Dialog statt Konfrontation

Die Aufgabe der Schweiz im Konzert der Völker

von Thomas Kaiser

In seinem neusten Buch mit dem Titel «Was jetzt auf dem Spiel steht – Mein Aufruf für Frieden und Freiheit» hält Michail Gorbatschow, ehemaliger Staatschef und Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion etwas Grundsätzliches fest: «Die Differenzen zwischen Staaten dürfen einzig und allein mit friedlichen Mitteln beigelegt werden, mit Hilfe von Dialog und Verhandlungen.» 

Das ist ein Grundsatz, der in verschiedenen internationalen Verträgen und Abkommen festgeschrieben ist. Insbesondere die Uno-Charta steht für dieses Prinzip: Friedliche Lösung von Konflikten, Achtung der staatlichen Souveränität und damit das Verbot, sich in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einzumischen. Dahinter verbirgt sich auch der Respekt vor den anderen Staaten, vor ihren Menschen, ihren Traditionen und Kulturen; etwas Grundlegendes, was in letzter Zeit immer häufiger verletzt und missachtet wird.

Der Weg des Dialogs

Würden diese Grundsätze weltweit Anwendungen finden, gehörten gewalttätige Konflikte der Vergangenheit an. Wenn man verschiedene Auseinandersetzungen der letzten Dekaden Revue passieren lässt, sind es am Ende häufig Verhandlungen, die den Frieden und damit das Ende des Blutvergiessens besiegeln. Unsägliches Leid und Elend wären zu vermeiden gewesen, hätte man vorher den Weg des Dialoges beschritten und dabei Macht- und Wirtschaftsinteressen sowie persönliches Prestige in den Hintergrund gestellt.

Länder, die wie die Schweiz keine «hidden agenda» besitzen, sind prädestiniert, als Mediatoren in der Welt zu wirken, wenn der direkte Dialog zwischen zwei Konfliktparteien nicht mehr möglich ist. Die Neutralität des Landes bildet die Grundlage dafür, die Vermittlung zwischen verfeindeten Staaten zu fördern, um auf eine friedliche Lösung hinzuarbeiten. In unzähligen Fällen ist dies dem Land gelungen. 

Vermittlungen in rund zwei Dutzend Konfliktfällen

Laut dem Departement für Auswärtige Angelegenheiten hat die Schweiz seit der Jahrtausendwende in rund zwei Dutzend Konfliktfällen vermittelt und mit ihren Guten Diensten zur Aufrechterhaltung von diplomatischem Austausch beigetragen. Die folgenden vier Beispiele zeigen, wie breit das Spektrum ist. Es gelingt der Schweiz, positiven Einfluss auf die Beilegung von Konflikten zu nehmen.

Im Jahre 2002 wurde auf dem Bürgenstock ein Waffenstillstandsabkommen zwischen der sudanesischen Volksbefreiungsarmee und der Regierung Sudans geschlossen. Das unter der Vermittlung der Schweiz zustande gekommene Abkommen beendete damals den jahrelangen Konflikt in den Nuba-Bergen. 

2009 unterzeichneten die Aussenminister der Türkei und Armeniens in der Aula der Universität Zürich ein Abkommen über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen, die seit 1993 auf Eis gelegt waren. Bei der Unterzeichnung waren neben der Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey ihr russischer Amtskollege Sergej Lawrow sowie die US-Aussenministerin Hillary Clinton anwesend.

Ein weiteres Beispiel ist der 2016 zwischen den Farc-Rebellen und der kolumbianischen Regierung abgeschlossene Friedensvertrag. Auch hier hat sich die Schweiz als Mediator einen Namen gemacht. Mit ihrer Unterstützung ist es gelungen, eine 52jährige schwere Auseinandersetzung zu beenden.

Jüngster Erfolg in der Vermittlung eines seit Jahrzehnten andauernden gewalttätigen Konflikts war der Friedensvertrag zwischen der Regierung von Moçambique und den Renamo-Rebellen. Die Friedensverhandlungen erstreckten sich über fast drei Jahre und konnten mit der Unterzeichnung eines Vertrags Anfang August 2019 zu Ende geführt werden.

Bereit sein, Kompromisse einzugehen

Erfolgreich wird der Dialog dann, wenn die Konfliktparteien bereit sind, Kompromisse einzugehen. Diese Kompromissbereitschaft ist natürlich von vielen Faktoren abhängig, wobei die Rolle des Vermittlers nicht zu unterschätzen ist. 

Die Erfolge der Schweiz haben verschiedene Ursachen und hängen zum einen mit der erwähnten Neutralität zusammen und zum andern aber auch mit der konsequenten Umsetzung dessen, was Michail Gorbatschow für alle Staaten fordert: das Setzen auf Dialog anstatt auf Konfrontation. 

Damit unser Land auch in Zukunft diese segensreiche Aufgabe, die ihr die Geschichte gestellt hat, erfüllen kann, muss es seine Unabhängigkeit und Neutralität erhalten. Das heisst, es darf sich keinem wie auch immer gearteten Bündnis anschliessen, schon gar keinem Militärbündnis, sich nicht mit einseitigen Verträgen von irgendwelchen internationalen Organisationen abhängig machen und muss stets die eigene Souveränität wahren.

Wenn wir uns die Worte Michail Gorbatschows zu Herzen nehmen und den Dialog und den Austausch in den Vordergrund stellen, könnte das Jahr 2020 friedlicher werden als das zu Ende gehende. Die Instrumente und die Erkenntnisse sind vorhanden. Jetzt ist es an uns Menschen, diese ein- und umzusetzen. 

 

Putsch in Bolivien: Morales‘ Erfolg widerspricht der These, dass nur die Liberalisierung wirtschaftliche Fortschritte bringt

Die neue Putschregierung hat keine Legitimation

Interview mit Prof. Dr. iur. et phil. Alfred de Zayas, Völkerrechtler und ehemaliger Uno-Mandatsträger

Professor Alfred de Zayas (Bild thk)
Professor Alfred de Zayas (Bild thk)

Zeitgeschehen im Fokus Wie schätzen Sie die Vorgänge in Bolivien ein?

Professor Alfred de Zayas Keine Regierung und keine Organisation, sei es die Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) oder das Uno-Hochkommissariat für Menschenrechte, darf jemals mit dieser Putschregierung, mit diesen Usurpatoren, zusammenarbeiten. Es müssen so schnell wie möglich demokratische Wahlen durchgeführt werden mit einer breiten internationalen Beobachtung.

Es ist völlig klar, dass Morales, ob 8 oder 10 Prozent mehr als Carlos Mesa, die erste Runde komfortabel gewonnen hat. Das ist deutlich, und er hätte mit Sicherheit die zweite Runde auch gewonnen. Das heisst, die Mehrheit der Bevölkerung unterstützt seine Programme.

Was waren das für Programme?

Seine Programme waren wirtschaftlich erfolgreich. Die Wirtschaft in Bolivien hat besser funktioniert, und zwar nicht nur besser als vor seiner Wahl, sondern auch viel besser als in allen anderen Staaten um Bolivien herum. Damit hat Morales Millionen von Menschen aus der Armut geholt. Er hat ein Modell umgesetzt, das funktioniert. Gerade deshalb wollte man ihn weghaben.

Das scheint ein bekanntes Muster zu sein?

Ja, sowie man ein sozioökonomisches Modell hat, das funktioniert, ist es ein Beispiel für alle anderen lateinamerikanischen Staaten, die sich dann vom Neokolonialismus des Internationalen Währungsfonds und von den Praktiken der transnationalen Organisationen befreien wollen, die alle ihre Profite in ein Steuerparadies schicken und die Steuern im eigenen Land nicht bezahlen.

An welche Steuerparadiese denken Sie dabei?

Nicht nur an die Bahamas, die Cayman Inseln oder Panama, sondern es gibt sie auch direkt in verschiedenen Bundestaaten der USA, z. B. in Delaware.

Sie haben den Internationalen Währungsfonds erwähnt? Was spielt er für eine Rolle?

Der Internationale Währungsfonds ist eine kriminelle Organisation, die die Länder abhängig macht. Ich habe das in meinen Berichten an die Uno-Generalversammlung deutlich gesagt.1 Mit dem Putsch in Bolivien droht diesem Land genau das, was Mauricio Macri mit Argentinien gemacht hat. Er hat Argentinien immens verschuldet, und es wird für den neuen argentinischen Präsidenten Alberto Fernandez sehr schwer, da wieder herauszukommen. Es wird Jahre dauern.

Warum musste Morales weg?

Morales ist es gelungen, das Land zu konsolidieren. Seine wirtschaftlichen und sozialen Massnahmen haben die Lebensbedingungen der Menschen entscheidend verbessert. Deshalb ist er gestürzt worden.

Das war zu gefährlich für den Neoliberalismus?

Wenn ein sozialistisches Modell wie in Bolivien Erfolg hat, warum dann nicht auch in Brasilien, in Peru oder Kolumbien. Das wollen die transnationalen Konzerne auf alle Fälle verhindern. Wenn das erfolgreich ist, wird man die Neukolonisation durch den Internationalen Währungsfonds nicht aufrechterhalten können. Wenn ein Volk die Souveränität über die eigenen Ressourcen besitzt und das Geld eine bessere Verteilung erfährt, wie es der Pakt über die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte verlangt, dann hätten wir die Situation, in der das eine Prozent der Bevölkerung nicht mehr so viel verdient. Die Oligarchen werden dann keine Multimillionäre mehr sein.

Wie hat Morales das Land vorwärts gebracht?

Er hat 2006 überraschend die Wahl gegen die Oligarchen seines Landes gewonnen. Diese hatten Unterstützung der internationalen Konzerne, des Internationalen Währungsfonds und einiger weniger reicher bolivianischer Familien, die die Bodenschätze für billiges Geld an die USA verkauften. Das hat Morales mit seiner Politik gestoppt. 

Welche Erfolge hat er vorzuweisen?

Die linksliberale Zeitschrift Die Zeit attestierte Morales eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik. Ihm ist es gelungen, zwischen 2006 und 2019 das Bruttoinlandsprodukt massiv zu steigern. Tatsächlich hat er es mehr als vervierfacht, von 9,5 Milliarden auf 40,5 Milliarden Dollar. Das BIP pro Kopf hat er so von 1037 auf 3589 Dollar gesteigert. Die extreme Armut senkte er von 38 % auf 17 %. Gleichzeitig wuchsen die Investitionen für das Gesundheitswesen um 173 %. Dabei hat er einige Industriezweige verstaatlicht. Das ist ein totaler Erfolg und widerspricht der These, dass nur die Liberalisierung wirtschaftliche Fortschritte bringt.

Das erinnert an die Zeit in Venezuela, nachdem Chávez gewählt worden ist. Während sich Maduro als sein Nachfolger halten kann, ist das Evo Morales nicht gelungen. Was sind die Gründe dafür?

Hugo Chávez und auch Nicolás Maduro haben dafür gesorgt, dass sie die Loyalität der Armee gehabt und beibehalten haben. Die venezolanische Armee, die Soldaten und die Generäle sind beseelt von den Sozialprogrammen der Bolivarischen Revolution. Sie sind sozusagen Träger der Revolution, und deshalb verteidigen sie diese.

Es gab wohl kurz auch etwas Widerstand in der Armee?

Das waren nur wenige. Die sind gekauft worden. Die USA haben Millionen dafür bezahlt, um dadurch einen Sturz Maduros herbeizuführen. Die Armee sollte sich gegen Nicolás Maduro wenden und Juan Guaidó unterstützen – doch das ist misslungen.

Warum hat die Armee in Bolivien sich so anders verhalten?

Das Militär in Bolivien ist noch aus der alten Zeit. Die Armee ist nicht politisch interessiert. Sie steht in der Tradition der alten Eliten. Sie waren es gewöhnt, für die Superreichen da zu sein. Es war nicht das Militär des Volkes, sondern des Kapitals.

Wie war das Verhältnis zwischen Staat und Militär während der Präsidentschaft von Evo Morales?

Diese Ausrichtung des Militärs hat Morales nicht geändert, so dass keine persönliche Loyalität entstanden ist. Das war in Venezuela ganz anders, weil Hugo Chávez beim Militär enorm populär war. Auch wenn bei Maduro die Verbindung nicht so eng ist wie bei Chávez, ist sich das Militär aber bewusst, dass der Hauptfeind USA heisst. Und Guaidó ist die Marionette von Washington. Oppositionelle wie Henrique Capriles, Leopoldo López oder auch Juan Guaidó haben die Träger des Staates und des Militärs nicht auf ihrer Seite. Das einzige, was sie haben, ist das grosse Kapital der USA und der transnationalen Konzerne, die sich die Ressourcen unter den Nagel reissen wollen.

Ist es in Bolivien das Lithium?

Ja, in Bolivien gibt es immense Vorkommen an Lithium, so dass ein grosses Interesse bestand, die Regierung aus dem Amt zu jagen. Im Gegensatz zu Venezuela hat man es in Bolivien verpasst, die Menschen von der Idee einer Politik für soziale Gerechtigkeit zu überzeugen. Die Ausbildung der Menschen in Venezuela ist besser gelungen, besonders der Aspekt, dass die Menschen in einer Gemeinschaft leben, in der die Solidarität ein wichtiger Faktor ist.

Wie sehen Sie die Zukunft von Bolivien?

Meine Sorgen sind nicht nur die 24 getöteten Menschen, das ist zumindest die offizielle Zahl, die wir kennen. Dazu kommen Tausende von Inhaftierten, das sind Menschen, die friedlich für ihre demokratischen Rechte und für Evo Morales auf die Strasse gegangen sind. Gleichzeitig wurde eine enorme Anzahl von Diplomaten aus dem Amt entlassen. Das Ganze wird von einer Putschregierung durchgeführt, die absolut kein Recht hat, irgendeine Person auszuwechseln, bis es zu Wahlen kommt. Sie wissen, dass sie die Wahlen nicht gewinnen, ausser sie würden manipuliert. Die rechten Kräfte sind eine deutliche Minderheit, aber mit der Armee haben sie die Macht.

Was war mit den Diplomaten aus Venezuela?

Sie wurden sofort nach dem Putsch gegen Morales aus dem Land gewiesen. Das ist eine klare Verletzung der Wiener Konvention über die diplomatischen Beziehungen aus dem Jahre 1961.

Kann man dagegen etwas tun?

Man kann wegen der Verletzung dieser Konvention auf Grund des Zusatzprotokolls direkt eine Klage vor dem Internationalen Gerichtshof anstrengen. Das könnte z. B. Venezuela tun. Die venezolanischen Diplomaten haben ihre diplomatische Arbeit korrekt verrichtet. Das Ganze geschieht nur, weil die Putschregierung so extrem rechts ist, und sie die Gefahr bannen will, dass sich die Venezolaner äussern.

Dass man die Sender Telesur und Russia Today geschlossen hat, ist eine Verletzung des Paktes über bürgerliche und politische Rechte, und zwar Artikel 19. Das ist Zensur, um zu verhindern, dass die Bevölkerung die Wahrheit erfährt. 

Wie ist es dann mit glaubhafter Berichterstattung?

Die nationalen Zeitungen werden zensiert und die Medien, die noch kritisch berichten, werden aus dem Land gejagt. Damit gibt es nur noch zensierte Informationen. Ich kann es nur nochmals betonen, man hat es hier mit einem vulgären Putsch zu tun.

Die Reaktionen darauf sind verhalten?

Ja, es fehlt eine ganz klare Verurteilung durch die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). Alle Staaten müssten hier geschlossen Stellung nehmen.

Was sagt die Uno-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, dazu?

Sie hat sich dazu geäussert und sogar eine Mission nach Bolivien geschickt, die festgestellt hat, dass gröbste Menschenrechtsverletzungen geschehen sind. Nur, das wird in unseren Medien nicht berichtet. Als ehemaliger Sonderberichterstatter bekomme ich alle Berichte von Frau Bachelet, aber die überwiegende Mehrheit der Menschen hat keine blasse Ahnung, was sich in den Ländern wirklich abspielt.

Wie ist das Verhalten der OAS einzuschätzen?

Gegenüber Venezuela ist das eine Verletzung der eigenen Charta. Dabei werden mehrere Artikel verletzt. Der Generalsekretär der OAS, Luis Almagro, benimmt sich wie ein Lakai Washingtons. Das ist skandalös. Diese Organisation hat jegliche Glaubwürdigkeit verloren.

Wer könnte noch etwas tun?

Die Zivilgesellschaft muss so schnell wie möglich verlangen, dass demokratische Wahlen durchgeführt werden sollen. Denn was die Putschisten wollen, ist das Land so zu übernehmen. Sollte es noch zu einer Wahl kommen, ist das Rennen quasi schon gelaufen. Die Leute sind bis dahin so falsch informiert und eingeschüchtert, dass sie es nicht wagen werden, für die Partei von Evo Morales zu stimmen. Mein Vorschlag ist, Staaten wie Mexiko, Argentinien, die karibischen Staaten usw. bilden eine «Gruppe Buenos Aires» und unterstützen Venezuela und Morales. Das wäre dann eine Stimme, die international vernommen würde. Das wäre ein Gegenpart zum rechtsextremen «Grupo de Lima». Der «Grupo de Lima» hat nichts mit Demokratie zu tun. Demokratische Staaten sind Mexiko und Argentinien. Sie haben eine Verantwortung dafür, dass die Prinzipien der Charta der OAS aufrechterhalten werden.

Herr Professor de Zayas, vielen Dank für das Gespräch.

Interview Thomas Kaiser

www.alfreddezayas.com

1 www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/72/187
ap.ohchr.org/documents/dpage_e.aspx?si=A/71/286

 

 

Charta der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS)
Kapitel IV: Grundrechte und Pflichten der Staaten
Art. 19 Kein Staat oder keine Staatengruppe hat das Recht, sich direkt oder indirekt, aus welchem Grund auch immer, in die inneren oder äusseren Angelegenheiten eines anderen Staates einzumischen. Der vorstehende Grundsatz verbietet nicht nur Waffengewalt, sondern auch jede andere Form der Einmischung oder versuchten Bedrohung der Persönlichkeit des Staates oder seiner politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Elemente.
Quelle: www.oas.org/en/sla/dil/inter_american_treaties_A-41_charter_OAS.asp - Chapter_IV
Übersetzung aus dem Englischen «Zeitgeschehen im Fokus»

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte
Art. 19
(1)     Jedermann hat das Recht auf unbehinderte Meinungsfreiheit. (2) Jedermann hat das Recht auf freie Meinungsäusserung; dieses Recht schliesst die Freiheit ein, ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut jeder Art in Wort, Schrift oder Druck, durch Kunstwerke oder andere Mittel eigener Wahl sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben. (3) Die Ausübung der in Absatz 2 vorgesehenen Rechte ist mit besonderen Pflichten und einer besonderen Verantwortung verbunden. Sie kann daher bestimmten, gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die erforderlich sind a) für die Achtung der Rechte oder des Rufs anderer; b) für den Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksgesundheit oder der öffentlichen Sittlichkeit.
Quelle: www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19660262/index.html

Der Ausverkauf Boliviens hat begonnen

ak. Es ist erst etwas mehr als einen Monat her, dass der im 1. Wahlgang wiedergewählte Präsident Boliviens, Evo Morales, gezwungen wurde, sein Land zu verlassen, und schon zeigen erste Anzeichen, welche wirtschaftspolitische Stossrichtung dieser Putsch verfolgt. 17 von Morales gegründete Staatsbetriebe sollen privatisiert werden. Damit kehre «eine berüchtigte Phase in der Geschichte des Landes zurück, die der gestürzte Präsident Morales beendet hatte», schreiben die Deutschen Wirtschafts Nachrichten. Denn Ende der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde z. B. die Wasserversorgung privatisiert, wobei «das US-Unternehmen Bechtel die Wasserpreise auf ein solches Niveau [erhöhte], dass es sich kaum ein Bolivianer leisten konnte, bis zu dem Punkt, an dem Wasser und Abwasser mehr als die Hälfte des durchschnittlichen Jahreslohns eines Bolivianers auffrassen. Bechtel überzeugte die damalige bolivianische Regierung auch, den Himmel zu privatisieren, um das Sammeln von Regenwasser illegal zu machen. Das Ergebnis war ein Massenhunger, der zu landesweiten Protesten und zum berüchtigten ‹Wasserkrieg von Cochabamba› führte.» 

Die Putschregierung unter  Jeanine Añez hat offenbar begonnen, Morales‘ Errungenschaften rückgängig zu machen und das Volk dem Neoliberalismus auszuliefern. Auch die umfangreichen Lithiumvorkommen dürften neoliberale Begehrlichkeiten geweckt haben. Es ist zu befürchten, dass auch hier das bolivianische Volk Verlierer sein wird. 

Quelle: https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/501458/Nach-Umsturz-in-Bolivien-Neue-Regierung-beginnt-mit-dem-Ausverkauf-des-Landes

Schweiz: «Wir sollten uns in Europa bis weit nach Asien für Frieden und Zusammenarbeit einsetzen»

Interview mit Nationalrätin Yvette Estermann

Nationalrätin Yvette Estermann, SVP (Bild thk)
Nationalrätin Yvette Estermann, SVP (Bild thk)

Zeitgeschehen im Fokus Die Schweiz wird immer wieder von aussen unter Druck gesetzt. Man hat oft den Eindruck, dass von den Politikern mehr Flagge gezeigt werden müsste, auch gegenüber der EU. Wie nehmen Sie das wahr?

Nationalrätin Yvette Estermann Wir als Schweizer können uns aufrecht hinstellen und müssen uns nicht verstecken. Die Stimmen, die sagen, die Schweiz sei zu wenig bedeutsam für die EU, denen kann ich mich gar nicht anschliessen. Wenn wir nur den Schwerverkehr anschauen, der jeden Tag durch die Schweiz rollt, dann sieht man an diesem kleinen Beispiel, welch grosse Bedeutung unser Land für die EU hat. Wir sind sehr wichtig, aber wir nehmen das selbst zu wenig wahr.

Wie müsste sich denn die Schweiz präsentieren?

Was uns fehlt, ist eine klare Strategie, wie wir als Land agieren und welches Bild wir nach aussen vermitteln wollen. Was fehlt, ist der Mut in der Politik. Wir müssen klar unsere Ziele darlegen und sagen, welchen Weg wir gehen wollen. In diese Richtung wollen wir gehen, und dafür haben wir auch etwas zu bieten. Wir sind bereit, über gewisse Dinge zu verhandeln, aber wir haben unsere Eckpfeiler, diese lassen wir stehen und geben sie nicht preis.

Wo sehen Sie das so?

Bei den Verhandlungen mit der EU. Die EU braucht einen starken Gegenpol. Die EU ist sich gewöhnt, hart zu verhandeln, und will ihre Position durchsetzen. Wir Schweizer möchten lieber zuvorkommend und angenehm sein und haben ein starkes Harmoniebedürfnis. Das können wir in solchen Auseinandersetzungen nicht brauchen. Wir haben die Kraft und könnten uns anders positionieren.

Wie müsste dieser Weg aussehen?

Wichtig ist, dass die Schweizer Vertreter in Verhandlungen eine klare Sprache sprechen. Es heisst, das Volk möchte einen schwachen Bundesrat nach innen, aber einen starken nach aussen. Das ist ein Balanceakt. Es wird eine positive Entwicklung geben, wenn wir unser Land schützen und unsere Werte hochhalten. Wir dürfen nach aussen nicht schwächeln, um anderen zu gefallen, und müssen uns innenpolitisch an den Vorstellungen unserer Wähler orientieren. Wir sollten mit mehr Selbstbewusstsein verhandeln. Das wird zu wenig gemacht, aber wir könnten gut in diese Richtung gehen.

Wenn Sie von Stärken des Landes sprechen, woran denken Sie?

Das ist z. B. die Fähigkeit, zwischen zwei Staaten zu vermitteln, die sogenannte Mediation. Dieses Potential darf man nicht unterschätzen. Wir haben auf der ganzen Welt einen sehr guten Namen. Bei der Vermittlung in Konflikten sehe ich die grosse Chance unseres Landes. Aber auch hier muss man mit Kritik rechnen, wenn man den «falschen» Staaten hilft. Das darf uns nicht beeindrucken. Wir sind ein offenes Land und sollten den Staaten beistehen, die nicht so offen und unabhängig handeln können wie wir. Hier können wir vermitteln, und das ist eine wichtige Aufgabe, die wir wahrnehmen sollten.

In der Debatte um den Kauf neuer Kampfflugzeuge hat die Ratslinke argumentiert, die Schweiz sei «umzingelt von Freunden». Überzeugt Sie das Argument nicht?

Die Wortwahl ist schon interessant, denn von Freunden kann man nicht «umzingelt» sein, sondern von Staaten, die einem nichts Gutes wollen. Wir wissen, dass in der EU Bemühungen laufen, eine grössere Militarisierung voranzutreiben. Auf bestimmte Länder wird Druck ausgeübt, dass sie mehr aufrüsten sollen. Wenn solch grosse Staatenkonglomerate wie die EU aufrüsten und wir uns auf den Standpunkt stellen, das seien unsere Freunde und im Notfall werden sie uns helfen – ich will niemandem Naivität unterstellen, aber das ist blauäugig.

Warum beurteilen Sie das so anders?

Wir können doch unsere Sicherheit nicht anderen Staaten übergeben! Wir überlassen das anderen Staaten und investieren nicht mehr in unsere Sicherheit. Wenn sich die Situation einmal ändert, hätten wir nichts mehr, worauf wir zurückgreifen könnten. Sicherheit muss man aufbauen und ständig am Leben halten. Wenn das einmal verloren geht, braucht es Jahrzehnte, bis man wieder einen sinnvollen Stand erreicht hat.

Sie haben vorhin die Nato erwähnt, die sehr stark mit Feindbildern arbeitet. Russland ist im Visier und in letzter Zeit auch China. Wie sieht das Verhältnis der Schweiz zu Russland aus?

Die Beziehungen zu Russland sollten verbessert werden. Wir haben keinen Grund, als neutrale Schweiz – die völkerrechtliche Anerkennung der Schweiz haben wir schliesslich Russland und Zar Alexander I. zu verdanken – uns anderen Staaten anzuschliessen, und könnten deshalb bei Spannungen eine Vermittlerrolle einnehmen. Im Konflikt Russland-Ukraine-EU-USA-Nato hätte die Schweiz eine ganz wichtige Rolle zu übernehmen. Die Existenz der Nato ist problematisch. Zu ihrer Legitimation braucht sie einen Feind und sucht ihn auch. Aber wer hat etwas davon, wenn Russland mit dem Rest von Europa verfeindet ist?

Ja, diese Frage muss man stellen…

Wenn Europa, die EU, die Schweiz mit Russland gut zusammenarbeiten und China auch noch dabei ist, dann gibt es ein grosses Land, das dies nicht akzeptieren will. Und das ist das Problem. Die USA sind nicht daran interessiert, dass Europa mit Russland eine gute Beziehung hat. Und das macht mir Sorgen. Wir sollten uns in Europa bis weit nach Asien für Frieden und Zusammenarbeit einsetzen. 

In welchen Bereichen könnte man die Beziehungen zwischen der Schweiz und Russland intensivieren?

Wir könnten das auf mehreren Ebenen tun. Zum Beispiel haben wir sehr viele Unternehmen aus der Schweiz, die bereits in Russ­land tätig sind. Auf der anderen Seite gibt es auch viele russische Investoren hier im Land. Ich würde gerne die kulturellen Beziehungen ausweiten, um so zu mehr Austausch zu kommen. Aber ganz wichtig wäre auch der Dialog auf der politischen Ebene. Das ist aber nicht so einfach.

Gibt es Widerstände?

Wir müssen hier gegen Windmühlen kämpfen. In den Köpfen einiger unserer Parlamentarier ist Russland einfach das «Böse». Das muss man unbedingt ändern. Ich erhoffe mir durch eine intensivere Zusammenarbeit im kulturellen und wirtschaftlichen Bereich, dass das zu einer intensiveren politischen Zusammenarbeit führt, damit die überlebten und antiquierten Anschauungen überwunden werden können.

Wie sehen Sie die Chancen, dass die aktuell wiederbelebten Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine erfolgreich werden könnten?

Frieden ist das höchste Gut und deshalb muss man alle Bemühungen, die zu einem echten Frieden führen, unterstützen. Frieden wäre möglich, wenn sich nicht verschiedene Länder von aussen in den Prozess einmischten.

Wie meinen Sie das?

Es gibt verschiedene Länder, die gar kein Interesse haben, dass es einen Frieden zwischen der Ukraine und Russland gibt. Deshalb sehe ich die wichtige Rolle der Schweiz als Vermittlerin. Das ist der rote Faden, und an den sollten wir unbedingt anknüpfen. Präsident Putin besteht auf dem Minsker Abkommen, an dessen Aushandlung die Schweiz massgeblich beteiligt war, und das von vielen für tot erklärt wurde. Die Schweiz könnte sich hier mit der grossen Erfahrung auf dem Gebiet der Mediation und ihren gut ausgebildeten Diplomaten engagieren. Das wäre das mindeste, was man tun könnte.

Warum ist Frieden mit Russland so schwierig?

Es gibt Kreise, die nicht unbedingt an einem Frieden mit Russ­land interessiert sind. Eine Zusammenarbeit mit Russland gäbe eine Stärkung der europäischen Wirtschaft. Man muss wissen, der Krieg ist ein grosses Geschäft, mit Frieden kann die Rüstungsindustrie kein Geld verdienen. Das ist mit ein Grund, warum es der Frieden schwer hat. Man kämpft damit gegen wirtschaftliche Interessen.

Aber Frieden in Europa wird nur mit Russland möglich sein.

Das ist ganz klar. Der Westen hat den Fehler begangen, indem er die Länder in die Nato gezogen hat – mit dem einzigen Ziel, näher an die russische Grenze zu kommen. Damit will die Nato Macht demonstrieren und Russland provozieren. Das hätte verheerende Auswirkungen haben können, wenn Russland nicht die Nerven behalten hätte. Mir kommt es manchmal so vor, als wenn man den russischen Bären kitzelt, damit er angreift. Das verurteile ich auf das schärfste.

Wie hätte man diese Entwicklung verhindern können?

Das Beste wäre gewesen, man hätte dort eine neutrale Zone gemacht. Die ehemaligen Ost-Block-Länder wären neutral geblieben und nicht in die Nato hineingezogen worden. Das hätte eine Pufferzone zwischen Russland und dem Westen gegeben. Aber das wollte der Westen nicht. Man wollte damit nur in die Nähe von Russland kommen. Die Nato ist eigentlich obsolet. Sie braucht es seit 30 Jahren nicht mehr. Die Nato ist aus der Logik des Kalten Kriegs und der sogenannten Ostbedrohung entstanden. Das alles gibt es heute nicht mehr, deshalb braucht die Nato einen Feind, Russland oder auch China. Anschuldigungen gegen andere Länder und die entsprechenden Schlagzeilen in unseren Medien sollte man deshalb sehr mit Vorsicht geniessen.

Frau Nationalrätin Estermann, vielen Dank für das Gespräch

Interview Thomas Kaiser, Bern

Annahme des EU-Rahmenvertrags bedeutet de facto EU-Beitritt ohne Stimmrecht 

Durch das Referendum kann dies verhindert werden

Interview mit Nationalrat Roland Büchel

Nationalrat Roland Büchel, SVP (Bild thk)
Nationalrat Roland Büchel, SVP (Bild thk)

Zeitgeschehen im Fokus Das Rahmenabkommen scheint in der Versenkung verschwunden. Was hat das für Gründe?

Nationalrat Roland Büchel Das kommt schon wieder aufs Tapet. Jetzt nach den Parlaments- und Bundesratswahlen wird das Dossier auferstehen, wieder in die Spur kommen und an Tempo gewinnen.

Die Frage ist, in welche Richtung?

Vorwärts in Richtung Annahme, obwohl das Abkommen grundsätzliche Konstruktionsfehler hat. Die Schweiz wird mit diesem Vertrag fremdes Recht und dessen Weiterentwicklung akzeptieren müssen, fremde Richter ebenfalls. Das ist fix. Dass es auf Nebenschauplätzen und in Nebenpapieren noch «Verbesserungen» geben wird, ist möglich.

Das heisst, dass der Vertrag auf der politischen Ebene sehr wahrscheinlich verabschiedet und angenommen wird?

Ja, mit irrelevanten «Fortschritten», welche die falsche DNA des Konzepts nicht antasten. Es wird mit einer bundesrätlichen Propagandawelle an den Mann und an die Frau gebracht werden. Ein Ja bedeutet quasi einen EU-Beitritt ohne Stimmrecht. Da kann man in ergänzenden Papieren schreiben, was man will – am Schluss entscheidet die EU.

Die Bevölkerung wird sich äussern dürfen …

Das schon, aber das Ganze wird perfide aufgegleist. Es geht im Zusammenhang mit dem Rahmenvertrag um drei Geschäfte, welche in der nächsten Zeit zur Abstimmung kommen werden. 

Welche?

Aktuell wird in den eidgenössischen Räten die sogenannte Überbrückungsrente für ältere Arbeitnehmer verhandelt. Was gut tönt, ist ein misslungenes Werk. Es ist ein kläglicher und teurer Versuch, der Begrenzungsinitiative den Wind aus den Segeln zu nehmen. Diese Abstimmung findet voraussichtlich am 17. Mai 2020 statt.

Wie geht es dann weiter?

Das hängt auch von der EU und deren neuer Spitze ab. Jetzt, wo von britischer Seite her endlich klar ist, dass der Brexit durchgezogen wird, stellt sich vor allem eine Frage: Wie wird sich die EU nach der Wahl von Boris Johnson uns gegenüber verhalten? Irgendwann in dieser Legislatur werden wir dann über Stufe drei abstimmen, über das Rahmenabkommen.

Warum hat sich das ganze Entscheidungsprozedere so lange hingezogen?

Weil verschiedentlich auf Zeit gespielt worden ist. Ein Beispiel: In der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats wurde der Entscheid zur Kohäsionsmilliarde mit fadenscheinigen Argumenten auf wenige Tage nach den eidgenössischen Wahlen verschoben. Jetzt aber geht es rasant. Und die Tributzahlungen an verschiedene EU-Länder werden geleistet.

Widersprechen Sie damit nicht der Aussage der Sprecherin der Mitte-Fraktion (vorher CVP) im Parlament, welche sich überzeugt gab, dass wir keine Zahlung auslösen, solange wir von der EU diskriminiert würden?

Das war in etwa die Antwort auf meine Frage im Parlament: «Können wir für einmal auf die Mitte-Fraktion zählen? Wird sie sich, wenn die Schweiz weiterhin diskriminiert wird, mit Feuer und Flamme dafür einsetzen, dass nicht gezahlt wird?» 

Sie glauben das nicht?

Genau. Bald schon wird gezahlt werden.

Sie kritisieren vor allem das Vorgehen von Bundesrat und Parlament.

Entscheide, die wehtun können und im Volk auf Kritik stossen, werden gerne bis nach den Wahlen aus der Diskussion genommen. Danach geht es ruckzuck. Das hat mittlerweile System. 

Noch einmal: Es darf nicht gezahlt werden, so lange die Schweiz von der EU diskriminiert wird.

Wie wird sich die CVP, die rhetorisch gekonnt gegen Diskriminierungen gegenüber der Schweiz argumentiert hat, verhalten? 

Sie trauen es Regierung und Parlament nicht zu, standhaft zu bleiben?

So ist es.

Interessant ist doch, während wir über das Klima diskutieren und die Öffentlichkeit damit beschäftigt ist, werden an anderen Stellen Tatsachen geschaffen. 

Wer nicht völlig von Sinnen ist, sieht ein, dass die Schweiz die Welt in Sachen Klima nicht wird retten können. Ich habe manchmal den Eindruck, dass der Hype um das Klima vor allem dazu dient, von anderen Problemen abzulenken. 

Sie sehen eine Strategie dahinter?

Die Drahtzieher haben eine Lawine losgetreten, die alles andere niedergewalzt hat. Das ist gelungen: Hut ab!

Zurück zum Rahmenvertrag: Hat die Neubesetzung der EU-Kommission einen möglichen Einfluss auf das Abkommen?

In Bezug auf das EU-Parlament bin ich durchaus optimistisch. Dort sitzen jetzt demokratisch gewählte Leute, die von den alten Platzhirschen vielfach verunglimpft worden waren. Bei der Kommission befürchte ich, dass sich Frau von der Leyen am Anfang sehr stark von der EU-Verwaltung leiten lässt. Jene Apparatschiks sind definitiv nicht auf der Seite der Schweiz. 

Wenn wir es mit der Vorgängerkommission vergleichen?

Was nach dem «Schweiz-Freund» Juncker kommt, kann nicht schlechter sein. 

Bisher waren die Linken auch gegen das Rahmenabkommen. Wie sehen Sie das?

Sie werden kleine Zugeständnisse beim Lohnschutz erhalten. Dann können sie wieder ihre altbekannte Position einnehmen. 

Das heisst?

Sie werden mit wehenden Fahnen Richtung Rahmenvertrag und EU stürmen. Das wollten sie schon immer. Der Widerstand war, insgesamt gesehen, nichts als eine grosse Show vor den Wahlen. 

Die Entscheidung liegt aber beim Volk, das die Annahme des Rahmenabkommens durch das Referendum verhindern kann? 

Es ist schlimm, dass man gegen den weitreichendsten Staatsvertrag, den die Schweiz je abgeschlossen hat, Unterschriften sammeln muss. Dass dieser nicht dem obligatorischen Referendum unterstellt wird, zeigt exemplarisch, wie in Bundesbern mit dem Volk umgegangen wird. 

Steckt nicht die reine Angst dahinter? 

Das ist sicher so. Deshalb hat man auch die erwähnte Reihenfolge der Abstimmungen gewählt. Zuerst werden mit der Überbrückungsrente neu die 58jährigen in die Arbeitslosigkeit getrieben und vom Staat abhängig gemacht – und nicht mehr erst die 63jährigen. 

Und dann?

Im Frühling wird dann die Begrenzungsinitiative massiv bekämpft. Am Schluss soll dann das Rahmenabkommen durchgeboxt werden. Das wollen die Manager der Grosskonzerne und die Funktionäre in den Wirtschaftsverbänden. Mir graut es jetzt schon ob der Budgets für diese Kampagnen.

Das heisst, die Bevölkerung muss in der Abstimmung klar Position beziehen und die Unabhängigkeit der Schweiz aufrechterhalten?

Das Parlament wird es in der aktuellen Zusammensetzung kaum verhindern, das kann nur durch das Volk in einem Referendum geschehen. Diese Hoffnung bleibt bestehen.

Herr Nationalrat Büchel, vielen Dank für das Gespräch.

Interview Thomas Kaiser, Bern

 

Überbrückungsrente – Unternehmen aus der Verantwortung entlassen?

Wer mit 60 oder älter ausgesteuert ist, soll bis zur Pension eine Überbrückungsleistung erhalten.

Von linker Seite war ein tieferes Alter gefordert worden, von rechter ein höheres.

Personen, die mit 58 Jahren oder später arbeitslos werden, sollen wie heute zwei Jahre Arbeitslosenversicherung (ALV) beziehen können, dann aber nicht mehr in die Sozialhilfe abrutschen.

www.srf.ch/news/schweiz/ueberbrueckungsrenten-fuer-ue60-so-will-der-bundesrat-aelteren-arbeitslosen-unter-die-arme-greifen

 

Politische und volkswirtschaftliche Aspekte der bilateralen Abkommen mit der EU

von Reinhard Koradi

Wirtschaftsverbände und allen voran der Bundesrat und die Bundesverwaltung lobbyieren zu Gunsten der bilateralen Abkommen mit der EU. Dabei beziehen sie sich auf eine sehr rudimentäre Analyse und vernachlässigen gewichtige Aspekte, die mehrheitlich den Nutzen der bilateralen Verträge schmälern und insgesamt zu einem Null-Summen-Spiel führen würden oder gar in eine Negativbilanz abstürzen liessen.

Mit sogenannten Erfolgen beim Lohnschutz und der Beschäftigungslage lassen sich die politischen und volkswirtschaftlichen Verluste, die weichen Einflussfaktoren (Befindlichkeit der einheimischen Bevölkerung usw.) nicht ausgleichen. Offensichtlich zieht nun auch die Politik kurzfristige Erfolgsmeldungen einer strategischen, auf lange Frist ausgerichteten Politik vor. Die «betriebswirtschaftlichen» Monats- oder Quartalsabschlüsse genügen jedoch in keiner Weise den strategischen Anforderungen einer Politik, die das Ziel verfolgt, die Schweiz in Europa und in der Welt als unabhängigen selbstbestimmten Staat zu etablieren. Wer sich anmasst, eine Lagebeurteilung zum Nutzen der bilateralen Abkommen zu veröffentlichen, muss dies mit einer umfassenden Analyse wichtiger volkswirtschaftlicher Parameter und abgestimmt auf die entscheidenden politischen Grundwerte der Schweiz begründen.

Das institutionelle Abkommen (Rahmenabkommen)

Durch das institutionelle Abkommen mit der EU würde sich der Nutzen der Abkommen mit der Europäischen Union derart verringern, dass die Schweiz dem Konkurs als freier und unabhängiger Staat sehr nahekäme. Eine Firmenleitung würde eine solche Politik sofort sistieren und eine Neuausrichtung einleiten, es sei denn, sie verfolge Fusions- und Übernahmepläne. Auf die politische Ebene übertragen bedeutet dies, dass der Bundesrat, wollte er die Interessen einer freien, unabhängigen Schweiz wahren, sämtliche Verhandlungen mit der EU sistieren und eine Zusammenarbeit mit Partnern suchen müsste, die die Souveränität der Schweiz uneingeschränkt akzeptierten. Macht er diesen Schritt nicht, müssen wir davon ausgehen, dass unsere «Volksvertreter» gegen eine Mehrheit der Bevölkerung eine Fusions- und Übernahmepolitik mit der EU verfolgen. Sollte das Rahmenabkommen ratifiziert werden, werden die Vasallen des EU-Zentralismus der Schweiz und ihrer Identität zugunsten eines fragwürdigen Marktzugangs für die Exportindustrie erheblichen Schaden zufügen.

Verlust der Möglichkeit, effektive Friedenspolitik zu betreiben

Neben dem Souveränitätsverlust (Einmischung der EU in innere Angelegenheiten) käme die bis anhin effektivste Friedenspolitik in Form der «bewaffneten Neutralität» weitgehend unter die Räder. Unsere staatstragenden Säulen, direkte Demokratie, Föderalismus, Subsidiarität und dezentrale Strukturen (Gemeindeautonomie) würden durch die EU-Diktatur ausgehöhlt und damit auch das erfolgreiche Milizsystem desavouiert. Wir dürfen uns auch nichts vormachen, wenn es um die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz geht. Eine relative überlegene Konkurrenzfähigkeit kann nur durch Andersartigkeit ausgespielt werden. Eine Andersartigkeit, die sich durch Innovation, Qualität, Zuverlässigkeit und Vorsprung gegenüber den Mitbewerbern auszeichnet. Mit der Anpassung an die EU-Standards werden wir uns einem Nivellierungsprozess (in der Regel immer auf den tiefsten Wert ausgerichtet) unterziehen, der unseren Wettbewerbsvorsprung im internationalen Vergleich vernichtet. Mit der Anbindung an Brüssel wird die Schweiz – vor allem die einheimische Bevölkerung – grosse Verliererin sein, werden doch neben den politischen und wirtschaftlichen Einbussen auch erhebliche Wohlfahrts-, sozial-, bildungs- und gesundheitspolitische Einschränkungen die Menschen bis ins Innerste treffen.

Personenfreizügigkeit

Bezogen auf die Personenfreizügigkeit lassen sich die negativen Folgen einer von Dritten (fremde Staaten oder internationale Organisationen) erzwungenen Politik und Einmischung in innere Angelegenheiten der Schweiz anschaulich darstellen. Grundsätzlich gilt, dass das, was von aussen angeordnet wird, weder dem Volkswillen entspricht noch demokratisch legitimiert ist. Erstes Opfer des EU-Diktates wird immer die direkte Demokratie sein (siehe die Nicht-Umsetzung der vom Volk angenommen Zuwanderungsinitiative).

Mit dem freien Personenverkehr sind erhebliche Kosten verbunden, die in der Regel die einheimische Bevölkerung über Steuern und Abgaben finanzieren muss. Ebenso bringt das Bevölkerungswachstum eine Mehrbelastung von Natur und Umwelt mit sich. Für die kleinräumige Schweiz eine kaum mehr tragbare Verschlechterung der Standortattraktivität, Lebensqualität und Versorgungssicherheit. Die durch die Zuwanderung ausgelöste zusätzliche Nachfrage nach Wohnungen, medizinischer Versorgung, Bildung und Integration sowie Mobilität können je länger, je mehr nicht ohne materielle (Kostenexplosion) noch immaterielle (Qualitätsverluste) Kollateralschäden aufgefangen werden. So unpopulär die Beurteilung auch sein mag, wir müssen uns mit dem Thema der Überbevölkerung in unserem Land auseinandersetzen.

Je mehr Menschen in die Agglomerationen und Städte drängen, umso mehr Gedränge im öffentlichen Verkehr, mehr Staus auf den Strassen und steigende Gesundheits-, Sicherheits- und Sozialhilfekosten. Die steigende Nachfrage nach Wohnraum treibt die Bautätigkeit an und frisst uns die Landreserven weg, die wir so dringend brauchen, um einen angemessenen Selbstversorgungsgrad mit einheimischen Lebensmitteln abzusichern. Die Weigerung, die Zuwanderung nach den Bedürfnissen und Bedingungen der Schweiz zu steuern, gefährdet nicht nur unsere Unabhängigkeit, sie gefährdet auch eine der wertvollsten Errungenschaften, den sozialen Frieden in unserem Land.

Das Problem der Personenfreizügigkeit, allein auf die Löhne und die Arbeitsplatzsicherheit zu fokussieren, ist allzu kurzfristig und wird einer weitsichtigen Politik in keiner Weise gerecht.

Zum Nachdenken

Am Beispiel der Personenfreizügigkeit lassen sich die Defizite einer eingeschränkten Beurteilung von Nutzen und Nachteilen einer politischen Handlung anschaulich aufzeigen. Auch bei allen anderen bilateralen Abkommen und vor allem beim institutionellen Abkommen mit der EU wird eine objektive und umfassende Analyse zu einer erbärmlichen Bilanz führen. Die Zeit für Schönfärbereien ist endgültig vorbei. Der Schutz legitimer Bedürfnisse der Schweizer Bevölkerung, des Dranges nach Selbstbestimmung und Souveränität darf nicht länger den unrealistischen wirtschaftlichen Interessen von wenigen Unternehmen und Verbänden geopfert werden und noch viel weniger den Einzelinteressen einiger (Macht-) Politiker.

Was will die Begrenzungs-Initiative?

Die Initiative verlangt, die Probleme der masslosen Zuwanderung anzupacken. Aus meiner Sicht ist es ein Grundrecht jedes souveränen Staates, die Zuwanderung aus dem Ausland nach eigenen, auf die Bedürfnisse kultureller, sozialer und sicherheitspolitischer Rahmenbedingungen abgestimmt, festzulegen und durchzusetzen. Nicht zuletzt hat der Brexit seine Ursachen in dieser Problematik. Es kann nicht sein, dass dieses Recht von aussen gebrochen wird und den Staaten ein Zuwanderungsregime aufgezwungen wird, das die existenziellen Interessen eines Staates und dessen Bevölkerung massiv verletzt.

 

Der Wortlaut der Initiative für eine massvolle Zuwanderung

Art. 121b Zuwanderung ohne Personenfreizügigkeit

¹ Die Schweiz regelt die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern eigenständig.

² Es dürfen keine neuen völkerrechtlichen Verträge abgeschlossen und keine anderen neuen völkerrechtlichen Verpflichtungen eingegangen werden, welche ausländischen Staatsangehörigen eine Personenfreizügigkeit gewähren.

³ Bestehende völkerrechtliche Verträge und andere völkerrechtliche Verpflichtungen dürfen nicht im Widerspruch zu den Absätzen 1 und 2 angepasst oder erweitert werden.

Art. 197 Ziff. 121² […]

Wasser für Bidibidi

von Samuel Schlaefli

Die Hydrogeologin Ellen Milnes vom Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe nutzt frei zugängliche Satellitenbilder sowie geologische und meteorologische Daten, um in Flüchtlingslagern Grundwasser aufzuspüren. Im Camp Bidibidi in Norduganda konnte die verfügbare Wassermenge dadurch vervierfacht werden.

Basierend auf hochaufgelösten Karten werden an geeigneten Stellen Grundwasserquellen für die Geflüchteten angebohrt. (Bild Deza)

Basierend auf hochaufgelösten Karten werden an geeigneten Stellen Grundwasserquellen für die Geflüchteten angebohrt. (Bild Deza)

 

 

2016 flohen beinahe eine Million Menschen vor den Greueln des Bürgerkriegs in Südsudan über die Grenze nach Norduganda. Innert weniger Monate entstanden dort vier riesige Siedlungen, darunter das Flüchtlingslager Bidibidi, auf zuvor praktisch unbewohntem Land. Anfang 2017 mussten 280 000 Menschen mit Wasser versorgt werden, nach UN-Definition mit mindestens 20 Litern pro Tag. Das bedeutet: rund zwei Milliarden Liter Wasser pro Jahr für das gesamte Camp – eine Herkulesaufgabe. Wenn krisenbedingt plötzlich Tausende von Menschen mit Wasser versorgt werden müssen, wie 2017 in Uganda, packt Ellen Milnes ihre Koffer.

Unergiebige Grundwasser-brunnen

Die Hydrogeologin ist Angehörige des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe (SKH) und arbeitet im Rahmen des Schweizer UN-Engagements seit 2014 für das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR). In Krisensituationen koordiniert das UNHCR oft Hunderte von Brunnenbohrungen, um so rasch wie möglich an Grundwasser zu gelangen. «Doch viele Grundwasserbrunnen geben so wenig Wasser her, dass die Versorgung der Flüchtlinge ungenügend bleibt», sagt Milnes. In Bidibidi herrschte deshalb lange Wassernotstand. Für 2,4 Millionen Dollar monatlich musste Wasser mit Lastwagen herangekarrt werden. Milnes entschied, etwas Neues auszuprobieren: Durch die Kombination von frei zugänglichen Satellitenbildern, Höhenmodellen, Daten zu Geologie sowie Informationen zu Regenmengen und Wasserverdunstung versuchte sie, die Grundwasserpotenziale rund um Bidibidi hochauflösend zu kartieren. «Zentrale Kriterien dafür sind die Wasserverfügbarkeit aufgrund der Topografie sowie die Morphologie und die Reservoirkapazität, abhängig von der Art und Durchlässigkeit des Gesteins», erklärt Milnes. Durch Überlagerung verschiedener Karten konnte sie mit einer Auflösung von wenigen hundert Metern prognostizieren, wo Bohrungen nach Grundwasser am erfolgreichsten sind. «Es ist effizienter, dort nach Wasser zu bohren, wo die Reservoire sind, anstelle wie bisher dort, wo sich die Menschen niedergelassen haben», erklärt Milnes den grundsätzlichen Paradigmenwechsel.

Trend zu grösseren Brunnen

In einem gemeinsamen Projekt des SKH, des UNHCR und der Universität Neuenburg, wo Milnes lehrt, wurde 2018 ein einjähriges Projekt zum grossflächigen Test des Verfahrens in Bidibidi initiiert. «Die ersten Resultate sind vielversprechend», resümiert Milnes. «Wir konnten die verfügbare Wassermenge für das Camp aufgrund unserer Karten um das vier- bis zehnfache erhöhen.» 19 Brunnen, die mit der neuen Methode abgeteuft wurden, lieferten etwa gleich viel Wasser wie 77 herkömmliche Brunnen.

Für Milnes fällt der neue Ansatz mit einem grundsätzlichen Trend zusammen: weg von kleinen, mit Handpumpen betriebenen Brunnen, mit Kapazitäten von höchstens 300 Litern pro Stunde, hin zu grösseren Brunnen und zentralisierten Wasserversorgungen, mit Kapazitäten von 500 bis 10 000 Litern pro Stunde. Solche Systeme haben einen grossen Vorteil: «Die Wasserqualität kann besser kontrolliert und das Wasser aufbereitet werden.» Bei Hunderten verstreuter Kleinbrunnen ist das schwierig. Durchfallerkrankungen und Choleraausbrüche, wie anfangs 2018 in Ugandas Grenzregion zur Demokratischen Republik Kongo, sind mögliche Folgen.

Ellen Milnes, Hydrogeologin und Teil des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe, inspiziert mittels Kamera ein neues Bohrloch. Vom Bohrer herausgebrochenes Gestein (links) wird nach Bohrtiefe sortiert. Geologen können dadurch die Bodenbeschaffenheit charakterisieren. (Bild Deza)

Ellen Milnes, Hydrogeologin und Teil des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe, inspiziert mittels Kamera ein neues Bohrloch. Vom Bohrer herausgebrochenes Gestein (links) wird nach Bohrtiefe sortiert. Geologen können dadurch die Bodenbeschaffenheit charakterisieren. (Bild Deza)

 

 

Werkzeugkasten für Krisensituationen

Im August hat die zweite, zweijährige Phase des Projekts begonnen. Cyrille Scherrer, Doktorand bei Ellen Milnes an der Universität Neuenburg, wird das «Rapid Groundwater Potential Mapping» analysieren. Vereinzelte Versuche in anderen Regionen Ugandas waren aufgrund spezifischer hydro-geologischer Gegebenheiten weniger erfolgreich. Bestimmte Aspekte der Kartografiemethode müssen deshalb verfeinert werden. Weiter wird Scherrer klären, inwiefern ein Risiko der Übernutzung der Reservoirs besteht. Dafür wurden die Brunnen mit Sensoren zur Messung des Wasserstandes versehen. Die bereits angefertigten Karten wurden auf der zentralen Informationsplattform «WASH» des UNHCR weltweit zugänglich gemacht (http://wash.unhcr.org/wash-gis-portal/). UN-Organisationen, Entwicklungspartner und NGOs können sich dort über geeignete Bohrstellen informieren. Weitere Karten sollen nun laufend dazukommen; die Methode wird für Flüchtlingscamps weltweit nutzbar gemacht. Was Milnes besonders freut: Im Auftrag des ugandischen Ministeriums für Wasser und Umwelt wurde im Rahmen des Projektes im November 2018 ein einwöchiger Workshop mit zehn lokalen Hydrogeologen durchgeführt. «Die Regierung erwägt nun, unsere Methode ins nationale Krisenmanagement aufzunehmen – das ist der absolute Idealfall!»

Quelle: Eine Welt Nr. 4/Dezember 2019

«Eine Welt» erscheint viermal jährlich in deutscher, französischer und italienischer Sprache. www.eine-welt.ch

«Eine Welt» erscheint viermal jährlich in deutscher, französischer und italienischer Sprache.

www.eine-welt.ch

 

Gesamtkartografie des Tschad

Spezialisten der DEZA erstellen gemeinsam mit lokalen Partnern eine hydrogeologische Gesamtkartierung des Tschad. 2019 startete die zweite Phase des Projekts «ResEau», das voraussichtlich bis 2025 dauern wird. «Die Karten bieten eine Basis zur besseren Bewirtschaftung der Grundwasser-Ressourcen und damit für die nachhaltige Entwicklung des Tschad», sagt Marc-André Bünzli, Fachgruppenchef Wasser beim SKH. In der ersten Projektphase wurden über 400 000 Quadratkilometer Wüste im Norden des Tschad kartografiert. Gleichzeitig wurde mit der Universität von N’Djamena ein Masterlehrgang für Hydrologie und GIS aufgebaut. 

 

Der Düsentrieb von Nottwil

von Peter Birrer

Was ihn im Job antreibt? «Ich gebe mich nicht gerne geschlagen», antwortet Kurt Galliker. Er lasse nicht locker, bis er die Lösung gefunden habe. Der Rollstuhlbauer ist bei Orthotec zuständig für Sonderanfertigungen. In seinem Büro in der Werkstatt in Nottwil zeigt er Bilder von Lösungen, die zum Staunen Anlass geben. Es sind nicht einfach nur mechanische Anfertigungen, sondern beeindruckende Tüfteleien und Entwicklungen, die unmöglich Scheinendes möglich machen.

Mit Sonderanfertigungen ermöglichen Kurt Galliker (2. von rechts) und sein Team gelähmten Mitmenschen mehr Bewegungsfreiheit und Selbständigkeit.  (Bild www.paraplegie.ch/orthotec/de/rollstuhlfahren/sonderanfertigungen)

Mit Sonderanfertigungen ermöglichen Kurt Galliker (2. von rechts) und sein Team gelähmten Mitmenschen mehr Bewegungsfreiheit und Selbständigkeit. (Bild www.paraplegie.ch/orthotec/de/rollstuhlfahren/sonderanfertigungen)

 

 

Ein Foto zeigt einen Langlaufschlitten, der Menschen mit Querschnittlähmung in die Loipe bringt. Rund hundert Stunden Handarbeit stecken darin. Auf einem anderen Bild ist ein Rollstuhl, der es in Flüeli-Ranft gehbehinderten Menschen erlaubt, den steilen Weg vom Parkplatz zur Einsiedelei von Bruder Klaus sicher zurückzulegen. In der Sammlung ist auch ein Board mit Sitzschale – damit können Betroffene Kitesurfen. Und dann holt Galliker das Foto eines Mannes hervor, dessen Schicksal ihn nicht losgelassen hat.

Langlaufschlitten (Bild: (Bild www.paraplegie.ch/orthotec/de/rollstuhlfahren/sonderanfertigungen))

Langlaufschlitten (Bild: (Bild www.paraplegie.ch/orthotec/de/rollstuhlfahren/sonderanfertigungen))

 

Unterlippe steuert Joystick

Der hochgelähmte Patient hatte keine Chance, sich im Rollstuhl selber fortzubewegen. Einzig in der Lippe und den Oberschenkeln waren noch Bewegungsfunktionen vorhanden. Galliker grübelte stundenlang. Sein Leitsatz lautet: Wir können nicht jedes Problem gleich gut lösen, aber es muss möglich sein, für den Betroffenen einen Fortschritt zu erzielen. Die zündende Idee in diesem Fall: Er befestigte an den Brillenbügeln des Mannes einen Carbonstab, daran montiert ist ein Mini-Joystick, der sich mit der Unterlippe bedienen lässt. Mit dieser Steuerung und zwei per Oberschenkel betätigten Tastknöpfen kann der Mann nun selbstständig seinen PC bedienen – und sogar E-Rollstuhlhockey spielen. Kurt Galliker erfüllt dieser Patient mit Freude. Er konnte einen wesentlichen Teil dazu beitragen, dass sich dessen Leben positiv verändert hat. Und er sieht, wie dankbar er ist, ein Stück Selbstständigkeit zurückbekommen zu haben: «Er kann nun seinen Rollstuhl selber betätigen und ist nicht mehr rund um die Uhr auf fremde Hilfe angewiesen. Das ist extrem cool!» Der Rollstuhlmechaniker wuchs auf einem Bauernhof auf und lernte früh, mit Maschinen umzugehen. Nach der Lehre zum Automechaniker arbeitete er in einer Garage, die Ferraris vertrieb. Luxusautos und eine kaufkräftige Kundschaft – das war keine Welt, in der er sich auf die Dauer wohlfühlte. Galliker interessierte sich für Menschen, wollte helfen.So wechselte er vor 22 Jahren zu Orthotec, einer Tochtergesellschaft der Schweizer Paraplegiker-Stiftung, und versteht seinen Beruf als Berufung: «Ich darf an einem Ort arbeiten, an dem der Mensch im Mittelpunkt steht und Probleme wahrgenommen werden. Und ich darf kreativ sein.»

Funktional – und schön

Kurt Galliker kommt zum Einsatz, wenn die Grenzen des Möglichen erreicht sind. Aber er betont, dass nicht er allein die Einfälle hat, sondern der Input seines Teams oft entscheidend ist: «Manchmal ergeben sich im Gespräch über einen Fall plötzlich Lösungsansätze.» Ein weiteres Foto zeigt einen Rennrollstuhl mit 20-Zoll-Rädern für Kinder, den das Team entwickelt hat – etwas, das es bis anhin nicht gegeben hat. Rund ein Dutzend Mechaniker arbeitet in der Rollstuhlwerkstatt in Nottwil. Ihre Produkte sollen nicht nur funktional sein und hohen technischen Anforderungen genügen, sondern auch schön daherkommen. Das ist Kurt Galliker wichtig. Der coole Kinderrollstuhl beweist es.

Quelle: Dieser Beitrag erschien in «Paraplegie» (3/2019), dem Gönnermagazin der Schweizer Paraplegiker-Stiftung. Auskunft und Mitgliedschaft: www.paraplegie.ch

Zurück