«Demokratie ist und bleibt die Korrelation zwischen dem Willen des Volkes und der Politik»

«In der Schweiz lebt der Geist der Demokratie»

Interview mit Prof. Dr. iur. et phil. Alfred de Zayas, Völkerrechtler und ehemaliger Uno-Mandatsträger

Alfred de Zayas (Bild thk)
Alfred de Zayas (Bild thk)

Sechs Jahre lang bekleidete Professor Alfred de Zayas an der Uno das Amt des Unabhängigen Experten zur Förderung einer demokratischen und gerechten internationalen Ordnung. Während dieser Zeit schrieb er unzählige Berichte für den Uno-Menschenrechtsrat und für die Uno-Generalversammlung, in denen er Vorschläge machte, wie Staaten zu mehr Demokratie gelangen, und der internationalen Staatengemeinschaft Empfehlungen dazu gab. Ganz allgemein warnte er auch vor einem Verlust an demokratischem Bewusstsein. In seinem letzten Bericht formulierte er 23 Prinzipien einer internationalen Ordnung¹. «Zeitgeschehen im Fokus» wollte von ihm wissen, wie «demokratisch» die westlichen Demokratien sind und welche Werte die vielgepriesene westliche «Wertegemeinschaft» eigentlich vertritt.

Zeitgeschehen im Fokus In welchem Zustand sind unsere westlichen Demokratien allgemein?

Professor de Zayas Die westlichen Demokratien sind keine Demokratien. Was gemeint ist, wenn ein amerikanischer, britischer, französischer oder deutscher Politiker behauptet, wir seien alle «Demokratien» ist nicht mehr und nicht weniger als zu sagen: «Wir sind die Guten, und unsere Regierungsform ist das beste System.» Für die meisten mehr oder weniger indoktrinierten Bürger bedeutet «Demokratie» ganz einfach das kapitalistische System. Hier geht es um ein «Credo», einen «Glaubensartikel» ohne jegliche Reflexion, was das eigentlich beinhalten soll.

Was macht eine Staatsform zur Demokratie?

Eine Demokratie muss die Korrelation zwischen dem Willen einer Mehrheit des Volkes und der Politik, die in ihrem Namen geführt wird, besitzen. Es wäre interessant, zu studieren, wie viele Gesetze tatsächlich von der Mehrheit des Volkes getragen werden und wieviele dagegen gestimmt hätten, wenn das Volk die Gelegenheit zum Referendum gehabt hätte. Sicherlich wäre der Lissabon-Vertrag nie von einer Mehrheit der Briten, Franzosen, Niederländer oder Deutschen angenommen worden. Genau deshalb wurde der Vertrag nicht der Volksbefragung unterzogen, sondern durch die Parlamente geboxt. Hier ist ein klassisches Beispiel, bei dem die «repräsentative Demokratie» eine Farce ist, eine Maskerade – denn die sogenannten Volksvertreter repräsentieren nicht das Volk. Sie tun nicht, was die Mehrheit des Volkes will.

Warum orientieren sich die sogenannten Volksvertreter in der repräsentativen Demokratie nicht an den Wünschen der Bürgerinnen und Bürger?

Allmählich ist die Politik eine Domäne der Superreichen geworden, nur sie haben die Mittel und die Kontakte zu finanzkräftigen Sponsoren, die eine Wahlkampagne finanzieren können, die  Millionen Franken kostet. Deswegen fühlen sie sich nicht dem Volk gegenüber verpflichtet, sondern denjenigen, die die Kampagne finanziert haben. Der einfache Bürger ist nur noch eine Nummer, eine Formalität, ein Alibi. In den USA zum Beispiel gibt es keine Möglichkeit, unsere Senatoren und Kongressleute zur Rechenschaft zu ziehen. 

Warum geht das nicht?

Das System ist dermassen korrumpiert worden, ob Demokrat oder Republikaner, nichts Wesentliches ändert sich, egal wieviel Schaum in den Medien erscheint, egal wieviel persönliche Animositäten zwischen den Kandidaten zur Schau getragen werden.  Schliesslich gehören beide einer privilegierten «Elite» an, die ihre Privilegien behalten will. Bei den nächsten Wahlen kommen Kandidaten, die ebenfalls von den Lobbys, von den grossen Korporationen abhängig sind. Andere Kandidaten stehen nicht zur Verfügung. Ein echter «Populist» wird nicht gewählt werden. Was man so pejorativ als «Populist» abtut, ist doch eine Person, die sich die Interessen des Volkes zu eigen macht und diese formuliert. Er wird von den politischen Gegnern abgestraft und abqualifiziert. Aber: Welche Legitimität hat ein Emanuel Macron, der in den letzten Wahlen nur einen kleinen Prozentsatz des ganzen Volkes hinter sich hatte? Er ist eigentlich nicht legitimiert. 

Gibt es Beispiele, wo es mehr Zustimmung gegeben hat? 

Zum Beispiel bei Victor Orban sieht das anders aus. Er hat eine klare Mehrheit des Volkes hinter sich und ist damit als Präsident legitimiert. Er wird als «Populist» abqualifiziert, weil er ein Präsident ist, der auf sein Volk hört. Er möchte das tun, was das Volk will, und nicht, was Brüssel befiehlt. Das ist das grosse Problem in Europa, sei es in Frankreich, in Deutschland oder in anderen Ländern. Sie haben immer Brüssel im Nacken und müssen sich anhören, wie ihre Politik beurteilt wird. Im Fall von Polen hat die EU sogar den Artikel 7 des Vertrags von Lissabon bemüht. Man hat gesehen, wie die EU gegen Tschechien, gegen die Slowakei, gegen Slowenien, gegen Ungarn Stellung genommen hat, wenn sie sich nicht so verhalten, wie es die EU will. Politiker, die eine eigenständige Politik, orientiert am Willen des Volkes, führen, werden als faschistoid verunglimpft.

Die USA, die Kriege im Namen der Demokratie führten und führen, werden bei vielen Menschen immer noch als das demokratische Land schlechthin, als Verkörperung der freien Welt wahrgenommen …

Das ist eine der grössten Lügen der heutigen Welt. Das ist der beste Beweis, wie Propaganda und Public Relations funktionieren. Man kann so oft behaupten, wie man will, man sei eine Demokratie, aber das Wesentliche einer Demokratie ist und bleibt die Korrelation zwischen dem Willen des Volkes und der Politik. Wenn diese Korrelation nicht besteht, dann ist die Formalität der Wahl das einzige, was noch an eine Demokratie erinnert. Aber man hat keine Auswahl mehr. Man bekommt zwei Kandidaten vorgesetzt, die man wählen soll, und das nennt sich dann Demokratie. Es regiert der sogenannte Staat im Staat (deep state) bzw. der militärisch-industrielle-finanzielle Komplex, und der ist eigentlich demophob.

Nach Ihren Ausführungen bleibt eigentlich nur der Schluss übrig, dass die uns bekannten demokratischen Staaten, den Anspruch an eine Demokratie gar nicht erfüllen. 

Es gibt Ausnahmen. Wir haben natürlich ein Beispiel, und seitdem ich Schweizer bin, habe ich keine einzige Wahl und Abstimmung ausgelassen. Ich habe mich an allen Referenden beteiligt. Nicht, dass ich immer damit einverstanden wäre, was die Mehrheit will, aber ich beobachte, dass die Regierung zuhört. Ich empfinde, dass ein Wille besteht, den Willen des Volkes umzusetzen. Hier in der Schweiz lebt der Geist der Demokratie.

Was erschwert Ihrer Meinung nach das demokratische Gestalten? 

Hier spielt die Presse eine entscheidende Rolle. Die Medien werden von bestimmten Leuten dirigiert, die andere Meinungen nicht zulassen oder von Anfang an negativ kommentieren. Dabei geht es nicht nur um die sogenannte Lügen­presse, sondern es gibt eine «Lücken­presse». Durch sie wird das Volk falsch oder ungenau informiert. Demokratie ist nicht mehr möglich, wenn verschiedene Standpunkte nicht mehr wertfrei diskutiert werden können. Wenn das Volk belogen und indoktriniert wird, wählen sie natürlich auf der Basis von falschen Informationen. Da bestand einst Hoffnung bezüglich des Internets, inzwischen aber beugen sich Google, Facebook, Twitter der Zensur und der Propaganda des «deep state».

Was muss also erfüllt sein, damit wir einen echten und ehrlichen demokratischen Ablauf haben?

Es muss Transparenz geben. Alle öffentlichen Ämter müssen ihre Arbeit offen durchführen und bereit sein, Fragen, die aufkommen, getreu der Fakten zu beantworten. Hier müssen die Medien auch ihre Rolle als unabhängige Informanten wahrnehmen und den politisch Verantwortlichen auf den Zahn fühlen. Wenn sich der Volksvertreter nicht an das Recht und seine Verpflichtung gehalten hat, dann muss das öffentlich diskutiert werden. Das muss auch entsprechende Konsequenzen haben. Es darf nicht sein, dass ein korrupter Politiker durch einen anderen korrupten Politiker ersetzt wird. Hier sind also zwei Dinge von äusserster Relevanz: die Transparenz und die Rechenschaftspflicht. Ein Politiker muss Rechenschaft für sein Tun ablegen. 

Was muss der Bürger für Möglichkeiten bekommen, damit er am politischen Entscheidungsprozess beteiligt ist und nicht darauf hoffen muss, dass die Medien ihre Aufgabe in der Demokratie wahrnehmen, was sie häufig nicht tun, denn sie sind von der Industrie und dem Handel abhängig, da sie die Medien massgeblich in Form von Werbung mitfinanzieren?

Die Bürgerinnen und Bürger müssten direkt in den politischen Ablauf eingreifen können mit Ini­tiativen, wie wir dies in der Schweiz kennen. Auch wenn das Parlament ein Gesetz verabschiedet hat, muss das Volk die Möglichkeit haben, das rückgängig machen zu können, wenn es damit nicht einverstanden ist. Es muss ein Referendum darüber abgehalten werden, was zur Folge haben kann, dass das Gesetz verworfen wird. Was erschwerend dazu kommt, ist, dass in den meisten Ländern die Mehrheit der Menschen träge ist. Sie haben wenig Interesse an der Politik, weil sie so erzogen wurden. 

Hängt das nicht auch damit zusammen, dass die Menschen den ganzen Tag mit Konsum und anderen Dingen beschäftigt werden?

Ja, aber das hatten wir bereits in der Antike, bei den Griechen und Römern. Der römische Satirendichter Juvenalis spricht denn auch von «panem et circensis». Wenn die Regierungen sich damit begnügen, das Volk mit Trivialem zu beschäftigen, werden die wichtigen Dinge von den Eliten über die Köpfe der Völker beschlossen. Hier fehlt eine generelle Aufklärung und Bildung, was nur Aufgabe der Schulen sein kann. Die Heranwachsenden müssen merken, dass Politik eine ernsthafte Sache ist und dass der wirtschaftliche und soziale Erfolg eines Landes von den Gesetzen abhängig ist. Es geht um Gerechtigkeit. Aber diese Themen sind häufig ausserhalb des Lebensbereiches der meisten Menschen. Hier muss die Bildung ansetzen.

Ist die Trivialisierung des Lebens nicht auch etwas…

… Gewolltes. Ich habe den Eindruck, dass man die Menschen mit Banalitäten wie Sex, Klatsch und Tratsch, Elektronik, Games, Events, auch mit Sport und vor allem Konsum ablenkt, damit sie gar nicht auf die Idee kommen, sich mit den Fragen der Politik zu beschäftigen und damit auch nicht zu einem Störfaktor für die Eliten werden  können. Wenn man die Bevölkerung mit Trivialitäten in Atem hält, hat sie keine Energie, sich mit den wesentlichen Dingen des Lebens zu befassen. Das ist nicht zufällig. 

Das führt doch zu immer mehr Selbstherrlichkeit in der Politik, weil der Widerstand fehlt.

Ja. Wer wird die Vertreter des Staates zur Rechenschaft ziehen? Darum müssen wir zurück auf Montesquieu, auf die Idee der gegenseitigen Kontrolle und der Verteilung der Macht in einem Staat in Exekutive, Judikative und Legislative gehen. Und neben diesen drei Gewalten, die sich gegenseitig kontrollieren, bilden die Medien die vierte Gewalt, die keiner Kontrolle unterliegt. Hier haben wir das Problem mit den «Fake News», mit der Manipulation, mit der Fehlinformation. Wenn diese vierte Gewalt die Menschen bewusst in eine falsche Richtung lenkt, dann ist die Demokratie unterminiert. Das Volk wird so beeinflusst, dass es sogar gegen die eigenen Interessen stimmt.

Die westlichen Demokratien, organisiert z. B. in der Nato oder der EU, verstehen sich als Wertegemeinschaft. Was sind das für Werte, die hier vertreten werden?

Wenn ich «europäische Werte» höre, möchte ich protestieren, denn genau diejenigen, die sich auf diese «Werte» berufen, unterminieren sie Tag für Tag. Werte, die sie vertreten müssten, wären die Gerechtigkeit und die allgemeinen Prinzipien des Rechts wie der gute Glauben (bona fides), auch  die christlichen Werte wie Wahrheitsliebe, Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Solidarität. Ein zentrales Prinzip einer Wertegemeinschaft muss heissen: sic utere tuo ut alienum non laedas. Man darf seine Rechte ausüben, ohne die Rechte der anderen zu verletzen. Ein weiteres Prinzip einer Wertegemeinschaft ist, nicht das Recht zum eigenen Vorteil zu beugen, ex iniuria non oritur ius. 

Da können wir aber grosse Defizite bei der sogenannten westlichen Wertegemeinschaft feststellen.

Ja, unsere Wertegemeinschaft ist korrumpiert worden zu einer Gesellschaft, in der praktisch nur das Geld der einzige Wert ist. Was uns regiert, ist das Geld, in allen Facetten des Lebens. Das ist die Korruption der Wertegemeinschaft. Der Neoliberalismus wird uns als Demokratie verkauft, eigentlich eine contradictio in adjecto, ein Widerspruch in sich, denn der Neoliberalismus bedeutet, die eigenen Interessen über das Allgemeinwohl zu stellen. Durch den Kapitalismus und den Neoliberalismus werden die christlichen Werte fundamental verletzt. 

Wo lässt sich das am deutlichsten erkennen?

Viele internationale Konzerne, Investoren und Börsenspekulanten wollen für sich neue Gesetze schaffen, durch die Verdrehung des Rechts, um daraus noch mehr Vorteile zu ziehen. Wenn wir von Werten sprechen, müssen wir auf die christlichen Werte zurückkommen. Wenn sich die EU oder der Westen ganz allgemein als Wertegemeinschaft verstehen, dann ist das eine Farce. 

Was kann man dagegen tun?

Wir haben die Verantwortung, anderen Menschen zu helfen, und müssen uns an den humanistischen Werten orientieren. Dabei gilt es zuerst, im eigenen Land aufzuräumen, bevor man anderen Menschen wirklich helfen kann. Wir müssen künftige Generationen mit Werten erziehen, und die Menschen nach ihren Leistungen wertschätzen und nicht nach ihrem Vermögen. Erziehung und Bildung spielen hier die zentrale Rolle. Das Verinnerlichen der Menschenrechte, der Erhalt und Ausbau einer echten, direkten Demokratie sind unerlässlich, damit sich mündige Bürgerinnen und Bürger in einer komplexen Welt zurechtfinden und gegen zunehmende Kontrollen im Sinne des Big Brother behaupten können. 

Herr Professor de Zayas, herzlichen Dank für das Gespräch.

Interview Thomas Kaiser

¹https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=22832&LangID=E

 

Die Schweiz – «ein einmaliges Modell und ein ausserordentliches Experiment»

Auszug aus der 1. Augustrede von alt Nationalrat und alt Staatsrat Oskar Freysinger in Zürich

Oskar Freysinger (Bild thk)
Oskar Freysinger (Bild thk)

 

(…) Freilich ist auch bei uns nicht alles zum Besten bestellt, aber wenn ich jenseits aller wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vorzüge unseres Landes eine Charakteristik hervorheben soll, die es vor allen andern auszeichnen, dann ist es sicher der Erfolg in der Zähmung des Machtwillens der Eliten.

In keinem anderen Land der Welt ist das so gut gelungen wie bei uns.

Am Anfang der Schweizer Geschichte stand die Frage, ob die Menschen der Urkantone fernbestimmt sein oder ob sie ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen wollten. Sie beschlossen, sich selbst zu verwalten, einander beizustehen und das einzelne Individuum vor einer zu grossen Bevormundung durch das Kollektiv zu schützen.

Die ersten Schweizer waren wahrlich keine Sozialisten oder Kommunisten.

Aus dem Willen heraus, ihr Schicksal selber zu bestimmen, errangen sie zuerst die Reichsunmittelbarkeit, dann die Unabhängigkeit und schliesslich die volle Souveränität.

Um zu verhindern, dass die Macht innerhalb ihres Staatswesens von wenigen in Beschlag genommen wurde, schufen sie die direkte Demokratie, den Föderalismus und das Prinzip der Kollegialregierung, in der alle massgebenden politischen Kräfte des Landes vertreten sind.

So wurde die Macht aufgeteilt, in kleinen Portionen verabreicht, zeitlich beschnitten. Und das letzte Wort wurde durch das Initiativ- und Referendumsrecht dem Volk selber belassen.

Denn die Gründerväter waren sich bewusst, dass die Macht ein eifersüchtiger Gott ist, der keine anderen Götter neben sich duldet. Die Macht genügt sich selbst und ist der Zweck, der alle Mittel heiligt. Sie ist ein Meister. Ein Beherrscher. Wer sie zu besitzen glaubt, ist von ihr besessen. Sie ist nicht nur eifersüchtig, sondern auch eitel, eingebildet, jähzornig, sprunghaft, vergesslich, undankbar wie eine Luxusprostituierte. Sie will umsorgt, gehätschelt, geschmeichelt und bedient werden. Sie liebt unterwürfige, willensschwache, feige, arrogante, von sich selbst eingenommene Kreaturen, die sich ihr bedingungslos unterwerfen. Sie belohnt all jene, die sich ihren Regeln ohne Wenn und Aber unterstellen mit den kostbarsten Schätzen der Erde und stösst diejenigen in den Abgrund, die sie anzweifeln, in Frage stellen, zu beherrschen versuchen, die von anderen Dimensionen träumen und die luxuriöse Pagenuniform zu eng finden, die sie ihnen aufdrängt. Der Macht ordnet man sich nicht nur ein bisschen, zögernd und mit Vorbehalt unter, indem man andere Götter verehrt, nein, man verkauft ihr seine ganze Seele und wirft ihr seine Menschlichkeit zum Frass vor. Sie ist das Werkzeug, das den Benutzer beherrscht, die Materie, die vorgibt, geistreich zu sein, sie ist der Egoismus im Kostüm der Solidarität, das Kalkül, das Grosszügigkeit vortäuscht, der Zwang, der sich in die Toga der Freiheit hüllt, sie ist ein Lamm mit Wolfszähnen, eine Prostituierte, die sich als Jungfrau ausgibt, eine Raupe, die den Schmetterling verspricht, aber im Puppenstadium verharrt. Die Macht ist ein köstlich verdorbener Traum. Sie ist ein grausamer Köder, der Dank des versteckten Hakens bekommt, was ihm zusteht. Sie ist der hohe Preis, den der Mensch für das angeblich Kostenlose entrichten muss. Macht und Geld sind das inzestuöse Elternpaar aller sozialen Miss- und Totgeburten, sie sind die Hauptglieder der Kette, an der der Teufel die Welt vorführt.

Den Schweizern, und nur ihnen, ist es gelungen, das Biest weitgehend zu zähmen, es in die Schranken zu weisen und die Machtbesessenheit der Eliten niedrig zu halten. Könige, Prinzen, Diktatoren und Autokraten sind bei uns systembedingt ausgeschlossen. Das begrenzt auch das Pfründenwesen, ausser bei der Post und anderen halbstaatlichen Betrieben. Aber auch dort kracht der Klientelismus am Ende zusammen.

Nun ist es aber so, dass auch in der Schweiz die direkte Demokratie dem Machtstreben gewisser Leute ein Dorn im Auge ist, den sie ausreissen möchten. Da dies angesichts der Umfragewerte auf direktem Weg jedoch unmöglich scheint, versuchen sie es auf dem indirekten Weg. Keiner dieser sauberen Herren redet mehr von EU-Beitritt oder gar Anschluss, nein, man verkauft uns neuerdings die «dynamische» Übernahme des EU-Rechts in der Form eines Rahmenabkommens als das Gelbe vom Ei. Ein unabhängiges Schiedsgericht soll Streitigkeiten schlichten. Selbstverständlich verzichtet aber der europäische Gerichtshof keineswegs darauf, das letzte Wort zu sprechen. Was hier auf dem Spiel steht, ist nicht nur die Aufgabe unserer Souveränität, sondern auch die weitgehende Beschneidung der Volksrechte. So wollen die Globalisierer zwei Fliegen auf einen Streich schlagen. Doch dieser Streich ist nichts anderes als ein Lausbubenstreich und muss unbedingt verhindert werden.

Wir kennen in dieser Hinsicht bereits einen Präzedenzfall: Den Vertrag von Schengen.

Hoch und heilig hat man dem Volk damals versprochen, dass es im Waffenbereich keine Beschränkung der Waffentypen und keine Bedarfsklausel geben würde. Doch genau das erfordert inzwischen die automatische Übernahme des «Schengen-Besitzstandes» von uns.

Falls wir in Zukunft das EU-Recht «dynamisch», das heisst im Klartext «automatisch» übernehmen, werden zahlreiche Abstimmungsvorlagen für ungültig erklärt werden, da man uns klarmachen wird, dass EU-Recht den Vorrang vor nationalem Recht geniesst.

Das wäre dann, wie wenn die Waldstätten 1291 die Entscheide des Rudolf von Habsburg automatisch übernommen hätten. Es hätte ganz sicher kein Morgarten stattgefunden und keine Eidgenossenschaft gegeben, und wir würden heute eine Asylpolitik von Merkels Gnaden betreiben, wo wir schon an Sommaruga genug zu beissen haben.

Werte Zuhörer und Zuhörerinnen, wir sind in der Tat alle Weltenbürger, das schleckt keine Geiss weg. Wir sind aber auch alle Säugetiere, Allesfresser, Homo sapiens und Todgeweihte. Das bedingt nicht, dass wir keine persönliche und kulturelle Identität haben können, die uns unterscheidet.

Klar, wir sind alle Menschen, doch eben darum, weil wir Menschen sind, alle verschieden. Wir leben in verschiedenen natürlichen Umwelten, die uns unterschiedlich prägen. Wir haben verschiedene Weisen, die Welt wahrzunehmen und das Leben anzugehen. Das macht den Reichtum des Lebens auf der Erde aus. Wollen wir, nachdem schon die biologische Vielfalt auf diesem Planeten vor die Hunde geht, auch noch die kulturelle Vielfalt zerstören und vom Kap bis Reykjavik allen Menschen die einzig seligmachende Coca-Cola- und Hamburger-Mentalität des Imperialismus verordnen? Wollen wir wirklich alles gleichschalten, nivellieren, kalibrieren, harmonisieren und zentralisieren? Wollen wir ein planetarisches Imperium von Trusts, eine Welt, in der emotionslose Geschäftsleute im Namen des Profits die organisch gewachsenen staatlichen Institutionen ablösen? Wollen wir den gläsernen Menschen, ein weltweites Spitzelsystem und ein computergestütztes Vorschriftenkorsett? Wollen wir uns ein in keimfreien Dosen abgegebenes Glück verabreichen lassen? Wollen wir uns wirklich gegen unsere Unvollkommenheit impfen lassen, wo sie uns doch zu Menschen macht?  

Werte Zuhörer, Gleichheit steht in völligem Gegensatz zu Freiheit.

Gleichschaltung zerstört die Würde des Menschen.

Darum stehe ich rechts, weil ich ein Individualist bin und nicht will, dass mir der Staat vorschreibt, wie ich glücklich zu sein habe.

Ich bin Schweizer, weil mir die Schweiz ermöglicht, Walliser zu sein. Und das gilt auch für jeden Zürcher, Basler oder Neuenburger.

Ich bin Schweizer, weil ich die Einheit in der Vielheit schätze.

Das gesunde Gleichgewicht zwischen Individuum und Staat.

Ja, die Schweiz ist ein Einzelfall, ein Sonderfall, wie alle Staaten, wie jeder Mensch auf dieser Erde. Aber er ist ein Sonderfall, dem es gelungen ist, das Zusammenleben etwas harmonischer zu gestalten als anderswo.

Die Schweizer waren so clever, die ineinandergreifenden Zyklen der Natur auf die menschliche Gesellschaft zu übertragen. Dadurch verhinderten sie gewaltsame Brüche, brutale Schocks und einen Dauerzustand des inneren Konflikts, wie sie in linear aufgebauten Systemen vorherrschen. In der Schweiz läuft alles zyklisch, in Kreisen ab, was nicht nur ein Gleichgewicht herstellt, sondern auch selbstheilend wirkt. In der Schweiz werden die Leichen der Vergangenheit schnellstmöglich begraben, damit sie die Zukunft nicht mit ihrem Todesschatten belegen. In der Schweiz steht die Pragmatik im Dienst der unsichtbaren, ewigen, ehernen Gesetze, die unser Schicksal unsichtbar begleiten.

So gesehen ist die Schweiz ohne Zweifel ein metaphysisches Modell.

Für die Souveränität dieses Ländchens einzutreten ist weder Egoismus noch Rosenpickerei, weder anachronistisch noch nostalgisch verbrämt. Es ist ein Einsatz für die Zukunft, indem wir der Welt ein Modell bewahren, das exportfähig ist und alle vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Imperien Lügen straft.

Die Schweiz beweist, dass ein Freiraum nicht von seiner Grösse, seiner militärischen Macht oder seiner Einwohnerzahl abhängt, sondern von der Sorge, der man der Feinmechanik des Zusammenlebens trägt.

Die Schweiz gleicht ihren Kuckucksuhren und ihren Taschenmessern. Sie ist durch Pragmatik, Disziplin, Genauigkeit, Willenskraft und Arbeitswillen zu dem geworden, was sie ist. Sie hat kaum Bodenschätze, sie hat keine industriell bebaubaren landwirtschaftlichen Flächen, aber sie ist clever wie der gestiefelte Kater.

Falls die Schweiz sich selbst treu bleibt, falls wir uns selber treu bleiben, wird unser Land den uns umgebenden EU-Oger¹ in seine Schranken zu weisen wissen und ihn überleben.

Falls nicht, verliert die Welt ein einmaliges Modell, und ein ausserordentliches Experiment landet auf dem Schuttabladeplatz der verlorenen Hoffnungen. Das wäre, wie wenn Alexander Fleming das Penizillin nach seiner Entdeckung weggeworfen hätte.

Bewahren wir also das Heilmittel Schweiz sorgsam in unserer Seelenapotheke, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger.

An ihm könnte eines Tages die Welt genesen.

¹ Oger bezeichnet einen menschenähnlichen Unhold in Märchen und Sagen.

Die USA beginnen einen «Krieg der Worte» gegen den Iran

Iran im Visier

von Karin Leukefeld*

«An den iranischen Präsidenten Rouhani: bedrohen Sie niemals wieder die Vereinigten Staaten, sonst werden Sie die Konsequenzen zu spüren bekommen, wie sie nur wenige jemals in der Geschichte zu spüren bekommen haben. Wir sind kein Land, das Ihre irren Worte von Gewalt und Tod hinnehmen wird. Seien Sie vorsichtig!»

Die Botschaft [an Rouhani], die in der normalen Bevölkerung als «Mobbing» oder Pöbelei eingestuft würde, stammt von US-Präsident Donald Trump und richtet sich an seinen iranischen Amtskollegen Hassan Rouhani.

Getwittert hatte Trump seine Zurechtweisung am späten Abend des 22. Juli 2018. Angeblich, so die US-Journalistin Laura Rozen in Washington, habe Trump auf eine Äusserung von Rouhani wenige Stunden zuvor reagiert.

Bei einem Treffen mit iranischen Diplomaten hatte Rouhani demnach den US-Präsidenten gewarnt, «mit dem Schwanz des Löwen zu spielen». Amerika solle «wissen, dass Frieden mit Iran die Mutter des Friedens ist. Aber Krieg mit Iran ist die Mutter aller Kriege.»

Trumps nationaler Sicherheitsberater John Bolton bestätigte am Montag, dem 23. Juli 2018, dass Trump genau gemeint habe, was er gesagt habe. Sollte der Iran sich schlecht verhalten, werde «das Land einen Preis bezahlen, wie kaum ein Land zuvor».

Andere Kommentatoren meinten allerdings, Trump habe seine «Feuer und Zorn» Drohungen wiederholt, die er bereits früher gegenüber Nordkorea ausgestossen habe.

Das Ergebnis der Drohungen sei gewesen, dass nur kurze Zeit später sich Trump und sein nordkoreanischer Amtskollege Kim Jong-un in Singapur getroffen und erklärt hätten, die nukleare Bedrohung aus Nordkorea sei gelöst. Mit anderen Worten: Hunde, die bellen, beissen nicht?

Von US-Aussenminister Mike Pompeo kann man das kaum erwarten. Er hatte am Vorabend, am 22. Juli 2018, eine «Dringlichkeitsrede zum Iran» in der Bibliothek Präsident Ronald Reagan (Simi Valley, Kalifornien) gehalten.¹ Sein Thema: «Unterstützung der iranischen Stimmen», sein Publikum: die Gesellschaft der Iranisch-Amerikanischen Gemeinden, die die oppositionellen iranischen Volksmujaheddin unterstützen.

Vor den rund 1 000 geladenen Gästen versprach Pompeo, die Trump-Administration werde «schwere wirtschaftliche Sanktionen gegen den iranischen Öl- und Bankensektor» verhängen, um den Druck auf das «iranische Regime» zu erhöhen. Das «Regime» sei «ein Albtraum für das iranische Volk», so Pompeo, und an das Publikum gewandt fuhr er fort:

«Die Trump-Administration träumt die gleichen Träume für das iranische Volk (wie Sie) und mit unserer Arbeit und Gottes Wohlgefallen wird das eines Tages wahr werden.»

US-finanzierter Radiosender
in Farsi?

Pompeo kündigte die Finanzierung eines Radiosenders an, der in Farsi 24 Stunden und sieben Tage die Woche senden werde. Damit und mit sozialen Medien sollten diejenigen im Iran unterstützt werden, die das Regime anklagen wollten, weil es Geld für die Unterstützung des syrischen Präsidenten Bashar al Assad und die libanesische Hisbollah ausgebe.

«Unsere Mission ist, der iranischen Führung den Zugang zu Ressourcen, Reichtum, Geld und allen Möglichkeiten zu verweigern, mit denen sie weltweit den Terrorismus unterstützt.»

Der Oberkommandierende der Iranischen Al-Quds-Brigaden, Generalmajor Qasem Soleimani, meldete sich einige Tage später zu Wort. Als Soldat sei es seine «Pflicht, auf die Drohungen» von Trump zu antworten, so Soleimani. «Wenn er uns drohen will, sollte er zu mir sprechen, nicht zum Präsidenten (Hassan Rouhani).»

Die USA drohe dem Iran mit «nie zuvor da gewesenen Aktionen», so Soleimani. So rede ein Nachtclub-Besitzer (nicht ein Präsident). Trump «sollte wissen, dass wir eine Nation sind, die bereit ist, Opfer zu bringen. Wir warten auf ihn.»

Am Freitag kursierte die Meldung, die USA bereite sich mit Unterstützung der Geheimdienste von Grossbritannien und Australien auf einen Krieg gegen den Iran vor. Im Visier seien iranische Atomanlagen, die bereits im August bombardiert werden könnten, so der australische Fernsehsender ABC.

Die Dementis folgten umgehend. Zunächst wies der australische Ministerpräsident Malcolm Turnbull die Nachricht als «Spekulation» zurück. US-Verteidigungsminister Jim Mattis bezeichnete den ABC-Bericht als reine «Fiktion».

Die USA habe «keine festgelegte Politik», die einen «Regime Change» oder «den Sturz der Regierung» im Iran vorsehe, so Mattis. Die USA wolle erreichen, dass der Iran sein «bedrohliches Verhalten ändert, das sein Militär, seine Geheimdienste, seine Stellvertreter darstellen können».

Besorgte US-Stimmen

Während Kreise wie die Iranisch-Amerikanische Gesellschaft einen Angriff auf den Iran gar nicht abwarten können, warnen andere. Selbst bei Fox News, dem Haussender des amtierenden US-Präsidenten, sieht man die Eskalation gegen den Iran mit Sorge.

Die Art, wie Trump sich dem Iran gegenüber verhalte, könne ihn das Präsidentenamt kosten, warnte der Journalist Tucker Carlson in einem Kommentar. «Wir sind auf Konfrontationskurs mit dem Iran. Das sollte jedem Sorgen bereiten, besonders aber denjenigen, die den Präsidenten unterstützen», so Carlson.

Sollte Trump sich für einen Krieg gegen den Iran entscheiden, «wird das seine Präsidentschaft zerstören. Genauso, wie der Irak-Krieg die Präsidentschaft seines republikanischen Vorgängers, George W. Bush, zerstörte.»

Befürworter einer Eskalation

Einer, der sich angesichts des verbalen Schlagabtauschs zwischen Iran und den USA zufrieden zurückgelehnt haben dürfte, ist der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu. Seit Jahren warnt er vor der «Gefahr aus dem Iran», die die ganze Welt bedrohe.

Ob nukleare Industrie, Chemiewaffen, Langstreckenraketen, Terroristen, Syrien, Jemen, Hisbollah – will man dem israelischen Regierungschef glauben, ist der Iran die «Wurzel allen Übels».

Der saudische Kronprinz Mohamed Bin Salman, der mittlerweile eng mit Israel kooperiert, hat den religiösen Führer des Iran, Ayatollah Ali Khamenei, sogar als «neuen Hitler des Mittleren Ostens» bezeichnet.

Erinnert man sich an die Entwicklungen im Irak, in Libyen und Syrien – deren Präsidenten ebenfalls als «neuer Hitler» denunziert wurden – kann man sicher sein, dass der nächste US-geführte Krieg gegen den Iran stattfinden soll.

Warum die Eskalation?

Iran und die politischen Führungen der Vereinigten Staaten von Amerika verbindet eine lange Feindschaft. Die Liste der CIA- Operationen gegen den Iran ist lang, der Sturz des iranischen Ministerpräsidenten Mohammed Mossadagh war nur ein Beispiel, um die Verstaatlichung der iranischen Ölressourcen zu beenden.²

Im Frühjahr 2017 wurde bei der CIA ein Mann fürs Grobe zum Chef der Iran-Operationen befördert. Der «Dunkle Prinz» oder «Ayatollah Mike» wird Michael D'Andrea genannt.³ Er war verantwortlich für Folter, die Jagd auf Osama Bin Laden und US-amerikanische Drohnenangriffe in Afghanistan, Pakistan, im Irak und Jemen, die Tausende Menschen – Kämpfer und Zivilisten – töteten.

Die Personalentscheidung – damals noch unter CIA-Chef Mike Pompeo, dem heutigen US-Aussenminister – ist Programm. Die Anti-Iran-Kampagne der USA ist eng mit Israel und Saudi Arabien abgestimmt. Erst kürzlich hatte Israel erstmals einen militärischen Koordinator für den (Kampf gegen den) Iran ernannt. Tel Aviv beliefert – gern über Oppositionelle der iranischen Volksmujaheddin - die USA und westliche Geheimdienste mit immer neuen «Beweisen», die alle ein Ziel haben: Krieg gegen den Iran zu rechtfertigen.

Ein wichtiges Argument ist aktuell die angebliche iranische Truppenpräsenz in Syrien. Israel wird nicht müde zu erklären, dass es vom Iran bedroht werde. Dessen Armee habe sich in Syrien «eingegraben» und wolle Israel vernichten.

Als US-Präsident Trump Anfang Mai 2018 sein Wahlversprechen einlöste und das Atomabkommen mit dem Iran einseitig ­aufkündigte – obwohl der Iran sich nachweislich penibel an alle Auflagen gehalten hat – konnte Israel für seine Anti-Iran-Kampagne einen Erfolg abfeiern. Mit den Wirtschaftssanktionen soll der Iran daran gehindert werden, sein Öl und Gas zu ­exportieren.

Israel will künftig selber sein Gas an Europa verkaufen. Gewollter Nebeneffekt ist, die europäische Wirtschaft daran zu hindern, Geschäfte mit dem Iran zu machen. Weiterer Nebeneffekt ist, Druck auf Russland auszuüben, das mit dem Iran in Syrien und regional in strategischer Partnerschaft kooperiert.

Was will Präsident Donald Trump?

Vielleicht ist das Twitter-Gewitter des US-Präsidenten gegen den Iran tatsächlich so einzuordnen wie seine Wutausbrüche gegen Nordkorea. Selbst der Anti-Iran-Hardliner Mike Pompeo musste bei seiner Rede vor den Iranisch-Amerikanischen Gemeinden am vergangenen Sonntag einräumen, dass Trump offen für Gespräche mit dem Iran sei. Gefragt, was die Basis für eine Versöhnung zwischen den USA und Iran sein könne, erinnerte Pompeo daran, wenn auch unwillig, wie Beobachter berichteten, dass Trump einem «Deal mit dem Iran» gegenüber nicht abgeneigt sei. Wichtig bei Nordkorea und Iran sei, dass die Menschen dort ihre «Freiheit» erhielten.

Wenn das erreicht werden könne, wenn «wir die Führung dazu bewegen können, eine strategische Entscheidung für die Absicherung des eigenen Wohlergehens und für das Wohlergehen des Volkes zu treffen», dann sei man auch zum Gespräch darüber bereit, «wie das vorangehen» könne. Er, Pompeo, sehe das nicht so schnell passieren⁴, aber «ich habe Hoffnung.»

Teheran ist nicht an einem Krieg interessiert

Im Iran versteht man die Angriffe des Westens und weiss, dass der Ursprung der Eskalation vor allem bei Israel und Saudi Arabien zu suchen ist. Es geht um strategische Kontrolle im Mittleren Osten, die der Iran nach dem US-geführten Krieg gegen den Irak (2003), durch den Krieg in Syrien (seit 2011) und den Krieg Saudi Arabiens gegen den Jemen (seit 2015) erfolgreich zu seinen Gunsten ausbauen konnte. Teheran ist nicht an einem Krieg interessiert, sondern will, dass seine Position und seine Interessen als Regionalmacht in der Region akzeptiert werden. Auf dieser Basis liessen sich neue Vereinbarungen treffen.

 Saudi Arabien und Israel sehen das als Machtverlust und Bedrohung an und wollen ihre Verbündeten – allen voran die USA – in einen Krieg gegen den Iran treiben. Wenn das nicht möglich ist, soll der Iran innenpolitisch destabilisiert werden.

Das Weisse Haus laviert hin und her, zumal die Administration in Washington keineswegs in eine Richtung läuft. Trump selber ist bei den Halbzeitwahlen im November vor allem an einem weiteren Wahlerfolg interessiert.

Russland versucht, Flächenbrand zu verhindern

Russland, die neue Ordnungsmacht in der Region, macht derweil Politik. Moskau versteht es, mit allen Akteuren im Gespräch zu bleiben. Wichtig dabei ist die Kooperation mit dem Iran und der Türkei, um den Krieg in Syrien zu beenden und einen weiteren Flächenbrand auszuschliessen. Grundlage dafür ist das Astana- Abkommen, das seit Anfang 2017 die meisten Fronten in Syrien befrieden konnte. Inzwischen senden selbst der Iran und Israel ihre Emissäre regelmässig nach Moskau, um ihre Interessen abzusichern.

Zwischen Drohungen von allen Seiten absolviert Moskau einen Hochseilakt und setzt dem Krieg der Worte zuverlässige Diplomatie entgegen.

¹ https://www.youtube.com/watch?v=4MmuUpAngDg

² https://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Ajax;%20https://www.welt.de/geschichte/article119180782/CIA-bekennt-sich-zu- Militaerputsch-1953-im-Iran.html

³ https://www.nytimes.com/2017/06/02/world/middleeast/cia- iran-dark-prince-michael-dandre2a.html 

http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/07/iran-pompeo-speech- mixed-messages-trump.html#ixzz5MXSnoEY8

*Karin Leukefeld, Jahrgang 1954, studierte Ethnologie, Islam- und Politikwissenschaften und ist ausgebildete Buchhändlerin. Sie engagierte sich für die Organisations- und Öffentlichkeitsarbeit unter anderem beim Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), Die Grünen (Bundespartei) sowie der Informationsstelle El Salvador. Seit dem Jahr 2000 ist sie als freie Korrespondentin im Mittleren Osten tätig und seit 2010 in Damaskus akkreditiert.

 

Ernährungssouveränität – eine Grundsatzfrage

von Dr. phil. Henriette Hanke Güttinger

Bei der Abstimmung über die Volksinitiative «Für Ernährungssouveränität – Die Landwirtschaft betrifft uns alle» geht es um eine existentielle Grundsatzfrage: Wer bestimmt in Zukunft über unsere Landwirtschaft und über unsere Ernährung? Wir Schweizerinnen und Schweizer oder die internationalen Märkte beziehungsweise multinationale Lebensmittelkonzerne?

Das Schweizer Volk will Ernährungssicherheit

Am 24. September 2017 haben wir mit deutlicher Mehrheit (78,8 %) den Bund mit dem neuen Verfassungsartikel 104 a «zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln» verpflichtet. Das zeigt, dass die grosse Mehrheit hinter unseren Bäuerinnen und Bauern steht, die die Schweiz heute noch zu 55 % mit Nahrungsmitteln versorgen können. Dass das so bleiben muss, hat das wuchtige Ja zur Ernährungssicherheit gezeigt. 

Bundesrat Schneider-Ammann hingegen ignoriert den Willen des Volkes, indem er unbeirrt auf eine Liberalisierung es Schweizer Agrarmarktes hinarbeitet und den sogenannten Strukturwandel, der jeden Tag Bauern zwingt aufzugeben, vorantreibt.

Mit der Ernährungssouveränität die bundesrätliche Ausrichtung auf den Weltmarkt korrigieren

Ein Ja zur Ernährungssouveränität am 23. September kann der bundesrätlichen Freihandelspolitik einen dicken Strich durch die Rechnung machen. Im neuen Verfassungsartikel ist der Schutzzoll als Aufgabe des Bundes explizit festgelegt. Dort heisst es:

«Zum Erhalt und zur Förderung der einheimischen Produktion erhebt er [der Bund, d. V.] Zölle auf der Einfuhr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Lebensmitteln und reguliert deren Einfuhrmenge.» Und weiter: «Zur Förderung einer Produktion unter sozialen und ökologischen Bedingungen, die den schweizerischen Normen entsprechen, erhebt er Zölle auf der Einfuhr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Lebensmitteln, die diesen Normen nicht entsprechen; er kann deren Einfuhr verbieten.»

Der Grenzschutz ist jedoch nur ein Punkt in der Initiative. Von den weiteren Punkten seien einige hier angefügt. So soll der Bund dazu verpflichtet werden, «eine einheimische bäuerliche Landwirtschaft» zu fördern und auf «eine Versorgung mit überwiegend einheimischen Lebens- und Futtermitteln» zu achten. Der Bund hat «wirksame Massnahmen» zu treffen, um die «Zahl der in der Landwirtschaft tätigen Personen» zu erhöhen, «die Strukturvielfalt zu fördern», die Kulturflächen zu erhalten, «den Bäuerinnen und Bauern das Recht auf Nutzung, Vermehrung, Austausch und Vermarktung von Saatgut zu gewährleisten». Zudem soll in der Landwirtschaft der «Einsatz genetisch veränderter Organismen» und gentechnisch erzeugter Pflanzen und Tiere verboten werden. Auch soll der Bund darauf hinwirken, «dass in allen Produktionszweigen und -ketten gerechte Preise festgelegt werden.» «Er stärkt den direkten Handel zwischen Bäuerinnen und Bauern und den Konsumenten und Konsumentinnen sowie die regionalen Verarbeitungs-, Lagerungs- und Vermarktungsstrukturen.»

Ernährungssouveränität ist keine Abschottung der Schweiz

Die Gegner der Initiative befürchten, dass die einseitige Einführung von Zöllen sowohl das Abkommen mit der WTO als auch jedes zukünftige Agrarabkommen gefährden könnte.

Wenn sich das Schweizer Volk am 23. September dafür entscheidet, über seine Landwirtschaft und Ernährung selber zu bestimmen, hat das nichts mit «Abschottung» oder «Planwirtschaft» oder gar mit «Sowjetisierung» zu tun‚ wie es die Gegner dem Stimmvolk suggerieren wollen.

Das Ziel der Ernährungssouveränität ist, unsere Versorgung mit einheimischen Lebensmitteln durch unsere Bäuerinnen und Bauern zu gewährleisten und diesen auch in Zukunft ihre Existenz zu sichern. Es geht um den Fortbestand und den Schutz unserer bäuerlichen Landwirtschaft, die diese bitter nötig hat. Es muss Schluss sein damit, dass jeden Tag drei Bauernbetriebe aufgeben. In bäuerlichen Familienbetrieben sorgen unzählige fleissige Hände dafür, dass wir jeden Tag gesunde, einheimische Lebensmittel in unserem Laden oder auf dem lokalen Markt haben.

So schafft unsere Landwirtschaft unsere Lebensgrundlage. Wir wollen ihr Sorge tragen.

 

Pressekonferenz der Allianz für Ernährungssouveränität

hhg. Am 13. August hat die Allianz für Ernährungssouveränität in Bern mit Referentinnen aus dem Welschland, dem Tessin und der Deutschschweiz die Volksinitiative der Öffentlichkeit vorgestellt. 

Die Bäuerin Ulrike Minkner äusserte ihre Sorgen wegen der Landwirtschaft wie folgt: «Die bäuerliche Landwirtschaft hier in der Schweiz, aber auch in Europa und den Ländern des Südens wird nach und nach zerstört. Wir warten nicht länger auf die Lösungen des Bundes, sondern wir fordern Ernährungssouveränität. Wir wollen keine Lebensmittelimporte mehr, die anderswo ökologische Katastrophen auslösen oder unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen hergestellt werden.» 

Amanda Ioset von «Solidarité sans frontières» wies auf die Freihandelsabkommen mit den Ländern des Südens hin, die dort die kleinbäuerlichen Strukturen und damit die Volkswirtschaften zerstörten und so für die heutige Migrationsbewegung in den Norden mit verantwortlich sind. 

Sylvie Bonvin, Bäuerin und Parlamentarierin, erklärte: «Es geht nicht darum, den globalisierten Agrar- und Nahrungsmittelhandel abzuschaffen. Doch es geht zum Beispiel darum, basierend auf den Bedürfnissen von allen, diesen Handel besser zu verwalten und so die landwirtschaftlichen und natürlichen Möglichkeiten der Regionen besser zu nutzen.» 

Lea Ferrari aus dem Bleniotal berichtete von der schwierigen Lage der Bergbauern im Tal, für die ein Ja zur Initiative eine wichtige Unterstützung für die weitere Bewirtschaftung unter anderem auch der Alpen bedeuten würde: «Soutenir l’initiative pour la souveraineté alimentaire signifie donner une chance commerciale à la production lokale des régions suburbaines, ou il existe des recettes et des pratiques traditionelles, les saveurs et l‘authenticité caractéristique qui peuvent constituer une alimentation saine pour la population suisse.» [Wer die Initiative für Ernährungssouveränität unterstützt, gibt der lokalen Produktion in den ländlichen Regionen eine wirtschaftliche Chance; dort gibt es noch traditionelle Rezepte und herkömmliche Praktiken, den charakteristischen und echten Geschmack regionaler Produkte, die eine gesunde Ernährung für die Schweizer Bevölkerung darstellen können.]

Tamara Funicello, Präsidentin der Jungsozialisten, betonte das Recht jedes Volkes über seine Landwirtschaft und seine Ernährung selber zu bestimmen. «Die Ernährung sowie die Bildung, die Energie usw. müssen als öffentliche Güter (bien public) betrachtet werden.» Das Einstehen der mittleren und jungen Generation für unsere Landwirtschaft und für unsere Ernährung an dieser Pressekonferenz war beeindruckend.

Keine Alpwirtschaft mit Wolf, Luchs und Bär

von Peter Fankhauser

Welche Zukunft hat die Alpwirtschaft, wenn zunehmend Wolfsrudel die Schweiz besiedeln? (Bild thk)

Welche Zukunft hat die Alpwirtschaft, wenn zunehmend Wolfsrudel die Schweiz besiedeln? (Bild thk)

 

Seit jeher spielen Alpbetriebe eine bedeutende Rolle im Alpenbogen. Auch in der Schweiz ist die Alpwirtschaft ein zentraler Bestandteil der heimischen Berglandwirtschaft.

Über 500 000 Hektaren werden von fleissigen Händen gehegt und gepflegt. In den Sommermonaten sind die Älplerinnen und Älpler alljährlich für über 300 000 Kühe, Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde besorgt. Herrliche Alprodukte wie Käse, Butter und Rahm gehören wie der tägliche Betruf am Abend dazu.

Wie sich die Alpwirtschaft in Zukunft entwickeln wird, hängt stark von den Grossraubtieren ab. Insbesondere Wolf und Luchs machen das Sömmern der Tiere zur Herausforderung. Erst recht, wenn mit der Zeit überall Wolfsrudel entstehen und diese dann gemeinsam zur Jagd aufbrechen. Dann gehören auch grössere Beutetiere wie Kühe und Rinder zu ihrem Speiseplan. Ob das die Bauern so hinnehmen werden, ist fraglich.

Als Erholungsraum bei Jung und Alt beliebt

In Zukunft muss es möglich sein, Wolf und Luchs zu jagen, sonst werden garantiert viele Alpwirtschaften aufgegeben und ihrem Schicksal überlassen. Das darf nicht passieren! In der Schweiz verbindet man den Begriff Alpwirtschaft mit grasendem Weidevieh, gepflegten Landschaften, erlebnisreichen Wanderungen und gemütlichen Alphütten. So sind die Schweizer Alpen nicht nur für ihre herrlichen Produkte bekannt, sondern auch weit über die Landesgrenzen hinaus als Erholungsraum bei Jung und Alt beliebt.

Die Alpregionen in ihrem heutigen Erscheinungsbild sind jedoch keine Naturlandschaften, sondern über Jahrtausende durch landwirtschaftliche Nutzung geprägte Kulturlandschaften mit vielfältigen Funktionen. 

Die Bergbauern bewirtschaften mit viel Engagement und Idealismus unsere Alpen und tragen den Funktionen dieser Kulturland schaft Rechnung. Neben der landwirtschaftlichen Nutzung sind vor allem die Erhaltung der Vielfalt, Funktionalität und Schönheit der Bergregionen zentrale Aufgaben und ein wichtiger gesellschaftlicher Auftrag. 

Produktion hochwertiger Lebensmittel

Alpen sind ein wesentlicher Bestandteil des landwirtschaftlichen Betriebes im Tal. Durch die Produktion hochwertiger Lebensmittel wie Milch, Butter, Käse und Fleisch tragen sie massgeblich zum Gesamteinkommen des bäuerlichen Betriebs bei. Zusätzlich können durch die Sömmerung mehr und vor allem gesündere Tiere gehalten werden. 

Strukturelle Veränderungen in der heimischen Landwirtschaft haben aber auch die Alpwirtschaft und deren Bedeutung für die Gesellschaft verändert. Bis in die jüngste Vergangenheit stand vor allem die Produktionsfunktion im Vordergrund. Heute kommt den Alpen aber auch beim Schutz vor Naturgefahren eine zentrale Bedeutung zu. Durch die standortangepasste Bewirtschaftung der Alpflächen können Bedrohungen durch Bodenerosion, Muren und Lawinen verringert werden. 

Der Lebensraum Alp ist von grosser Bedeutung

Der reich strukturierte und extensiv bewirtschaftete Lebensraum Alp ist auch aus ökologischer Sicht von grosser Bedeutung. Alpflächen sind mit ihren reich strukturierten, artenreichen Blumenwiesen und Landschaftselementen ökologisch sehr wertvolle Flächen und weisen eine hohe pflanzliche und tierische Biodiversität auf.

Sie gehören zu den artenreichsten Lebensräumen. Nur durch eine regelmässige, extensive Bewirtschaftung kann diese Vielfalt erhalten werden. Auch die Erholungs- und Wohlfahrtsfunktion der Alpwirtschaft hat eine bedeutende Rolle inne und wird in Zukunft immer wichtiger. So sind Alpen als attraktive, gepflegte Kulturlandschaft zu einem wichtigen Zugpferd für den heimischen Tourismus geworden.

Gäste aus aller Welt, aber auch die heimische Bevölkerung, schätzen die abwechslungsreiche Landschaft mit ihren Wanderwegen, Mountainbike-Strecken, Skipisten, Alphütten und Einkehrmöglichkeiten.

Ebenfalls nicht zu unterschätzen ist die soziokulturelle Funktion der Alpwirtschaft. Viele althergebrachte Bräuche, Rezepte und Traditionen in der bäuerlichen Gesellschaft gehen unmittelbar auf die Alpwirtschaft zurück und bereichern den Jahreslauf, der auch immer stärker die nicht bäuerliche Bevölkerung interessiert und anspricht.

So ist es wünschenswert, dass die Alpwirtschaft auch für die nächste Generation so erhalten bleibt, wie sie ist. Ob dies aber mit dem Aufkommen der Grossraubtiere möglich ist, daran glauben nur die Befürworter und viele Politiker, aber ganz sicher nicht die Berglandwirte.

Quelle: BauernZeitung vom 03.08.18

Das politische System Liechtensteins beeindruckt

Impressionen vom liechtensteinischen Nationalfeiertag

von Thomas Kaiser, Vaduz

Die Liechtensteiner Nationalfeier lockte am 15. August unzählige Besucher und geladene Gäste aufs Schloss der Fürstenfamilie in Vaduz, wo der jährliche offizielle Staatsakt mit Ansprachen und dem Singen der Nationalhymne durchgeführt wird. Es herrschte eine freudige Gespanntheit, das Wetter spielte mit, und die Schar der Anwesenden wuchs nahezu minütlich. Für die offiziellen Reden traf man sich auf der dem Schloss nahegelegenen Wiese.

Die zahlreichen Zuschauer begleiten den Umzug bis zum Rednerzelt mit langanhaltendem Applaus. (Bild thk)

Die zahlreichen Zuschauer begleiten den Umzug bis zum Rednerzelt mit langanhaltendem Applaus. (Bild thk)

 

Trachtengruppen und Offizielle formieren sich allmählich vor dem Schloss, und um 11.15 Uhr setzt sich der Umzug, bestehend aus einer Blasmusikformation, Frauen und Männern in Trachten, der Pfadi, den Parlamentariern, den Regierungsmitgliedern, den Gemeindepräsidenten und den Vertretern der Gerichtsbarkeit und am Schluss der Fürstenfamilie, in Bewegung. Es ist ein eindrückliches Schauspiel, und die zahlreichen Zuschauer begleiten den Umzug bis zum Redner­zelt mit langanhaltendem Applaus. Besonders die Fürstenfamilie, die sich sichtlich erfreut zeigt, wird immer wieder mit Applaus bedacht.

Einsatz von vielen Freiwilligen gewürdigt

Nachdem alle am Bestimmungsort angekommen sind, wo auch das diplomatische Corps auf den Festzug wartet, betritt zuerst Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein die Rednerbühne. Er zeichnet ein positives Bild vom «Ländle», das «sich in wenigen Jahrzehnten aus sehr einfachen Verhältnissen zu einem der wohlhabendsten Staaten der Welt entwickelt» hat. So kann das Land auf «einen ausgeglichenen Staatshaushalt, erhebliche Finanzreserven auf der Ebene des Landes und der Gemeinden» blicken. Auch besitzt Liechtenstein nach den Worten des Erbprinzen die «geringste Arbeitslosigkeit in Europa». «Ein wichtiger Erfolgsfaktor liegt in der starken und positiven Identifikation unserer Landesangehörigen mit ihrer Heimat und in der Bereitschaft, sich uneigennützig zum Wohle des Landes zu engagieren.» Eine besondere Rolle spielt dabei das Milizwesen: «Unsere staatlichen Institutionen, unser starkes und sozial integratives Vereinswesen sowie unsere sozialen Dienste und Organisationen wären ohne den grossen finanziellen und zeitlichen Einsatz von vielen Freiwilligen nicht denkbar.» Weiter würdigte Erbprinz Alois: «Auch die gesellschaftlichen Strukturen in unserem Land sind nach wie vor intakt, was insbesondere durch das umfassende ehrenamtliche Engagement sowie die grosse Zahl an Vereinen zum Ausdruck kommt.» Dieser Einsatz zum Wohle von Volk und Land wird in der Rede des Erbprinzen besonders hervorgehoben: «Ich bin fest davon überzeugt, dass wir auch in Zukunft nur dann erfolgreich sein können, wenn wir auf das breit getragene und vielfältige Engagement zurückgreifen können. Daher möchte ich am heutigen Tag nicht nur für den grossen Einsatz zum Wohle des Landes danken, sondern auch dazu aufrufen, diesen weiter zu pflegen.»

Solidarität und Loyalität des Volkes

Neben den wichtigen Staatsgrundlagen erwähnt der Erbprinz auch die Herausforderungen, vor denen das Land steht. Dazu zählt er die Digitalisierung, die Sicherung der Sozialwerke, den hohen Verbrauch an Ressourcen, besonders bei den Industrienationen, sowie die technologische und demographische Entwicklung. Dass diese Fragen auch in anderen Ländern diskutiert werden, gibt Anlass zur Hoffnung, sinnvolle und gangbare Lösungen zu entwickeln. Dabei zählt er ganz offensichtlich «auf den grossen gemeinnützigen und unternehmerischen Einsatz der Bevölkerung», damit das Land auch in Zukunft eine Entwicklungschance hat.Der langanhaltende Applaus der Zuhörerschaft lässt die Solidarität und die Loyalität des Volkes gegenüber der Fürstenfamilie erkennen.

Nach einer weiteren Ansprache des Landtagspräsidenten Albert Frick, der unter anderem die konstruktive Zusammenarbeit mit dem Erbprinzen und dessen politischen und sozialen Weitblick hervorhob, singen die Anwesenden die liechtensteinische Nationalhymne, bevor sich der Umzug wieder auf den Weg zurück zum Rosengarten des Schlosses aufmacht.

Im Rosengarten fanden Gäste aus dem In- und Ausland zu angeregten Gesprächen zusammen, aber auch die Bevölkerung hatte Zugang zu diesem speziellen Teil des Festaktes. Albert Frick erwähnte in seiner Rede: «Die zu Verfügung gestellten Plätze für das Zusammensein im Rosengarten waren im Nu vergeben. Das zeigt die Beliebtheit des Fürstenfestes und die Verbundenheit der Bevölkerung mit unserer Heimat.» Diesen Eindruck gewann man auch, wenn man die Menschen sprechen hörte, was ihnen der Tag bedeute: «Die enge Verbundenheit mit dem Land und der Fürstenfamilie.»

Im Rosengarten selbst nutzten viele Menschen die Gelegenheit, ein paar Worte mit dem Erbprinzen oder anderen Mitgliedern der Fürstenfamilie zu wechseln, und es machte den Eindruck, als ob die Menschen und das Fürstenhaus es genössen, miteinander zu plaudern.

Die zur Verfügung gestellten Plätze für das Zusammensein im Rosengarten waren im Nu vergeben.  (Bild thk)

Die zur Verfügung gestellten Plätze für das Zusammensein im Rosengarten waren im Nu vergeben.  (Bild thk)

 

Monarchie und direkte Demokratie

Für den Aussenstehenden hinterliess der Festakt im und um das Schloss von Vaduz einen bleibenden Eindruck: Eine Monarchie, die volksnah ist, keinen Sicherheitsgürtel um sich herum aufbauen muss, keine Berührungsängste zeigt und vom Volk geschätzt und geehrt wird. Das ungezwungene Verhalten im Rosengarten erinnert ein bisschen an so manchen unserer Bundesräte, die es sich nicht nehmen lassen, mit dem öffentlichen Verkehrsmittel zu fahren, um so auch den Puls der Bevölkerung spüren zu können. Das politische System Liechtensteins, das sowohl die Volksrechte wie Initiative und Referendum kennt als auch dem Fürsten oder seinem mit den Amtsgeschäften bevollmächtigten Stellvertreter in der Person des Erbprinzen die Möglichkeit gibt, in das politische Geschehen einzugreifen, ist ein Beispiel dafür, wie aus der individuellen Geschichte des Landes heraus eine Demokratie entstanden ist, die funktioniert und trotz Monarchie der Bevölkerung einen grossen politischen Gestaltungsspielraum bietet und von der Mehrheit im Lande geschätzt wird.

Viele Menschen nutzten die Gelegenheit, ein paar Worte mit dem Erbprinzen zu wechseln. (Bild thk)

Viele Menschen nutzten die Gelegenheit, ein paar Worte mit dem Erbprinzen zu wechseln. (Bild thk)

 

Das politische System Liechtensteins ist aber auch ein Beweis dafür, dass Kleinräumigkeit entscheidende Vorteile gegenüber grossen Staatsgebilden hat. Der Kleinstaat bietet den darin lebenden Menschen eine viel direktere Gestaltungsmöglichkeit und damit eine ungleich höhere Lebensqualität.

«Unser demokratisches System hat zu enormer Stabilität im Land geführt»

«Die Staatsgewalt ist gemäss Verfassung im Fürsten und im Volk verankert»

Interview mit dem Landtagsabgeordneten Christoph Wenaweser, Liechtenstein

Christoph Wenaweser (Bild thk)
Christoph Wenaweser (Bild thk)

Zeitgeschehen im Fokus Wie ist es zu erklären, dass das Fürstenhaus und besonders auch der mit den Amtsgeschäften betraute Erbprinz Alois so grosse Sympathie in Liechtenstein geniesst?

Christoph Wenaweser Wenn man Liechtenstein mit anderen parlamentarischen Demokratien vergleicht, könnte man sagen, dass der Fürst so etwas wie eine von zwei Kammern darstellt. In der Schweiz gibt es den National- und Ständerat, die gegenseitig als Korrektiv auftreten können, bei uns ist die Staatsgewalt gemäss Verfassung im Fürsten und im Volk verankert. 

Es ist speziell, dass das im Land funktioniert.

Ja, die politische Stabilität gründet auf einem austarierten Machtverhältnis, welches die Politik einem hohen Kompromissdruck aussetzt. Die heutige Verfassung ist massgeschneidert für unser kleines Land und unsere kleinräumigen Verhältnisse. Ich bin der Überzeugung, dass jede Demokratie ein solches Korrektiv braucht, entweder wie bei uns mit zwei Souveränen oder wie in vielen anderen Ländern mit Zweikammer-Systemen. 

Wir haben sehr viel Positives über das Land heute gehört. Wie bewerten Sie das?

Unser demokratisches System hat zu enormer Stabilität im Land geführt. Das Fürstenhaus bzw. der Fürst und der mit den Amtsgeschäften betraute Erbprinz üben ihre Aufgaben mit Augenmass aus. Sie haben eigentlich keine unmittelbaren Gestaltungskompetenzen, sondern vielmehr Veto-Kompetenzen, können aber in politischen Sachthemen durchaus auch willkommene inhaltliche Akzente und Wegzeichen setzen. Es herrscht ein vertrauensvoller Dialog zwischen dem Landtag als Legislative, der Regierung und dem Fürstenhaus. Das trägt alles zu einem gesunden Staatswesen bei. Und das ist, wofür die Menschen dankbar sind.

Neben der inneren Stabilität macht das Land auch nach aussen einen soliden Eindruck.

Nächstes Jahr feiern wir unser 300jähriges Bestehen in seither unveränderten Grenzen. Wir dürften wohl das einzige Land in Europa sein, dessen Grenzen sich seit Gründung des Staates nicht verändert haben. Auch vom Einbezug in Kriegsgeschehen ist das Land verschont geblieben.     

Inwieweit spielt die direkte Demokratie, die zum politischen System Liechtensteins gehört, eine wichtige Rolle bei der Stabilität des Landes?

Liechtenstein hat ein ausgeprägtes direktdemokratisches System. Es existiert für unsere Bürgerinnen und Bürger sowohl ein Initiativrecht als auch ein Referendumsrecht für Gesetzesvorlagen, Finanzbeschlüsse des Parlaments und für Staatsverträge. Das Initiativ- und Referendumsrecht ist sehr niederschwellig angesetzt. 

Es ist also das Zusammenspiel zwischen Volk, Parlament und Fürst, was das politische System des Landes ausmacht?

Das System ist sehr gut austariert, aber man muss ständig daran arbeiten und im laufenden Dialog dafür sorgen, dass das gegenseitige Verständnis und Vertrauen sichergestellt ist.

Herr Landtagsabgeordneter Wenaweser, vielen Dank für das Gespräch.

Interview Thomas Kaiser, Vaduz

 

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