Mit Komplementärwährung gegen die Krise?

von Reinhard Koradi

Die Weltwirtschaft stottert. In Fachkreisen wird die Handelspolitik des amerikanischen Präsidenten Trump als Auslöser der Wachstumskrise an erster Stelle aufgeführt. Bestimmt sind die von Trump aufgebauten Handelsbarrieren, Sanktionen und Strafzölle kein geeignetes Mittel, um die Weltwirtschaft auf Touren zu halten. Doch warum konzentrieren wir uns allein auf die Aussenwirtschaft und vernachlässigen dabei die Binnenwirtschaft?

Die globale Wirtschaft hat uns den Blick für das Naheliegende getrübt. Dabei sind trotz der Exportlastigkeit vieler Volkswirtschaften (betrifft auch die Schweiz) die binnenwirtschaftlichen Güter- und Geldströme von entscheidender Grösse für die wirtschaftliche Entwicklung einer Nation. Durch die eingeschränkte Sichtweise verloren wir wesentliche ökonomische Entwicklungen aus den Augen und setzten dementsprechend falsche Akzente. Die Geld-, Fiskal- und Währungspolitik in unserem Land richteten sich allein nach den Bedürfnissen der transnationalen, globalen (Finanz-)Wirtschaft aus und schadeten damit teilweise der einheimischen Wirtschaft und Bevölkerung. Die immer noch ungelösten Probleme rund um die Finanz-, Geld- und Währungspolitik, verbunden mit einer äusserst neoliberalen Ausrichtung der Wirtschaftspolitik schaffen krisenanfällige Unsicherheiten mit entsprechend negativen Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft. Durch den künstlich tiefgehaltenen Frankenkurs, hauptsächlich gegenüber dem Euro, ist auch die Schweiz im angeschlagenen, globalen Finanznetzwerk eingebunden, was unserer Binnenwirtschaft erheblichen Schaden zuführt. Neben dem Kaufkraftverlust gegenüber dem Ausland nagt die enorme Geldmengenerhöhung am Volksvermögen (Negativzinsen). Noch ist die Beschäftigungslage in der Schweiz relativ gut. Es gibt jedoch keine Garantien, dass das für immer so bleibt.

Mit einer gewissen Sicherheit, kann man behaupten, dass gerade jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um über Alternativen nachzudenken, die uns erlauben, den Risiken einer allfälligen globalen Systemkrise etwas entgegenzuhalten.

Regionalität aufwerten

«Aus der Region. Für die Region.» ist ein sehr geläufiger Slogan aus der Werbung. Eigentlich ist es sehr sinnvoll, sich auf regionale Güterkreisläufe einzustimmen. Produkte und Dienstleistungen aus der Region sind nicht nur frischer, sie müssen auch nicht über Tausende von Kilometern hergeschleppt werden und schaffen vor Ort wertvolle Arbeitsplätze. Regionale Wirtschaftskreisläufe sollten daher ernsthaft geprüft werden. Was derzeit noch etwas rückwärts orientiert zu sein scheint, könnte morgen schon eine Chance für die Zukunft sein. Denken wir doch nur einmal über den Tatbestand nach, dass Arbeitskräfte aus dem Ausland hergeholt werden, um Güter herzustellen, die dann in die Länder exportiert werden, aus denen die zugewanderten Arbeitskräfte kommen. Diese «Wanderbewegungen» haben wir auch über die Regionen hinaus, was zu vermeidbaren Zeitaufwänden und Kosten führt. Regionale Wirtschaftskreisläufe haben den enormen Vorteil, dass Produktion und Konsum, Arbeit und Arbeitskräfte bei einer entsprechenden Struktur-, Siedlungs- und Infrastrukturpolitik sehr nahe beieinander liegen. Unnötige Mobilitätskosten könnten eingespart werden. Beindruckt durch den Mythos der Globalisierung und die gängigen volks- und betriebswirtschaftlichen Lehren, laufen wir Gefahr, die ökonomische Kraft der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sowie dezentraler Strukturen zu unterschätzen. Die mittelständische Betriebsstruktur, eingebettet in regionale Wirtschaftskreisläufe und einem von der Landeswährung abgekoppeltem Regionalgeld, können sehr wohl eine Zukunftslösung sein, wenn es gelingt, durch Innovation und Geschlossenheit eine Kreislaufwirtschaft aufrecht zu erhalten. Die Geldpolitik der Nationalbanken (in der Schweiz SNB) wird bald einmal auf einen Härtetest stossen. Irgendwann muss die Geldmenge und die mit der Geldschwemme ausgelöste Inflation (Vermögensvernichtung) wieder unter Kontrolle gebracht werden, und irgendwann stösst die Politik der Negativzinsen auf Widerstand, der je nach Schärfe der sozialen Probleme aufgrund des andauernden Vermögensschwunds chaotische Züge annehmen kann. In solch unruhigen Zeiten kann die Komplementärwährung äusserst nützlich sein, um die Wirtschaft einigermassen aufrechtzuhalten.

Alternativen zum Staatsgeld

Der Vollständigkeit halber seien hier die «neuen» digitalen Währungen erwähnt. Durch die sogenannten Kryptowährungen wird das staatliche Monopol der Geldschöpfung in Frage gestellt. (Bitcoin usw.) Auf diese Entwicklung wird jedoch hier nicht weiter eingegangen. Hervorgehoben werden sollen aber die Komplementärwährungen.

Es gibt sie schon, die Alternativen zum Staatsgeld. Eine der wohl bekanntesten regionalen Währungen ist das Wörgler Schwundgeld. Der Bürgermeister von Wörgl (Österreich) brachte in den Kriegsjahren (2. Weltkrieg) das Schwundgeld in Umlauf, um die örtliche Wirtschaft anzukurbeln und Arbeitsplätze zu schaffen. Das Geld wurde für den Strassenbau und den Bau eines Schulhauses eingesetzt. Nach gewissen Anlaufschwierigkeiten anerkannte auch das örtliche Gewerbe das Schwundgeld als Zahlungsmittel. Die Idee war, dass das Geld im Umlauf gehalten wird (nicht gehortet), um die Nachfrage nach Konsumgütern zu stimulieren. Wer das Geld gegen Umtausch in Schillinge (damaliges Staatsgeld in Österreich) oder Hortung dem Kreislauf entzog, wurde mit Tauschgebühr belastet. Das Projekt kann durchaus als gelungen bezeichnet werden, wurde aber durch die österreichische Regierung und die Zentralbank mit erheblicher Gewalt zu Fall gebracht. Neuere und bis heute funktionierende Regio-Geldsysteme sind weltweit zu finden.

Italien

Vor sechs Jahren haben vier junge Menschen auf Sardinien die Regionalwährung «Sardex» erfunden. Damit wurden im vergangenen Jahr Transaktionen mit einem Gegenwert von 31 Millionen Euro getätigt, seit ihrer Einführung sind es insgesamt bereits 94 Millionen.Auslöser war eine einfache Feststellung im Kontext der Finanzkrise im Jahr 2008: «Wir haben nichts mit dem Missmanagement an der Wall Street und in London zu tun», und die Antwort war ebenso eindeutig: «Die Lösung für eine Finanzkrise hat mit Finanzen zu tun.» Die vier Freunde – unter ihnen Guiseppe, der damals im britischen Leeds studierte – haben sich von einer anderen Regionalwährung, dem 1934 während der Weltwirtschaftskrise in der Schweiz geschaffenen WIR, inspirieren lassen. Der Sardex ist inzwischen eine elektronische Währung, die wie ein gegenseitiger Kredit funktioniert und Einkäufe bei den 2900 beteiligten lokalen Unternehmen begünstigt. Die Idee entspricht dem Geist der Inselbewohner: «Was mir die Gemeinschaft gibt, das gebe ich der Gemeinschaft zurück.»

Vereinigtes Königreich

Die erste Regionalwährung in Grossbritannien wurde im Londoner Stadtteil Brixton eingeführt. Der Gedanke kam im Anschluss an die Krise von 2009 auf, sie sollte die lokale Wirtschaft ankurbeln und ein neues Gemeinschaftsgefühl zwischen den Einwohnern fördern.

Die Händler waren zunächst skeptisch, akzeptierten aber schliesslich das «Brixton Pound» – sogar ein Supermarkt beteiligte sich. Inzwischen umfasst das Netzwerk 250 Geschäfte und 2000 Kunden. Die Nutzer profitieren von Rabatten in den Läden und die Händler überweisen 1,5 % der Transaktionssummen. Diese Kommission ist geringer als bei Zahlungen mit Kreditkarte und kommt einem lokalen Investmentfonds zugute, der die Schaffung neuer Arbeitsplätze vor Ort und soziale Aktionen mit 2000 britischen Pfund fördert. Die Stadt Bristol hat sich von diesem Beispiel inspirieren lassen. Dort können sogar Steuern in der Regionalwährung Bristol Pound beglichen werden.

Schweiz

In der Schweiz haben die WIR-Währung und Reka-Checks einen relativ hohen Bekanntheitsgrad.  Während sich die Reka an ein breites Publikum wendet und sich primär auf das Touristikgeschäft bezieht, konzentriert sich die WIR-Bank grundsätzlich auf mittlere und kleinere Unternehmen. Das WIR-Geld ist eine Komplementärwährung, die innerhalb des WIR-Netzwerkes als Zahlungsmittel gleichwertig mit dem Schweizer Franken eingesetzt werden kann. Das einzelne Unternehmen kann den Anteil von WIR-Geld am gesamten Rechnungsbetrag begrenzen. Ziel der WIR-Genossenschaft ist die Förderung der kleineren und mittleren Unternehmen. Die Dienstleistungen gegenüber den Teilnehmern sind sehr vielfältig und darauf ausgerichtet, die Geschäftsbeziehungen unter den Genossenschaftern zu erleichtern und zu intensivieren.

Gerade mit Blick auf die eingangs erwähnten vielfältigen Herausforderungen der einheimischen Binnenwirtschaft kann die WIR-Genossenschaft sich zu einem äusserst wertvollen Wirtschaftsförderer in der Schweiz weiterentwickeln.

Grundsätzlich besteht noch viel Potential, das im Hinblick auf Komplementärwährungen und Krisenbewältigung aktiviert und ausgebaut werden kann. Es geht darum, neue Anreize zu schaffen, damit die Alternativwährung den Wirtschaftskreislauf effizient stützt und auch einen Beitrag zur Erhaltung des Werkplatzes Schweiz leistet. Vielleicht hilft dabei, einen Blick auf die Aktivitäten und Innovationen in der Regio-Kreislaufwirtschaft zu werfen. Es ist nämlich Handlungsbedarf vorhanden, um sich gegenüber den in internationale Gremien eingebundenen Zentralbanken einen eigenen Spielraum zu verschaffen.

«Bei einer Mitgliedschaft im Uno-Sicherheitsrat wird die Schweiz zu einer Komplizin der Macht»

von Thomas Kaiser

Verschiedene politische Vorstösse haben im Zusammenhang mit dem vom Bundesrat angestrebten Sitz im Uno-Sicherheitsrat auf die Gefahren eines solchen Schrittes und die Unvereinbarkeit mit der Schweizer Neutralität aufmerksam gemacht. Es braucht dringend eine öffentliche Debatte über dieses Thema, damit die Schweiz nicht aus persönlichen Motiven des Bundesrats einen über Jahrhunderte gewachsenen und vielfach bewährten staatspolitischen Grundsatz achtlos und kaum wiederbringlich über Bord wirft. Als Vorsteher des Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) müsste gerade Bundesrat Ignazio Cassis etwas mehr aussenpolitischen Sachverstand und helvetische Bescheidenheit zeigen.

Vor vier Wochen marschierte die Türkei in Syrien ein und begann zum erneuten Mal fremdes Territorium zu besetzen. Ein eklatanter Völkerrechtsbruch, wie die Juristin sowie Kriegsverbrecher- und Mafiajägerin Carla Del Ponte vor kurzem äusserte. Dieser hätte nach einer Dringlichkeitssitzung des Uno-Sicherheitsrats verlangt und eine scharfe Verurteilung der Türkei hätte nach sich ziehen müssen, mit harten Konsequenzen, wenn sie sich nicht sofort von fremdem Staatsgebiet zurückzöge. Nichts dergleichen geschah.

Erst durch die Verhandlungen – einberufen von Russlands Präsident Vladimir Putin – wurde eine mögliche Lösung entwickelt und weiteres Blutvergiessen verhindert. US-Präsident Trump griff derweil zu seiner Lieblingswaffe, den Sanktionen, die er gegen die Türkei verhängte. Er zog diese dann aber relativ schnell wieder zurück. US-Truppen, die sich schon lange völkerrechtswidrig und damit illegal in Syrien aufhielten, verlagerte Präsident Trump weiter nach Süden, um angeblich die syrischen Ölfelder vor einem möglicherweise erstarkendem IS zu schützen. Wir haben also nach wie vor verschiedene Kriegshandlungen in Syrien, die bis auf die Präsenz Russlands und des Iran eine Verletzung des internationalen Rechts bedeuten. Warum wird hier der Uno-Sicherheitsrat nicht aktiv?

Uno-Sicherheitsrat wird von den fünf Vetomächten dominiert

Da die USA ständiges Mitglied des Uno-Sicherheitsrats sind, können sie mit ihrem Veto jede Resolution, die einen Verstoss gegen das Völkerrecht verurteilen würde, blockieren. Weitere Nato-Bündnispartner der USA, nämlich Frankreich und Grossbritannien, die im Nahen Osten ebenfalls eine äusserst undurchsichtige Rolle spielen und weltweit Militär im Einsatz haben, mit oder ohne Sicherheitsratsresolutionen, haben ebenfalls das Veto-Recht und würden zum Schutz ihrer Nato-Partner mit einem Veto alles blockieren.

Der Uno-Sicherheitsrat, dessen primäre Aufgabe es ist, Kriege zu verhindern und Konflikte auf diplomatischem Wege zu lösen, wird zunehmend zu einem Friedensverhinderungsgremium. Die westlichen Atommächte können mit ihrem Veto alles zu Fall bringen, was nicht in ihre Strategie passt. Das können natürlich auch China und Russland, die ebenfalls das Veto-Recht besitzen.

Uno-Sicherheitsrat für eigene Agenda missbraucht

Wie sehr die westlichen Staaten den Sicherheitsrat für ihre Zwecke missbrauchten, zeigte unter anderem der Sturz Muhamar Gaddafis in Libyen. Dem Einsatz der Nato war eine Resolution des Uno-Sicherheitsrats vorausgegangen, die das Errichten einer Flugverbotszone zum Schutz von Zivilisten erlaubte, jedoch keinen Regime-Change, wie er durch die willfährigen Nato-Staaten und die mit ihnen verbündeten Rebellen – letztlich auf Geheiss der USA und Frankreichs – durchgeführt wurde. Auch im syrischen Krieg versuchten die Nato-Staaten im Uno-Sicherheitsrat eine Resolution ähnlich der libyschen durchzusetzen, um ein militärisches Eingreifen in Syrien zu legitimieren. Das konnte mit einem Veto Russ­lands und Chinas verhindert werden. Bis heute herrscht in Libyen ein vom Uno-Sicherheitsrat legitimiertes Chaos, und niemand unternimmt wirklich etwas zum Schutz der Menschen und zum Wiederaufbau des Staates. Aber wie in Syrien und im Irak haben die USA auch in Libyen die Erdölfelder für sich gesichert. In unseren Medien ist das höchstens einmal am Rande ein Thema.

In vielen Fällen hat der Uno-Sicherheitsrat nicht oder nur begrenzt nach den Regeln der Uno-Charta gehandelt, die unter Kapitel 7 die Mechanismen zum Erhalt des Friedens festgeschrieben hat. Das soll kein Plädoyer gegen den Sicherheitsrat sein, denn solange Staaten den Dialog führen, kann Schlimmes verhindert werden, aber es zeigt ganz deutlich, dass dieses «erlauchte Gremium» nichts mit Neutralität zu tun hat, sondern die grossen Staaten primär nach ihren Interessen entscheiden. 

Aufgrund dieser Umstände ist es absurd, dass sich die Schweiz als neutraler Staat um einen Sitz im Uno-Sicherheitsrat bewerben will. Als nicht ständiges Mitglied wäre sie der Politik und den Strategien der grossen Veto-Mächte ausgeliefert. Sie dürfte kaum unabhängige, eigenständige Positionen vertreten und könnte schon gar nicht diesen zur Durchsetzung verhelfen. Dagegen müsste sie, auch wenn sie gegen einen Beschluss stimmte, diesen mittragen, falls er von der Mehrheit der übrigen Länder angenommen würde. Das heisst, die Schweiz, ob sie es nun wollte oder nicht, müsste für eine Seite Stellung beziehen. Eine Enthaltung nützt hier gar nichts.

Mitgliedschaft im Uno-Sicherheitsrat nicht mit Neutralität vereinbar

Als der Uno-Sicherheitsrat nach dem Einmarsch des Iraks in Kuwait 1990 eine Resolution verabschiedete, die Saddam Hussein zum Rückzug aus Kuwait zwingen sollte und dazu scharfe Sanktionen gegen das Land verhängte, die vor allem die Zivilbevölkerung trafen, stimmte der Jemen, der zu diesem Zeitpunkt als nicht ständiges Mitglied in diesem Gremium sass, dagegen. Die Folge war, dass die USA sofort sämtliche Unterstützungsgelder für den Jemen, eines der ärmsten Länder Nordafrikas, strichen. So viel zur Unabhängigkeit und Souveränität der Staaten im Uno-Sicherheitsrat.

Bei einer Mitgliedschaft im Uno-Sicherheitsrat kann die Schweiz nur verlieren. Sie wird zu einer Komplizin der Macht. Dies ist mit der Neutralität unseres Landes nicht vereinbar. Die Schweiz hat verschiedene Schutzmachtmandate, bekannt auch unter dem Begriff der «guten Dienste». Das heisst, die Schweiz vertritt Länder diplomatisch und hat sich damit international einen Namen gemacht. So vertritt sie die Interessen der USA im Iran und die iranischen Interessen in Ägypten. In Georgien vertritt sie die Interessen Russlands und in Russland die Interessen Georgiens. Dabei ist es der Schweiz dieses Jahr gelungen, die seit 2008 stark verfeindeten Staaten zum ersten Mal am Rande der Uno-Generalversammlung zu einem Treffen der beiden Aussenminister zu bewegen. Das kann die Schweiz leisten, weil sie als neutraler Staat ohne versteckte Agenda das Vertrauen anderer Staaten und deren Menschen geniesst. Verschiedene Beispiele sprechen für sich. So konnte die Schweiz aufgrund ihrer Neutralität auch während der Auseinandersetzung in Libyen noch lange humanitäre Hilfe leisten, während andere Staaten oder Organisationen ihren Einsatz wegen zu grosser Bedrohung für deren Mitarbeiter schon längst beenden mussten.

Entscheidungen des Uno-Sicherheitsrats sind bindend

Bei einem Einsitz im Uno-Sicherheitsrat wird sie solche wichtigen Aufgaben kaum mehr neutral ausfüllen können, denn sie wäre an die Entscheidungen des Sicherheitsrats gebunden, auch wenn sie aus triftigen Gründen mit dem entsprechenden Entscheid nicht einverstanden wäre. Die Neutralität hat der Schweiz ein grosses Ansehen unter den Staaten und deren Bevölkerung beschert. Als Mediator und Streitschlichter kann sie Immenses für den Frieden und das friedliche Zusammenleben der Völker leisten. Als Mitglied des Uno-Sicherheitsrats würde sie all das verspielen, nur damit sie auch einmal in der Liga der Grossen den Balljungen spielen und sagen kann: Wir waren auch dabei. Dadurch verliert nicht nur die Schweiz, sondern auch die internationale Gemeinschaft wird einen Partner, dem man vertrauen kann, verlieren. 

In unserer Welt voller Spannungen und Ungewissheiten bietet die Schweiz, die an ihren Grundsätzen festhält, eine Stütze für andere Länder. Das aufzugeben ist töricht und zeugt von wenig politischem Weitblick.

Einmischung der USA in der Ukraine

Interview mit dem Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko, Deutschland

Andrej Hunko, MdB, DIE LINKE (Bild thk)
Andrej Hunko, MdB, DIE LINKE (Bild thk)

Zeitgeschehen im Fokus Welchen Hintergrund hat die Geschichte mit dem US-Präsidenten Donald Trump, dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selensky und dem ehemaligen US-Vize Joe Biden?

Bundestagsabgeordneter Andrej Hunko Grosse Aufregung gibt es im Zusammenhang mit einem Telefonat, in dem Trump indirekt Selensky ermutigt, gegen Hunter Biden, den Sohn von Joe Biden, staatsanwaltschaftlich vorzugehen. Joe Biden selbst wird womöglich bei den US-Präsidentschaftswahlen 2020 der Kandidat der Demokraten sein. Das Verhalten Donald Trumps ist natürlich sehr befremdlich, allerdings ist der dem allen zu Grunde liegende Vorgang mindestens genauso befremdlich.

Was geschah damals genau?

Hunter Biden ist unmittelbar nach dem Umsturz 2014 in Kiew in die Führung des grössten ukrainischen Gaskonzerns Burisma eingetreten. Man schuf für ihn extra einen Posten. Damals war sein Vater Vizepräsident unter der Regierung Obama. Ich habe zu dieser Zeit diesen Vorgang kritisiert. Denn nach Aussagen von Victoria Nuland, Aussenbeauftragte der Regierung Obama, hätten die USA bis 2013 fünf Milliarden US-Dollar in die Ukraine investiert. Dann wird der Präsident gestürzt, und der Sohn des Vizepräsidenten wird auf einen Posten im ukrainischen Gaskonzern gehievt. Das ist ein Skandal, und der müsste auch aufgearbeitet werden, allerdings nicht so, wie Herr Trump das jetzt macht.

Wie müsste man hier vorgehen?

Es müsste eine unabhängige Untersuchungskommission geben, die untersucht, welche Interessen eine Rolle gespielt haben. Das müsste einhergehen mit der Aufarbeitung dessen, was in der Ukraine abgelaufen ist, einschliess­lich der Toten am 20. Februar, die man Janukowytsch angelastet hat. Eine offene Frage ist bei diesem Vorgang, warum die deutsche Bundesregierung an besagtem Wochenende, an dem der Umsturz stattfand, für den ukrainischen Präsidenten nicht erreichbar war. Es gab von Janukowytsch Versuche, an die deutsche Regierung zu gelangen. Frank Walter Steinmeier war zu dem Zeitpunkt Aussenminister und hatte die Vereinbarung für eine friedliche Lösung der Krise mit Janukowytsch und der Opposition unterschrieben. Da gibt es eine Menge offener Fragen, genauso wie zur Situation mit Hunter Biden.

Trump verfolgt hier seine eigenen Interessen…

Er möchte einen Konkurrenten aus dem Felde schlagen. Die USA befinden sich im Präsidentschaftswahlkampf. Die ganze Debatte wird jetzt in den USA hysterisch geführt. Ich bin nicht gegen ein Impeachment von Trump, das kann man von mir aus machen. Interessant ist, dass die Einmischung von aussen in den Wahlkampf mit einer unglaublichen Empfindlichkeit diskutiert wird.

Unter Einmischung von aussen muss man verstehen, dass Selensky gegen den Sohn von Joe Biden vorgehen soll?

Ja, die Einmischung wäre ein juristisches Verfahren in der Ukraine gegen den Sohn eines aussichtsreichen demokratischen Präsidentschaftskandidaten. Auf der anderen Seite ist die USA überhaupt nicht zimperlich gegen die Einmischung bei den Wahlen in anderen Ländern. Die Darstellung in unseren Medien hat hier eine enorme Schieflage.

Kann man eigentlich seit der Wahl Selenskys eine Veränderung der Stimmung gegenüber Russland feststellen?

Wenn man sich das Telefongespräch von Selensky und Trump nochmals anhört, gibt es eigentlich einen anderen Skandal. Nämlich Trumps Vorwurf, dass Europa und vor allem Deutschland zu wenig für die Verschärfung der Sanktionen gegen Russland täten. Das wird aber von niemandem aufgegriffen. Zum einen sind die Sanktionen völlig kontraproduktiv und zum andern schaden sie auch der Ukraine. Ich habe das in der Debatte im Europarat erwähnt. Denn kein Land sollte ein grösseres Interesse an der Aufhebung der Sanktionen haben, als die Ukraine. Ich würde also bei Selensky sagen, dass er aufgrund der Machtverhältnisse gezwungen ist, sich einem solchen Diskurs anzupassen.

Er muss also den US-Vorgaben in Bezug auf Russland folgen?

Er passt sich den Vorgaben der USA bezüglich der Sanktionen usw. an. Auch wenn er sich hier dem Blickwinkel der USA anschliesst, trägt er doch mehr zur Entspannung bei als sein Vorgänger Poroschenko. Die Frage ist natürlich, wie weit er hier gehen kann. Das sind vielleicht nur symbolische Dinge wie z. B., dass er bei seiner Antrittsrede auch russisch gesprochen hat.

Das hat Poroschenko nie getan?

Nein, Selensky sprach beides, russisch und ukrainisch. Dazu kommt noch der Gefangenenaustausch, der sicher als ein positives Zeichen zu werten ist. Womöglich wird es bald einen Gipfel im Normandie-Format mit Frankreich, Deutschland, Ukraine und Russland geben. Ich höre auch, dass unter Selensky bestimmte Elemente des Minsker Abkommens umgesetzt werden sollen, die bei Poroschenko nicht umsetzbar waren. Das stimmt mich doch positiv, aber wie gross sein Spielraum ist, vermag ich nicht zu sagen. Die Ukraine ist auch sehr, sehr abhängig von den USA. Die Politik wird stark von ihnen kontrolliert. Die Wahl von Selensky ist sicher ein positives Zeichen.

Hat Russland mit dem Gefangenenaustausch auch ein Signal gegeben?

Ja. Es war eine Forderung der parlamentarischen Versammlung des Europarates. Bei der Rückkehr der russischen Delegation in dieses Gremium waren in dem dazugehörigen Dokument appellativ einige Anforderungen an die russische Seite gestellt, dazu gehörte auch der Gefangenenaustausch. Die Zahlungen an den Europarat, die Russland eingestellt hatte, wurden inzwischen wieder komplett aufgenommen, und die noch ausstehenden Beiträge wurden zurückgezahlt. Das einzige, worüber man noch spricht, sind die Zinsen, die noch nicht bezahlt wurden. Es gab im Juli in Deutschland Falschmeldungen, die behaupteten, Russland sei wieder zurück, würde aber nicht bezahlen. Das stimmt nicht.

Russland hat seine Verträge doch immer eingehalten.

Ja, das ist die Realität. Selbst in den schlimmsten Zeiten des Kalten Kriegs wurde nicht am Gashahn gedreht. Die Sowjetunion hat die Zusagen immer eingehalten, das Gas ist immer geströmt. Diese Form der Verlässlichkeit ist eine Konstante der russischen Politik.

Herr Bundestagsabgeordneter Hunko, vielen Dank für das Gespräch.

Interview Thomas Kaiser, Strassburg

Der Widerstand gegen die Chaos-Politik der USA beginnt sich zu formieren (Teil 1)

von Robert Fitzthum*

Weitgehend unbeobachtet in Europa finden in Eurasien wichtige Veränderungen der geopolitischen Landkarte mit weltweiten Auswirkungen statt. Einerseits vertieft sich die Beziehung Russland – China zusehends und anderseits findet eine gewisse Entfremdung Indien – USA statt, die zu einem globalpolitischen Zusammenrücken Russ­lands und Chinas mit Indien führt. Die «Shanghai Cooperation Organisation» (SCO) ist dafür eine passende organisatorische Plattform. 

Intensivierung der Beziehungen Russland – China unter dem Druck amerikanischer Sanktionen, Strafzölle und Aufrüstung

Russland einerseits ist unter harten Wirtschaftssanktionen durch die USA und die EU sowie steigendem militärischem Druck der Nato; China anderseits ist von einem amerikanischen «Strafzollregime», dem Kampf gegen chinesische Technologieunternehmen bis hin zur Verhaftung von Managern sowie der ständigen Einmischung der USA in innerchinesische Angelegenheiten (u.a. Tibet, Xinjiang, Hongkong, Taiwan) sowie militärischer Aufrüstung und Bedrohung im Westpazifik betroffen. Angeleitet von der Verfolgung der jeweiligen Interessen hat die russisch-chinesische Beziehung den Level einer «Entente» erreicht: grundsätzlicher Gleichklang der Sicht der Weltsituation und praktische Kooperation in einer breiten Palette von wirtschaftlichen, politischen und militärischen Angelegenheiten.

Beide Staaten teilen die geopolitische Sicht der Notwendigkeit der Entwicklung einer multipolaren lösungsorientierten Diskussions- und Entscheidungsstruktur und zur Erreichung dieses Ziels die Notwendigkeit der Beschränkung der Macht der USA. Sie suchen eine Allianz der von den US-Massnahmen betroffenen Staaten aufzubauen. Die wichtige Basis der Entwicklung der Beziehung ist eine vertrauensvolle Kooperation  zwischen dem russischen Präsident Putin und dem chinesischen Präsident Xi Jinping. Dieser war seit 2013, dem Jahr in dem die «Belt and Road Initiative» (BRI) angekündigt worden war, bereits achtmal in Russland, und es hat bei verschiedenen Gelegenheiten mehr als 30 Abstimmungsgespräche zwischen Putin und Xi Jinping gegeben.

Im Jahr 2019 trafen beide einander erstmals im April, als Putin, wie schon 2017, am «Belt and Road Forum» in Beijing teilnahm. Putins Teilnahme war ein wichtiges Zeichen für die Unterstützung Russlands für die BRI, der weltweiten Entwicklungsinitiative Chinas. 

Beim nächsten Gesprächstermin Anfang Juni in Moskau wurde 70-Jahre Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen China und der damaligen Sowjetunion gefeiert.

Bei den Gesprächen erfolgte eine qualitative Vertiefung der russisch-chinesischen Beziehungen durch Aufwertung der gemeinsamen Beziehungen zu einer «Comprehensive Strategic Partnership of Coordination for a New Era», was bedeutet, dass man die internationale Abstimmung und Koordination bei Aktionen verstärken möchte, da sich aus einer neuen Weltsituation die Notwendigkeit dazu ergibt. Die inhaltlichen Übereinstimmungen lassen sich in zwei wichtigen gemeinsamen Statements ablesen, die beschlossen und veröffentlicht wurden.

Die beiden Meilenstein-«Joint Statements» von Moskau, Juni 2019

Das erste Statement definiert die Ziele einer solchen neuen Art der Partnerschaft, nämlich einander bei der Verfolgung der jeweiligen wirtschaftlichen Entwicklungspfade stärkere Unterstützung zu geben, bei der Verteidigung der jeweiligen Kerninteressen zu unterstützen und die Souveränität und territoriale Integrität zu schützen. Dem Hegemoniestreben und Unilateralismus der USA soll effektiver geantwortet werden. Deshalb werden die beiden Staaten mehr chinesisch-russische Optionen für globale Angelegenheiten vorlegen und gemeinsam vertreten, ihre Entwicklungsstrategien in Einklang bringen (bezieht sich auf BRI und EAEU), eine für beide Seiten vorteilhafte Kooperation in Handel und Investments und die bilateralen Beziehungen umfassend auszuweiten (z. B. Menschen zu Menschen-Beziehung). Die Abstimmung und Kooperation in den Vereinten Nationen, den G20, der «Shanghai Cooperation Organisation» (SCO), der Organisation BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika), und der «Asia-Pacific-Economic-Cooperation» (APEC) wird verstärkt.

Im 2. «Joint Statement» werden strategische Positionen inhaltlich festgelegt. China und Russland werden darauf hinarbeiten, dass die globale Erweiterung des Anti-Raketensystems der USA, das deren nukleare Erstschlagsmöglichkeit erhöht, gestoppt, die Rolle der Nuklearwaffen in der Sicherheitspolitik reduziert und die Gefahr eines nuklearen Krieges vermindert wird. Die beiden Staaten wollen der Uno und dem multilateralen Entwaffnungsverfahren eine Kernrolle im internationalen Waffenkontrollprozess zuweisen sowie die multilateralen Waffenkontrollverträge bewahren und stärken. China und Russland werden die internationale Diplomatie verstärken, um gesetzlich bindende Dokumente zur Verhinderung der Bewaffnung im Weltraum zu erwirken.

Wirtschaftliche Kooperation und Integration in Eurasien im Zentrum

Beim im Anschluss an das Treffen in Moskau abgehaltenen «Economic Forum» in St.Petersburg standen die Integration Eurasiens und besonders die Integration und Entwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen Chinas mit Russland und der «Eurasian Economic Union» (EAEU) im Vordergrund.

Russland und China hatten schon vor einigen Jahren beschlossen, die Entwicklungspläne der BRI und der EAEU zu harmonisieren.

Energie ist einer der Schlüsselbereiche der russisch-chinesischen Wirtschaftskooperation. 2018 betrug der Energiehandel mehr als 40 Milliarden US Dollar bei einem erstmals 100 Milliarden US Dollar übersteigenden Gesamthandelsvolumen. Russland hat ein Handelsdefizit, an einer Verstärkung der russischen Exporte wird deshalb gearbeitet. Verstärkte Kooperation ist in den Bereichen Landwirtschaft, Rüstungsindustrie, Luft- und Raumfahrt vorgesehen. Als eines der in St. Petersburg unterzeichneten bedeutenden Projekte im Gesamtwert von 20 Milliarden US Dollar sticht der Vertrag mit Huawei über die Implementierung von 5G Netzen in Russland ins Auge. Im Juni haben Russland und China eine Vereinbarung unterzeichnet mit dem Ziel, im bilateralen Handel zu Rubel und RMB zu wechseln, für die Zahlungsströme wird man das russische «System for Transfer of Financial Messages» (SPFS) und das chinesische «Cross-Border Inter-Bank Payments System» (CIPS) statt des in Belgien beheimateten, aber US-dominierten SWIFT-System verwenden.

Die Grenzen der Kooperation

Die sehr breit angelegte politische und diplomatische Kooperation hat auch klare Grenzen. Beide Länder halten an ihrer vollen Souveränität und Handlungsfreiheit fest. Sie sehen einander als enge, vertrauenswürdige Partner, man würde in militärischen Sicherheitsfragen nie gegeneinander vorgehen, aber auch nicht immer 100 % miteinander.

China schliesst grundsätzlich keine Militärbündnisse und Beistandspakte mit Ländern oder Ländergruppen ab.

Es gibt aber trotzdem gemeinsame Militärmanöver, wie die Teilnahme von mehr als 3 000 chinesischer Soldaten an «Vostok 2018» und Marine-Manövern in Ostsee, Mittelmeer und Ostchinesischem Meer. Erstmals flogen auch im Juli russische und chinesische strategische Bomber gemeinsame Patrouillen über dem Ostchinesischen Meer. Die russischen Waffenverkäufe an China, wie die SU-35 Kampfjets, das S-400 Luftabwehrsystem sowie russische Flugzeugmotoren für chinesische Kampfjets schliessen wichtige Lücken des aktuellen chinesischen Verteidigungspotentials.

Warum sich das indisch-amerikanische Verhältnis abkühlte

Indien und die USA haben eine «Strategische Partnerschaft», und Indien ist nach wie vor US-Partner in der amerikanischen, gegen China gerichteten «Indo-Pacific-Strategy», aber die indische Begeisterung hat sich stark abgekühlt. So betonte nach einem Treffen mit dem amerikanischen Aussenminister Pompeo Ende Juni in Delhi der indische Aussenminister Jaishankar: «We had also a talk over lunch on the Indo-Pacific; the big point I made was that the Indo-pacific is for something – not against somebody, and that something is peace, security, stability, prosperity and rules». Mit dieser Aussage betont Indien, dass es für eine militärische Einkreisungsstrategie gegen China nicht zu haben ist, sondern für Sicherheit und Stabilität für alle. Gleichzeitig ist Indien aber an einer Partnerschaft mit den USA weiter interessiert, vor allem an Waffenkäufen.

Die grossen Probleme Indiens im Verhältnis zu den USA liegen im wirtschaftlichen Bereich und der geringschätzigen Behandlung Indiens als Juniorpartner, wobei Indien sich selbst nicht als Juniorpartner einer Grossmacht sieht, sondern selbst Einfluss auf globaler Ebene anstrebt.

Indien importiert 84 % des benötigten Rohöls, davon kommen zwei Drittel aus der Golfregion, eine stabile Golfregion ist für Indien deshalb sehr wichtig. Durch die amerikanischen Sanktionen gegen den Iran und auch Venezuela wurde Indien von den zwei grössten Lieferanten abgeschnitten. Die USA sorgen nicht nur für Spannungen bis zu Kriegsdrohungen in der Golfregion, sondern beendeten überfallartig Anfang Mai die indische Ausnahmegenehmigung für Ölimporte aus dem Iran. Und Indien hat nur für ca. 10 Tage Ölreserven! Diese Massnahme stiess der indischen Regierung sehr sauer auf.

Der Iran ist für Indien noch unter einem anderen Gesichtspunkt strategisch sehr wichtig.  Der von Indien im Iran ausgebaute Behesti Hafen bei Chabahar nahe der iranisch-pakistanischen Grenze ist ein Schlüssel für die wirtschaftliche Anbindung Indiens an Zentralasien via Afghanistan («Mini-Silk-Road»), da die Landroute von Pakistan nicht freigegeben wird. Chabahar ist wichtig für Indiens Mittelasienpolitik, die durch die Mitgliedschaft Indiens in der SCO ermöglicht wird. Der Hafen wurde von den USA zwar von den Sanktionen ausgenommen, aber die Firmen, die den Hafen benutzen, können über das internationale Überweisungssystem SWIFT keine Geldtransaktionen durchführen. Dadurch gefährden die USA Modi»s Mittelasienpolitik und eine wichtige indische und zentralasiatische Handelsroute. 

Noch dazu hob Trump am 31. Mai 2019 Indiens «Preferential Trade Status Under the General System of Preferences» auf, was bedeutet, dass auf grosse Teile indischer Exporte in die USA wesentlich höhere Zölle bezahlt werden müssen. Indien revanchierte sich mit zusätzlichen Tarifen gegen US Exporte, was Trump empört als «unacceptable» bezeichnete und deren Rücknahme verlangte. Trump erkennt auch Indiens Status als Land in Entwicklung im Rahmen der WTO nicht an.

Die Trump Administration wird Indien auch für den Kauf der russischen S-400 Luftabwehrsysteme (werden übrigens von Indien in Euro bezahlt) sanktionieren.

Verbesserung der Beziehungen China – Indien

Aufgrund der oben angeführten Entwicklungen versuchten der indische Präsident Modi und der chinesische Präsident Xi Jinping vergangene Probleme wegen ungelöster Territorialthemen hinter sich zu lassen und in einer strategischen Tour d»Horizon gemeinsame Interessen im (welt-) wirtschaftlichen und (welt-) politischen Bereich abzustecken. Sie trafen einander im April 2018 in der chinesischen Grossstadt Wuhan und tauschten sich bei einem zweitägigen inoffiziellen Treffen in kleinstem Kreis bei 6 Gesprächsrunden fast 10 Stunden aus. Das Treffen war eine wichtige und notwendige vertrauensbildende Massnahme, das Ergebnis war allgemein gesprochen die Vereinbarung stärker zusammenzuarbeiten und die gemeinsamen Interessen sowie die der Länder in Entwicklung zu fördern.  

Diese strategische Achse soll in Zukunft nicht mehr durch Grenzgeplänkel gestört werden. Beide Präsidenten formulierten eine strategische Richtlinie an ihre Militärs keine Konflikte mehr aufkommen zu lassen, Aktionen an der Grenze abzustimmen und die gegenseitige Information und Kommunikation zu verstärken. Auch Kooperation und Informationsaustausch sowie gegenseitige Besuche durch die Flottenverbände wurden vereinbart, und es nahmen auch schon 2 indische Kriegsschiffe an Chinas «International Fleet Review» im April 2019 in Qingdao teil.

Auch wirtschaftliche Themen wurden andiskutiert. Während sich Indien nicht explizit für die BRI ausspricht, gibt es doch Zusammenarbeit. So ist Indien am «Bangladesh-China-Indien-Myanmar-Korridor» interessiert und China und Indien arbeiten de facto bereits an einigen Punkten gemeinsam daran. Indien ist übrigens auch nach China grösster Shareholder in der im Zusammenhang mit BRI gegründeten «Asian Infrastructure Investment Bank» (AIIB). 

Man beschloss auch gemeinsame regionale Projekte in Drittländern durchzuführen, wobei Infrastrukturprojekte in Afghanistan im Vordergrund stehen.

Ein Problempunkt der angegangen werden muss, ist das indische Handelsdefizit gegenüber China. Indien möchte, dass China mehr Waren importiert, ein wichtiger Bereich ist die Freigabe von Importen im landwirtschaftlichen ­Bereich durch China. Die Unterzeichnung der von der «Association of Southeast Asian Nations» (ASEAN) ins Leben gerufenen und von China stark forcierten «Regional Comprehensive Economic Partnership» (RCEP) durch Indien wird derzeit durch seine Befürchtung blockiert, dass zu viele Handelswaren aus China nach Indien einströmen könnten. Das RCEP (15 Westpazifik-Staaten) wird nach der für Ende 2019 geplanten Unterzeichnung das weltweit grösste Freihandelsabkommen sein und ca. 1/3 des Welt-BIP, 1/3 des Welthandels, 1/3 der globalen Investments und die Hälfte der Weltbevölkerung abdecken.

Dieses Treffen Xi-Modi in Wuhan brachte einen entscheidenden Wendepunkt der chinesisch-indischen Beziehungen.

Ein für Modi wichtiger Erfolg als Ergebnis dieses Treffens war die (lange verweigerte) Zustimmung Chinas zur Listung des in Pakistan beheimateten Jaish-e-Mohammad (JeM) Chefs Masood Azhar als «global terrorist» im Rahmen des Sicherheitsrats. Nach Meinung von Beobachtern hat diese Listung auch einen wichtigen Beitrag zum Wahltriumph Modis bei den Parlamentswahlen geleistet. Man fand eine gemeinsame Basis für den Kampf gegen den Terrorismus.

Ein weiteres Treffen Xi-Modi fand am Rande der SCO-Tagung in Bishkek im Juli 2019 statt. Ein neues mehrtägiges informelles Meeting Xi-Modi, analog zum Wuhan-Treffen, wird schon im Oktober 2019 im indischen Varanasi stattfinden. 

Teil 2 folgt in Nr. 15 

Quelle: International, Nr 4/2019

Literatur

Robert Fitzthum: China verstehen – Vom Aufstieg zur Wirtschaftsmacht und der Eindämmungspolitik der USA. Promedia-Verlag, 2018 

www.mediashop.at/buecher/china-verstehen/

«Mami, das Tetrapak gibt keine Milch mehr!»

Sorge tragen für unsere einheimische Landwirtschaft

von Reinhard Koradi

In den sogenannten Industrieländern leben die meisten Menschen im Überfluss, während in den weniger entwickelten Regionen die Menschen ihre Nahrung mit harter Arbeit und auch durch Entbehrungen dem Boden, oder nennen wir es der Natur, abringen müssen. Auf der nördlichen Halbkugel kauft man Lebensmittel in Supermärkten mit einem riesigen Warenangebot ein, das nicht selten über Tausende von Kilometern hergeschleppt und sorgsam verpackt wurde, dass der Ursprung des Lebensmittels kaum mehr erkennbar ist. Wer macht sich schon Gedanken, wieviel Arbeit hinter einer in Alufolie verpackten Fertigrösti steckt? 

 

Im Wohlstand geboren und aufgewachsen, haben wir den Bezug zur realen Umwelt weitgehend verloren. Zwar gibt es «Urban Gardening» und andere Alternativprogramme, doch diese sind weitgehend ein Produkt der Überflussgesellschaft, verglichen mit dem täglichen Kampf um eine ausreichende Ernährung in anderen Regionen der Welt.

Was darf ein Lebensmittel kosten und wie soll es aussehen?

Lebensmittel müssen billig sein, sie dürfen das Haushaltbudget nicht strapazieren. Weil wir vergessen haben, dass hinter jeder Kartoffel, jeder Frucht und jedem Milch- oder Fleischprodukt sehr viel Erfahrung, Wissen und menschliche Arbeit steckt, haben Nahrungsmittel ihren Wert verloren. Dazu kommt eine Konsumhaltung, die nur noch «schöne und strahlende» Produkte akzeptiert. Wieweit diese Haltung durch Werbung und bewusste Beeinflussung über das Warenangebot selbst aufgebaut wurde, lässt sich kaum nachvollziehen. Für diesbezügliche Erklärungen bringen die involvierten Branchen den «Markt» ins Spiel. Immer wieder hören wir die Erklärung «der Markt will das». Obwohl im Grunde genommen niemand so genau weiss, wer oder was der Markt eigentlich ist, diktiert der Markt die Regeln nach dem sich Produzenten und Konsumenten richten müssen. 

Das Diktat des Marktes beeinflusst selbstverständlich auch die Politik. Die Landwirtschaftspolitik ist an sich ein Lesebuch über das, was der Markt will: Billige Lebensmittel, natürlich mit möglichst geringer Umweltbelastung produziert, und gesund müssen sie auch noch sein. Sie haben bezüglich des Aussehens und der Grösse ästhetische Ansprüche zu erfüllen und dürfen auch keine naturbedingten Abweichungen vom vorgegebenen Standard aufweisen.

Doch die Natur lässt sich nicht so leicht überlisten. Unsere Ansprüche ignorieren jedoch die naturgegebenen Entwicklungs-, Wachstums- und auch Erntebedingungen, weil wir kaum mehr wissen, welche Grundsätze Aufzucht, Wachstum, Reife und Ernte bestimmen. Der Einsatz von Chemie und anderen Produktionshilfsmitteln ist die Folge unserer Konsumerwartungen und unseres Verhaltens. Der Anspruch auf billige Lebensmittel stellt die produzierenden Landwirte vor existenzbedrohende Herausforderungen. Billige Produkte produziert man, indem die Produktionskosten reduziert und die Produktionsmenge erhöht werden. 

Das ist für kleinere und mittlere Betriebe oft der direkte Weg zur Betriebsaufgabe, da wegen der beschränkten Produktionsmittel (Betriebsgrösse und Arbeitskräfte) eine Steigerung der Produktion nicht möglich ist. Immer mehr bäuerliche Familienbetriebe verschwinden und werden durch Landwirtschaftsbetriebe ersetzt, die nach der industriellen Logik bewirtschaftet werden. Die industrielle Landwirtschaft folgt anderen Gesetzen. Sie ist auf die Optimierung oder Maximierung der Erträge ausgerichtet und ist dabei geradezu gezwungen die natürlichen Produktionsbedingungen (Boden, Natur und Tierzucht) durch den Einsatz von technischen und chemischen Hilfsmitteln anzukurbeln, um höhere Erträge zu generieren und das Produktionsrisiko zu mindern. Solange der Kostendruck und die Ertragssteigerung der eingesetzten Produktionsfaktoren die Landwirtschaft prägen, werden Massenproduktion oder Massentierhaltung die Zukunft der Landwirte gestalten, ergänzt durch kleine und mittlere Nischenbetriebe, die für eine kleine, kaufkraftstarke Minderheit «hochwertige und natürliche» Nahrungsmittel produzieren. 

Eine industrielle Landwirtschaft wird sich in der Schweiz jedoch kaum etablieren können. Möglicherweise noch im Mittelland, nicht aber in der für unser Land typischen Hügel- und Berglandschaft. Neben den betriebswirtschaftlichen negativen Einflussfaktoren bedrohen aber auch volkswirtschaftliche Rahmenbedingungen die Existenz der einheimischen Bauern. Die Exportwirtschaft fordert von der Politik den freien Marktzugang (Freihandelsverträge). Die meisten möglichen Vertragspartner verfolgen einen umfassenden Freihandel, das bedeutet auch die Agrarprodukte sind ein Bestandteil der Freihandelsabkommen. Für die Landwirte in der Schweiz bedeutet dies, in einen ruinösen Preiswettbewerb mit ausländischen Produzenten involviert zu werden. Ein Wettbewerb, den sie nur verlieren können, da die Produktionskosten in der Hochpreisinsel Schweiz weit höher sind als im Ausland.

Der durch die Politik initiierte Preiswettbewerb zwischen Inland- und Auslandproduktion (Förderung des Freihandels) zerstört die Existenz vieler kleinerer und mittlerer Landwirtschaftsbetriebe in der Schweiz. Durch die aktuelle Politik begünstigen wir die weltweite Agrar-(Export)-Industrie, die kaum in der Lage ist, einen nachhaltigen Beitrag zum Schutz von Menschen, Natur und Tieren zu leisten. 

Der verlorene Bezug zur Natur

Weil viele der Meinung unterliegen, Lebensmittel kommen aus den Supermärkten, schwindet das Verständnis gegenüber denen, die Lebensmittel züchten, aufwachsen lassen und ernten. Hinter diesen natürlichen Prozessen liegt eine enorme Arbeit, die auch die Pflege und den Schutz der natürlichen Produktionsmittel beinhaltet. Stoffe, die durch die Produktion dem Boden entzogen worden sind, müssen dem Boden wieder zugeführt werden. Bei der Nutztierhaltung gilt der gleiche Grundsatz. Die Ausbeutung stösst in der Natur auf Grenzen. Was der Natur entzogen wird, muss in irgendeiner Form wieder in den natürlichen Kreislauf zurückgeführt werden. Die Bauern kennen diese Gesetze ganz genau und werden mit grösster Sorgfalt darauf achten, dass das System nicht kollaboriert. Mit unserer Anspruchshaltung erschweren wir den Landwirten die Einhaltung der Sorgfaltspflicht gegenüber den natürlichen Produktionsgrundlagen. Nicht die Landwirte müssen ihre Produktionsmethoden in Frage stellen, sondern wir Konsumenten müssen unsere Anspruchshaltung korrigieren, indem wir unser Konsumverhalten wieder nach dem orientieren, was die Natur vor Ort hergeben kann.

Diese Einsicht scheint offensichtlich zu fehlen. Die Landwirte werden zu Sündenböcken gemacht, weil wir unser Verständnis für natürliche Vorgänge verloren haben. Für den einst so stolzen und auch in der Gesellschaft respektierten Bauernstand ist dieser Gesinnungswandel eine schwere Last, gegen den er sich zu Recht wehrt. 

Dauerproteste in den Niederlanden

In den Niederlanden hatten heftige Bauernproteste zu Strassenblockaden und einem riesigen Verkehrschaos geführt. Auslöser der Proteste war eine Forderung der linksliberalen Regierungspartei D66. Diese will den Tierbestand um die Hälfte verringern, um die Stickstoffemissionen aus der Landwirtschaft zu reduzieren. «In den Niederlanden gibt es keine Zukunft für die intensive Tierhaltung», hatte der D66-Politiker De Groot gesagt. Er hatte behauptet: rund 70 Prozent der niederländischen Stickstoffemissionen stammten aus der Landwirtschaft. Ein grosser Teil davon kommt aus der intensiven Tierhaltung. Weiter sagte er, der Beitrag der intensiven Tierhaltung zur Wirtschaft belaufe sich aber auf weniger als 1 Prozent.

Um sich gegen die wachsende Flut von Forderungen und Unterstellungen gegenüber der Landwirtschaft zu wehren und um auf das immer schlechtere Image der Landwirtschaft in der Gesellschaft aufmerksam zu machen, organisierten die niederländischen Landwirte am Dienstag eine Protestaktion.

Warum plötzlich diese Angriffe auf die Bauern? 

In der Schweiz wurde vor rund zwei Jahren über die sogenannte Ernährungssicherheit abgestimmt. Grundsätzlich ging es darum, die Versorgung mit Nahrungsmitteln soweit möglich durch die Inlandproduktion abzusichern. Annähernd 80 % der Stimmen haben dieses Anliegen unterstützt, was darauf schliessen lässt, dass die Bevölkerung die Arbeit der einheimischen Bauern schätzt und respektiert. Und heute?  Zurzeit liegen zwei Volksinitiativen vor, die man zumindest teilweise als ein Misstrauensvotum gegenüber unseren Landwirten einordnen muss. Die eine Initiative fordert sauberes Trinkwasser und die andere will den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft unterbinden. Es ist absolut legitim, sauberes Trinkwasser zu fordern oder den Einsatz chemischer Hilfsmittel bei der Nahrungsmittelproduktion einzuschränken. Machen wir uns nichts vor. Die einheimischen Landwirte haben schon längst begriffen, dass sie die natürlichen Produktionsmittel pflegen müssen und haben entsprechende Massnahmen ergriffen. In dieser Hinsicht dürften andere Branchen (Energie, Rüstung, Freizeit und Vergnügen, Elektronik usw.) noch einen erheblichen Aufholbedarf haben. 

Was brauchen wir wirklich
zum Leben?

Die natürlichen Ressourcen (Boden, Bodenschätze, Luft und Wasser) werden genutzt, seit Menschen diesen Planeten bewohnen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Die Frage ist nur, betreiben wird Raubbau oder tragen wir Sorge zu diesen lebenswichtigen Gütern? Ein verantwortungsvoller Umgang mit der Natur bedeutet unter anderem auch die vor Ort vorhandenen Ressourcen zu nutzen. Wer Pflanzen anbauen oder Tiere halten will, braucht Boden, Wasser und auch Luft. Mit dem Übergang von der Versorgungs- zur Überflussgesellschaft laufen wir Gefahr, die Natur auszubeuten. Diese Gefahr allein auf eine Branche zu fokussieren, wird den natürlichen Herausforderungen in keiner Weise gerecht. Letztlich ist es unser Lebensstil, unsere Ansprüche, die die Nutzung natürlicher Ressourcen bestimmen. Wir sprechen heute von der Wegwerf-, der Wohlstands- und Wachstumsgesellschaft. Die zentralen Fragen sind dann auch: Was benötigen wir wirklich zum Leben? Wäre es eventuell angebracht, sich einzuschränken, zu verzichten? Warum muss die Wirtschaft immer weiterwachsen? Gibt es zur Wachstumsgesellschaft keine Alternativen?

Feindbild Landwirtschaft dringend korrigieren

Die Landwirte sind ungerechtfertigt zum Feindbild der «Naturschützer» geworden. Vermutlich, weil die Bauern noch eine der wenigen Branchen verkörpern, die wirklich mit der Natur kooperieren müssen.  Während es für uns selbstverständlich ist, dass wir ­jeden Tag mehr oder weniger ­gedankenlos die Verschleisswirtschaft durch unsere Wegwerfmentalität stützen, liegt die Zukunft und Existenz der Bauern bei den natürlichen Ressourcen. Er wird seine Existenzgrundlagen nicht willentlich schädigen, sondern sie angemessen bewirtschaften und pflegen. Was ansteht, ist ein politischer Richtungswechsel zu Gunsten der noch aktiven Landwirte. Sie sind es nämlich, die durch ihre tägliche Arbeit die von der Natur gegebenen Produktionsfaktoren fördern und pflegen. Damit diese Förderung und Pflege in der Schweiz nachhaltig bleibt, müssen wir uns von der Idee der billigen Lebensmittel lösen. Müssen die Produkte akzeptieren, die auf unserem Boden gedeihen können und endlich aufhören, die dezentrale, weitgehend auf mittleren und kleineren Familienbetrieben basierende Lebensmittelproduktion in unserem Land zu zerstören.

Es sind letztlich wir allein, die durch eine Verhaltensänderung die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen einschränken können. Es braucht dazu keine Feindbilder oder Verbote, sondern ganz allein etwas gesunden Menschenverstand und die Einsicht, dass wir je länger je mehr an naturgegebene Grenzen stossen.

«Man muss in grösseren Dimensionen denken»

Das integrale Wassereinzugsgebietsmanagement als Lösungsansatz

Interview mit Thomas Egger

Thom)as Egger, Direktor SAB (Bild zog
Thom)as Egger, Direktor SAB (Bild zog

Interview mit Thomas Egger, Direktor der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB)

Zeitgeschehen im Fokus Vor welchen Herausforderungen stehen wir in der Schweiz, wenn die Durchschnittstemperaturen weiter steigen?

Thomas Egger Die Ausgangslage ist klar. Der Klimawandel stellt uns vor neue Herausforderungen. Der Anstieg der Temperaturen im Sommer wird dazu führen, dass wir länger andauernde Trockenperioden haben. Wir werden zwar immer noch die gleiche Wassermenge in Form von Niederschlägen bekommen, aber diese werden anders ausfallen. Es wird mehr intensive Regenfälle und längere Trockenperioden geben.

Suone im Baltschiedertal (VS) (Bild wikipedia.org)

Suone im Baltschiedertal (VS) (Bild wikipedia.org)

 

 

Was bedeutet das für die Wasserverfügbarkeit?

Wir werden ein Problem mit der Wasserspeicherung haben. Wenn die Temperatur weiter ansteigt, hat das ein weiteres Abschmelzen der Gletscher zur Folge. Damit fällt ein wichtiger Wasserspeicher weg. Dazu kommt noch, dass die Schneefallgrenze steigt. Dadurch fällt im Frühling weniger Schmelzwasser an.

Was sind die Folgen für den Schutz vor Naturgefahren?

Durch das Abschmelzen der Gletscher bilden sich vermehrt Gletscherseen. Ein bereits sichtbares Beispiel ist der Rhone-Gletschersee. Diese Gletscherseen können zwar einerseits wieder Wasser speichern, stellen aber unter Umständen auch ein Gefahrenpotenzial dar, wenn sie plötzlich ausbrechen. Starkniederschläge, ausbrechende Gletscherseen, auftauender Permafrost, langanhaltende Trockenperioden. Alles weist darauf hin, dass wir in Zukunft noch stärker mit Naturgefahrenereignissen konfrontiert sein werden. Wir werden also einen erhöhten Investitionsbedarf zur Prävention von Naturgefahren haben.

Was wird auf uns zukommen?

Wir werden im Sommer weniger Wasser zur Verfügung haben, bei gleichzeitig ansteigenden Nutzungsansprüchen. Das wird zu Nutzungskonflikten führen. Wir hatten bereits in der Vergangenheit vereinzelt in Tourismusgemeinden Nutzungskonflikte zwischen künstlicher Beschneiung und Trinkwasserversorgung. Solche Konflikte werden in Zukunft zunehmen. Gemeinden brauchen unbedingt Trinkwasser für die Bevölkerung. Sie brauchen auch Löschwasser für die Feuerwehr usw. Der Tourismus braucht Trinkwasser für die Gäste sowie Wasser für die künstliche Beschneiung. Dazu kommen auch die Landwirtschaft und die Energieversorgung sowie Industrie und Gewerbe mit ihren Ansprüchen.

Wie sieht das mit der Energieversorgung aus?

Mit dem Ausstieg aus der Kernkraft geht ja der politische Wille einher, die einheimische Energieversorgung und hier insbesondere die Wasserkraft auszubauen. Aber auch die Landwirtschaft braucht wegen der Trockenheit ebenfalls mehr Wasser. Diese Entwicklung wird unweigerlich zu Konflikten führen. Soll man Trinkwasser für die Gäste bereit stellen oder hat die Landwirtschaft Priorität für die Bewässerung der Weiden? Was ist mit den Löschwasserspeichern? Das alles sind sehr delikate Fragen. 

Gibt es für die Lösung dieser Konflikte bereits Ansätze?

Bisher gibt es noch keine allgemein gültigen Lösungsansätze. Ein vielversprechender Ansatz ist der Aufbau eines integralen Wassereinzugsgebietsmanagements. In einem Wassereinzugsgebiet wie z. B. dem Unterengadin kann man so versuchen, im Dialog mit allen Akteuren die teils divergierenden Nutzungsansprüche in Einklang zu bringen. Ich habe bewusst das Unterengadin erwähnt, weil dies meines Wissens die einzige Schweizer Region ist, bei der so etwas im Aufbau ist.

Gibt es noch andere Ansätze?

Der Kanton Wallis hat eine Wasserstrategie erarbeitet. In dieser Wasserstrategie wurde zum Beispiel festgeschrieben, dass man eine Dialogplattform für alle Betroffenen errichten will. Zudem wurde für die verschiedenen Nutzungsansprüche eine Prioritätenordnung festgelegt. Die Wasserstrategie ist damit vorbildlich, sie muss aber auch umgesetzt werden. Das geschieht u. a. aktuell mit dem Aufbau eines integralen Wassereinzugsgebietsmanagements in einem Unterwalliser Seitental. Die Arbeiten im Unterengadin wirken dabei als Vorbild.

Wie sieht das konkret aus?

Man muss in grösseren Dimensionen denken. Die Frage der Nutzungskonflikte rund um das Thema Wasser kann nicht eine Gemeinde für sich alleine lösen. Die Lösung muss im Rahmen des Wassereinzugsgebietes gesucht werden. Alle wichtigen Akteure müssen an einen Tisch. Es stellen sich völlig neue Fragen. Insbesondere: wem gehört das Wasser? Braucht es neue Speicherseen? Und falls ja, wer soll diese erstellen? Denn es geht nicht mehr nur um die Energieproduktion. Wir werden in Zukunft vermehrt sogenannte multifunktionale Wasserspeicher erstellen müssen.

Gibt es Erfahrungen bereits aus anderen Ländern?

Das Thema wird länderübergreifend in der Makroregionalen Strategie für den Alpenraum (EUSALP) diskutiert. Das Beispiel aus dem Unterengadin dient dazu als Vorbild und wird derzeit auch auf Österreich ausgeweitet. Über EUSALP können wir den Erfahrungsaustausch unter den beteiligten sieben Alpenländern und 48 Alpenregionen fördern.

Was ist die Idee dahinter?

Wir haben überall im Alpenraum die gleichen Herausforderungen, unterschiedlich sind der Grad der Betroffenheit, die rechtlichen Rahmenbedingungen usw. Die Herausforderungen, die das integrale Wassermanagement betreffen, sind bei allen gegeben. Dazu gehören auch der Hochwasserschutz, die Biodiversität etc. Die Länder und Regionen können diesbezüglich noch viel voneinander lernen.

Das klingt sehr interessant. Wird der regionale Ansatz allen Betroffenen gerecht?

Neben dem regionalen Ansatz werden wir z. B. in der Landwirtschaft auch einzelbetriebliche Lösungen suchen müssen. Gerade im Voralpenraum wird die Landwirtschaft mit zunehmender Trockenheit konfrontiert sein. Für den Voralpenraum sind das völlig neue Erfahrungen. Hier werden die Berg- und Alpbetriebe Wasserspeicher auf ihren Betrieben installieren müssen. Eine Notversorgung per Helikopter darf nicht die Regel sein.

Gibt es bereits Beispiele dafür?

Der Kanton Wallis weist mit den Suonen eine jahrhundertalte Tradition mit der künstlichen Bewässerung auf. Das ist ein Erfahrungsschatz, den wir innerhalb der Schweiz austauschen können. Auch für die Gemeinden stellen sich Fragen der Versorgung. Die Gemeinden müssen sich auch überlegen, wie sie genügend Löschwasser zur Verfügung haben, insbesondere auch bei Waldbränden. Es wird Vorsorgepläne brauchen, wenn bei der Trinkwasserversorgung Engpässe entstehen.

Wie kann man die Versorgung sicherstellen, möglicherweise mit der Zufuhr durch Zisternenwagen?

Der Kanton Graubünden hat beispielsweise bereits solche Notfallpläne erstellt. Diese Planungen müssen jetzt an die Hand genommen werden. Denn, auch wenn der Klimawandel eine langfristige Herausforderung ist, so muss doch bereits jetzt darauf reagiert werden, bevor die Nutzungskonflikte akut werden.

Herr Egger, vielen Dank für das Gespräch.

Interview Thomas Kaiser

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