Freihandel als das Instrument für die Förderung des Wohlstandes unüberhörbar propagiert? Der Widerstand gegen Freihandelsabkommen soll gebrochen werden. Nicht anders sieht es aus, wenn die Unfähigkeit der Nationalstaaten, anstehende Probleme zu lösen, beschworen wird. Dahinter steckt der Plan, den Nationalstaat zu entmündigen und durch zentralistisch gesteuerte Grossgebilde unter der Führung einer Weltmacht oder einer Weltregierung zu ersetzen. Der Vorwurf an die Schweiz, «Rosinenpicker» zu sein, ist ein weiterer Versuch, den Widerstand der Bevölkerung gegen den EU-Beitritt zu brechen. Die Reformen der Volksschule in der Schweiz wurden ebenfalls mit Propaganda gegen das bestehende Bildungswesen eingeleitet. Mit dem Ruf nach wirtschaftstauglichen Schulabgängern werden Bürger und Eltern für die Erneuerung der Volksschule programmiert. Nicht weniger perfid sind die Angriffe auf die öffentlichen Unternehmen. Man beschuldigt sie der Ineffizienz und leitet damit die Privatisierung staatlicher Unternehmen ein.

Das Hervorbringen einer neoliberalen Gesellschaft, die sich der Wirtschaft ohne Einschränkung unterwirft, ist die zentrale Aufgabe des Change-Managements. Dem gilt es, einen gesunden Widerstand entgegenzustellen, indem wir mutig und zuversichtlich zu unseren eigenen Überzeugungen stehen.

 

Change-Management in der Landwirtschaft

sl. Unter dem Titel «Keine Angst vor dem Umbau» veröffentlichte die BauernZeitung vom 13. Oktober 2017 ein Interview mit Alt Regierungsrätin Esther Gassler, die seit Oktober 2016 Präsidentin von Agridea ist. Agridea, die landwirtschaftliche Beratungszentrale, Partnerin im landwirtschaftlichen Wissenssystem, nationale und internationale Netzwerkerin, schreibt sich die Entwicklung der Landwirtschaft und des ländlichen Raums auf die Fahnen. Die Kantone und rund vierzig in der Landwirtschaft und im ländlichen Raum tätige Organisationen bilden ihre Trägerschaft.1

Angesprochen auf die an der Delegiertenversammlung angekündigten umfassenden Änderungen, antwortet Esther Gassler: «Die Agridea steht mitten in einem herausfordernden Umbauprozess. Was sich genau ändert, wissen wir noch nicht. Das ganze landwirtschaftliche Wissenssystem soll neu aufgestellt werden. Agridea ist nur ein Teil davon, dazu gehören Agroscope, die kantonalen Beratungen und die Fachhochschulen […] bis jetzt werden nur die Erwartungen und Möglichkeiten des landwirtschaftlichen Wissenssystems gesammelt, über die Umsetzung spricht man jetzt noch nicht.» 

Auf die Frage, wie man denn intern in der Agridea mit dem Umbau des Wissenssystems umgehe, meint Esther Gassler: «Ich kann es mir vorstellen, dass der bevorstehende Umbau Unsicherheiten auslöst. Es ist eine wichtige Aufgabe der Führung, dass man die Angestellten auch in solchen Situationen bei der Stange hält. Die Führung der Agridea vermittelt der Belegschaft Sicherheit und teilt mit, dass das Neue nicht schlecht sein wird. Veränderungen wird es gebe, ja. Aber die Angestellten müssen nicht damit rechnen, jetzt machen sie den Laden zu und fertig. Sicher wird man von den Mitarbeitenden auch eine Bereitschaft verspüren müssen, sich zu verändern, das ist sicher. Aber ich halte fest: Soweit sind wir jetzt noch nicht.» 

Abschliessend will der Interviewer von Esther Gassler wissen, was es für sie bedeute als neue Agridea-Präsidentin in diesem Umbau dabei zu sein und Agridea in dieser nicht einfachen Zeit zu führen. Esther Gasslers Antwort spricht für sich: «Dass ich neu bin, hat den Vorteil, dass ich gar nicht so genau weiss, wie man es früher machte! Ich habe nicht Angst vor diesem Umbau. Im Gegenteil: Ich liebe solche Umgestaltungsprozesse.»

Das ist Change-Management gemäss Drehbuch von John Kotter2. Zuerst wird durch Ankündigung von umfassenden Veränderungen Leidensdruck aufgebaut. Es wird aber nicht gesagt, wohin die Reise geht, sondern die Betroffenen sollen unter Führung von Frau Gassler und ihrem Team Erwartungen und Möglichkeiten zusammentragen, damit die «richtige Vision» erarbeitet werden kann. Um eventuellem Widerstand vorzubeugen, wird betont, dass das Neue nicht schlecht sein wird und dass von den Betroffenen Offenheit und die Bereitschaft zur Veränderung erwartet werde. Es geht Frau Gassler in keiner Art und Weise darum, die gewachsenen und bewährten Strukturen weiterzuentwickeln. Sie ist sogar froh, dass sie diese Strukturen gar nicht kennt und «Neues», was auch immer es sein wird, top-down implementieren kann. Diese unsägliche Arroganz gehört zurückgewiesen, sie hat in der politischen Kultur der direktdemokratischen Schweiz nichts zu suchen. 

1 Quelle: www.agridea.ch/de/

2 siehe Fussnote im Kasten S. 11 und  https://organisationsberatung.net/change-management-modelle-im-vergleich/#Das_8Stufenmodell_von_John_P_Kotter

Wie soll in den Schulen gelernt werden?

von Dr. phil. Alfred Burger, Schulleiter

Lernen macht einen wichtigen Teil der Natur des Menschen aus. Wir Menschen sind von Geburt an darauf angewiesen, viel zu lernen. Wir lernen laufen, wir lernen sprechen, wir lernen mit anderen Menschen auf vielfältige Weise in Beziehung zu treten, wir lernen Kulturtechniken und vieles andere mehr. Dafür sind wir mit einem Gehirn ausgestattet, das praktisch unbegrenzt lernfähig ist. Treten die Kinder in die Schule ein, haben sie schon einen grossen Weg im Lernprozess durchgemacht. Umso erstaunlicher ist es darum, dass es vielen grosse Mühe bereitet, den Schulstoff zu lernen. Gerade heute müssen wir feststellen, dass viele Schulabgänger in der deutschen Muttersprache und mit einfachen Rechnungen ihre Probleme haben. Die Lehrlingsausbildner können oft ein Lied davon singen, etwa ein Zimmermann, der nicht verstehen konnte, dass sein Zweitlehrjahrstift ein Brett nicht halbieren konnte.

Bild zvg

 

 

Die Lernfähigkeit unserer Kinder hat sich nicht verändert. Nach wie vor kommen die meisten motiviert in die Schule und wollen lernen. Dass viele, natürlich nicht alle, heute aber vielfach die einfachsten Dinge nicht mehr beherrschen, ist eine offensichtliche Tatsache, die viele Lehrmeister bestätigen können. Das ist nicht etwa die Leier, die besagt, dass die ältere Generation seit Jahrhunderten über die jüngere sagt, sie könne weniger. Damit wollen die Verantwortlichen heute nur die Situation verharmlosen. Tatsächlich ist die Sprachfertigkeit bei vielen Jugendlichen auf ein so erschreckend tiefes Niveau gesunken, dass man sich ernsthaft Gedanken machen muss, wie es weiter gehen soll. Mit noch weitergehenden Reformen natürlich, sagen die Schulreformer – sie übersehen dabei wohlweislich, dass ihre Reformen in den Schulen schon weit gegriffen haben und heute mit dem Lehrplan 21 nur noch das amtliche Siegel draufgedrückt wird. 

Kreativität entsteht nicht durch Selbstversuche und Gewährenlassen

Seit Jahrzehnten ist in unseren Schulen zu beobachten, dass wir unsere Kinder systematisch vom Lernen wegbringen. Einige Theoretiker, die heute sagen, sie hätten unter der Schule gelitten, ihren Weg aber dank der Schule gemacht haben und heute in wichtigen Positionen sitzen, vertreten die Ansicht, alles Lernen hätte spielerisch zu geschehen. Sonst würde das den Kindern keine Freude machen. Die Schulbücher haben sich dementsprechend verändert. Vor allem viel Spass und wenig Übungen. Im Rechnen keine Stöcklis mehr, die zu bewältigen sind, dafür witzige und spannende Aufgaben. Es ist dabei zu bezweifeln, ob diese Autoren wissen, was Kinder interessant finden. Diese Aufgaben finden höchstens einige sogenannt Hochbegabte gut.

In den Deutschbüchern wimmelt es von Hexen, Piraten, Drachen und erfundenen Phantasiefiguren. Fast keine realistischen Lesestücke mehr, kaum noch Übungen. Die Arbeitsblätter bestehen fast ausschliesslich aus Lückentexten – die Kinder setzen ihre Intelligenz so ein, die Lücken zu erraten, ohne den Satz zu lesen oder ihn zu verstehen. Sogar die verbundene Schreibschrift schien dem Verursacher der Basisschrift zu schwierig zum Lernen. Er hat eine mehr oder weniger unverbundene Schrift kreiert, mit der die Kinder nun angeblich nicht mehr leiden sollen. Dabei lernen die Schüler mit der verbundenen Schrift ungemein viel an Hand-Augen-Koordination. Wie absurd diese Ansichten sind, zeigt ein Vergleich mit China: Dort lernen die Kinder über 2000 Zeichen für ihre Schreibschrift. Und unsere sollen mit 25 Zeichen überfordert sein? Für wie dumm halten diese Theoretiker unsere Kinder eigentlich? Die gleiche Denkweise steckt übrigens auch hinter der Meinung, Kinder sollten nicht in Häuschen schreiben, oder nicht immer von links nach rechts, das schränke sie in ihrer Kreativität ein. Ausserdem treibt noch ein anderer Schwachsinn Blüten: was der Schüler nicht selbst herausfinde und erfahren habe, bleibe nicht, möglichst viel an Stoff soll selbst entdeckt werden. So wird die Zeit munter vergeudet mit stundenlangem Pröbeln. Etwas, was ein guter Lehrer den Kindern in einer Stunde beigebracht hätte. Kreativität entsteht eben nicht durch Selbstversuche und durch Gewährenlassen.

Üben, üben, üben

Nein, sie entsteht, wenn man die Grundlagen gut beherrscht. Oder denken die Vertreter dieser abstrusen Methoden etwa, die bekannten Maler hätten ihre Kreativität auf diese Weise erworben? Nein, durch stundenlanges Kopieren alter Meister etwa in den Museen und durch stetes Üben. Auch Roger Federer ist nicht etwa durch selbstorganisiertes Lernen und Gewährenlassen durch den Tennislehrer zum Meister gereift. Er musste die Grundschläge bis zum Abwinken üben. Erst dann kam die Kreativität. Und in der Schule soll alles anders sein? Abschreiben? Auswendiglernen? Diktate? Korrekturen durch den Lehrer und dann noch Verbesserungen schreiben? Das war gestern! Das alles sei eben einschränkend und verhindere die Kreativität. Darum schreiben wir frisch von der Leber weg, Rechtschreibung ist unwichtig, von Bedeutung sei es, ob man den Sinn verstehe … und so weiter und so fort, der Schwachsinn nimmt kein Ende.

Wir müssen die Kinder fordern

Viele dieser Methoden stammen aus der Montessori Pädagogik. Maria Montessori hat ihre Methodik für Kindergartenkinder ausgearbeitet. Diese Methoden haben in der Primarschule nichts zu suchen. Im Alter der Grundschulkinder hat sich das Gehirn der Kinder weiter entwickelt, die Schüler beginnen zunehmend rational und analytisch zu denken. Auch beim Lernen von Fremdsprachen ist man dem gleichen Unsinn aufgesessen, man wollte den Kindern Sprache beibringen, als wenn sie noch Dreijährige gewesen wären: alles spielerisch, ohne Schreiben usw., eben lernen wie ein Kleinkind. Das Desaster ist bekannt.

Lernen in der Schule ist eine Aufgabe, die Kinder bewältigen müssen. Da muss man sich auch anstrengen, man muss sich hinsetzen können, sich etwas einprägen, auswendig lernen, üben, üben, üben, wiederholen. Sonst sitzt der Stoff nicht. Dazu gehören eben viel Abschreiben, Diktate, Auswendiglernen, Nacherzählen, Zusammenfassen, Korrekturen schreiben, Wiederholungen usw., alles Dinge, die heute völlig verpönt sind. Ohne Lehrer ist dieser Prozess für die allermeisten Kinder nicht zu bewältigen. Sie brauchen ihn – jemanden, der ermutigt, fordert und auch Anerkennung gibt. Die Didaktiker früher waren erfahrene Lehrer und haben sich mit der Natur des Lernens und den im Stoff innewohnenden Problemen auseinandergesetzt und Schulbücher geschrieben, die sorgfältig aufgebaut und die Kinder Schritt für Schritt an die Schwierigkeiten herangeführt haben. Heutige Schulbücher hingegen sind nur chaotisch und in Wirklichkeit unbrauchbar. Geschrieben von ideologisch gefärbten Autoren, als Lehrer oft gescheitert, die Kindern nichts zutrauen und denken, man müsste ihnen alles abnehmen. Das Gegenteil ist der Fall: Wir müssten die Kinder wieder mehr fordern, wir müssten ihnen etwas abverlangen, statt sie in Watte zu betten und das Verwöhnungsprogramm fortzusetzen, das heute in vielen Elternhäusern vorherrscht. Sonst laufen wir Gefahr, die Kinder in den Schulen wirklich zu Minderbemittelten heranzuziehen.

Rückbesinnung auf bewährte Methoden und die Bedeutung des Lehrers

Das Problem in den Schulen von früher war denn auch nie die Methoden und die Bücher – auch wenn sie vielleicht wirklich etwas eintönig waren und etwas mehr Abwechslung ihnen gut getan hätte. Es war die übermässige Strenge von einzelnen Lehrern, die fehlende Flexibilität der Lehrer, auf die verschiedenen Kindercharaktere einzugehen, die manchmal fehlende menschliche Wärme im Klassenzimmer und andere Einflüsse, die sich negativ auf die Kinder ausgewirkt haben. Das alles ist aber heute schon längst nicht mehr so. Es bräuchte heute eine Rückbesinnung auf die bewährten Methoden, wie ich sie oben angeführt habe. Sie wurden von Ideologen verteufelt und in Zusammenhang mit einer verstaubten, autoritären und gar menschenunwürdigen Schule gebracht, die es schon lange nicht mehr gab. So hat man diese Methoden gedankenlos über Bord geworfen und damit erreicht, dass die Kinder heute vielfach keine Grundlagen mehr haben, wenn sie die Schule verlassen.

Tatsächlich schreibt man heute kaum noch Diktate, kaum Aufsätze – korrigiert wird häufig auch nicht mehr. Es wäre für die Kinder ein Segen, wenn man sich in der Schule rückbesinnen würde auf die bewährten Methoden – und vor allem auf die Bedeutung des Lehrers. Lernbegleiter und Animatoren oder facilitators (Erleichterer) wie sie im angelsächsischen Raum heissen, werden nicht in der Lage sein, von den Kindern mehr zu fordern und sie zum Üben anzuhalten.

Dem Schweizer Samariterwesen als Teil des Milizwesens gilt es, Sorge zu tragen

von Susanne Lienhard und Henriette Hanke Güttinger

Derzeit wird das Kurs- und Ausbildungswesen des Schweizerischen Samariterbundes (SSB) umfassenden Reformen unterzogen, die nicht wenige Samaritervereine in Bedrängnis und Not bringen. Das war für uns Anlass, der Entstehungsgeschichte des Samariterwesens in der Schweiz und dessen Bedeutung für das Zusammenleben in den Gemeinden nachzugehen. Elfie Ehrat, langjährige, überzeugte Samariterin, hat uns zu einem ausführlichen Gespräch empfangen.

Elfie Ehrat ist Gründungsmitglied des Samaritervereins Tägerwilen im Kanton Thurgau. Sie erzählte uns als erstes, wie es zur Gründung kam und wie sie selbst zur überzeugten Samariterin wurde: «Ich bin eigentlich zum Samariterwesen gekommen wegen einem ganz dummen Spruch. Einer meiner Mitarbeiter, Lorenzo Carlet, kam im Sommer 1989 zu mir ins Büro und fragte: ‹Wo isch din Ma?› ‹Kei Ahnig›, antwortete ich, ‹ich nimm a, das er bi sire Arbet isch. Aber gäll, d'Frauä si dir zweni!› Er machte auf dem Absatz kehrt und sagte: ‹Du bisch buechet!› Ich wollte wissen, wofür denn. Kurzum erklärte er mir, dass er in Tägerwilen einen Samariterverein gründen wolle und bereits zwei Samariterlehrerinnen und zwei Ärzte habe, die mitmachen würden. Er könnte das Präsidium übernehmen, ein Aktuar und ein Vizepräsident stünden auch zur Verfügung, jetzt brauche er einfach noch einen Materialwart. Ich nahm die Herausforderung an. Blindlings stieg ich ein und dachte, irgendwie kann ich das dann schon. Von der damaligen Samariterlehrerin, Erika Thaler, konnte ich sehr viel lernen. Sie half mir bei der Materialbestellung. Als erstes machte sie mit uns den Samariterkurs und das Modul ‹Postendienst›, damit wir bei Anlässen im Dorf Erste Hilfe leisten konnten. Jeder von uns gewann in seinem Bekanntenkreis weitere Mitglieder, so dass wir bald 20 Mitglieder zählten. Die Arbeit in unserem Verein machte mir Freude, und ich konnte das Gelernte auch im privaten Leben gut einsetzen. Ich übernahm zunehmend Verantwortung, wurde Aktuarin und durfte später den Verein auch einige Jahre als Präsidentin leiten. Als Aktuarin des Kantonalverbands konnte ich die Anliegen der Samariter auch während 15 Jahren im Samariterverband Thurgau vertreten.» Diese lebendige Schilderung der Gründung des Samaritervereins Tägerwilen veranschaulicht die politische Kultur in der Schweiz. Die Initiative kommt von unten. Bürger waren der Meinung, dass bei Dorfanlässen auch für Erste Hilfe gesorgt sein müsse. Sie ergriffen die Initiative, überzeugten andere von ihrer Idee und gründeten mit ihnen einen örtlichen Samariterverein. Ausser den Samariterlehrerinnen und den Ärzten waren alle Laien, die sich freiwillig in Erster Hilfe ausbildeten.

Ein Blick in die Geschichte

Genauso wie Lorenzo Carlet in Tägerwilen legte im 19. Jahrhundert der Feldweibel Ernst Möckly den Grundstein für das Schweizerische Samariterwesen. Mit dem Ziel, bei Unfällen an zivilen Veranstaltungen wie etwa an Schützen- oder Turnfesten mit einem Sanitätsdienst Hilfe zu leisten, gründete er 1880 – inspiriert von den Sanitätstruppen der Milizarmee – den Militärsanitätsverein Bern. Die Lektüre des Buches «Samariterschule» des deutschen Arztes und Kriegschirurgen Friedrich Esmarch regte ihn an, zusammen mit dem Arzt Robert Vogt für die Berner Bevölkerung einen ersten Samariterkurs anzubieten. Bereits nach dem zweiten Kurs wurde 1885 in Bern der erste Samariterverein gegründet. Bald wurden auch in anderen Orten Samariterkurse durchgeführt, und meistens entstanden daraus weitere örtliche Samaritervereine. 1888 schlossen sich dann in Aarau die ersten 14 Samaritervereine zum Schweizerischen Samariterbund zusammen. Von Anfang an suchte der SSB die Verbindung zum Schweizerischen Roten Kreuz (SRK) und unterzeichnete 1888 eine erste Vereinbarung, die bis heute besteht. Der SSB ist heute eine der fünf Rettungsorganisationen, die dem Roten Kreuz angegliedert sind: Samariterbund, Redog (Rettungshunde), SLRG (Rettungsschwimmer), SMSV (Militärsanitätsverband), REGA (Rettungsflugwacht).

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts brachten die Industrialisierung und der zunehmende Verkehr auf der Strasse neue Unfallgefahren mit sich. Die Medizin machte zwar grosse Fortschritte, die Zahl der Ärzte blieb aber gering. In abgelegenen Gebieten gab es gar keine Ärzte. Die Menschen mussten sich also selbst zu helfen wissen. Hier erhielten die Samaritervereine mit ihren Bevölkerungskursen eine zentrale Aufgabe.

Auf Initiative der Frauen kamen dann zur Ersten Hilfe weitere Kurse dazu: 1894 Hausbesuche bei Kranken, 1902 Säuglingspflege und Hygiene. Während der beiden Weltkriege und insbesondere während der Grippeepidemie von 1918 waren die Dienste der Samariter sehr gefragt. In vielen Gemeinden, auch in der Romandie und im Tessin entstanden weitere Samaritervereine. 1945 gab es schweizweit 1160 Vereine mit 51 234 aktiven Mitgliedern. Der zunehmende Verkehr und die damit steigende Unfallgefahr veranlasste 1977 den Bundesrat, für alle Fahrschüler den 1965 ins Leben gerufenen Nothelferkurs für obligatorisch zu erklären. 1968 waren Kurse für Junge erstmals angeboten worden. Seit 1993 gibt es Kurse für Herz-Lungen-Wiederbelebung. 1977 hatte die Samariterbewegung mit 66 794 aktiven Mitgliedern ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Heute zählt der SSB schweizweit noch 26 000 Aktivmitglieder, die sich in 1000 Samaritervereinen und rund 127 HELP-Jugendgruppen freiwillig engagieren.

Dieser Gang durch die Geschichte macht eines ganz deutlich: Das Schweizer Samariterwesen ist wie die Schweiz auch von unten gewachsen und hat sich, ausgehend von den lokalen Bedürfnissen und unter Einbezug neuer medizinischer Erkenntnisse, ständig weiterentwickelt. Es lebt vom freiwilligen Engagement der Bürger, die uneigennützig einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten. Auch die föderalistische Struktur des Samariterwesens spiegelt den Aufbau der Willensnation Schweiz wider: 1000 lokale Samaritervereine auf Gemeindeebene, 24 Kantonalverbände und der Samariterbund auf Bundesebene. Sie teilen sich die Aufgaben subsidiär, d. h., nur Aufgaben, die auf lokaler Ebene nicht gelöst werden können, werden an die nächst höhere Ebene delegiert.

Warum sich in einem Samariterverein engagieren?

Wir wollten von Elfie Ehrat wissen, was sie seit bald 30 Jahren motiviert, sich für das Samariterwesen zu engagieren. Ihre spontane Antwort: «Die Freude am Helfen. Wir haben auf dieser Welt so viel Leid. Wenn ich abends die Tagesschau sehe, ziehen Flüchtlingsströme vorbei, Menschen, die gar nichts mehr haben – ich bin auch froh um Hilfe, wenn ich in Not bin, warum soll ich also nicht helfen? Als Samariterin fährt mir zwar auch der Schreck in die Glieder, wenn ich an einen Unfall komme. Aber ich weiss, was ich tun kann. Ich sichere die Unfallstelle ab, gehe zum Verunfallten hin und sage: ‹Grüezi, ich bin d'Elfie Ehrat, was isch passiert?› Er beginnt zu erzählen, und ich fahre automatisch runter und leiste die notwendige Erste Hilfe. Ich kann helfen, und am Schluss habe ich jemanden vor mir, der so dankbar ist, dass ich ihm geholfen habe. Das ist wie ein Geschenk. Auf dem Sanitätsposten und oft auch bei einem Unfall sind die Samariter das erste Glied in der Rettungskette und können Erste Hilfe leisten, bis professionelle Rettungskräfte kommen.

Helfen zu können ist also ein wichtiger Punkt, die Kollegialität, der Grundgedanke von Henry Dunant, miteinander etwas erreichen zu können, ein weiterer. Im Samariterverein arbeite ich mit ganz verschiedenen Menschen zusammen. Die Bäuerin, der Metzger und die Lehrerin aus dem Dorf, die erfahrene Samariterin, die junge Mutter, die wissen will, was tun, wenn ihren Kindern etwas zustösst, der Student und die Lehrtochter – wir helfen gemeinsam. Es gibt nicht die Gescheiten und die Dummen. Das ist das Schöne im Verein, jeder kann sich mit seinen Fähigkeiten und Stärken einbringen, und man kann viel voneinander lernen. Wenn wir nach den Übungen noch zusammensitzen, haben wir es auch oft lustig und unterhalten uns über Gott und die Welt. Dank dem Samariterverein bin ich hier im Dorf so stark verwurzelt.

Ein dritter Grund, weshalb ich mich im Samariterwesen engagiere, ist, dass ich sowohl im Verein als auch im Kantonalverband mitgestalten kann. Ich möchte, dass es die Samariter auch in 20 Jahren noch gibt.»

Samariterjugend – eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung

Elfie Ehrat betonte, dass es besonders wichtig sei, schon den Kindern und Jugendlichen die Freude am Helfen weiterzugeben. Die HELP-Samariterjugend und das noch junge Projekt des «Schulsamariters» zeigen, dass Kinder und Jugendliche auf den Samaritergedanken sehr ansprechbar sind. Elfie Ehrat kennt die Samariterlehrerin Ursula Held aus Kreuzlingen, die es versteht, eine Gruppe mit über 30 Helpis für die Samariterarbeit zu begeistern. Sie lehrt sie in altersgerechten Übungen, ganz nach dem Motto HELP (Helfen, Erleben, Lernen, Plausch), wie sie Erste Hilfe leisten können. Bis jetzt gibt es in der Schweiz 127 Jugendgruppen mit insgesamt 2714 Kindern und Jugendlichen. Die Idee des noch jungen Projektes «Schulsamariter» ist, in möglichst vielen Schulen Schülerinnen und Schüler als Samariter auszubilden, damit sie bei Unfällen auf dem Pausenplatz, bei Sportveranstaltungen, auf der Schulreise, aber auch in der Freizeit rasch und kompetent Erste Hilfe leisten können. Die ersten Minuten können für den Erfolg der Hilfeleistung entscheidend sein. Ihre Ausbildung ist stufengerecht für die Mittel- und Oberstufe konzipiert und dauert vierzehn Stunden. Erste Kinder und Jugendliche haben sich mit viel Freude und Engagement bereits zu Schulsamariterinnen und Schulsamaritern ausbilden lassen – so auch in Kreuzlingen. Sie haben nicht nur gelernt, Erste Hilfe zu leisten, sondern wissen auch, dass es auf sie ankommt. Sie lernen Verantwortung zu übernehmen und vor allem auch zusammenzuarbeiten. Das Projekt steht und fällt natürlich mit Lehrerinnen und Lehrern, die sich für die Idee des Schulsamariters begeistern und an ihrer Schule die Initiative ergreifen. Der örtliche Samariterverein unterstützt Schulleitung und Lehrkräfte gerne beim Erstellen eines Schulsanitätskonzeptes und nimmt sich der Ausbildung der Schülerinnen und Schüler an.

Viele Kinder und Jugendliche verbringen aus Langeweile Stunden mit ihrem Smartphone oder vor dem Computer. Ein Engagement bei der Samariterjugend ist eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung, die Spass macht und den Kindern und Jugendlichen viel an die Hand gibt, was sie später im Leben gut brauchen können.

In altersgerechten Übungen lernen Kinder und Jugendliche ganz nach dem Motto HELP (Helfen, Erleben, Lernen, Plausch), wie sie Erste Hilfe leisten können. (Bild SSB)

 

Bedeutung für das Gemeinwesen

Neben der Jugendarbeit übernehmen die Samaritervereine in den Gemeinden noch viele andere Aufgaben. Sie leisten Sanitätsdienst an Sport- und anderen Veranstaltungen im Dorf. Für die Bevölkerung bieten die Samaritervereine zahlreiche Kurse an: Nothilfe, Unfälle bei Kleinkindern, Pflege bei ansteckenden Krankheiten etc. und geben so ihr Wissen weiter. Bricht im Dorf zum Beispiel Feuer aus, arbeiten sie mit der freiwilligen Feuerwehr zusammen. 2015, als zahlreiche Flüchtlinge in der Ostschweiz ankamen, halfen Samariter bei deren Betreuung. Für das Schweizerische Rote Kreuz organisieren die Samaritervereine die regelmässigen Blutspendeaktionen und in einigen Gemeinden die Altkleidersammlung für Texaid.

Die sieben Grundsätze Henry Dunants nicht vergessen

Elfie Ehrat gibt abschliessend zu bedenken, dass gerade in der heutigen Welt die sieben Grundsätze Henry Dunants, denen sich jeder Samariter verpflichtet fühlt, im menschlichen Zusammenwirken wieder mehr im Zentrum stehen müssten: Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Neutralität, Unabhängigkeit, Freiwilligkeit, Einheit und Universalität. Dann sähe die Welt vielleicht ein bisschen besser aus.

Nach dem angeregten Gespräch mit Elfie Ehrat ist uns klar, dass wir allen Grund haben, dem historisch gewachsenen Samariterwesen Sorge zu tragen. Es ist Teil des Milizwesens, das wie ein filigranes Netz unser ganzes Staatswesen durchzieht. Es lebt vom Gemeinsinn, von der Bereitschaft der Bürger, freiwillig zu Gunsten der Gemeinschaft Aufgaben zu übernehmen. Es entspricht dem direkt-demokratischen Verständnis der Schweiz und kann durch keine noch so professionelle Rettungsorganisation ersetzt werden.

 

Kommentar

Gedanken zur aktuellen Umstrukturierung des Samariterwesens

sl. Es steht ausser Diskussion, dass neue medizinische Erkenntnisse in die Samariterarbeit einfliessen müssen. Das ist über all die Jahre auch selbstverständlich geschehen. Die Samariterlehrerinnen haben sich ständig weitergebildet und in den monatlichen Übungen den Samariterinnen und Samaritern ihr neu gewonnenes Wissen weitergegeben.

Bei den aktuellen Umstrukturierungen geht es aber um etwas anderes. Der SSB hat seine Kurse und Ausbildungen durch den Interverband für Rettungswesen (IVR) für teures Geld zertifizieren lassen und wird das alle fünf Jahre wiederholen müssen. Das hat zur Folge, dass das bisher organisch gewachsene Kurs- und Ausbildungswesen «grossen und umfassenden Änderungen» unterzogen wird, wie die Zentralsekretärin des SSB Regina Gorza im Strategiepapier «Planung 2017» verlauten lässt. Während bisher jeder, der den Samariterkurs absolviert hatte und regelmässig an den vereinsinternen Übungen und Weiterbildungen teilnahm, Samariter war, wird in der «Strategie 2020» nun eine Hierarchie eingeführt: man unterscheidet zwischen Ersthelfer Stufe 1, Ersthelfer Stufe 2 und Ersthelfer Stufe 3. Alle drei Stufen setzen die Absolvierung bestimmter Kurse voraus. Genauso gibt es nicht mehr einfach Samariterlehrerinnen und Samariterlehrer, sondern einen Kursleiter 1, einen Kursleiter 2 und den Samariterlehrer, die je genau definierte Kompetenzen haben. Zudem wird neu die Ausbildung zum Vereinscoach angeboten, der die Samaritervereine bei der Umstrukturierung begleiten und beraten soll.

Unter dem Vorwand Qualitätssicherung werden hierarchische Strukturen eingeführt, mittels derer das Samariterwesen top-down «geführt» werden kann. Das ist etwas völlig anderes, als das oben beschriebene von unten gewachsene, demokratisch verankerte Samariterwesen, das integraler Bestandteil des Schweizer Milizwesens ist.

Dieser Vorgang erinnert an einen ähnlichen Prozess im Bildungswesen. In den letzten 25 Jahren wurden mittels Organisationsentwicklung und Change-Management1 die gewachsenen direkt-demokratischen Strukturen der Volksschule aufgebrochen. So wurden zum Beispiel im Kanton Zürich die Bezirksschulpflegen, die die demokratische Verankerung der Volksschule garantierten, abgeschafft und in jedem Schulhaus ein Schulleiter eingesetzt, dessen Aufgabe es nun ist, den neuen Lehrplan 21 trotz Widerstand von Lehrern und Eltern einzuführen und dessen Umsetzung zu überwachen.

Solche Vorgänge höhlen die Volkssouveränität aus und schwächen damit die Schweiz als Ganzes. Wer hat daran ein Interesse?

1 «Change-Management» ist eine Methode aus dem Führungsmanagement, die bewusst eingesetzt wird, um gewachsene Systeme aufzubrechen und deren Führung zu übernehmen. John Kotter formuliert dazu acht Schritte zur wirksamen Veränderung von Organisationen:
1. Leidensdruck erhöhen
2. Führungsteam entwickeln
3. Die richtige Vision erarbeiten
4. Positiv kommunizieren
5. Aktivität ermöglichen
6. Für schnelle Erfolge sorgen
7. Nicht aufgeben!
8. Den Wandel verankern

Ein Weihnachtsgeschenk?

Liebe Leserin, lieber Leser

Wir danken Ihnen herzlich, dass Sie Zeitgeschehen im Fokus lesen und hoffen natürlich, dass Ihnen unsere Zeitung gefällt. Möglicherweise suchen Sie noch nach einem geeigneten Weihnachtsgeschenk. Unsere Zeitung wäre doch eine wirkliche Bereicherung für den Gabentisch. Finden Sie nicht auch? Daher möchten wir Sie einladen, bei uns ein Geschenkabonnement für ein Jahr zu bestellen.

Herzlichen Dank und weiterhin viele interessante Stunden beim Lesen unserer Zeitung.

 

Mit freundlichen Grüssen

Das Redaktionsteam

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