Artikel in dieser Ausgabe
- Kein Kniefall vor dem «Gesslerhut»
- «Die europäische Diplomatie hat versagt»
- Ukraine-Krieg: Sinnloses Sterben beenden und endlich verhandeln
- Geplante Raketenstationierung in Deutschland
- «Die Schweiz muss sich zwischen der Uno-Charta und der Nato entscheiden»
- «Jedes Kind braucht einen guten Start ins Leben und eine Perspektive»
Kein Kniefall vor dem «Gesslerhut»
«Die Internationalen Gesundheitsvorschriften sind für eine freiheitliche Demokratie inakzeptabel»
Zeitgeschehen im Fokus Seit diesem Sommer stecken die neuen Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) in der Pipeline der WHO. Worum geht es dabei und wie ist der aktuelle Stand der Entwicklung?
Jürg Vollenweider Die Internationalen Gesundheitsvorschriften, die in der Öffentlichkeit immer etwas unter dem Radar des gleichzeitig verhandelten Pandemieabkommens gelaufen sind, müssen getrennt von diesem betrachtet werden. Sie gehören formal nicht zusammen. Der Pandemie-Pakt ist ein Abkommen zwischen den Vertragsstaaten der WHO zur Regelung von Pandemien. Es sind eigentlich mehr Absichtserklärungen, die darin beinhaltet sind, eine Art Rahmenvertrag, während die Internationalen Gesundheitsvorschriften eine Weiterentwicklung eines Vertragswerks sind, das ursprünglich als «sanitarische Vorschriften» erlassen und im Jahre 2005 nach einer umfassenden Revision in Internationale Gesundheitsvorschriften [englisch: International Health Regulations, IHR] umbenannt wurden. Ursprünglich waren sie als weitgehend technische Abläufe im Zusammenhang mit der Verhinderung der Ausbreitung von übertragbaren Krankheiten gedacht. Die Kompetenz der WHO stützt sich auf Artikel 21 der WHO-Verfassung, die der Weltgesundheitsversammlung (WHA) die Ermächtigung erteilt, Regelungen über «sanitäre und Quarantänemassnahmen und andere Vorkehren zur Verhinderung der Ausbreitung von Krankheiten von einem Land ins andere» zu treffen. Das ist die gesetzliche Grundlage, auf der die IGV erlassen wurden. Sie können nach der WHO-Verfassung mit einfacher Mehrheit von der WHA beschlossen werden und treten für die Vertragsparteien automatisch in Kraft, sofern diese nicht ihre Ablehnung erklären oder allenfalls Vorbehalte anbringen.
Wann und durch wen kann eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite (Public Health Emergency of International Concern, PHEIC) ausgerufen werden? Welche möglichen Massnahmen sind in einem solchen Fall zu treffen?
Da gibt es Empfehlungen, die von der WHO abgegeben werden können, wie zur Verhinderung der Ausbreitung grenzüberschreitender Krankheiten verfahren werden soll. Das ist der Sinn dieser Internationalen Gesundheitsvorschriften.
Krankheiten, die sich über die Staatsgrenzen ausbreiten, können doch zu einer Epidemie führen. Gehört das nicht in den Pandemie-Pakt?
Ja, auch, wobei man sehen muss, dass die WHO bei der Schweinegrippe im Jahre 2009 den Pandemiebegriff einseitig geändert hat. Früher war eine Voraussetzung für eine weltumspannende Epidemie diejenige, dass eine enorme Anzahl von Toten und Krankheitsfällen zu befürchten waren. Das ist das, was wir unter einer Seuche verstehen. Diese Bedingung ist weggefallen. Es reicht, dass irgendein unbekanntes Virus oder eine Variante zu mehr Krankheits- oder Todesfällen als üblich führt. Die hohe Morbidität und Mortalität wurden im Grundsatz dagegen weggelassen.
Die IGV sind umstritten, es gibt verschiedene Unklarheiten, besonders in der Frage der Umsetzung. Was sind die negativen Aspekte der IGV, und wie greifen sie in die staatliche Souveränität ein?
Es gibt ein paar Dinge, die neu in diese IGV hineingepackt worden sind, die ich als weit über «technische Anpassungen geringfügiger Natur», wie sie immer vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) und vom Bundesrat heruntergespielt werden, hinausgehend empfinde. Die Einschränkung der Meinungsäusserungs-, Informations- und der Wissenschaftsfreiheit etwa sind ein deutliches Signal. Es gibt Bestimmungen in diesen neuen IGV, die die Staaten verpflichten, Kernkapazitäten zu schaffen, auch eine nationale IGV-Behörde, die die Aufgabe hat, Fehl- und Desinformation im gesundheitlichen Bereich zu bekämpfen. Es heisst in der angenommenen Schlussfassung jetzt zwar etwas euphemistisch nicht mehr «countering», also bekämpfen, sondern «addressing», ansprechen, behandeln. Aber gemeint ist nichts anderes, als was die WHO auf ihrer Homepage nach wie vor als sogenannte «Infodemie» bezeichnet: «Infodemie bedeutet ein Zuviel an Informationen, einschliesslich falscher oder irreführender Information, in digitalen und physischen Umgebungen während eines Krankheitsausbruchs. Sie führt zu Verwirrung und risikofreudigem Verhalten, was der Gesundheit schaden kann. Sie führt auch zu Misstrauen gegenüber den Gesundheitsbehörden und untergräbt die öffentlichen Gesundheits- und Sozialmassnahmen.» Die WHO beansprucht also ein Deutungsmonopol. Kritische Meinungen werden als schädlich klassifiziert.
Was bedeutet das für das Gesundheitswesen?
Die WHO kann entscheiden und bestimmen, was im Rahmen des Gesundheitswesens richtig oder falsch ist. Leider gibt es bereits Auswirkungen, wenn man den Digital Services Act (DSA) ansieht, der in der EU seit dem 17. Februar in Kraft ist. Er hat zum Inhalt, dass grosse Netzwerkplattformen dazu angehalten werden können, nicht nur «rechtswidrige», sondern auch «anderweitig schädliche Informationen» mit «nachteiligen Auswirkungen» zu löschen. Das heisst, unerwünschte, nicht in den aktuellen politischen Meinungskorridor passende Informationen sollen zur Löschung anbefohlen werden können. Man kann natürlich sagen, die Schweiz ist nicht die EU, aber es gibt bei uns auch Bestrebungen, genau diese Bestimmungen in einem separaten Gesetz zu implementieren, das sich an dem DSA orientieren soll. In der Konsequenz bedeutet das nichts anderes als: Was der WHO widerspricht, soll gelöscht und unterdrückt werden dürfen, damit es sich nicht verbreitet.
Das geht in Richtung Meinungs- und Wissenschaftsdiktatur. Wie weit können die Behörden gehen?
Es gibt in Deutschland bereits ein Urteil des Landgerichts Berlin vom 2. Juli 2024. Ein Kläger hatte verlangt, dass sein gesperrtes LinkedIn-Profil wieder hergestellt wird. Es wurde zwar festgestellt, die Löschung sei aus formalen Gründen zu Unrecht erfolgt, aber es brauche gleichwohl keine Wiederherstellung, denn die Beiträge, die der Nutzer auf seinem LinkedIn-Profil hochgeladen habe, enthielten, so das Gericht, im Sinne des DSA «falsche» und «irreführende» Informationen: Wenn die WHO einmal dekretiert habe, dass «schwerwiegende und langanhaltende Nebenwirkungen nach der Impfung sehr selten» seien, dann gelte das. Was im Bereich der öffentlichen Gesundheit wahr ist oder nicht, bestimmt damit die WHO, und anderslautende Meinungen, mögen sie noch so wohl begründet und belegt sein, dürfen, ja müssen unterdrückt werden. Das ist ein massiver Eingriff in die Meinungs-, Informations- und Wissenschaftsfreiheit und geht über «technische Anpassungen geringfügiger Natur» weit hinaus. Das «Aktionsbündnis freie Schweiz» hat ein Gutachten in Auftrag gegeben, das verschiedene Fragen im Zusammenhang mit den IGV und dem Pandemie-Pakt klären sollte. Die Gutachterin, Professor Isabelle Häner, kommt zum Schluss, dass diese Bestimmungen zur Informationskontrolle einen drohenden Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Grundrecht der Meinungsfreiheit darstellen könnten und deshalb vor das Parlament und gegebenenfalls auch vor das Volk müssen.
Wenn ich Ihren Ausführungen folge, frage ich mich, ob mit den IGV in der WHO ein Wahrheitsministerium geschaffen werden soll, das die Wissenschaft einschränkt, den Menschen das eigene Denken verbietet und für uns entscheidet. Wer das nicht akzeptiert, wird es wohl schwierig haben.
Ja, darauf läuft es im Ergebnis hinaus. Wir haben ja schon heute die Situation, dass Menschen, die sich kritisch äussern, Gefahr laufen, im besten Fall in eine «Schwurbelecke» gestellt zu werden, im schlechtesten ihre Arbeit zu verlieren. Das ist vor allem Leuten in Deutschland widerfahren. Sie werden ausgegrenzt und nicht ernstgenommen. Hochkarätige Wissenschaftler werden nicht einmal angehört, sondern diffamiert oder totgeschwiegen.
Es ist erschreckend, wo wir heute stehen. Ich denke, es ist wichtig, dass die Öffentlichkeit diese massiven Einschränkungen und den drohenden Eingriff in die Grundrechte wahrnimmt und man sich gegen diese Entwicklungen wehrt. Sehen Sie da einen Ansatz?
Was mir auffällt, ist, dass man nicht hinschauen und nicht hinhören will. Der Bundesrat stützt sich auf das BAG, das BAG stützt sich seinerseits darauf, was die WHO verkündet. Es ist schon sehr bedenklich, dass man sich diese «Mantras» zu eigen macht, und alles, was höchst problematisch ist, herunterspielt. Ich fürchte, dass plötzlich etwas eingeführt wird, man erwacht und fragt sich dann, wie so etwas geschehen konnte. Das «Aktionsbündnis freie Schweiz» versucht auf verschiedenen Schienen, die Menschen aufzurütteln und aufzuklären. Aber es gibt auch andere Netzwerke wie zum Beispiel der Dialog Globale Gesundheit, der auf seiner Homepage Informationen bereithält, insbesondere auch über die fragwürdigen Finanzierungsmechanismen innerhalb der WHO. Wenn man sich diese Zusammenhänge vergegenwärtigt, dann geht es gar nicht um den Schutz unserer Gesundheit, sondern es geht um ganz andere Interessen.
Was muss man unter «fragwürdigen Finanzierungsmechanismen» verstehen?
Früher war die WHO überwiegend aus Beiträgen der Vertragsstaaten finanziert. Dies hat sich schrittweise geändert und ins Gegenteil verkehrt. Die regulären Beiträge der Vertragsstaaten betragen nur noch rund 20 Prozent des Budgets. Rund 80 Prozent werden dagegen durch freiwillige Spenden von Ländern und anderen Spendern wie Regierungen, NGOs, supranationalen Organisationen oder privaten Spendern wie Stiftungen aufgebracht und werden meist zweckgebunden bereitgestellt. Eine Gruppe von privaten Stiftungen und NGOs, die durch Zahlungsströme untereinander eng verbunden sind, bestreitet rund 20 Prozent des Budgets. Zudem bestehen zahlreiche personelle Verbindungen zwischen dieser Gruppe und der WHO mit entsprechenden Interessenskonflikten. Zu den grössten privaten Spendern gehören die Bill und Melinda Gates Fondation und die mit dieser verflochtene Impfallianz GAVI. Es ist also eine Illusion zu glauben, die WHO nehme nicht deren Interessen wahr und sei eine unabhängige Organisation.¹
Wie entsteht so ein Vertrag, der von der Anlage her völkerrechtlich verbindlich sein sollte, wenn Dutzende Staaten daran beteiligt sind?
Das ist ein Prozess, der nach festgelegten Regeln ablaufen sollte. Doch hier muss man genau hinschauen. Darum ist es wichtig, dass Vorschriften, die völkerrechtlich verbindlich sein sollen, nicht auf gesetzwidrige Art und Weise zustande kommen. Artikel 55 Abs. 2 IGV besagt klar, dass sämtliche Änderungsvorschläge zu den IGV vom Generaldirektor den Vertragsstaaten spätestens vier Monate vor der betreffenden Weltgesundheitsversammlung notifiziert werden müssen. Das ist aber nicht geschehen. Die WHO hat dies widersprüchlich begründet. Letztlich hat sie sich darauf kapriziert, sie habe alle Änderungsvorschläge den Staaten im November 2022 mitgeteilt und sei damit ihrer Verpflichtung nachgekommen. Das war indessen ein unübersichtliches und unausgegorenes Wirrwarr von 308 Änderungsvorschlägen. Ich habe mit zwei Schreiben an den Bundesrat Ende Mai 2024 wohl begründet, warum diese Auffassung der WHO rechtlich unhaltbar sei. Sie widerspricht einmal der eigenen bisherigen Verwaltungspraxis der WHO. Und sie widerspricht vor allem dem Mandat, das die WHO der Arbeitsgruppe (WGIHR) im Jahre 2022 erteilt hatte, in dem es ausdrücklich hiess, diese Arbeitsgruppe solle bis zum Januar 2024 ein endgültiges Paket von Änderungsvorschlägen vorlegen, damit der Generaldirektor dieses unter Einhaltung der viermonatigen Frist den Vertragsstaaten kommunizieren kann. Bis zum 27. Januar dieses Jahres geschah aber nichts dergleichen. Erst am 17. April kam eine einigermassen konsolidierte Fassung heraus. Danach gab es nochmals zwei Fassungen, am 20. Mai und am 1. Juni. Alle drei Fassungen enthielten teilweise völlig neue Änderungsvorschläge, die zuvor nie kommuniziert worden waren, schon gar nicht spätestens vier Monate vor der WHA. Insbesondere ein neuer Finanzierungsmechanismus in Artikel 44bis IGV wurde erstmals am Abend des 1. Juni, also am selben Abend, an dem dann über die IGV «im Konsens» abgestimmt wurde, vorgeschlagen. Von einer Abstimmung kann ja da keine Rede sein, vielmehr war es ein Nicht-Widersprechen. Es kann nicht sein, dass die WHO – und mit ihr auch die Vertragsstaaten, die nicht dagegen intervenieren – völkerrechtlich verbindliche gesetzliche Verfahrensregeln bricht und so tut, als ob das völlig belanglos sei. Wenn wir uns nicht mehr an das Recht halten, auch nicht mehr an durchaus sinnvolle Formvorschriften, dann können wir gleich jedes Gesetz und jeden Vertrag schreddern.
Wie transparent kommuniziert der Bundesrat über die Entwicklung?
Aus meiner Sicht nicht sehr transparent. Die neueste Strategie ist so: Der Bundesrat wird im Herbst 2024 nach einer Analyse einen Entscheid treffen, wie er weiter vorzugehen gedenkt. Immerhin hat er schon einmal in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage kommuniziert, es könnte sein, dass er eine vorläufige Ablehnung erklären könnte, um dem demokratischen Entscheidungsfindungsprozess in der Schweiz genügend Zeit geben zu können. Ansonsten wird immer noch die Strategie gefahren, zu sagen, wie es die frühere Schweizer Unterhändlerin bei der WHO, Frau Nora Kronig, in einem Interview mit der NZZ am 5. Dezember 2023 gesagt hat, die Anpassungen der Gesundheitsvorschriften seien «eher geringfügig und technischer Natur». Dieselbe Schiene fährt der Bundesrat beziehungsweise das BAG auch heute noch. Es wird bereits alles heruntergespielt, wenn man die aktuellen Informationen auf der Homepage des BAG betreffend den Stand der Internationalen Gesundheitsvorschriften anschaut [Stand 10.09.2024]. Hier liest man: «Zu den Ergebnissen aus den Verhandlungen zählen unter anderem die Stärkung der Kernkapazitäten in der Prävention, Bereitschaft und Reaktion auf gesundheitliche Notlagen, die Etablierung einer zusätzlichen Warnstufe, ein verbesserter Austausch zwischen den Vertragsstaaten und der WHO sowie die Stärkung der internationalen Zusammenarbeit.» Das klingt alles sehr schön, aber man findet kein Wort zur Informationskontrolle, sprich Bekämpfung angeblicher Fehl- und Desinformation oder – pointierter gesagt – zur Zensur. Sie finden kein Wort zu weiteren Auswirkungen wie zum Beispiel zu dem Finanzierungsmechanismus, wie er in letzter Stunde noch zusätzlich in die IGV eingebracht wurde. Dieser Vorschlag in Artikel 44bis IGV wird Auswirkungen auf die Kantone haben. Man muss die Kantone daher sensibilisieren, denn das wird mit enormen Kosten verbunden sein. Kein Wort ferner zu den Möglichkeiten, dass die WHO verbindlich die «gesundheitsrelevanten Produkte» bestimmen und benennen kann, zum Beispiel Impfungen. Das ist das Mantra. Die Impfung soll der Segen sein, und andere Möglichkeiten werden ausgeblendet beziehungsweise aktiv unterdrückt. Es ist schon bemerkenswert, dass das BAG über die Aspekte, die problematisch sind, keine Silbe verliert, dafür die schön klingenden Aussagen in den Vordergrund stellt, gegen die im Grunde genommen ja niemand etwas haben kann.
Warum macht der Bundesrat dabei mit?
Wir haben selbstverständlich eine Souveränität. Dies wird auch immer wieder betont seitens des BAG, dass die Schweiz über ihre Gesundheitspolitik auch in Zukunft souverän entscheiden werde. Grundsätzlich liegt in der Souveränität auch die Möglichkeit, einen Teil der Souveränität abzugeben. Das ist auch ein Bestandteil der Souveränität und muss dann natürlich demokratisch legitimiert sein. Ich sehe, wie die Zusammenhänge in der Welt sind, nämlich dass die Regierungen häufig nicht mehr ganz Herr ihrer selbst sind. Ich will nicht pauschalisieren oder in irgendwelche Grobheiten verfallen. Aber ich erinnere etwa an die «Arena» des Schweizer Fernsehens SRF vom 7. Januar 2022. Da wurde Bundesrat Cassis mit dem Umstand konfrontiert, dass die Hälfte der Covid-Hospitalisierten gar nicht wegen Covid im Krankenhaus waren, sondern wegen etwas ganz anderem, aber positiv getestet waren. Auf Nachfrage hat er dann nochmals präzisiert, dass es so sei, wenn jemand nach einem schweren Verkehrsunfall ins Spital kommt und verstirbt, ist er aufgrund des positiven Tests ein Corona-Toter, weil die WHO das so will. Das zeigt ganz deutlich die Abhängigkeit unseres einst so stolzen souveränen Landes. Ins gleiche Horn hat auch Frau Bundesrätin Sommaruga geblasen, als sie von einer Journalistin des SRF am 19. Juni 2020 gefragt wurde, warum man in der besonderen Lage bleibe und nicht wieder in die normale Lage übergehe. Ihre Antwort war: «Das können wir nicht einfach selber entscheiden. Eines der Themen ist ja auch die WHO, die eben eine Situation auch definiert.» Das sind genau diese Abhängigkeiten, die ich beklage.
Aber sehen wir das nicht auch in anderen Bereichen der Politik?
Ja, unter anderem bei der Neutralitätspolitik. Die Neutralität wird immer mehr aufgeweicht. Es ist sehr unerfreulich, dass die Regierung immer mehr nachgibt. Wir haben das erlebt mit dem Bankgeheimnis, mit den nachrichtenlosen Vermögen und so weiter. Einmal ganz unabhängig davon, wie man dazu steht, ist es immer aufgrund massivsten politischen Drucks von aussen geschehen. Ich befürchte, dass es infolge dieser revidierten IGV in unserem Gesundheitswesen auch zunehmend so sein wird. Auch wenn wir im Epidemien-Gesetz die Voraussetzung für eine besondere Lage festgelegt haben – in einer demokratischen Abstimmung wohl gemerkt – folgt der Bundesrat, was die Definition einer Pandemie betrifft, der WHO. Ob die Ausrufung einer Pandemie kumulativ auch eine Gefährdung der öffentlichen Gesundheit beinhaltet, kann und muss die Schweiz selbst entscheiden. Das steht so im Gesetz (Art. 6 Abs. 1 lit. b Epidemiengesetz). Die Schweiz hat im Zusammenhang mit den Affenpocken, bei denen WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus nun zum zweiten Mal eine «gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite» (PHEIC) ausgerufen hat, noch 2022 ganz klar gesagt: Nein, das machen wir nicht mit, denn für uns gibt es keine Gefährdung der hiesigen öffentlichen Gesundheit. Ich befürchte, dass diese Haltung verschwinden und man sich häufiger dem Willen der WHO unterwerfen wird, um sich den dahinterstehenden Interessen zu beugen.
Was kann man jetzt dagegen tun?
Wir müssen Druck von unten aufbauen, um diese IGV abzulehnen. Sie sind in dieser Form für eine freiheitliche Demokratie, wie wir sie heute (noch) haben, inakzeptabel. Da der Bundesrat in gewisser Beziehung taub zu sein scheint, gibt es kein anderes Mittel, als den Druck über die Kantonsparlamente, die eidgenössischen Räte und die Bevölkerung aufzubauen. Damit die Leute darüber nachdenken, was das alles bedeutet und ob sie solch einschneidende Verträge hinnehmen wollen. Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen: Verträge wie die IGV und der anvisierte Pandemie-Pakt sind völkerrechtliche Verträge, und sie haben rechtsverbindlichen Charakter. Artikel 190 der Bundesverfassung sagt, dass Bundesgesetze und Völkerrecht für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgebend, also bindend sind, und zwar auf gleicher Stufe. Die IGV sind, soweit sie den Vertragsstaaten klare Verpflichtungen wie etwa die Bekämpfung von sogenannter Fehl- und Desinformation auferlegen, daher meines Erachtens völkerrechtlich bindend und innerstaatlich geltendes Gesetzesrecht. Völkerrechtliche Verträge binden im übrigen nach dem Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge die Vertragsparteien und sind von ihnen nach Treu und Glauben zu erfüllen (Art. 26). Das gilt insbesondere auch für die klare Formvorschrift von Art. 55 Abs. 2 IGV, also der erwähnten sogenannten Viermonatsregel. So gesehen kann ich mir nur vorstellen, Aufklärung zu betreiben, Parlamentarier aufzurütteln und die Bevölkerung zu sensibilisieren, damit sie Druck auf den Bundesrat ausüben, diese gesetzwidrig zustande gekommenen IGV zurückzuweisen.
Herr Vollenweider, vielen Dank für das Gespräch.
Interview Thomas Kaiser
¹ https://globale-gesundheit.com/finanzierung/
* Jürg Vollenweider war bis zu seiner Pensionierung Leitender Staatsanwalt im Kanton Zürich. Er engagiert sich im Widerstand gegen die zunehmende Machterweiterung der WHO und Beschneidung der verfassungsrechtlichen Grundfreiheiten insbesondere durch Regelwerke wie Internationale Gesundheitsvorschriften (IGV) und Pandemiepakt. Er ist Mitglied beim Aktionsbündnis freie Schweiz ABF (https://abfschweiz.ch/) und bei den Netzwerken Kritische Richter und Staatsanwälte KRiStA (https://netzwerkkrista.de/) und Dialog Globale Gesundheit
(https://globale-gesundheit.com/).
veröffentlicht am 20. September 2024
«Die europäische Diplomatie hat versagt»
« Israel und die Ukraine befinden sich in einer Dynamik der Niederlage»
Zeitgeschehen im Fokus Sehen Sie irgendwelche Anzeichen, dass der Westen, insbesondere die USA, den Ukrainekonflikt beenden will?
Jacques Baud Nein. Niemand hat die Absicht, den Konflikt zu beenden. Die Europäische Union hat durch Ursula von der Leyen und Josep Borrell deutlich gemacht, dass sie kein Appeasement will. Die Biden-Administration ihrerseits versucht im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen, einen Erfolg zu demonstrieren. Dieser Erfolg ist kein Friede, sondern ein Einfrieren des Konflikts. Die Amerikaner wollen jedoch ihr Gesicht nicht verlieren und versuchen, Ukrainer und Russen zu Verhandlungen zu drängen. Dies erklärt die anscheinend widersprüchliche Politik, Selenskyj zu Verhandlungen zu drängen und ihn gleichzeitig mit Waffen zu versorgen. Selenskyj weiss, dass sich die Situation nach den US-Wahlen ändern könnte, und versucht, das Niveau der westlichen Unterstützung zumindest bis dahin aufrechtzuerhalten.
Die USA sind spätestens seit Oktober 2023 in zwei bewaffnete Konflikte verwickelt, in Palästina und in der Ukraine. Sie haben bei beiden Konflikten Öl ins Feuer gegossen und sie damit angeheizt. Von Europa erwartet jedoch niemand, dass es sowohl in Palästina als auch in der Ukraine eine diplomatische Lösung zustande bringen kann. Die europäische Diplomatie hat sich nicht darum gekümmert. Sie unternahm keine Anstrengungen, eine Lösung zur Beilegung der Kriege zu finden. Sie hat versagt.
Alle, einschliesslich der Europäer, warten auf die USA. Das ist auch logisch, denn die USA, Hauptunterstützer sowohl Israels als auch der Ukraine, sind die einzigen, die den Konflikt beeinflussen könnten.
Aber sie machen es nicht oder doch?
Nein, sie machen es nicht, weil Biden es nicht kann. Er hat in beiden Konflikten jeweils eine Seite mit dem Versprechen unterstützt, dass sie gewinnen würde. Auf beiden Schlachtfeldern ist bei den protegierten Staaten aber eine Niederlage in Sicht, sowohl für Selenskyj als auch für Netanjahu. Die USA sind Gefangene ihrer eigenen Politik.
Die Europäer ihrerseits haben sich auf die USA verlassen und ihre diplomatischen Bemühungen auf die Unterstützung der ukrainischen und israelischen Narrative konzentriert. Sie sind also eine Konfliktpartei und daher nicht in der Lage, eine Lösung für diese beiden Konflikte zu finden. Dies ist übrigens genau der Fall in der Schweiz.
Gibt es eine Möglichkeit, wie die USA aus dieser Lage herauskommen?
Nein, sie wollen die Probleme nicht lösen. Sie wollen nur die Illusion einer Aussicht auf eine Lösung schaffen. Dadurch haben wir einen bremsenden Effekt. Was die USA machen, ist nicht sehr wirksam, aber immer noch wirksamer als bei den Europäern, die gar nichts machen. Die USA streben zumindest im Moment aus innenpolitischen Gründen Verhandlungen an. Sie möchten, dass Selenskyj eine andere Haltung im Konflikt einnimmt und sich auf einen Verhandlungsweg begibt.
Ist denn Selenskyj jetzt bereit dazu?
Nein, er ist nicht bereit dazu, weil er befürchtet, die Unterstützung des Westens zu verlieren. Die Europäische Union will keine Kompromisse mit Russland, vor allem wegen der baltischen Staaten und Polens nicht. Die USA wollen Russland weiter schwächen und haben immer noch das Ziel, es zu zerstückeln, ohne von den finanziellen Auswirkungen dieses Projekts betroffen zu sein. Ihr Hauptziel bleibt China, und wie sich in der Debatte zwischen Kamala Harris und Donald Trump zeigte, bleibt dies ein überparteiliches und einvernehmliches Ziel in der politischen Klasse der USA. Selenskyj befindet sich also in einem Dilemma: Entweder beginnt er einen Dialog mit Moskau und verliert die Unterstützung des Westens, oder er verweigert den Dialog und riskiert das Ende der Ukraine.
Aber das richtet nur Chaos an. Lernen sie nichts?
Das ist seit Jahrzehnten die Politik der USA. Das Problem ist, dass die USA und ihre westlichen Verbündeten die Fähigkeit hatten, die Auswirkungen dieser Chaosstrategie zu beherrschen. Doch heute ist das nicht mehr der Fall. Israel und die Ukraine befinden sich in einer Dynamik der Niederlage, die dazu neigt, sie zu extremen Aktionen zu treiben. Netanjahu startet Angriffe auf den Iran ohne die Zustimmung der USA, Selenskyj greift das Gebiet Russlands an, ohne die USA zu konsultieren, während der Rest der Welt beginnt, sich ohne den Westen zu organisieren.
Die USA verfolgen weiterhin eine Strategie, die nicht mehr mit den Veränderungen in der Welt Schritt halten kann, und die Europäer handeln ohne jegliche Strategie. Wie SunTzu sagte: «Taktik ohne Strategie ist nur Lärm vor der Niederlage». Dies spiegelt genau die heutige Situation in der Ukraine und in Israel wider
Würden die USA mit ihrer Nahostpolitik eine weitere Konfrontation mit Russland in Kauf nehmen, da es ein enger Verbündeter von Syrien ist?
Ja und Nein. Russland wird im Nahen Osten nicht militärisch intervenieren. Es wird den Iran oder Syrien unterstützen, wie es das schon immer getan hat. Der Nahe Osten ist für Russland kein Kriegsschauplatz. Es hat ein Problem in der Ukraine und wird nicht im Nahen Osten kriegerisch tätig werden. Es wird Waffen und elektronische Schutzsysteme sowie Ausbilder bereitstellen, aber es ist unwahrscheinlich, dass es sich militärisch engagieren wird.
Die Ukraine ist spätestens seit der im letzten Jahr gescheiterten Offensive für alle sichtbar in der Defensive. Besteht die Gefahr, dass der Westen, also die Nato, direkt in die Kampfhandlungen eingreift, um eine Niederlage der Ukraine beziehungsweise einen Sieg Russlands zu verhindern?
Nein. Hier muss man differenzieren. Es könnte sein, dass gewisse westliche Länder das machen, basierend auf den bilateralen Sicherheitsabkommen, die einzelne Länder mit der Ukraine abgeschlossen haben. So würde ein möglicher Einsatz westlicher Länder, aber nicht im Rahmen der Nato, geschehen. Die Nato ist dafür «überdimensioniert».
Der Zweck der Nato besteht darin, die europäischen Länder unter den Schutz des US-amerikanischen Atomschirms zu stellen. Während des Kalten Krieges machte dies Sinn, da es eine regelmässige Kommunikation zwischen den beiden Supermächten gab und Strategien wie «Flexible Response» in einer Form von «Gentlemen's Agreement» eingehalten wurden. Heute zeichnen sich unsere Politiker – und die Journalisten, die ihre Aussagen weiterverbreiten, – durch einen eklatanten Mangel an strategischer Kultur, einen Mangel an Distanz und einen fanatischen Blick auf die Politik aus, wie die Situation in Deutschland zeigt. Der gerade veröffentlichte Draghi-Bericht zeigt den Niedergang der EU, während westliche Politiker der Ukraine weiterhin unbegrenzte Unterstützung versprechen, wenn sie im Gegenzug den Krieg fortsetzt. Wir befinden uns also in einer «bissigen» Situation, in der es keine Grenzen mehr gibt.
Ich erinnere daran, dass es westliche Politiker waren, die sich seit Februar 2022 systematisch auf den Ersteinsatz von Atomwaffen berufen haben, und dass die Russen darauf mit Warnungen vor unverantwortlichen Entscheidungen reagiert haben.
Wechseln wir zur aktuellen Offensive in der Region von Kursk. Von unseren Mainstream-Journalisten wird sie als ein grosser Überraschungserfolg gewertet wie anfänglich die Sommeroffensive auch. Was passiert wirklich?
Wenn man die geheimen Dokumente der USA, die letztes Jahr veröffentlich wurden, studiert, sieht man, dass den Ukrainern für ihre grosse Gegenoffensive, die im Juni 2023 begonnen hatte, drei Möglichkeiten offenstanden. Die Ukraine hatte bei ihrer Planung drei Frontabschnitte ausgewählt, um diesen Gegenangriff durchzuführen: im Süden Richtung Cherson, in der Mitte Richtung Saporoschje oder im Osten zwischen Belgorod und Belarus, also Richtung Kursk. Das waren laut den Dokumenten die drei möglichen Stossrichtungen. Die Angriffskräfte, die der Ukraine zur Verfügung standen, waren den Russen unterlegen: im Raum Cherson im Verhältnis 1:8, im Raum Saporoschje 1:4, aber im Raum Kursk war das Verhältnis 1,1:1 zugunsten der Ukraine, also eine minimale Überlegenheit. Doch aufgrund der Topographie des Territoriums hätte man kaum mit mechanisierten Einheiten Angriffe durchführen können. Deshalb haben sich die Ukrainer im Juni 2023 für das Gebiet mit einem noch vertretbaren, wenn auch negativen Kräfteverhältnis entschieden, nämlich für Saporoschje. Aufgrund dieser Lagebeurteilung begann dort im Juni 2023 der Angriff der ukrainischen Armee, der jedoch gescheitert ist. Jetzt versucht sie einen Angriff in Richtung Kursk. Die Topographie hat sich seit dem Sommer 2023 nicht geändert, sodass jetzt sinnvollerweise mehr Infanterie zum Einsatz kommt. Das Territorium ist aber für einen Vorstoss ungeeignet, wie wir heute sehen.
Was bringt der Vorstoss militärisch?
Auf strategischer Ebene war es, wie Selenskyj in den letzten Monaten angekündigt hatte, sein Ziel, den militärischen Konflikt auf russisches Territorium zu bringen, um eine politische Krise in Moskau zu erzeugen. Diese Idee ist nicht völlig abwegig, aber sie muss sich auf die Realität vor Ort stützen, um wirksam zu sein.
Zunächst einmal muss man verstehen, dass seit 2022 der Grossteil der Kämpfe den Donbas betrifft. Zwischen 2015 und 2022 hat die Ukraine einen Festungsgürtel um den Donbas gebaut, dessen Zerstörung die russische Hauptanstrengung ist. Der Ukraine fehlt es an Mitteln. Sie musste daher Truppen aus dem Donbas nehmen und nach Kursk schicken. Dadurch verlängerte sie ihre Frontlinie um fast 150 km. Die Ukraine schwächte ihre Streitkräfte im Donbas somit doppelt. Darüber hinaus schafft die Offensive auf Kursk keine Synergien auf operativer Ebene, die den russischen Druck im Donbas mildern würden. Wie zu erwarten war, bringt die Operation auf Kursk daher keinen militärischen Vorteil. Er könnte vielleicht politisch oder strategisch eine Wirkung haben. Wenn man so eine Strategie anwenden will, um Russland zu destabilisieren, müsste man viel grössere Ressourcen haben. Die Ukraine hat sich mit dieser Aktion militärisch und politisch selbst geschwächt. Die Idee ist an und für sich nicht schlecht, aber, um erfolgreich zu sein, müsste die Ukraine viel mehr militärisches Personal haben und nicht die übrige Frontlinie, die massiv unter Druck Russlands steht, ausdünnen. Es ist niemals sinnvoll, einen Abnützungskrieg durchzuführen, wenn der Gegner mehr Ressourcen hat als man selbst.
Aber das ist doch eigentlich logisch…
Ja, natürlich, aber die Ukrainer durchschauen das nicht. Der Westen applaudierte, als Selenskyj diese Offensive ausgelöst hatte. Die westlichen Strategen und Experten haben das nicht einmal gesehen. Das alles basiert immer auf derselben Lüge, man könne die Russen schlagen.
Dass das ein militärischer Blödsinn ist, sollte doch auch den Verantwortlichen bewusst sein. Was wollte Selenskyj damit erreichen?
Selenskyjs Idee ist es, den Krieg auf russischen Boden hineinzutragen.¹ Das hatte er selbst gesagt.2 Er wollte, dass das russische Volk den Krieg spürt, um innerhalb Russlands aufgrund der Verunsicherung eine destabilisierende Wirkung zu erzeugen. Dazu gehören auch terroristische Anschläge mit Drohnen gegen Moskau, gegen Belgorod und so weiter.
Das ursprüngliche operative Ziel der Aktion auf Kursk war es, das Atomkraftwerk bei Kurtschatow in Besitz zu nehmen, um anschliessend mit Russland über das Atomkraftwerk in Saporoschje verhandeln zu können. Bis heute sind die Ukrainer jedoch nicht näher als 50 Kilometer an das Kernkraftwerk herangekommen. Heute hat sich das operative Ziel geändert. Da die Ukraine offensichtlich nicht weiter vorrücken kann, will sie eine Pufferzone errichten und so das von ihr besetzte russische Territorium verteidigen. Diese Zone ist sehr dünn besiedelt, und das ukrainische Ziel ist eher politisch als militärisch.
Bereits Ende Juli wussten die Russen, dass die Ukrainer so etwas planten…
Ja, das ist so. Der Angriff geschah am 6. August. Die Russen hatten bereits eine Woche früher die 810. Marineinfanteriebrigade vom Raum Cherson ganz im Süden der Ukraine nach Kursk verlegt, um das Kernkraftwerk zu schützen. Das Tschetschenen-Bataillon «Akhmat» wurde ebenfalls in den Raum Kursk verlegt. Das geschah bereits eine Woche vor Beginn der Offensive. Das heisst, die Russen wussten, dass etwas kommen wird. Sie haben anfänglich nur eine kleine Truppenkonzentration entdeckt. Die Ukrainer haben mit einem kleinen Kontingent von Kampftruppen begonnen. Die ersten Meldungen im russischen Ministerium sprachen von 1000 bis 2000 Soldaten. Das ist das, was die Russen erwartet haben. Die ukrainische Führung hat Verbände von der Frontlinie abgezogen und nach Kursk verlegt. Sie hat das ziemlich schnell gemacht und sie am neuen Ort eingesetzt. Aus diesem Grund ist der Vorstoss in den ersten drei, vier Tagen schnell geschehen. Nach fünf Tagen wurden die Ukrainer gestoppt. Bis heute hat sich daran im Wesentlichen nichts geändert.
Hat der Vorstoss einen Einfluss auf die Dynamik des Konflikts?
Bis heute ist es der Ukraine nicht gelungen, das Tempo ihrer Offensive wieder aufzunehmen, und Russland gewinnt jeden Tag an Boden. Dieses Gebiet ist für die Ukraine wichtiger als für Russland. Daher setzt die Ukraine dort erhebliche Ressourcen ein. Es scheint, dass die Russen es nicht eilig haben, dieses Gebiet zurückzuerobern. Sie ziehen es vor, zu verhindern, dass die Ukrainer ihre Anstrengungen auf den Donbas konzentrieren können. Im Einklang mit der im Oktober 2022 beschlossenen Strategie setzen die Russen ihre Anstrengungen weiterhin auf die Zerstörung des ukrainischen Potenzials und nicht auf die Eroberung von Gebieten.³
Die Russen haben verhindert, dass die Ukrainer vorrücken können. Letztere wollen jedoch das eroberte Gebiet behalten. Macht Russland Anstalten, die Ukrainer aus ihrem Territorium zurückzudrängen?
Ja, es wird in diesem Gebiet gekämpft, und die Ukrainer verlieren sehr viele Soldaten. Dem gegenüber muss man sehen, dass die Russen in den letzten zwei Wochen keine Toten gehabt haben. Meine Quelle ist Mediazona. Mediazona ist ein Medium der russischen Anti-Putin-Opposition, das zusammen mit der britischen BBC eine Beobachtungsstelle für russische Verluste eingerichtet hat, die sich auf Informationen aus den russischen Medien stützt. Seine Zahlen sind in der Regel etwa zehnmal niedriger als das, was uns die ultra-nationalistische Propaganda, die der deutschen Ideologie der 1930er Jahre nahesteht, in unseren Medien vermittelt. Es ist schwer zu sagen, ob die Zahlen von Mediazona die Realität widerspiegeln, aber zumindest ist ihre Methodik klar. Die Zahlen von Mediazona werden übrigens in den traditionellen Medien nie erwähnt. In Deutschland werden alternative Medien, die sie erwähnen, auf «schwarze Listen» gesetzt, in der guten alten Tradition der 1930er Jahre.⁴
Mediazona bietet zwei Arten von Zahlen an: verifizierte Zahlen und kalkulierte Zahlen. Auf die letzteren kommen sie mit Algorithmen, die sich nicht auf die Realität stützen, sondern auf Annahmen, zum Beispiel aufgrund der Art der Kampfhandlungen und Ähnlichem. Wenn man die verifizierten Zahlen nimmt, dann sind das sehr tiefe Zahlen, wenn man die angenommen Zahlen nimmt, kommt man auf ungefähr 120 000. Ich orientiere mich an den verifizierten Zahlen. Zahlen, basierend auf Algorithmen, hat man eingeführt, weil die russischen Verluste sehr niedrig waren. Das ist eine pseudowissenschaftliche Art, das allgemeine Narrativ zu bestätigen. Die verifizierten Zahlen werden immer noch veröffentlicht, und sie zeigen, dass Russland sehr wenig Verluste, Tote, Verwundete und so weiter hat. Bei den Ukrainern sieht es ganz anders aus. Sie verlieren im Moment ungefähr 2000 Mann pro Woche. Darunter fallen Tote, Verletzte, Vermisste und Gefangene, das sind ungefähr 60 000 pro Monat.⁵
Für die Ukrainer stellt sich die Situation ganz anders dar. Versuche, die gleiche Arbeit wie Mediazona zu tun, wurden systematisch von der Regierung verhindert. Unsere einzige Informationsquelle sind daher die russischen Behörden. Ihre Zahlen sind wahrscheinlich ungünstig für die Ukraine, aber die Erfahrung und der Vergleich mit unabhängigen Quellen, die den Verlauf der Kämpfe verfolgen, zeigen, dass sie im Grossen und Ganzen zuverlässig sind. Die Ukrainer verlieren etwa 15 000 Mann pro Woche (Tote plus Verletzte), das heisst etwa 2000 pro Tag.
Unglaubliche Zahlen! Wie wollen sie die Verluste ausgleichen?
Das ist genau das Problem, sie können die Verluste nicht ausgleichen. Sie führen eine verstärkte Rekrutierung durch, die auf Widerstand in der ukrainischen Bevölkerung stösst. Es finden im Inland immer mehr Demonstrationen dagegen statt. Es gibt Anschläge auf die Fahrzeuge der Rekrutierungsoffiziere. Sie werden mit Molotow-Cocktails angegriffen. Es gibt Bombenanschläge auf die Rekrutierungsbüros und Ähnliches. Das hat in der Ukraine ein unglaubliches Ausmass angenommen. Davon spricht im Westen natürlich niemand. Es haben sich in der westlichen Ukraine auch verschiedene Widerstandsbewegungen gebildet. Sie sind vergleichbar mit der Résistance in Frankreich und Belgien während des Zweiten Weltkriegs. Diese Widerstandsbewegung, bestehend aus russischsprachigen oder russischstämmigen Ukrainern, ist nicht ganz unbedeutend, denn sie unterstützt die Russen, indem sie ihnen die Koordinaten für Raketenziele liefert. Dieser Widerstand ist zum Teil bewaffnet, militärisch organisiert und kämpft gegen die ukrainische Regierung.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Intervention in russisches Territorium der Ukraine keinerlei Vorteile gebracht hat. Die vom Westen geteilte Annahme, dass die Intervention Wladimir Putin politisch geschwächt habe, hat sich als falsch erwiesen. Tatsächlich zeigt die monatliche Umfrage des Levada-Zentrums (das in Russland als ausländischer Agent gilt), dass die russische Bevölkerung die militärische Sonderoperation in der Ukraine sogar noch stärker unterstützt. Im Juni/Juli 2024 waren 58 Prozent der Bevölkerung für Verhandlungen und 34 Prozent für die Fortsetzung der Operation. Im August sank das Interesse an Verhandlungen auf 50 Prozent und die Bereitschaft, die Militäroperationen fortzusetzen, stieg auf 41 Prozent.⁶
Aus diesem Grund ist die von den Europäern vorangetriebene Idee, den Konflikt durch die Genehmigung des Einsatzes von Raketen mit Reichweite in die Tiefe russischen Territoriums eskalieren zu lassen, von Grund auf dumm. Sie wird von blutrünstigen Journalisten und unreifen britischen, französischen, deutschen, polnischen, schwedischen und anderen Politikern unterstützt. Selbst General Patrick Ryder, der Sprecher des Pentagons, ist der Meinung, dass dies keine Lösung des Konflikts bringen wird.⁷
Ohne in der Lage zu sein, zu definieren, was ein ukrainischer Sieg oder eine russische Niederlage sein könnte, ermutigt der Westen Russland lediglich dazu, seine Offensive fortzusetzen.⁸ Man kann sich vorstellen, dass Russland relativ schnell die Grenzen seines «Sieges» finden wird, aber dies wird sicherlich um den Preis einer sehr schweren Niederlage der Ukraine geschehen.
Herr Baud, vielen Dank für das Gespräch.
Interview Thomas Kaiser
* Jacques Baud hat einen Master in Ökonometrie und ein Nachdiplomstudium in internationaler Sicherheit am Hochschulinstitut für internationale Beziehungen in Genf absolviert und war Oberst der Schweizer Armee. Er arbeitete für den Schweizerischen Strategischen Nachrichtendienst und war Berater für die Sicherheit der Flüchtlingslager in Ost-Zaire während des Ruanda-Krieges, arbeitete unter anderem für die Nato in der Ukraine und ist Autor mehrerer Bücher über Nachrichtendienste, asymmetrische Kriegsführung, Terrorismus und Desinformation.
1 www.youtube.com/watch?v=HRxAEC8rjqg
² www.aljazeera.com/news/2024/3/1/ukraines-strategic-goal-in-2024-is-to-make-russias-war-felt-in-moscow
³ «Суровикин: российская группировка на Украине методично "перемалывает" войска противника», TASS, 18 octobre 2022 (https://tass.ru/armiya-i-opk/16090805)
⁴www.verfassungsschutz.bayern.de/mam/anlagen/baylfv_vollanalyse_doppelgaenger.pdf
⁵ en.zona.media/article/2022/05/20/casualties_eng
⁶ www.levada.ru/2024/08/30/konflikt-s-ukrainoj-i-napadenie-na-kurskuyu-oblast-osnovnye-pokazateli-v-avguste-2024-goda/
⁷ www.defense.gov/News/Transcripts/Transcript/Article/3904376/pentagon-press-secretary-maj-gen-pat-ryder-holds-a-press-briefing/
⁸ x.com/SprinterFamily/status/1777981505786069421
veröffentlicht am 20. September 2024
Ukraine-Krieg: Sinnloses Sterben beenden und endlich verhandeln
Die Tatsache, dass der russisch-ukrainische Krieg – wird er weitergeführt – mit einer militärischen Niederlage der Ukraine enden wird, bleibt niemandem mehr verborgen. Auch denjenigen nicht, die seit Beginn des Krieges einen Sieg beschworen haben. Bereits zwei Monate nach dem russischen Einmarsch gab es an der Einstellung der EU zu diesem Krieg keinen Zweifel mehr: «Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell hat seine Position bekräftigt, wonach der Ukraine-Krieg auf dem Schlachtfeld und nicht durch Sanktionen entschieden wird.»¹ Damit war die Marschrichtung bestimmt und eine diplomatische Lösung ausgeschlossen.
Was Borrell damit insinuierte, war ein Sieg der Ukraine über Russland – verantwortungslos und eine Verkennung der Realität, wie wir heute feststellen können. Seriöse Analysten warnten von Anfang an vor einer militärischen Niederlage der Ukraine und plädierten für eine diplomatische Lösung, doch der Westen wollte Krieg «bis zum letzten Ukrainer».2
Nach dem Scheitern der ukrainischen Offensive im Sommer 2023 mit zwölf vom Westen ausgebildeten Brigaden offenbarte sich deutlich, dass der Krieg für die Ukraine nicht zu gewinnen ist und die Zahl der Toten und Verletzen bei einer Weiterführung des Krieges ins Unermessliche steigen wird.
Weitere Waffen liefern
Doch trotz dem verheerenden Desaster hielt der Westen an seiner militärischen Unterstützungsstrategie fest und versprach weitere (Wunder)-Waffen, sogenannte Game-Changer. Er unterstützte die Ukraine seit Beginn des Krieges mit mehr als 300 Milliarden Euro, was ihr Bruttoinlandsprodukt um 30 Prozent übersteigt.³ Die finanzielle Unterstützung und die enormen Waffenlieferungen, einschliesslich F-16 Kampfflugzeuge, werden keine Wende zugunsten der Ukraine bringen.⁴ Der russische Vormarsch wird dadurch kaum gestoppt.
Aktuell geht es darum, der Ukraine zu erlauben, Raketen einzusetzen, die in den russischen Luftraum eindringen und Ziele auf russischem Staatsgebiet treffen können. Die USA und Grossbritannien haben bisher die Erlaubnis nicht gegeben. Ein Angriff mit solchen Waffen bleibt für die Ukraine verboten.⁵
Würden sie sich jedoch umentscheiden, wäre das eine weitere Eskalation, – eine Wende im Krieg wird auch dies kaum bringen. Inzwischen ist es offensichtlich, dass weder die Sanktionen gegen Russland noch die westlichen Waffenlieferungen sich zugunsten der Ukraine ausgewirkt haben.
Historische Parallelen
Als die ukrainische Armee Anfang August 2024 auf russisches Territorium vorstiess, was bisher viele Opfer forderte, aber keine Änderung der Kriegslage brachte, erfuhr sie vom Westen Bewunderung. Der Versuch, Richtung Kursk vorzustossen, erinnert an ähnliche Szenarien früherer Kriege, zum Beispiel an die Frühjahrsoffensive des deutschen Militärs während des Ersten Weltkriegs im April 1918. Hier träumte die Oberste Heeresleitung (OHL), nachdem der Krieg schon praktisch verloren war, von einem kriegsentscheidenden Durchbruch, der zum Sieg führen sollte. Die Deutschen wollten Richtung Paris vorstossen, und somit den Krieg für sich entscheiden. Der anfängliche Verlauf der Offensive schien ein Erfolg zu werden. Auf breiter Front rückten die deutschen Verbände 50 Kilometer auf französischem Boden vor und waren bald in der Lage, Paris mit ihrer Artillerie zu treffen. Die OHL fühlte sich in ihrem Plan bestätigt. Dennoch blieb der durchschlagende Erfolg aus. Die deutschen Truppen wurden gestoppt, und die Erschöpfung der Soldaten beendete die Offensive. Auch der zweite Anlauf etwa einen Monat später erreichte nicht den geplanten Durchbruch und scheiterte am Widerstand des Gegners.
Das ist Krieg
Was hat das gebracht? Nichts als den Tod von über 300 000 deutschen und ungefähr in gleicher Zahl von französischen und britischen Soldaten. Die gescheiterte Offensive hat die Gesamtzahlen der Toten um weitere 600 000 erhöht wie bei der Schlacht um Verdun oder bei der Sommeroffensive der Briten und Franzosen 1916. Hier starben an einem Tag 20 000 britische Soldaten, von den Verletzten ganz zu schweigen, deren Anzahl die der Toten immer übertrifft. Und was es heisst, verletzt zu sein, übersteigt die menschliche Vorstellungskraft: «Vor meine Füsse, auf dem Platze, wo ich vor einer Kiste sass, legten sie einen hin, der unausgesetzt ein gurgelndes Röcheln ausstiess. Ich beugte mich herab, um ein teilnehmendes Wort zu sagen, aber entsetzt fuhr ich wieder zurück und verbarg mein Gesicht in beide Hände – der Eindruck war fürchterlich gewesen. Das war kein menschliches Angesicht mehr – der Unterkiefer weggeschossen, ein Auge herausquellend, dazu ein erstickender Qualm von Blut- und Unratgeruch. […] Den Röchelnden hatten sie fortgetragen. ‹Leg ihn dort auf die Bank›, hörte ich den Regimentsarzt befehlen, ‹den kann man nicht mehr ins Spital bringen – er ist schon dreiviertel tot›. Und doch – diese Worte muss er verstanden haben, der Dreiviertel-Tote, denn mit einer verzweiflungsvollen Gebärde hob er beide Arme zum Himmel.»⁶ Es gibt unzählige Darstellungen, die das Grauen des Krieges ungeschminkt dokumentieren, so dass einen beim Lesen das kalte Grausen packt. Man kann nicht weiterlesen und muss das Buch für einen Moment aus der Hand legen. Aber es widerspiegelt die fürchterliche Realität des Krieges, die Soldaten jeden Tag vor Augen haben. Was übrig bleibt, sind unsägliches Leid, Elend und Verzweiflung. Familien trauern um ihre Nächsten und sollen mit hohlen Phrasen wie «süsser Tod fürs Vaterland», «heldenhafter Tod» oder «in Erfüllung seiner Pflicht» getröstet werden. Die Realität auf dem Schlachtfeld ist eine ganz andere.
Neben toten und verletzten Soldaten zählte man in den letzten 100 Jahren immer mehr zivile Opfer. Im Ersten Weltkrieg waren ungefähr 10 Prozent der Toten Zivilisten, im Zweiten Weltkrieg etwa 50 Prozent, im Vietnam-Krieg etwa 70 Prozent und im Irak-Krieg 2003 etwa 90 Prozent.⁷ Über die Zahl der Zivilisten, die im Ukraine- oder im Gaza-Krieg bisher gestorben sind, gibt es keine verlässlichen Daten. Besonders im Gaza-Streifen und im Westjordanland wird vermutlich die Zahl der toten Zivilisten die Opfer israelischer Soldaten und der Hamas-Kämpfer bei weitem übersteigen.
Moral Bombing
Selenskyjs Begründung für die Kursk-Offensive war unter anderem, den Krieg nach Russland zu tragen, damit die Menschen in Russland realisieren, was Krieg bedeutet und dass das politische Folgen haben würde. Bisher geschah nichts in diese Richtung. Ein ähnliches Motiv leitete Arthur Harris, der ab 1942 die Bombardierung Deutschlands im Zweiten Weltkrieg leitete. Er liess unter anderem deutsche Städte bombardieren, damit die Bevölkerung erlebt, was das bedeutet und sie sich in der Folge gegen die Diktatur erhebt, Hitler stürzt und der Krieg zu Ende ist. Doch nichts dergleichen passierte. Die Menschen schlossen sich noch mehr gegen den Feind zusammen. Ungefähr 650 000 Zivilisten starben im Bombenhagel. «Moral Bombing» nannten es die Briten.
Wie wird der Krieg enden?
Was aus der Kursk-Offensive wird, weiss man nicht, aber selbst der Militärökonom Marcus Keupp, der im März 2023 für Oktober des gleichen Jahres ein Ende des Kriegs und eine strategische Niederlage Russlands vorhergesagt hatte, zeigte sich eher pessimistisch über den Ausgang des ukrainischen Vorstosses: «Auch, wenn die Russen im Moment ziemlich dilettantisch agieren, wird es ihnen irgendwann schon gelingen, diesen Raum abzusichern.»⁸
Was für Schlüsse lassen sich aus den historischen Erfahrungen ziehen? Man kann einen Krieg so lange führen, bis eine Seite besiegt ist und Zehntausende Soldaten auf dem Weg dorthin sinnlos geopfert worden sind. Das ist die Vorstellung von Josep Borrell. Aber am Schluss muss verhandelt werden, wie man den Frieden in Zukunft sichern will. Oder man anerkennt, dass der Krieg nicht zu gewinnen ist, beendet das Schlachten, rettet Zehntausende vor dem sicheren Tod, bewahrt die Soldaten vor schwersten Verwundungen und führt Verhandlungen, um zu einem dauerhaften Frieden zu kommen. Unabhängig davon, ob der Krieg auf dem Schlachtfeld entschieden oder mit Diplomatie gelöst wird, es wird immer zu Verhandlungen kommen. Die Ukraine hat bei ihrer offensichtlichen militärischen Unterlegenheit und den hohen Verlusten an jungen Menschen, die sie kaum noch ersetzen kann und trotz weiterer Waffenlieferungen aus dem Westen nur eine Option.
¹ www.eu-info.de/dpa-europaticker/315886.html
² www.stern.de/digital/technik/zwei-monate-sommeroffensive---hohe-verluste-geringe-gewinne--so-wird-der-krieg-weitergehen-33722388.html
³ de.statista.com/statistik/daten/studie/1303434/umfrage/bilaterale-unterstuetzung-fuer-die-ukraine-im-ukraine-krieg/
⁴ www.srf.ch/news/dialog/lieferung-von-kampfflugzeugen-auch-die-f-16-duerften-keine-wende-zugunsten-der-ukraine-bewirken
⁵ www.tagesschau.de/ausland/europa/starmer-biden-ukraine-100.html
⁶ Berta von Suttner: Die Waffen nieder, S. 229
⁷ Bomben für den Frieden. SRF Dok-Sendung, März 2008
⁸ www.blick.ch/ausland/militaerexperte-marcus-keupp-ordnet-ein-kursk-offensive-der-ukrainer-dient-nur-einem-zweck-id20045188.html
veröffentlicht am 20. September 2024
Geplante Raketenstationierung in Deutschland
«Keiner weiss, warum, mit welchem Ziel – kein Hinweis auf neue Verhandlungen»
Zeitgeschehen im Fokus Was gab es für Reaktionen aus der Bevölkerung auf das erstaunlich gute Abschneiden des BSW bei den Wahlen in Sachsen und Thüringen?
Bundestagsabgeordneter Andrej Hunko Aus Sicht unserer Partei war das ein ausserordentlicher Erfolg. Dass eine Partei, die vor 8 Monaten von 50 Personen gegründet wurde, in zwei Landtagswahlen zweistellige Ergebnisse erreicht hat, ist präzedenzlos. Wir sind im Grunde genommen noch im Aufbauprozess. Wir haben keinen richtigen Apparat, wir haben keine hauptamtlichen Bataillone, auch nicht das grosse Geld. Das ist schon ein toller Erfolg.
Persönlich habe ich sehr viele Gratulationsmails und SMS aus der ganzen Welt erhalten, aus den USA und aus verschiedenen europäischen Ländern. Es ist auch erstmalig, dass zwei Landtagswahlen eine solche internationale Aufmerksamkeit bekamen. Sie sind ein internationales Thema geworden. Das hat teilweise mit unserer neuen Partei zu tun und damit, dass die AfD auch so eine Stärke zeigte.
Das Wahlergebnis ist zudem ein Debakel für die Regierungsparteien. Die Parteien der regierenden Ampel-Koalition bekamen zusammen ungefähr so viele Stimme wie das BSW alleine. Entsprechend haben wir eine Regierungskrise in Deutschland. Es ist ein politisches Erdbeben, ein fundamentaler Umbruch innerhalb des Parteiensystems, der sich hier andeutet.
Was für politische Möglichkeiten, eine Regierung zu bilden, gibt es in Thüringen?
Land auf, Land ab wird diskutiert, wie eine Regierungsbildung in den beiden Bundesländern, Sachsen und Thüringen möglich wäre. Mit der AfD zu koalieren haben alle Parteien abgelehnt. In Thüringen gäbe es deshalb nur eine Mehrheit, wenn CDU, BSW und die Linke koalierten, eine sogenannte Brombeer-Koalition. Eine Regierung aus CDU, BSW und SPD würde nur auf die Hälfte der Stimmen kommen. Die CDU hat aber einen Unvereinbarkeitsbeschluss nicht nur mit der AfD, sondern auch mit der Linken, der offiziell nach wie vor gilt. Auch wenn die Linke in Thüringen pragmatisch ist, gilt der Beschluss. Vor lauter Brandmauern hat die CDU sich hier ziemlich handlungsunfähig gemacht.
Was geschieht in Sachsen?
Hier ist die Lage nicht so kompliziert wie in Thüringen. Es ist eine Koalition ohne die Linke möglich, allein aus CDU, BSW und SPD. Dazu wird es auch Gespräche geben. Es ist in dem Sinne einfacher, weil die CDU nicht gezwungen ist, eigene Beschlüsse zu ignorieren. Allerdings gibt es innerhalb der CDU heftigen Widerstand gegen eine Kooperation mit dem BSW.
Wie kann es in Thüringen weitergehen?
Es gibt bereits sogenannte Optionsgespräche. Wir haben vor der Landtagswahl gesagt, das BSW beteiligt sich nur an einer Regierung, wenn sich die Situation für die Menschen im Land spürbar verbessert und wenn eine solche Landesregierung ihre Stimme für Diplomatie und gegen die von den USA geplante Stationierung von Raketen in Deutschland im Jahr 2026 erhebt. Darum gibt es eine grosse Aufregung. Die Reaktionen kamen prompt: Das sei kein landespolitisches Thema. Einige scheinen die föderalen Strukturen in Deutschland nicht gut zu kennen. Es gibt den Bundesrat, der die Vertretung der Länder darstellt. Diese Kammer hat einen Auswärtigen Ausschuss, der die Aufgaben des Auswärtigen Amtes widerspiegelt. Die Kompetenz liegt dann auf der nationalen Ebene beim Auswärtigen Amt und in letzter Konsequenz im Kanzleramt. Es ist also nicht so, dass der Bundesrat hier nichts zu sagen hätte. Es ist ein Thema, das den Menschen unter den Nägeln brennt. Solche Themen müssen angesprochen werden.
Es gab auch interessante Umfragen. Gemäss den Nachwahlbefragungen sagen in Thüringen 60 Prozent und in Sachsen 55 Prozent aller Wähler von allen Parteien, dass sie es richtig finden, dass das BSW etwa die Waffenlieferungen an die Ukraine kritisiert. Das ist eine enorme Zahl, die die Auffassung der Mehrheit im Osten widerspiegelt. Im Westen ist das nicht so ausgeprägt.
Es ging in Thüringen und Sachsen natürlich auch um soziale Themen wie Schulen, um Kriminalität und um Migration. Aber es ist uns gelungen, über diese Wahlen die geplante Stationierung der US-Raketen, die aufgrund des INF-Vertrags bis vor kurzem noch illegal war, zum Thema zu machen. Natürlich können Thüringen und Sachsen nicht über die Stationierung entscheiden, aber die Landesregierungen können ihre Stimme dagegen erheben.
Wie kam es zur Entscheidung, neue Mittelstreckenraketen zu stationieren?
Beim Nato-Gipfel in Washington im Juli hat Olaf Scholz bei einem Side-Event eine dürre bilaterale Erklärung unterzeichnet, dass die USA Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von 1500 bis 5500 km in Deutschland stationieren werden. Das ist nicht mit der Nato konsentiert, und dass die Raketen hier stationiert werden sollen, macht Deutschland zu einem potentiellen Angriffsziel.
Man muss wissen, dass in Deutschland die Stationierung von Mittelstreckenraketen eine besondere Geschichte hat. Es gab Anfang der 80er Jahre die Auseinandersetzung um den Nato-Doppelbeschluss. Das hiess: Erstens, die Pershing-II-Raketen werden stationiert; zweitens, es sollen Verhandlungen über Rüstungskontrollverträge mit der Sowjetunion geführt werden. Die Stationierung wurde von den Gegnern schwer kritisiert. 300 000 hatten damals in Bonn dagegen demonstriert. Aber selbst die damaligen Befürworter wollten, dass es am Ende ein Kontrollregime geben soll. Heute haben wir gar nichts, es ist nichts mehr da. Es geht nur um die Stationierung. Keiner weiss, warum, mit welchem Ziel – kein Hinweis auf neue Verhandlungen, wie das beim Nato-Doppelbeschluss vorgesehen war. Heute handelt es sich um reine Eskalation.
Was für Mittelstreckenwaffen sollen stationiert werden?
Es geht etwa um «Tomahawk-Raketen», die eine Reichweite von 2000 Kilometern haben, damit Moskau erreichen können und die atomar bestückbar sind, was zwar im Moment noch nicht vorgesehen ist, aber jederzeit geändert werden kann. Noch besorgniserregender ist der «Dark Eagle», der eine höhere Reichweite hat und mit fünffacher Schallgeschwindigkeit fliegen und in wenigen Minuten in Moskau sein kann. Diese Waffe kommt im Moment in den USA in den potenziellen Anwendungsbereich.
Warum hat man in den 80er Jahren den INF-Vertrag abgeschlossen?
Um wirklich die Stationierung der Pershing-II-Raketen und die sowjetischen SS 20 rückgängig zu machen und um sie zu verschrotten, was auch überwiegend geschehen ist. Dass Mittelstreckenraketen auch eine ungewollte Eskalation hervorrufen können, liegt daran, dass der Gegner bei einem Angriff nur sehr wenig Zeit hat zu reagieren. Man muss innert kürzester Frist entscheiden, ob man zurückschlägt oder nicht. Deshalb gab es diesen INF-Vertrag, der eine weitere Stationierung verboten hat und eine Eskalation verhindern konnte. Dieser Vertrag ist 2019 einseitig von Donald Trump aufgekündigt worden, mit der Begründung von angeblichen Vertragsverletzungen durch die russische Seite. Faktisch sind alle Abrüstungsverträge aus der Zeit des Kalten Kriegs überwiegend von den USA gekündigt worden. Dazu gehören auch START oder die Open-Skies-Abkommen. Wir stehen somit wieder vor einer gefährlichen Rüstungsspirale und sind in den bilateralen Beziehungen um Jahrzehnte zurückgefallen. In Deutschland wird das überhaupt nicht diskutiert. Olaf Scholz hat in Washington ohne grosse Debatte blindlings die Absichtserklärung unterschrieben, und so soll das jetzt umgesetzt werden.
Welche Möglichkeiten gibt es, diese Stationierung zu verhindern?
Jetzt ist natürlich eine gewisse Unruhe entstanden, und ich finde es richtig, was Sahra Wagenknecht gesagt hat: Wenn sich das BSW an einer Regierung in Thüringen oder Sachsen beteiligen soll, dann muss eine solche Regierung die Stimme erheben gegen diese Stationierung der Raketen. Das alleine wird sie nicht verhindern, aber sie muss ein Bestandteil in einem Koalitionsvertrag sein und somit auch diskutiert werden. Es ist auch nichts Ungewöhnliches, etwa in der Präambel eines Koalitionsvertrags solche Punkte festzuhalten, das gab es auch zu anderen internationalen Themen bei anderen Koalitionsverträgen in den Bundesländern.
Als kleine Bundestagsgruppe haben wir zudem den Antrag gestellt, der dazu eine Volksbefragung vorsieht, etwa parallel zur Bundestagswahl 2025 mit der Frage: «Sind Sie für oder gegen die Stationierung dieser Raketen?» Da gibt es Kritiker, die keine Ahnung von der deutschen Geschichte haben. Natürlich ist ein Volksentscheid wie in der Schweiz bislang nicht vorgesehen. Es wäre nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament möglich, Volksentscheide einzuführen. Bis jetzt wird das vor allem von der CDU/CSU blockiert.
Die Form der Volksbefragung allerdings ist nicht bindend, hat aber politisch eine enorme Wucht. Es ist auch nicht das erste Mal in der Geschichte, dass eine Volksbefragung vorgeschlagen wird. In den 50er Jahren hat die SPD bei der damaligen atomaren Aufrüstung eine Volksbefragung verlangt, aber sich gegen Adenauer und die CDU-Mehrheit nicht durchsetzen können.
Die Idee ist also nicht aus heiterem Himmel gefallen, sondern hat bei einer so essenziellen Frage unstrittig ihre Berechtigung. Für die Volksbefragung werden wir einen Antrag einbringen, was bei diesem Vorgang mehr als angemessen ist.
Herr Bundestagsabgeordneter Hunko, vielen Dank für das Gespräch.
Interview Thomas Kaiser
veröffentlicht am 20. September 2024
«Die Schweiz muss sich zwischen der Uno-Charta und der Nato entscheiden»
Das Internationale Friedensforschungsinstitut in Genf (Geneva International Peace Research Institute – GIPRI) lehnt den am 29. August 2024 von Bundesrätin Viola Amherd vorgelegten Bericht über die Sicherheit der Schweiz in der heutigen Zeit ab.
Der Bericht ist mit der Neutralität der Schweiz unvereinbar und könnte von der Bevölkerung angefochten werden. Einige Organisationen wie die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee zeigen sich empört.
Das GIPRI will eine neutrale und friedliche Schweiz, eine Schweiz, die eine Vermittlerrolle spielen kann zwischen Russland und der Ukraine, zwischen Israel und Palästina. GIPRI bekennt sich zu den Werten des Friedens und der Mediation im Geiste von Nikolaus von Flüe.
Die Uno-Charta verpflichtet alle Staaten dazu, auf Frieden und Versöhnung zwischen Völkern hinzuarbeiten.
Besonders besorgniserregend ist Viola Amherds Vorschlag einer «revidierten Neutralität», ein Euphemismus für die schrittweise Aufgabe der echten Neutralität. Noch schändlicher ist die Idee einer Annäherung an die Nato, einer kriegstreiberischen Organisation, deren Aktivitäten im Widerspruch zu den Grundsätzen und Zielen der Uno stehen. Es gibt Rechtsprofessoren, die der Ansicht sind, dass die Nato seit dem Ende des Kalten Krieges eine verhängnisvolle Entwicklung durchlaufen hat, eine gefährliche Metamorphose von einem defensiven zu einem aggressiven und provokativen Bündnis, das die Aufrechterhaltung einer unipolaren Welt mit der USA als Hegemon anstrebt. Einige Wissenschafter sind sogar der Ansicht, dass die Nato aufgrund ihres aggressiven Vorgehens seit 1997 als «kriminelle Organisation» im Sinne der Artikel 9 und 10 des Statuts des Internationalen Militärgerichtshofs von Nürnberg (Londoner Statut vom 8. August 1945) und gemäss dem Nürnberger Urteil von 1946 bezeichnet werden kann. Seit Ende des Kalten Kriegs und der Auflösung des Warschauer Paktes 1991 hat die Nato keine Daseinsberechtigung mehr. Sie versucht jedoch die Funktionen der Uno an sich zu reissen. Artikel 103 der Uno-Charta (Vorrangsklausel) verbietet jedoch eine solche Usurpation und legt fest, dass im Falle eines Konflikts zwischen der Uno-Charta und einem anderen Vertrag – Nato-Vertrag eingeschlossen – die Uno-Charta Vorrang hat. Es muss betont werden, dass die Nato gemäss Artikel 52 der Charta keine legitime Organisation mehr ist und besser heute als morgen aufgelöst werden sollte.
Tatsache ist, dass die Nato-Mitgliedsstaaten in Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien schreckliche Verbrechen begangen haben – völlig straffrei. Die Nato-Mitglieder setzten insbesondere verbotene Waffen ein wie zum Beispiel Streu- oder Clusterbomben sowie chemische und radioaktive Waffen mit abgereichertem Uran, die allesamt gegen die Grundsätze des humanitären Völkerrechts und der Genfer Konventionen verstossen.
Kein Land kann sich mit der Nato assoziieren, ohne zu einem Komplizen ihrer Verbrechen zu werden.
Es sei daran erinnert, dass 1991 nach der Auflösung des Warschauer Paktes die Nato keine Feinde mehr hatte. Sie schuf sich absichtlich Feinde, um ihre weitere Existenz zu rechtfertigen. Sie brach Vereinbarungen und beteiligte sich an unverantwortlichen Provokationen gegenüber Russland und Belarus. Heute provoziert sie China und bedroht den internationalen Frieden und die Sicherheit in der asiatisch-pazifischen Region. Diese Provokationen verstossen gegen Artikel 2(4) der Uno-Charta.
Die Schweiz muss sich zwischen der Uno-Charta und der Nato entscheiden.
Aus diesem Grund befürwortet das GIPRI eine Volksabstimmung über die Neutralität der Schweiz. Die Stimmbürgerinnen und -bürger können dem Bundesrat verbieten, die Schweiz weiter einer kriminellen Organisation wie der Nato anzunähern. ν
Internationales Friedensinstitut GIPRI in Genf / Geneva International Peace Research Institute
Genf, 30. August 2024
Übersetzung aus dem Englischen Zeitgeschehen im Fokus
Quelle: https://neutralitaet-ja.ch/
veröffentlicht am 20. September 2024
Charta der Vereinten Nationen
Präambel
Wir, die Völker der Vereinten Nationen – fest entschlossen,
künftige Geschlechter vor der Geissel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat,
unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob gross oder klein, erneut zu bekräftigen,
Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können,
den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in grösserer Freiheit zu fördern,
und für diese Zwecke
Duldsamkeit zu üben und als gute Nachbarn in Frieden miteinander zu leben,
unsere Kräfte zu vereinen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren,
Grundsätze anzunehmen und Verfahren einzuführen, die gewährleisten, dass Waffengewalt nur noch im gemeinsamen Interesse angewendet wird, und
internationale Einrichtungen in Anspruch zu nehmen, um den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt aller Völker zu fördern – haben beschlossen, in unserem Bemühen um die Erreichung dieser Ziele zusammenzuwirken.
Dementsprechend haben unsere Regierungen durch ihre in der Stadt San Francisco versammelten Vertreter, deren Vollmachten vorgelegt und in guter und gehöriger Form befunden wurden, diese Charta der Vereinten Nationen angenommen und errichten hiermit eine internationale Organisation, die den Namen «Vereinte Nationen» führen soll.
Quelle: https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2003/160/de
Neutralitätsinitiative
Eine einmalige Gelegenheit, den Nato-Kurs des Bundesrats zu stoppen
sl. Die am 11. April 2024 mit 129 806 gültigen Unterschriften eingereichte eidgenössische Volksinitiative «Wahrung der schweizerischen Neutralität» (Neutralitätsinitiative) gibt den Schweizer Bürgerinnen und Bürgern die einmalige Möglichkeit, die immerwährende bewaffnete Neutralität in der Bundesverfassung festzuschreiben und damit den Bundesrat zu verpflichten, sich im Sinne der Uno-Charta für die Verhinderung und die friedliche Lösung von Konflikten einzusetzen und als Vermittlerin zur Verfügung zu stehen.
Initiativtext
Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:
Art. 54a Schweizerische Neutralität
1) Die Schweiz ist neutral. Ihre Neutralität ist immerwährend und bewaffnet.
2) Die Schweiz tritt keinem Militär- oder Verteidigungsbündnis bei. Vorbehalten ist eine Zusammenarbeit mit solchen Bündnissen für den Fall eines direkten militärischen Angriffs auf die Schweiz oder für den Fall von Handlungen zur Vorbereitung eines solchen Angriffs.
3) Die Schweiz beteiligt sich nicht an militärischen Auseinandersetzungen zwischen Drittstaaten und trifft auch keine nichtmilitärischen Zwangsmassnahmen gegen kriegführende Staaten. Vorbehalten sind Verpflichtungen gegenüber der Organisation der Vereinten Nationen (Uno) sowie Massnahmen zur Verhinderung der Umgehung von nichtmilitärischen Zwangsmassnahmen anderer Staaten.
4) Die Schweiz nutzt ihre immerwährende Neutralität für die Verhinderung und Lösung von Konflikten und steht als Vermittlerin zur Verfügung.
«Jedes Kind braucht einen guten Start ins Leben und eine Perspektive»
Die KidStar Academy in Nairobi steht vor weiteren grossen Herausforderungen
Anlässlich des 15. Geburtstags der KidStar Academy – einer Schule für Kinder im grössten Armenviertel Nairobis – berichtete der Toggenburger Gründer und Geschäftsführer Alex Weigel in einem öffentlichen Vortrag in Dübendorf von seiner Schule und den Herausforderungen, die es zu meistern gilt.
Vor 15 Jahren setzte Alex Weigel seinen lange gehegten Jugendtraum, sich einmal für ärmere Menschen zu engagieren, in Kibera, einem der Slums Nairobis in die Tat um. Er gründete in einer einfachen Lehmhütte die KidStar Academy. Zusammen mit einer kenianischen Montessori-Lehrerin und einer Hilfslehrerin empfing er die ersten Kinder. Heute kümmern sich unter seiner Leitung – er wohnt mit seiner Familie vor Ort – rund 30 Mitarbeiter um nahezu 200 Kinder vom Vorschulalter bis zum Übertritt in die Highschool. Zusätzlich unterstützen sie gut ein Dutzend ehemalige KidStar Kinder, die jetzt die Highschool besuchen oder eine weiterführende Ausbildung machen.¹
Im letzten Herbst hat ein von der Strasse abgekommener Lastwagen ein Schulgebäude zerstört. Nun freuen sich alle, die in kurzer Zeit neu erstellten Schulräume zu beziehen. (Bild zvg)
Alex Weigel hat mit seinem unermüdlichen Einsatz, seiner Zuversicht und dem festen Glauben an das Gute im Menschen das Vertrauen der Bewohner Kiberas gewonnen. Die Familien der Kinder setzen sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten für den Schutz und den Fortbestand der Schule ein und sind unendlich dankbar, dass ihre Kinder fürs Leben und für eine bessere Zukunft lernen dürfen.
Ein Herz für Kinder und Jugendliche
Wenn Alex Weigel von den Kindern und Jugendlichen und ihren Schicksalen erzählt, gewinnt man den Eindruck, als ob es seine eigenen Kinder wären. Er hat sie alle in sein grosses Herz geschlossen. Er kennt die Geschichte jedes einzelnen Kindes. Schwere Schicksale, wie dasjenige eines Jungen, Nicholas Mwanji, der Zeit seines 17-jährigen Lebens an einer HIV-Infektion litt und schliesslich an Krebs gestorben ist, berühren ihn sehr. Obwohl sich die Situation bezüglich HIV dank Aufklärung und Medikamenten stark verbessert hat, ist trotzdem jedes Opfer eines zu viel.
Wenn es gelingt, einem Kind den Start ins Leben zu erleichtern und ihm eine Zukunftsperspektive zu geben, oder wenn ein anfänglich scheues, misstrauisches und verängstigtes Kind Vertrauen fasst und vor Freude strahlt, weiss er, dass sein Einsatz Sinn macht und gibt.
Respekt, Ehrlichkeit und gegenseitige Hilfe statt Gewalt
Die öffentliche Schule ist laut Alex Weigel leider immer noch allzu oft von Gewalt geprägt, auch wenn der neue kenianische Lehrplan eine kindgerechtere Pädagogik fördert, die von Gewalt als pädagogischem Mittel absieht.
Die KidStar Academy beweist, dass nicht Gewalt, sondern Respekt, Ehrlichkeit, Zuversicht und gegenseitige Hilfe beim gemeinsamen Lernen den Kindern und Jugendlichen ermöglichen, sich zu entfalten. Die Lehrerinnen und Lehrer sind bemüht, jedem Kind die Möglichkeit zu geben, sich zu verbessern. Sie werden nicht für Bestleistungen belohnt, sondern für den grössten gemachten Fortschritt – das motiviert alle! Die letztjährigen Sechstklässler haben trotz widrigen Umständen an der nationalen Abschlussprüfung sehr gut, ja besser abgeschnitten als der Durchschnitt aller Schülerinnen und Schüler in Nairobi. Alex Weigel ist überzeugt, dass Beziehung und Vertrauen absolut notwendige Voraussetzungen für erfolgreiches Lehren und Lernen ist.
Mit leerem Magen kann man nicht lernen
Schon in der Gründungszeit der Schule musste Alex Weigel feststellen, dass die meisten Kinder ohne Frühstück zur Schule kamen und oft ohne warme Mahlzeit zu Bett gingen. Sie konnten sich nicht konzentrieren und waren oft krank. Deshalb bekommen alle Kinder und Jugendlichen am Morgen vor dem Unterricht einen warmen Porridge, lokal Uji genannt, und mittags eine abwechslungsreiche Mahlzeit. «Die verbesserte Ernährung und gleichzeitige Hygienemassnahmen wie Hände waschen haben eindeutig zu einer besseren Gesundheit der Kinder geführt und fürs Lernen notwendige Voraussetzungen geschaffen», stellt Alex Weigel zufrieden fest.
Mit vereinten Kräften macht der Umzug in die neuen Räume Freude. (Bild zvg)
Im Gespräch Brücken bauen statt mit Gewalt Gräben öffnen
Auf die Frage einer Zuhörerin, woher er die Energie nehme, trotz schwierigsten Situationen nicht aufzugeben, antwortete Alex Weigel: «Ich bin der festen Überzeugung, dass jeder Mensch ansprechbar ist, wenn ich ihm gleichwertig, ehrlich und mit Respekt begegne. Im Gespräch können Schwierigkeiten überwunden und Brücken gebaut werden, manchmal sogar ohne viele Worte, aber mit einem ehrlichen Lächeln. Gewalt hingegen – die kenianische Gesellschaft ist sehr von Gewalt geprägt – erzeugt Angst und schafft Gräben, die ein friedliches Zusammenleben erschweren oder gar verunmöglichen.»
Das sind keine leeren Worte. Alex Weigel lebt sie im Umgang mit seinen Mitmenschen, seien das die Schülerinnen und Schüler, deren Eltern, die Lehrerinnen und Lehrer, der Verwalter, die Köchinnen oder die Wächter, die rund um die Uhr für die Sicherheit der Schule sorgen. An die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden zwar hohe Anforderungen bezüglich Motivation, Kreativität, Ehrlichkeit und Ausbildung gestellt, sie werden aber auch angemessen bezahlt – Krankenkasse, Altersvorsorge und Sozialversicherungsbeiträge eingeschlossen.
Die Lehrerinnen und Lehrer verfügen alle über ein staatliches Lehrdiplom und absolvieren schulinterne Weiterbildungen während der Schulferien. Dieses Jahr wurden sie vertieft in den neuen Lehrplan eingeführt. Da das neue Fach Agriculture den Kindern theoretische und praktische landwirtschaftliche Kenntnisse vermitteln soll, pflanzten die Lehrerinnen und Lehrer auf dem Schulareal im Rahmen dieser Fortbildung verschiedene Bäume, die sie mit ihren Schülerinnen und Schülern pflegen. Die Fortbildung beinhaltete zudem einen Kurs in Erster Hilfe und generell in der kindzentrierten Vermittlung von Bildung.
Im Wissen darum, dass die Kinder und Jugendlichen während der Ferien oft alleine gelassen werden, da die Eltern arbeiten müssen, bietet die KidStar Academy verschiedene lebenspraktische Kurse an: Die Kinder und Jugendlichen lernen zum Beispiel, ihre Schuhe zu flicken, Wände zu streichen, Zäune zu reparieren, Gemüse anzupflanzen und es zu leckeren Mahlzeiten zu verarbeiten. Auch Sport, Tanz, biblische Geschichten und gemeinsames Musizieren nehmen im Ferienprogramm einen wichtigen Platz ein.
In kürzester Zeit und dank grosszügiger Spenden gelang der Neubau von Klassenzimmern. (Bild zvg)
Oktober 2023: eines der vollständig zerstörten Klassenzimmer. (Bild zvg)
Ein grosser Rückschlag!
Im Oktober letzten Jahres hat ein von der Strasse abgekommener Lastwagen das Schulgebäude der 5. und 6. Klässler, den schönen Spielgruppen-Raum, die Bibliothek und den Multimedia-Raum zerstört. Zeitgeschehen im Fokus berichtete darüber.2
Glücklicherweise fand der Unfall nachts statt und forderte keine menschlichen Opfer. Doch die Not war gross, und der Wiederaufbau überstieg die finanziellen Möglichkeiten der Schule. Der Bitte des Schweizer Unterstützungsvereins «Good Hearts Organisation» um grosszügige Unterstützung folgten viele Spenden, die den Rohbau von drei neuen Klassenzimmern ermöglichten. Der Innenausbau wurde dank Alex Weigels Hartnäckigkeit teilweise von der Versicherung des Lastwagenunternehmens bezahlt, ist aber noch nicht ganz fertig. Betrachtet man die Bilder der Zerstörung und die innert kürzester Zeit neu erstellten Klassenzimmer (s. Foto S. 16), staunt man – zumal während des ganzen Jahres der Schulbetrieb für 200 Schülerinnen und Schüler aufrechterhalten und die 6. Klasse in der grossen Schulhalle gut auf ihr Abschlussexamen vorbereitet wurde. In jeder Hinsicht ein unglaublicher Einsatz aller Beteiligten. Alex Weigel ist sehr dankbar für die vielseitige spontane Unterstützung im letzten Oktober. Allerdings fielen die Spenden von Weihnachten bis Mitte 2024 dadurch etwas bescheidener aus als üblich, so dass das Überleben der Schule finanziell nach wie vor nicht gesichert ist.
Die Schule der Hoffnung muss überleben
Da die Neubauten neuen, strengeren Normen für Schulräume unterliegen, kommen sie entsprechend teurer zu stehen und können nicht vollumfänglich mit den bisherigen Spenden und der Entschädigung der Versicherung berappt werden. Es braucht zudem neben den neuen Gebäuden Toiletten, die Rückseiten der Gebäude müssen mit einer Wasserdrainage gesichert werden, damit sie in der Regenzeit den Wassermassen standhalten. Dieses Frühjahr haben aussergewöhnlich massive Regenfälle die Rückwand der grossen Schulhalle hinterspült und so durchnässt, dass sie nun zwingend saniert werden muss. Auch die Sicherung des Hangs zur Strasse ist unabdingbar. Diese Aufwendungen sind bei Aufrechterhaltung des Schulbetriebs nicht finanzierbar, selbst wenn mit den Mitteln so sparsam wie möglich umgegangen wird und die Spenden sich wieder auf dem jahresüblichen Niveau einpendeln.
Dieses Projekt verdient grosszügige Unterstützung, so dass die KidStar Academy den rund 200 Kindern und ihren Familien weiterhin Hoffnung auf eine bessere Zukunft geben und zeigen kann, dass und wie ein friedliches, gewaltfreies Zusammenleben in gegenseitigem Respekt möglich ist, und mehr und mehr Früchte trägt.
¹ Ausführlicher Bericht in Zeitgeschehen im Fokus Nr. 22 vom 22. Dezember 2022.
² Bericht in Zeitgeschehen im Fokus Nr. 15 vom 16. Oktober 2023.
KidStar Academy: Kindern den Start ins Leben erleichtern und ihnen eine Zukunftsperspektive geben. (Bild zvg)
Unterstützung für die KidStar Academy
Der Schweizer Unterstützungsverein «Good Hearts Organisation» bittet um nochmalige Unterstützung für die KidStar Academy. Die Spenden fliessen zu 96,2 Prozent in die Projektarbeit und kommen den Kindern zugute, da der Verein ehrenamtlich arbeitet.
Bankverbindung:
Raiffeisenbank Zürich Flughafen
Kontoangaben:
IBAN: CH72 8080 8002 2333 1846 6
SWIFT-BIC: RAIFCH22
Clearing Nr. (BCN): 80808
Good Hearts Organisation (GHO)
c/o Susanne Hess
Obere Geerenstrasse 19
8044 Gockhausen, Schweiz
veröffentlicht am 20. September 2024